Instanzenzug: Az: 4 U 143/17vorgehend LG Tübingen Az: 4 O 277/16nachgehend Az: III ZR 16/18 Beschlussnachgehend Az: III ZR 16/18 Urteil
Gründe
I.
1Die Klägerin hat gegen die beklagte Stadt zunächst Schadensersatzansprüche wegen der Beschädigung eines Kraftfahrzeugs bei Mäharbeiten geltend gemacht. Nach einseitig gebliebenen Erledigungserklärungen der Klägerin streiten die Parteien um die Frage, ob der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.
2Die Klägerin erhob ihre Klage bei dem Amtsgericht und begehrte von der Beklagten - aus abgetretenem Recht des Geschädigten - die Zahlung restlicher Mietwagenkosten von 1.100 € nebst Zinsen sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten. Nach mündlicher Verhandlung und Beweisaufnahme rügte die Beklagte, dass es sich vorliegend um den Vorwurf einer Amtspflichtverletzung handele und das Amtsgericht deshalb sachlich unzuständig sei. Mit nachgelassenem Schriftsatz vom , eingegangen am , beantragte die Klägerin hierauf hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht. Am überwies der Haftpflichtversicherer der Beklagten den geforderten (Hauptsache-)Betrag von 1.100 € an die Klägerin. Hierauf erklärte die Klägerin den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache für erledigt. Am überwies die Beklagte an die Klägerin weitere 45,11 € für die geforderten Zinsen. Im Anschluss daran erklärte die Klägerin den Rechtsstreit auch insoweit in der Hauptsache für erledigt. Die Beklagte schloss sich den beiden Erledigungserklärungen nicht an. Mit Beschluss vom erklärte sich das Amtsgericht für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht. Nachdem der Haftpflichtversicherer der Beklagten im April 2017 auch die verlangten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beglichen hatte, erklärte die Klägerin den Rechtsstreit schließlich auch in dieser Hinsicht für erledigt. Diese Erledigungserklärung blieb ebenfalls einseitig.
3Das Landgericht hat die nunmehr auf Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das Ersturteil abgeändert und festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Die Kosten des Rechtsstreits sind der Beklagten auferlegt worden, mit Ausnahme der durch die Anrufung des sachlich unzuständigen Amtsgerichts verursachten Mehrkosten.
4Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils anstrebt.
II.
51. Die Revision ist zulässig.
62. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die nunmehr auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache gerichtete Klage dann Erfolg hat, wenn die ursprüngliche Klage bei Eintritt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war und durch eben dieses Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden ist (st. Rspr.; s. zB , NJW 2017, 3521, 3522 Rn. 30 und vom - IX ZR 83/17, VersR 2018, 959 Rn. 7 mwN). Seine Auffassung, dass die ursprüngliche Klage bis zu den jeweiligen Zahlungen der Beklagten begründet und - bis auf die fehlende sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts (§ 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG), soweit es um die Haupt- und Zinsforderung geht - zulässig gewesen ist, begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken und wird von der Revision auch nicht beanstandet.
73. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt sonach allein davon ab, ob der Mangel der sachlichen Zuständigkeit des angerufenen Amtsgerichts der Feststellung der Erledigung der Hauptsache (bezüglich der Haupt- und Zinsforderung) entgegensteht, also (insoweit) zur Abweisung der nunmehrigen Feststellungsklage führt, oder lediglich die Kostenfolge des § 281 Abs. 3 ZPO auslöst.
III.
81. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs vertritt in seiner Entscheidung vom (XII ZB 231/17, FamRZ 2017, 1699, 1700 Rn. 11 f) die Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Feststellung einer Erledigung der Hauptsache nicht vorliegen, wenn es an der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts im Zeitpunkt der Erledigung fehle. Ein nach Erledigung gestellter Verweisungsantrag ändere hieran nichts.
