Untreue und zum Nachteil privater Krankenversicherungen begangene Betrugshandlungen: Tatmehrheit oder Tateinheit; Verschlechterungsverbot bei Bildung neuer Einzelstrafen nach Zurückverweisung; Gesamtstrafenfähigkeit
Gesetze: § 52 Abs 1 StGB, § 55 Abs 1 StGB, § 263 Abs 1 StGB, § 266 StGB, § 358 Abs 1 StPO
Instanzenzug: LG Bochum Az: II-2 KLs 10/17
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten Dr. M. wegen Untreue in sieben Fällen, wegen Betruges in 67 Fällen sowie wegen versuchten Betruges – unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Urteilsaufhebung im Tatkomplex II. 3. erstreckt sich gemäß § 357 Satz 1 StPO teilweise auf den nicht revidierenden Mitangeklagten S. .
21. Soweit der Angeklagte Dr. M. aufgrund der Taten zu II. 1. der Urteilsgründe wegen Betruges in 49 Fällen verurteilt worden ist, hat die rechtliche Nachprüfung weder im Schuldspruch noch in den Einzelstrafaussprüchen einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
32. Im Tatkomplex II. 2. der Urteilsgründe – hier ist der Angeklagte Dr. M. wegen Untreue in sieben Fällen verurteilt worden – begegnet die konkurrenzrechtliche Bewertung in den Fällen II. 2. b) aa) bis ee) durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4a) Nach den zum Tatkomplex II. 2. rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen betrieb der Angeklagte Dr. M. ab Anfang 2015 als Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Klinik GmbH eine Schmerzklinik in B. . Bereits kurz nach Aufnahme der Geschäftstätigkeit veranlasste er den – in diesem Tatkomplex nicht verurteilten – Mitangeklagten S. dazu, sieben Überweisungen bzw. Barabhebungen über insgesamt 295.000 Euro von dem Geschäftskonto der GmbH vorzunehmen. Dieses Geld setzte der Angeklagte Dr. M. nicht für den Klinikbetrieb, sondern für private Zwecke ein. Die ersten fünf Überweisungen bzw. Barabhebungen – Fälle II. 2. b) aa) bis ee) – führte der Angeklagte S. im Januar und Februar 2015 infolge einer von dem Angeklagten Dr. M. erstellten schriftlichen „Zahlungsanweisung“ vom aus. Im April und Mai 2015 – Fälle unter II. 2. b) ff) – veranlasste der Angeklagte Dr. M. den Mitangeklagten erneut – jedoch jeweils gesondert – unter Zugriff auf das Geschäftskonto der GmbH zur Tilgung privater Verbindlichkeiten des Angeklagten Dr. M. . Durch die Transaktionen wurde die GmbH in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet.
5Die Strafkammer hat entsprechend der Anzahl der Zugriffe des Mitangeklagten S. auf das Geschäftskonto der Klinik GmbH sieben realkonkurrierende Untreuetaten des Angeklagten Dr. M. angenommen und hierfür Einzelstrafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr und sechs Monaten verhängt.
6b) Diese Bewertung der Konkurrenzverhältnisse hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit es die Taten II. 2. b) aa) bis ee) betrifft, da insofern ein Fall der gleichartigen Idealkonkurrenz (§ 52 StGB) vorliegt. Der Angeklagte S. wurde bei diesen Zugriffen auf das Geschäftskonto der GmbH aufgrund der in einem Dokument zusammengefassten schriftlichen „Zahlungsanweisung“ des Angeklagten Dr. M. vom tätig. Feststellungen, wonach der Angeklagte Dr. M. bezüglich der vorgenannten Kontozugriffe über die Zahlungsanweisung hinaus weitere Aktivitäten entfaltete, enthält das Urteil nicht. Der Angeklagte Dr. M. führte deshalb durch eine Handlung mehrere (gleichartige) Erfolge herbei.
7c) Da ergänzende tatsächliche Feststellungen, welche eine andere Beurteilung der Konkurrenzfrage rechtfertigen könnten, nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch entsprechend. Die Vorschrift des § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte Dr. M. gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
8d) Infolge der Schuldspruchänderung haben die Einzelstrafaussprüche in den Fällen II. 2. b) aa) bis ee) keinen Bestand.
