BSG Urteil v. - B 3 KR 1/19 R

Krankenversicherung - Krankengeldanspruch - Prüfung für jeden Bewilligungsabschnitt - ärztliche Feststellung - Meldung der Arbeitsunfähigkeit - Obliegenheit des Versicherten - Ausnahmefall

Gesetze: § 44 Abs 1 SGB 5, § 49 Abs 1 Nr 5 SGB 5, § 5 Abs 1 S 1 EntgFG

Instanzenzug: SG Chemnitz Az: S 11 KR 259/14 Urteilvorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 1 KR 97/15 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld (Krg).

2Bei dem 1986 geborenen, bei der beklagten Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See krankenversicherten Kläger bestand ab krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit (AU), weswegen er vom 21.10. bis Entgeltfortzahlung seines Arbeitgebers erhielt. In einer AU-Folgebescheinigung vom bestätigte die Fachärztin für Allgemeinmedizin/Naturheilverfahren H. in einem vertragsärztlichen Formularvordruck die AU des Klägers bis sowie - unter Beibehaltung der ursprünglichen Diagnose - in einer Folgebescheinigung vom weiter bestehende AU bis . Die für die Krankenkasse (KK) bestimmten Ausfertigungen der AU-Bescheinigungen vom und vom (jeweils Muster 1a) gingen bei der Beklagten erst am ein.

3Die AU-Bescheinigungen waren mit einer Ausfertigung (Durchschrift) zur Vorlage bei der KK versehen (Muster 1a mit fett gedrucktem Zusatz links neben dem Adressfeld "Bei verspäteter Vorlage droht Krankengeldverlust!"), einer solchen zur Vorlage beim Arbeitgeber (Muster 1b) sowie mit einer Ausfertigung zum Verbleib beim Arzt (Muster 1c). Die Ausfertigung zur Vorlage beim Arbeitgeber (Muster 1b) trug im Jahr 2013 links neben dem Adressfeld den fett gedruckten Hinweis "Bitte sofort dem Arbeitgeber vorlegen!" und rechts davon den Zusatz "Der angegebenen Krankenkasse wird unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angabe über die Diagnose sowie die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt."

4Den Antrag des Klägers auf Zahlung von Krg für die Zeit vom 2.12. bis lehnte die Beklagte ab. Seine Behauptung, die AU-Bescheinigungen innerhalb von einer Woche auf dem Postweg an die Beklagte übersandt zu haben, sei unerheblich, weil ihr seine AU insoweit nicht spätestens innerhalb einer Woche verspätet gemeldet worden sei. Daher ruhe sein Krg-Anspruch nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V bis zur Kenntniserlangung der Beklagten von der AU. Die für die streitige Zeit maßgebenden AU-Bescheinigungen vom und vom seien bei ihr (der Beklagten) erst am eingereicht worden. Die Folgen der Nichtmeldung und die Übermittlungsgefahr trage der Kläger (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).

5Das dagegen angerufene SG hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger nicht nachgewiesen habe, dass beide Folge-AU-Bescheinigungen der Beklagten innerhalb einer Woche übersandt worden seien (Urteil vom ).