9a) Der genannte Beschluss betraf eine Familiensache und hatte einen vor einem örtlich unzuständigen Amtsgericht - Familiengericht - erhobenen Stufenantrag zum Gegenstand, der nach mündlicher Verhandlung und Ruhen des Verfahrens für mehr als 17 Jahre seitens der Antragstellerin in der Hauptsache für erledigt erklärt wurde. Der Antragsgegner schloss sich der Erledigungserklärung nicht an und rügte im Hinblick auf seinen Wohnsitz - zu Recht - die fehlende Zuständigkeit des Amtsgerichts. Da die Antragstellerin in erster Instanz trotz gerichtlichen Hinweises keinen Verweisungsantrag stellte, wies das Amtsgericht den Antrag auf Feststellung der Erledigung als unzulässig zurück. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Antragstellerin wies das Oberlandesgericht mit der Begründung zurück, dass das Amtsgericht von Anfang an unzuständig gewesen sei und eine Verweisung gemäß § 281 ZPO aufgrund des von der Antragstellerin erstmals in der Rechtsmittelinstanz gestellten dahingehenden Hilfsantrags nicht möglich sei.
10b) Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren zurückgewiesen, weil es für die beabsichtigte Rechtsverfolgung an der nötigen hinreichenden Erfolgsaussicht in der Sache selbst fehle. Diese sei für den Feststellungsantrag zu verneinen, weil das angerufene Amtsgericht im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses örtlich unzuständig gewesen sei. Der nach Erledigung gestellte Verweisungsantrag ändere daran nichts.
112. Der erkennende Senat ist der Auffassung, dass der vorliegende Fall eine hiervon abweichende rechtliche Bewertung veranlasst. Er ist der Meinung, dass die Erledigung der Hauptsache auch dann festzustellen ist, wenn die ursprüngliche Klage zum Zeitpunkt ihrer Erledigung zwar bei einem unzuständigen Gericht anhängig, ansonsten aber zulässig und auch begründet war und ein Antrag auf Verweisung an das zuständige Gericht gestellt worden ist. Dies rechtfertigt sich nach hiesigem Dafürhalten aus dem Sinn und Zweck der einseitigen Erledigungserklärung und der Regelung des § 281 ZPO.
12a) Die prozessrechtliche Anerkennung der einseitigen Erledigungserklärung dient den Interessen beider Parteien. Nur auf dem Wege der Erledigungserklärung hat die klagende Partei, deren ursprünglich zulässige und begründete Klage im Laufe des Prozesses ohne ihr Zutun unbegründet oder unzulässig geworden ist, die Möglichkeit, eine ihr günstige Kostenentscheidung zu erreichen, da ihr andernfalls eine kostenpflichtige Klageabweisung oder, im Falle einer Klagerücknahme, die Kostenlast nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO drohen (s. Flockenhaus in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl., § 91a Rn. 28; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 91a Rn. 22). Andererseits soll sich der Kläger nicht den Folgen einer unzulässigen oder unbegründeten Klage zu Lasten des Beklagten entziehen dürfen, weshalb es die beklagte Partei in der Hand hat, ihr eigenes Interesse an einer Sachentscheidung weiterzuverfolgen und der Erledigungserklärung zu widersprechen (s. , NJW 1986, 588, 589 und vom - IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359, 367; Flockenhaus aaO).
13b) Demnach ist auf eine einseitige Erledigungserklärung - im Interesse beider Parteien - eine retrospektive Beurteilung der Zulässigkeit und Begründetheit der ursprünglichen Klage vorzunehmen. Zwar steht die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts der Zulässigkeit der ursprünglichen Klage entgegen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass dieser Mangel - abgesehen von den Fällen seiner Überwindung durch eine rügelose Einlassung der beklagten Partei (§§ 39, 40 Abs. 2 Satz 2 ZPO) - durch eine auf Antrag auszusprechende Verweisung behoben werden kann (§ 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Zuständigkeitsmangel kann auf diese Weise unschwer "abgestreift" werden (s. Senatsurteil vom - III ZR 120/60, BGHZ 35, 374, 377). Das Verfahren soll nicht an einer Zuständigkeitsvorschrift scheitern, wenn es vor einem anderen Gericht durchgeführt werden kann. Dies dient dem Gebot der Prozesswirtschaftlichkeit (vgl. zB IVb ARZ 8/88, FamRZ 1988, 943). Dementsprechend führt die beim unzuständigen Gericht erhobene Klage die Rechtshängigkeit des Klageanspruchs mit sämtlichen daran geknüpften Folgen herbei (vgl. aaO und vom - III ZR 232/84, NJW 1986, 2255, 2257). Die Klageerhebung vor einem unzuständigen Gericht ist wegen der Möglichkeit der bindenden Verweisung an das zuständige Gericht mithin durchaus geeignet, eine klagestattgebende Sachentscheidung zu bewirken. Die Anrufung des unzuständigen Gerichts hat nach der Verweisung an das zuständige Gericht für den Kläger nur insoweit nachteilige Folgen, als er auch im Falle seines Obsiegens gemäß § 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Mehrkosten tragen muss (, NJW 1984, 1901, insoweit in BGHZ 91, 126 nicht mit abgedruckt; s. auch , GRUR 2010, 1037, 1038 Rn. 15).
