BGH Beschluss v. - XI ZB 28/18

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Umfang der anwaltlichen Fristenkontrolle bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 236 ZPO, § 522 ZPO

Instanzenzug: Az: 6 U 67/18vorgehend Az: 29 O 348/17

Gründe

I.

1Die Parteien streiten nach Aufrechnung über die Erstattung einer Restzahlung, die der Kläger auf einen angeblich widerrufenen Verbraucherdarlehensvertrag geleistet hat.

2Die Klage ist vom abgewiesen worden, das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt worden ist. Dagegen hat der Kläger mit einem am bei dem Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. In einem Schriftsatz vom , der bei dem Oberlandesgericht per Telefax am , einem Freitag, eingegangen ist, hat der Kläger die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum beantragt. Auf einen Hinweis des Berufungsgerichts vom hin, die Berufung könne mangels fristgerechter Einreichung der Berufungsbegründung unzulässig sein, hat der Kläger mit Schriftsatz vom , bei Gericht eingegangen am , Fristverlängerung für die Berufungsbegründung bis zum sowie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und gleichzeitig die Berufung begründet.

3Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Kläger vorgetragen, die stets zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte C.      W.  habe den von seinem Prozessbevollmächtigten fristgerecht am unterzeichneten Schriftsatz, in dem die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt worden sei, versehentlich weder an das Berufungsgericht gefaxt noch den Schriftsatz in den Postausgang gelegt. Dennoch habe sie die Berufungsbegründungsfrist vom im Fristenbuch gestrichen und auf den umgetragen. Eine solche Vorgehensweise sei ihr ausnahmsweise bei der ersten Fristverlängerung einer Berufungsbegründung erlaubt gewesen.

4Nach den Regeln der Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten des Klägers habe vor dem Streichen der Frist das Faxprotokoll auf den richtigen Adressaten sowie auf Vollständigkeit kontrolliert und die Speicherung des Schriftsatzes und des Faxprotokolls in der elektronisch geführten Akte überprüft werden müssen. Beides sei unterblieben. Bevor die Rechtsanwaltsfachangestellte Weis am das Büro verlassen habe, sei der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit ihr die Fristen des Tages durchgegangen. Dabei habe Frau Weis im festen Glauben an den vermeintlich ausgeführten Auftrag mündlich bestätigt, den Fristverlängerungsantrag gefaxt und in den Postausgang gelegt zu haben. Der Prozessbevollmächtigte habe sich beim Verlassen des Büros vergewissert, dass die Frist tatsächlich im Fristenbuch gestrichen worden sei. Dies hat der Kläger durch Vorlage einer E-Mail seines Prozessbevollmächtigten vom , durch eidesstattliche Versicherungen der Rechtsanwaltsfachangestellten W.   und G.     sowie durch eine anwaltliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht.

5Das Berufungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die Anträge des Klägers auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sowie auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und dessen Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufungsbegründungsfrist sei bei Eingang des Verlängerungsantrags bereits verstrichen, sodass der Antrag zurückzuweisen sei. Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist sei dem Kläger nicht zu gewähren, da nicht habe festgestellt werden können, dass er ohne sein Verschulden die Berufungsbegründungsfrist nicht eingehalten habe. Ihm sei das Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen. Eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle müsse gewährleisten, dass die Erledigung einer fristgebundenen Sache am Ende jedes Arbeitstags anhand des Fristenkalenders von einer damit beauftragten Bürokraft nochmals eigenständig überprüft wird. Eine solche Anordnung lasse sich nicht feststellen. Die geschilderte Vorgehensweise, am Ende eines Arbeitstages die Fristen mit der Kanzleikraft durchzugehen und sich deren Erledigung mündlich bestätigen zu lassen, ersetze diese Anordnung nicht. Insbesondere ergebe sich daraus nicht, dass am Ende des Arbeitstages - von wem auch immer - überprüft werde, ob überhaupt ein Sendebericht zur Übermittlung eines Telefax vorliege.

6Das schuldhafte Unterlassen einer solchen Anordnung zur Ausgangskontrolle am Ende eines jeden Arbeitstages lasse sich als Ursache für die Fristversäumung nicht ausschließen. Denn nach dem glaubhaft gemachten Vortrag des Klägers sei am Abend nur kontrolliert worden, ob die Fristen im Fristenbuch gestrichen, nicht jedoch, ob die als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich versandt worden seien. Wäre am Ende des Arbeitstages das Vorliegen eines Sendeberichts kontrolliert worden, wäre erkannt worden, dass der Fristverlängerungsantrag nicht abgesandt worden sei.

7Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

8Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (Senatsbeschluss vom - XI ZB 6/04, BGHZ 161, 86, 87 mwN), sind nicht erfüllt.

9Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs weder zur Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 ZPO) noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) erforderlich. Der Beschluss des Berufungsgerichts steht vielmehr in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und verletzt weder den Anspruch des Klägers auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) noch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt und die Berufung infolgedessen zutreffend als unzulässig verworfen. Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zuzurechnen ist, an der Einhaltung der Frist zur Begründung seiner Berufung gehindert war.

101. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, die Kontrolle ausgehender Schriftsätze mangelhaft organisiert.

11a) Allerdings darf ein Rechtsanwalt - worauf die Beschwerdebegründung zutreffend Bezug nimmt - regelmäßig anfallende Büroarbeiten auf zuverlässige Mitarbeiter delegieren. Hierzu gehört grundsätzlich auch die Erledigung der ausgehenden Post. Der Rechtsanwalt hat aber in diesen Fällen durch allgemeine, unmissverständliche Anordnungen dafür zu sorgen, dass Fehler nach Möglichkeit vermieden werden.