6Auf die Berufung des Klägers hat das LSG das SG-Urteil aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger vom 2.12. bis Krg zu zahlen. Die Voraussetzungen eines Krg-Anspruchs lägen insoweit vor. Der Anspruch ruhe auch nicht nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V. Zwar sei die Regelung strikt zu handhaben, weil der Versicherte grundsätzlich selbst die notwendigen Schritte zur AU-Feststellung und Wahrung seiner Ansprüche zu unternehmen habe. Daher trete die Ruhenswirkung bei nicht bzw nicht rechtzeitig erstatteter AU-Meldung selbst ein, wenn eine rechtzeitige Aufgabe zur Post erfolgt und die Meldung nach Kenntniserlangung vom Verlust unverzüglich wiederholt worden sei. Allerdings sei der Anwendungsbereich des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V durch das Lohnfortzahlungsgesetz von 1969 (LFZG) und durch § 5 Abs 1 Satz 5 des ab geltenden Entgeltfortzahlungsgesetzes (EntgFG) erheblich eingeschränkt. Danach müsse die (für den Arbeitgeber bestimmte) AU-Bescheinigung bei Arbeitnehmern, die Mitglied einer KK seien, einen Vermerk des behandelnden Arztes darüber enthalten, dass der KK unverzüglich eine Bescheinigung über die AU mit Angaben über den Befund und die voraussichtliche Dauer der AU übersandt werde. Durch diese speziellere Regelung werde dem Versicherten mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung die Meldepflicht nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V abgenommen. Die Meldepflicht obliege dann in solchen Fällen dem Vertragsarzt; dessen verspätete Meldung sei der KK zuzurechnen (Hinweis auf und vom - B 1 KR 30/04 R). Der Vertragsarzt könne sich seiner Verpflichtung zur AU-Meldung an die KKn nicht dadurch entziehen, dass er dem Versicherten den für die KK bestimmten Vordruck aushändige. § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V sei dann nur anzuwenden, wenn der Versicherte gewusst habe oder habe wissen müssen, dass der Vertragsarzt nicht so verfahren dürfe (Hinweis auf aaO, juris RdNr 28). Der Versicherte habe jedoch regelmäßig keine Veranlassung, sich darüber Gedanken zu machen, wie die Meldung an seine KK erfolge und aus welchen Gründen er gleichwohl eine Bescheinigung für die KK erhalten habe; denn § 5 Abs 1 Satz 1 EntgFG verpflichte ihn nur zur Unterrichtung seines Arbeitgebers. Der wegen derselben Beschwerden durchgängig arbeitsunfähige Kläger habe nicht wissen müssen, dass die Beklagte die AU-Folgebescheinigungen vom und vom "nicht zeitnah erhalten hatte". Offen bleibe, ob all dies auch für das ab freigegebene AU-Bescheinigungs-Formular gelte, in dessen Ausfertigung für Versicherte es nun ua heiße, der Versicherte müsse die ihm für die KK ausgehändigte Bescheinigung innerhalb einer Woche an die KK weiterleiten (Urteil vom ).

7Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt die Verletzung von § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V und beanstandet die Ansicht des LSG, der Kläger sei als Versicherter mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Bezug auf das Krg von seiner krankenversicherungsrechtlichen AU-Meldeobliegenheit befreit gewesen, weil seiner Ärztin eine Meldepflicht nach § 5 Abs 1 Satz 5 EntgFG oblegen habe: Gegenteiliges folge aus den Urteilen des sowie (zur Vorgängervorschrift § 216 Abs 3 RVO) vom - 5 RKn 76/64. Der Kläger habe nach den Feststellungen des LSG und nach eigenem Vorbringen die für die KK bestimmten Ausfertigungen der AU-Bescheinigungen vom und vom selbst auf den Postweg gebracht, sodass er auch das Übermittlungsrisiko trage. Wortlaut, Systematik und Gesetzesmaterialien gäben für die gegenteilige Ansicht nichts her. Auf die vom LSG herangezogenen BSG-Urteile lasse sich dessen Auffassung nicht stützen. Ein Ausnahmefall, der dazu führe, von der strikten Anwendung des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V abzusehen, liege nicht vor.

8Die Beklagte beantragt sinngemäß,das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom zurückzuweisen,hilfsweise,das vorgenannte Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

9Der Kläger beantragt,die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

10Er hält das LSG-Urteil für zutreffend.

11Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 165 Satz 1, § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 SGG).

Gründe

12Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.

13Zu Unrecht hat das LSG angenommen, dass dem Kläger für die Zeit vom 2.12. bis ein Anspruch auf Gewährung von Krg zustehe. Daher war das im Berufungsverfahren ergangene Urteil aufzuheben und das klageabweisende erstinstanzliche Urteil wieder herzustellen.

141. Zwar liegen nach den Feststellungen des LSG (und wie zwischen den Beteiligten außer Streit ist) die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 SGB V im Falle des Klägers vor, wonach Versicherte ua Anspruch auf Krg haben, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Der Anspruch des Klägers auf Krg ruhte jedoch nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V, solange die AU der KK nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der AU erfolgt.

15Die Voraussetzungen des Ruhens sind hier erfüllt, weil der Beklagten nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts (vgl § 163 SGG) die ärztlichen Bescheinigungen vom und vom über die ärztlich festgestellte AU vom 2.12. bis nicht spätestens innerhalb einer Woche zuging, sondern erst am und damit bezüglich der für diese AU geltend gemachten Krg-Ansprüche verspätet.

