Bekanntgabe eines Sachverständigengutachtens an Betroffenen im Betreuungsverfahren
Leitsatz
In einem Betreuungsverfahren ersetzt die Bekanntgabe des Sachverständigengutachtens an den Verfahrenspfleger oder an den Betreuer grundsätzlich nicht die notwendige Bekanntgabe an den Betroffenen persönlich (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 139/18, FamRZ 2018, 1769).
Gesetze: § 37 Abs 2 FamFG, § 275 FamFG, § 278 Abs 1 FamFG, § 288 Abs 1 FamFG
Instanzenzug: LG Deggendorf Az: 13 T 38/18vorgehend AG Deggendorf Az: XVII 402/17
Gründe
I.
1Für die Betroffene wurde mit Beschluss vom eine umfassende Betreuung eingerichtet, deren Aufhebung sie begehrt.
2Mit Schreiben vom hat die Betroffene die "Kündigung" der Betreuung erklärt. Das Amtsgericht hat dieses Schreiben als Antrag auf Aufhebung der Betreuung gewertet und ihn mit Beschluss vom zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht verworfen. Diese Entscheidung hat der Senat auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen mit Beschluss vom (XII ZB 188/18) aufgehoben. Nach Zurückverweisung des Verfahrens hat das Landgericht ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Frage des Fortbestehens der medizinischen Voraussetzungen für die angeordnete Betreuung eingeholt, das der Sachverständige am vorgelegt hat. Dieses Gutachten ist dem Betreuer, dem Verfahrenspfleger und den beteiligten Eltern der Betroffenen, nicht jedoch der Betroffenen selbst übermittelt worden. Das Landgericht hat nach Anhörung der Betroffenen die Beschwerde zurückgewiesen. Mit ihrer erneuten Rechtsbeschwerde erstrebt die Betroffene weiterhin die Aufhebung der Betreuung.
II.
3Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das im Beschwerdeverfahren eingeholte Sachverständigengutachten der Betroffenen nicht mit seinem vollen Wortlaut persönlich zur Verfügung gestellt wurde.
41. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit eines Betroffenen (§ 275 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 395/18 - FamRZ 2019, 139 Rn. 7 und vom - XII ZB 10/18 - FamRZ 2018, 1770 Rn. 15).
52. Diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht.
6a) Weder aus den Feststellungen des Landgerichts noch aus den Gerichtsakten lässt sich entnehmen, dass der Inhalt des Gutachtens der Betroffenen mit seinem vollen Wortlaut zur Verfügung gestellt worden ist. Ausweislich des Protokolls des wurde der Sachverständige im Anhörungstermin nur ergänzend zu seinem schriftlichen Gutachten angehört. Dies genügt den verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, weil der Betroffenen damit die Möglichkeit genommen worden ist, sich auf den Anhörungstermin ausreichend vorzubereiten und durch die Erhebung von Einwendungen und durch Vorhalte an den Sachverständigen eine andere Einschätzung zu erreichen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 14/18 - NJW-RR 2018, 964 Rn. 8).
7b) Die Bekanntgabe des Gutachtens an den Verfahrenspfleger ersetzt eine Bekanntgabe an den Betroffenen nicht, denn der Verfahrenspfleger ist - anders als ein Verfahrensbevollmächtigter - nicht Vertreter des Betroffenen im Verfahren. Durch eine Bekanntgabe an den Verfahrenspfleger kann allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn das Gericht von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG absieht, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, und die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 139/18 - FamRZ 2018, 1769 Rn. 11 mwN). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Insbesondere enthält das Sachverständigengutachten keinen Hinweis darauf, dass die Betroffene durch dessen Bekanntgabe Gesundheitsnachteile entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG zu befürchten hätte.
8c) Ebenso wenig konnte die erforderliche persönliche Bekanntgabe des Sachverständigengutachtens an die Betroffene durch die Übersendung des Gutachtens an den Betreuer ersetzt werden. Selbst wenn der Betreuer mit der Betroffenen über das Gutachten gesprochen hätte, wofür jedoch Feststellungen fehlen, genügte dies allein nicht, um dem Anspruch der Betroffenen auf rechtliches Gehör gerecht zu werden (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 139/18 - FamRZ 2018, 1769 Rn. 12 mwN).
93. Gemäß § 74 Abs. 5 und 6 Satz 2 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
104. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:021019BXIIZB118.19.0
Fundstelle(n):
NJW 2020 S. 398 Nr. 6
RAAAH-34622