BGH Beschluss v. - 4 StR 330/19

Anforderungen an die Feststellung eines Hangs zum Rauschmittelkonsum im Zusammenhang mit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Gesetze: § 24 StGB, § 64 StGB, § 44 StPO

Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 51 KLs 17/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es eine Einziehungs- und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Darüber hinaus begehrt er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. Der Wiedereinsetzungsantrag hat Erfolg. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Dem Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom zu entsprechen. Damit ist der gemäß § 346 Abs. 1 StPO ergangene Verwerfungsbeschluss des Landgerichts Hagen vom gegenstandslos (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 41/19, NStZ 2019, 460; vom - 3 StR 447/16, NStZ-RR 2017, 148; vom - 1 StR 435/15, wistra 2016, 163, 164).

II.

31. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch die rechtliche Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte sei bei Tat 2 vom beendeten Versuch des Mordes nicht strafbefreiend zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 StGB), begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

4a) Für die Abgrenzung von beendetem und unbeendetem Versuch und damit für das Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts kommt es darauf an, ob der Täter nach der letzten seinerseits konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (vgl. , BGHSt 39, 221, 227, NStZ 1993, 433). Macht der Täter sich nach der letzten Ausführungshandlung keine Vorstellung über die Folgen seines Tuns oder ist ihm der Erfolg gleichgültig, ist ein beendeter Versuch anzunehmen (st. Rspr.; , BGHSt 40, 304, 306, NJW 1995, 974; vom - 3 StR 645/14, NStZ 2015, 509 mwN; und vom - 2 StR 171/17, NStZ-RR 2018, 137).

5b) Nach diesen Maßstäben liegt ein beendeter Versuch vor. Zwar sind die Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten nach dem Messerstich in den Oberkörper des Zeugen R.   lückenhaft. Der Senat entnimmt aber dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass dem Angeklagten der Eintritt des Todes des Zeugen jedenfalls gleichgültig war. Denn er flüchtete sofort nach dem Messerstich und überließ den Geschädigten seinem Schicksal. Der Schluss des Landgerichts, dass sich in diesem Verhalten eine „Gleichgültigkeit gegenüber dem Rechtsgut Leben“ offenbarte, ist auf der Grundlage der zu dem Messerstich getroffenen Feststellungen im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden.

62. Demgegenüber hat die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB keinen Bestand.

7a) Das Landgericht hat bereits die Frage des Bestehens eines Hanges im Sinne des § 64 StGB nicht tragfähig begründet. Das Urteil weist insoweit Widersprüche auf.

8aa) Für die Annahme eines Hanges ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Konsum von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr.; vgl. Beschlüsse vom - 4 StR 80/19, NStZ-RR 2019, 275; vom - 4 StR 311/12; vom , 2 StR 416/97; vom - 3 StR 166/18; jeweils mwN). Nicht erforderlich ist, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (vgl. , NStZ-RR 2008, 8). Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur eine indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 311/12; vom - 4 StR 56/08, NStZ 2008, 198).

9bb) Das Landgericht hat festgestellt, dass der zur Tatzeit 20 Jahre alte Angeklagte im Alter von 13 oder 14 Jahren erstmals Haschisch konsumierte. Zunächst rauchte er ein bis zwei Joints pro Woche. Später steigerte er den Konsum auf ein bis drei Gramm pro Tag. Vor den verfahrensgegenständlichen Taten nahm er täglich bis zu fünf Gramm Haschisch an Werk- und bis zu 15 Gramm an Wochenendtagen zu sich. Im Alter von 14 oder 15 Jahren begann er zudem, Alkohol zu trinken. Erst konsumierte er eine halbe Flasche Whiskey. In den letzten Monaten vor den Taten trank er bis zu einer Flasche hochprozentiger Spirituosen pro Tag. Dadurch verzeichnete er eine deutliche Toleranzentwicklung. Ab dem 15. oder 16. Lebensjahr nahm er außerdem auf Partys bis zu fünf Tabletten Ecstasy zu sich. Andere Betäubungsmittel - etwa Amphetamin - konsumierte er nur vorübergehend. Die Kombination aus Haschisch, Alkohol und Ecstasy steigerte einerseits seine positiven Gefühle und verstärkte andererseits negative Empfindungen wie Gereiztheit und Aggressivität.