173. Zwar sind im Falle des Klägers des vorliegenden Rechtsstreits nicht die im vorstehend wiedergegebenen Rechtsgrundlagen ab bzw ab dem Jahr 2016 maßgebend, weil es bei ihm noch um die im November/Dezember 2013 einschlägige Rechtslage ging, als noch andere Formularvordrucke galten, wie die Beklagte im Revisionsverfahren näher ausgeführt hat. So bestand das mit Wirkung zum eingeführte Muster 1 des Vordrucksatzes der AU-Bescheinigung gemäß der "Vereinbarung über Vordrucke für die vertragsärztliche Versorgung" zur Zeit der beim Kläger bestehenden AU noch aus drei (und nicht - wie inzwischen - aus vier) Teilen: Während Muster 1a zur Vorlage bei der KK vorgesehen war (mit dem Hinweis "Bei verspäteter Vorlage droht Krankengeldverlust"), war Muster 1b (mit dem Hinweis "Bitte sofort dem Arbeitgeber vorlegen!") als Ausfertigung zur Vorlage beim Arbeitgeber bestimmt; Muster 1c diente zum Verbleib beim Arzt. Unbeschadet der ohnehin eintretenden Geltung gesetzlicher Regelungen - wie derjenigen der Ruhensvorschrift des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V - von ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt an machen diese Texte auf der AU-Bescheinigung zweierlei deutlich: Einem Versicherten, der die Ausfertigung der für die KK vorgesehenen Bescheinigung von der Arztpraxis ausgehändigt oder auf sonstige Weise zugeleitet bekam, war spätestens dadurch ohne Weiteres erkennbar, dass die Wirkungen einer "Krankschreibung" zum einen Auswirkungen auf die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall nach dem EntgFG hatten, zum anderen aber, dass sich die Wirkungen zusätzlich auch auf den Anspruch auf Gewährung von Krg durch die KK nach Auslaufen der Entgeltfortzahlung erstreckten. Darüber hinaus machte der speziell auf das Krg bezogene Warnhinweis dem Versicherten noch einmal deutlich, dass zur Aufrechterhaltung bzw Wahrung des Krg-Anspruchs eine zusätzliche Aktivität erforderlich war, nämlich die Vorlage der AU-Bescheinigung bzw Mitteilung der AU auf sonstige Weise bei der KK. Das war auch offenkundig dem Kläger bekannt. So hat er sich denn auch gegenüber der Beklagten sowie im Rechtsstreit nicht etwa darauf berufen, durch Formulierungen auf den AU-Bescheinigungen oder durch ein Verhalten des Arztes oder der Beklagten in seiner Annahme bestärkt worden zu sein, für die Krg-Zahlungen alles Erforderliche getan zu haben und berechtigterweise davon ausgehen zu dürfen, dass es eines weiteren eigenen Zutuns und Tätigwerdens nicht bedurfte; er hat insbesondere nicht geltend gemacht, infolge von Äußerungen der Beklagten oder seiner Ärztin schützenswertes Vertrauen in Anspruch nehmen zu dürfen (vgl demgegenüber die Fallgestaltung in den Urteilen des Senats vom - B 3 KR 6/18 R, Urteil zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; sowie B 3 KR 18/18 R betreffend die dem Versicherten bekanntgegebene Übernahme der Übersendung der AU-Bescheinigungen an die KK durch den Arzt; dazu näher Terminbericht des BSG Nr 35/19 vom zu den Fällen 1 und 5: ). Im Falle des Klägers verhielt es sich vielmehr offenkundig so, dass ihm sowohl die Differenzierung zwischen dem Arbeitgeber-Exemplar und dem KKn-Exemplar der AU-Bescheinigung als auch die Unterscheidung zwischen Entgeltfortzahlung und Krg bewusst war. Er gab nämlich an, beide Bescheinigungen selbst auf dem Postweg der KK übersandt zu haben; dies wiederum setzt voraus, dass er die Ausfertigungen von der Arztpraxis auch tatsächlich ausgehändigt bzw übermittelt bekommen hatte. Die Rechtsansicht des LSG, der Vertragsarzt habe sich seiner Verpflichtung zur Meldung der AU an die KKn nicht durch Aushändigung des für die KK bestimmten Vordrucks der AU-Bescheinigung an den Versicherten entziehen können, hält demgegenüber nach den obigen Ausführungen und der dort dargestellten Rechtsprechung des Senats einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Da das EntgFG Regelungen zum Ruhen des Krg-Anspruchs nicht enthält, kann nicht angenommen werden, ein Versicherter habe "mit Blick auf § 5 Abs 1 Satz 1 EntgFG" generell keine Veranlassung, sich in Bezug auf seine Krg-Ansprüche darüber Gedanken zu machen, wie die AU-Meldung an seine KK erfolge.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2019:260919UB3KR119R0

Fundstelle(n):
CAAAH-36996