14c) Erfolgt die Verweisung an das zuständige Gericht und erledigt sich die (damit insgesamt zulässig gewordene) Klage nicht, so ist ihr im Falle ihrer sachlichen Begründetheit stattzugeben und hat der Kläger grundsätzlich nur die Mehrkosten zu tragen, die durch die vorangegangene Anrufung des unzuständigen Gerichts entstanden sind (§ 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Tritt die mit der Erfüllung verbundene Erledigung der Hauptsache - wie hier bezüglich der Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten - nach der Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Gericht ein, so hat der Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache Erfolg und der obsiegende Kläger auch hier regelmäßig nur die Mehrkosten (§ 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO) zu übernehmen. Nichts anderes aber kann gelten, wenn es - wie hier bezüglich der Haupt- und Zinsforderung - vor der Verweisung an das zuständige Gericht zur Erledigung der Hauptsache kommt. Denn sonst hinge die Kostenbelastung des Klägers allein davon ab, ob und wann der Beklagte die ursprünglich geltend gemachte - begründete - Klageforderung erfüllt, mithin von einem Umstand, auf den der Kläger keinen Einfluss hat. Dies indes widerspräche einem gerechten Interessenausgleich zwischen den Parteien, dem das Prozessinstitut der einseitigen Erledigungserklärung gerade zu dienen bestimmt ist. Zudem würde dem Kläger ein Kostennachteil auferlegt, der deutlich über die in § 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO vorgesehene Folge hinausgeht (s. auch Smid/Hartmann aaO Rn. 25).
15d) Vor diesem Hintergrund vermag sich der erkennende Senat nicht der Ansicht anzuschließen, dass die fehlende Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zum Zeitpunkt der Erledigung die Feststellung, dass die Hauptsache erledigt ist, auch dann hindert, wenn die Klageforderung begründet und im Übrigen zulässig war und ein Verweisungsantrag gestellt worden ist (so aber wohl OLG München, MDR 1986, 61, 62; Vossler, NJW 2002, 2373, 2374; Zöller/Althammer, ZPO, 32. Aufl., § 91a Rn. 44 und 58 [Stichwort "Verweisung"]; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 281 Rn. 50; wie hier hingegen Thole in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 281 Rn. 17; wohl auch Smid/Hartmann aaO; BeckOK/ZPO-Jaspersen, § 91a Rn. 78, 78.2 [Stand: ]). Er sieht sich hierbei in Übereinstimmung mit Erwägungen in dem auch vom Berufungsgericht angeführten Beschluss des I. Zivilsenats des , GRUR 2010, 1037 f). Dieser betraf einen Fall der übereinstimmenden Erledigungserklärung und führte aus, dass bei der Verteilung der Kosten auf die Prozessparteien die in § 281 Abs. 3 ZPO zum Ausdruck kommende gesetzliche Wertung berücksichtigt werden müsse, wonach das Kostenrisiko für eine sonst zulässige und begründete Klage vor einem unzuständigen Gericht auf die durch dessen Anrufung entstandenen Mehrkosten begrenzt sei; hierbei komme es nicht darauf an, ob die Erledigungserklärungen vor oder nach Verweisung an das zuständige Gericht abgegeben worden seien (aaO S. 1038 Rn. 15). Diese Gedanken sind nach Auffassung des erkennenden Senats auch auf den Fall der einseitig gebliebenen Erledigungserklärung übertragbar.
16e) Den Kläger in derartigen Fällen darauf zu verweisen, die Klage zurückzunehmen und die Geltendmachung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs in einem gesonderten Prozess zu betreiben (so Assmann aaO; Vossler aaO S. 2374 Fn. 13), erscheint weder zumutbar noch sinnvoll. Hiernach wäre ein weiterer Prozess nötig, der eine Verlängerung des Rechtsstreits und eine Vermehrung der Prozesskosten mit sich brächte. Damit würden die Parteien und die Gerichte unnötig zusätzlich belastet.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:280219BIIIZR16.18.0
Fundstelle(n):
AAAAH-36975