10Trotz des festgestellten Konsumverhaltens hat das Landgericht das Vorliegen eines Hanges im Sinne von § 64 StGB verneint. Zwar spreche die Dauer und Anzahl der konsumierten Betäubungsmittel für einen Hang. Der Angeklagte pflege aber einen kontrollierten, teilweise kritischen Umgang mit den Rauschmitteln. Er könne den Konsum zielgerichtet steuern und sich von ihm distanzieren, wenn ihm das aus Gründen der Lebensführung notwendig erscheine. So konsumiere er an Werktagen weniger Haschisch als am Wochenende, damit er noch arbeitsfähig bleibe. Außerdem habe er den Konsum von Amphetamin und anderen Betäubungsmitteln aufgegeben, weil er geistige Schäden befürchtete. Der Rauschmittelkonsum stelle daher für ihn keine Handlungsmaxime auf.

11Diese zur Ablehnung des Hanges im Sinne von § 64 StGB herangezogene Begründung steht bereits in einem unaufgelösten Widerspruch zu den an anderer Stelle des Urteils wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen Dr. G.      , der ein Abhängigkeitssyndrom des Angeklagten von Alkohol (ICD-10 F 10.21), Cannabinoiden (ICD-10 F 12.21) und Psychostimulantien (ICD-10 F 15.21) diagnostiziert hat. Das Landgericht ist den Ausführungen des Sachverständigen bei der Bewertung der Schuldfähigkeit gefolgt. Zudem hat es bei der Prüfung der Anwendbarkeit von Jugendstrafrecht maßgeblich darauf abgestellt, dass sich der Angeklagte nicht „von seiner im Jugendlichenalter entstandenen Abhängigkeit von Alkohol, Cannabinoiden und Psychostimulantien“ distanziert habe. Mit einem vom Landgericht angenommenen kontrollierten Konsumverhalten des Angeklagten lassen sich diese Ausführungen zu einem fortbestehenden Abhängigkeitssyndrom nicht in Einklang bringen.

12Es kommt deshalb nicht mehr entscheidend darauf an, ob das Landgericht vor diesem Hintergrund zudem dem Erhalt der Arbeitsfähigkeit eine zu große indizielle Bedeutung beigemessen hat.

13b) Die Strafkammer ist außerdem von einem zu engen Verständnis des symptomatischen Zusammenhangs im Sinne des § 64 StGB ausgegangen.

14aa) Ein symptomatischer Zusammenhang liegt bereits vor, wenn die Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die konkrete Tat muss also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Rauschmitteln haben, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert (vgl. , juris Rn. 42; Beschlüsse vom - 1 StR 348/17, juris Rn. 11; und vom - 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113 f.). Dabei ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei einem unveränderten Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 311/12; vom - 4 StR 382/03; vom - 4 StR 24/11; und vom - 4 StR 416/11).

15bb) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Taten des Angeklagten nicht auf seinem Rauschmittelkonsum beruhen, sondern ihre „Wurzel in der Persönlichkeitsdisposition“ des Angeklagten fanden. Gleichwohl hat es dem Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung zu Gute gehalten, dass er die Taten im Zustand „alkohol- und betäubungsmittelbedingter Enthemmung“ beging. Es hat mithin eine Mitursächlichkeit der Mischintoxikation für die Tatbegehung angenommen. Dass neben dem Einfluss der Betäubungsmittel und anderen Rauschmitteln weitere Umstände wie die „Persönlichkeitsdisposition“ des Angeklagten, eine „unangemessene Verarbeitung von Negativerlebnissen aus der Jugendzeit“, das „Gefühl der Zurückweisung und gekränkter Ehre“ und das „Wiederaufleben gewaltgeprägter Geschehnisse aus der Vergangenheit“ eine Rolle für die Tatbegehung gespielt haben, schließt den symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstaten nicht aus.

16c) Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nach den Feststellungen des Landgerichts nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) neu verhandelt und entschieden werden.

173. Die rechtsfehlerhafte Ablehnung der Maßregelanordnung zieht gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG wegen des dort vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung die Aufhebung des an sich rechtsfehlerfrei begründeten Strafausspruchs nach sich (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 509/14; vom - 3 StR 314/15, StV 2016, 734; vom - 1 StR 261/18, StV 2019, 259; vom - 1 StR 482/18, NStZ-RR 2019, 74; jeweils mwN).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:270819B4STR330.19.0

Fundstelle(n):
QAAAH-36692