BGH Beschluss v. - 3 StR 165/19

Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags bei versäumter Einreichung einer Revisionsbegründung

Gesetze: § 44 S 1 StPO, § 45 Abs 2 S 2 StPO, § 345 Abs 2 StPO

Instanzenzug: LG Wuppertal Az: 26 KLs 29/18

Gründe

11. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.

2Nachdem der Angeklagte und seine Verteidigerin fristgerecht Revision eingelegt hatten, ist dieser das Urteil am zugestellt worden. Bis einschließlich ist beim Landgericht allein eine vom Angeklagten eigenhändig verfasste Revisionsbegründung eingegangen, während die Verteidigerin schriftsätzlich erklärt hat, der Angeklagte werde die Revision persönlich zu Protokoll der Geschäftsstelle begründen. Mit Beschluss vom hat das Landgericht daraufhin die Revision nach § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, weil innerhalb der Revisionsbegründungsfrist keine "Revision" in der von § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Form angebracht worden sei.

3Mit beim Landgericht am eingegangenem Schreiben vom hat der Angeklagte eine Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO beantragt. Zur Begründung ist dort im Wesentlichen ausgeführt, seine Verteidigerin habe ihm erst am mitgeteilt, keine Revisionsbegründungsschrift einzureichen. Ihm stehe aber ein Recht auf Mitwirkung eines Verteidigers zu. Zudem habe er bereits vor dieser Mitteilung seiner Verteidigerin darum ersucht gehabt, die Revision selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle zu begründen. Auf das Gesuch sei nicht reagiert worden.

4Am ist der Angeklagte dem Rechtspfleger des Amtsgerichts Wuppertal vorgeführt worden. Er hat zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt, er stelle den Antrag auf Übersendung einer von einem Teil der Akte zu fertigenden Abschrift. Weitere Prozesshandlungen hat er bei dieser Gelegenheit nicht vorgenommen.

5Mit weiterem Schreiben vom , das beim Landgericht am eingegangen war, hatte der Angeklagte beantragt, ihm nach § 140 StPO einen Pflichtverteidiger (anstelle oder neben seiner bisherigen Verteidigerin) beizuordnen. Diesen Antrag hatte das Landegericht noch am selben Tag abgelehnt. Eine Auswechselung des Pflichtverteidigers sei nicht geboten, weil die bisherige Verteidigerin - die fernmündlich bekundet hatte, sie sehe keine "Revisionsgründe" - als selbständiges Organ der Rechtspflege berechtigt gewesen sei, ihre Mitwirkung an der Begründung einer nach ihrer Überzeugung offensichtlich aussichtslosen Revision zu verweigern. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das als unbegründet verworfen. Im Kern ist es der Begründung des Landgerichts gefolgt und hat sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom (59519/00, NJW 2008, 2317) berufen.

62. Den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Sinne des § 45 StPO sowie auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO muss der Erfolg versagt bleiben.

7a) Das Schreiben des Angeklagten vom ist auch als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist auszulegen. Denn der Angeklagte macht der Sache nach geltend, er sei, da er die Formerfordernisse für eine Revisionsbegründung innerhalb der vorgesehenen Frist nicht habe erfüllen können, im Sinne des § 44 Satz 1 StPO unverschuldet an deren Wahrung gehindert gewesen. Seine Verteidigerin sei nicht willens gewesen, eine Revisionsbegründungsschrift einzureichen; Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle seien ihm nicht möglich gewesen.

8aa) Der Wiedereinsetzungsantrag ist allerdings bereits deshalb nach § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig, weil die Revisionsbegründung in der von § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Form nicht zwischenzeitlich nachgeholt worden ist.

9bb) Die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist ebenso wenig zurückzustellen, um die Sache an das Landgericht zur Beiordnung eines anderen oder weiteren Pflichtverteidigers zurückzugeben.

10Zwar hat der Bundesgerichtshof (s. Beschlüsse vom - 4 StR 610/17, NStZ-RR 2018, 84; vom - 4 StR 138/18, juris) eine derartige Zurückgabe der Sache zur Bestellung eines anderen Verteidigers vor der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Fällen angeordnet, in denen ein - das Verschulden des Angeklagten ausschließender - "offenkundiger Mangel" der Verteidigung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (s. Urteil vom - 38830/97, NJW 2003, 1229 Tz. 59 ff. mwN) vorlag (vgl. auch , BGHR StPO § 44 Verschulden 11). Dahinstehen kann, ob hier ein solcher "offenkundiger Mangel" der Verteidigung darin zu sehen ist, dass die Verteidigerin des Angeklagten, nachdem sie Revision eingelegt hatte, das Rechtsmittel nicht begründet hat (vgl. , aaO; ferner , aaO), insbesondere ob ihre fernmündliche Bekundung, sie sehe keine "Revisionsgründe", einen derartigen Mangel ausschließt. Zu bedenken ist freilich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in dem von der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts in Bezug genommenen Urteil vom (59519/00, NJW 2008, 2317) zwar für das polnische Prozesskostenhilferecht darauf erkannt hat, es sei nicht Aufgabe des Staates, einen - beigeordneten - Prozesskostenhilfeanwalt dazu zu zwingen, ein nach seiner Überzeugung aussichtloses Rechtsmittel einzulegen. Jedoch hat er es gleichermaßen als notwendig erachtet, dass der "Mandant" noch ausreichend Zeit habe, einen anderen - beizuordnenden - Prozesskostenhilfeanwalt zu finden (s. aaO, Tz. 132 f.).

11Unabhängig hiervon trifft den Angeklagten jedoch ein erhebliches eigenes Verschulden jedenfalls ab dem , als er die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle hätte formwirksam nachholen können. Er hat dies nicht nur unterlassen, sondern - der dienstlichen Stellungnahme des mit der Protokollierung befassten Rechtspflegers vom zufolge - ausdrücklich mitgeteilt, er habe "nunmehr einen Rechtsanwalt, auf eigene Kosten, beauftragt", der auch schon "alles in die Wege geleitet" habe. Jedenfalls unter Zugrundelegung dieser Angaben lag ein Mangel der Verteidigung nicht (mehr) vor.

12b) Der zulässige Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO ist unbegründet, weil das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht das Rechtsmittel als unzulässig verworfen hat (§ 346 Abs. 1 StPO). Denn innerhalb der mit dem Ablauf des endenden Revisionsbegründungsfrist ist keine gemäß § 345 Abs. 2 StPO formgerechte Revisionsbegründung angebracht worden, ohne dass - wie dargelegt - gegen die Fristversäumung noch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:070819B3STR165.19.0

Fundstelle(n):
IAAAH-34518