12Deswegen muss der Rechtsanwalt eine allgemeine Weisung erteilen, dass die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages von einer dazu beauftragten Bürokraft ausgehend von den Eintragungen im Fristenkalender - nochmals - selbstständig überprüft wird (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rn. 8 f., vom - VI ZB 42/13, NJW-RR 2015, 442 Rn. 8, vom - III ZB 55/14, WM 2015, 782 Rn. 8, vom - XI ZB 18/16, juris Rn. 10 und vom - XI ZB 31/17, juris Rn. 13). Die allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze dient nicht nur der Überprüfung, ob sich schon aus den Eintragungen im Fristenkalender noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben, sondern soll darüber hinaus klären, ob in einer im Fristenkalender als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung tatsächlich noch aussteht (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 1/00, NJW 2000, 1957, vom , aaO Rn. 10, vom , aaO und vom , aaO). Das erfordert die Anweisung an das Büropersonal, anhand der Ausgangspost und gegebenenfalls der Akten zu überprüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind (BGH, Beschlüsse vom , aaO Rn. 13, vom - VI ZB 15/15, WM 2016, 1558 Rn. 8, vom - III ZB 42/15, WM 2016, 563 Rn. 10, vom - VII ZB 17/16, NJW-RR 2016, 1403 Rn. 17, vom - XI ZB 18/16, juris Rn. 10, vom , aaO und vom , aaO).

13Soweit sich der Kläger darauf beruft, nach Rechtsprechung des XII. Zivilsenats könne sich der Rechtsanwalt, anstatt eine abendliche Fristenkontrolle anzuordnen, damit begnügen, seine Angestellten nach der Absendung fristgebundener Schriftsätze zu fragen, und müsse Unstimmigkeiten nur dann nachgehen, wenn er mit den Angaben der Angestellten nicht zufrieden sei, lässt sich dies den dafür in Anspruch genommenen Entscheidungen (Beschlüsse vom - XII ZB 155/93, juris Rn. 10, vom - XII ZB 38/95, juris Rn. 18 und vom - XII ZB 123/95, juris Rn. 11) nicht entnehmen. Soweit diese Entscheidungen die abendliche Ausgangskontrolle betreffen, wird vielmehr betont, dass allgemeine Nachfragen des Rechtsanwalts an zuverlässige Angestellte zur Erledigung fristgebundener Schriftsätze nicht davon entlasten, die gebotene abendliche Ausgangskontrolle entweder durch die allgemeine Kanzleiorganisation (vgl. Beschluss vom , aaO Rn. 11) oder durch eine ausdrückliche Einzelanweisung sicherzustellen (Beschluss vom , aaO Rn. 10 f.).

14b) Diese von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestellten Anforderungen hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers schuldhaft nicht erfüllt.

15Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich nicht, dass zur Durchführung der abendlichen Ausgangskontrolle den Kanzleiangestellten eine ordnungsgemäße Weisung erteilt worden ist, wonach die damit konkret betrauten Büroangestellten die tatsächliche Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes in allen Fällen anhand der Ausgangspost, hier dem Sendebericht des Telefax, und gegebenenfalls anhand der Akten nochmals überprüfen mussten.

16Die konkrete Nachfrage des Prozessbevollmächtigten des Klägers bei der Rechtsanwaltsfachangestellten W.  war nicht geeignet, diesen Organisationsmangel auszugleichen, da sie sich nicht auf die gebotene erneute abendliche Kontrolle der Erledigung fristgebundener Schriftsätze, sondern auf die Erinnerung der Angestellten an die ursprüngliche Bearbeitung des Postausgangs im Laufe des Tages bezog.

172. Dieser Organisationsmangel des Prozessbevollmächtigten des Klägers war für die Fristversäumnis ursächlich. Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers die gebotene Anordnung zur Durchführung der beschriebenen allabendlichen Ausgangskontrolle bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Mitarbeiter (vgl. hierzu , WM 2016, 1558 Rn. 11 mwN) die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt worden. Bei einer ggf. anhand der Akten durchgeführten Prüfung, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichnete Berufungsbegründungsschrift tatsächlich abgesandt worden war, wäre vor Ablauf der nach dem Vortrag des Klägers im Fristenkalender ordnungsgemäß eingetragenen Berufungsbegründungsfrist aufgefallen, dass ein Sendeprotokoll des Telefaxgeräts zur Absendung des Schriftsatzes nicht vorliegt und folglich dieser auch nicht per Telefax an das zuständige Gericht abgesandt worden war.

18Die Ursächlichkeit des Organisationsverschuldens des Prozessbevollmächtigten für die Fristversäumnis des Klägers wird nicht dadurch aufgehoben, dass zusätzlich eine seiner Mitarbeiterinnen auf Nachfrage irrtümlich die Absendung des fristgebundenen Schriftsatzes während des Tages bestätigt hat. Denn die Verantwortung eines Rechtsanwalts für den verspäteten Eingang eines Schriftsatzes wird nicht dadurch beseitigt, dass auch seine Mitarbeiter gegen ihre Pflichten verstoßen und so zur Unzulässigkeit eines Rechtsmittels mit beitragen. Für die Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Fristversäumung, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt, genügt Mitursächlichkeit (Senatsbeschluss vom - XI ZB 16/17, FamRZ 2018, 610 Rn. 10 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:180619BXIZB28.18.0

Fundstelle(n):
CAAAH-35288