93. In dem Tatkomplex II. 3. der Urteilsgründe begegnet die Verurteilung des Angeklagten Dr. M. wegen Betruges in 19 Fällen – in einem Fall davon im Versuch – ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken, da die Strafkammer die Betrugstaten und ihre Anzahl ausgehend von einem falschen rechtlichen Ansatz bestimmt hat.
10a) Das Landgericht hat zu diesem Tatkomplex festgestellt, dass der Angeklagte Dr. M. mit zehn Personen – darunter dem Mitangeklagten S. – übereinkam, dass diese gegenüber ihren privaten Krankenversicherungen bzw. den zuständigen Beihilfestellen tatsächlich von dem Angeklagten Dr. M. bzw. der Klinik nicht erbrachte Leistungen abrechnen. Das so vereinnahmte Geld sollte vor allem dem Angeklagten Dr. M. zugutekommen. Dieser veranlasste, dass für jeden dieser vermeintlichen Patienten mindestens zwei Rechnungen erstellt wurden. Zum einen wurde auf Anweisung des Angeklagten Dr. M. innerhalb der Klinik eine Rechnung für Kosten eines – tatsächlich nicht erfolgten – stationären Krankenhausaufenthalts gefertigt und an die „Patienten“ versandt. Zum anderen ließ der Angeklagte Dr. M. angeblich von ihm selbst erbrachte ärztliche Leistungen durch einen Abrechnungsdienst abrechnen. Bei einigen dieser „Patienten“ wurden – für wiederholte stationäre Aufenthalte – auch mehr als zwei Rechnungen ausgestellt. In der Folge reichten die „Patienten“ die Rechnungen – Zeitpunkte hat die Strafkammer nicht festgestellt – bei ihrer jeweiligen Versicherung bzw. der für sie zuständigen Beihilfestelle ein. Nur in einem Fall kam es nicht zur Erstattung.
11Die Strafkammer hat den Angeklagten in diesem Tatkomplex insgesamt wegen 19 Betrugsstraftaten verurteilt. Die Anzahl der Betrugstaten hat sie ausgehend von den einzelnen in der Klinik des Angeklagten bzw. von dem Abrechnungsdienst gefertigten Rechnungen bestimmt, wobei sie bei taggleich erstellten Rechnungen – zugunsten des Angeklagten Dr. M. – von nur einer Tat im Rechtssinne ausgegangen ist.
12b) Die auf diesem Ansatz basierende Annahme von 19 tatmehrheitlich begangenen Betrugstaten zum Nachteil der Krankenkassen oder Träger der Beihilfestellen hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
13Die Strafkammer hat verkannt, dass sich die für den (versuchten) Betrug maßgeblichen Täuschungshandlungen zum Nachteil der Krankenversicherungen bzw. der Träger der Beihilfestellen nicht aus der Erstellung der einzelnen Rechnungen ergeben, sondern erst – wie von der Strafkammer im Tatkomplex II. 1. noch zutreffend zugrunde gelegt – aus dem Einreichen der Rechnungen durch die bösgläubigen Rechnungsempfänger. Da diese aber jeweils mehrere Rechnungen erhielten, lag – insbesondere in den Fällen, in denen es anschließend zur zeitgleichen Auszahlung von Erstattungsbeträgen kam – nahe, dass sie mehrere Rechnungen mit nur einem Erstattungsantrag einreichten. Insoweit läge jedoch nur eine Täuschungshandlung des bösgläubigen Rechnungsempfängers vor, so dass nicht ausschließbar die Anzahl der Betrugstaten, an denen sich der Angeklagte Dr. M. durch Veranlassung der Rechnungserstellung mittäterschaftlich beteiligt hat, geringer ist.
14c) Die Aufhebung ist in diesem Tatkomplex nach § 357 Satz 1 StPO auf den nicht revidierenden Mitangeklagten S. zu erstrecken, der aufgrund eingereichter Rechnungen vom und vom – bei letztgenannter Rechnung kam es nicht zu einer Erstattung – wegen Betruges und versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist (Fälle 11 und 20). Der Rechtsfehler betrifft ihn in gleicher Weise, da die Strafkammer auch hier nur auf die Rechnungsdaten abgestellt und eine möglicherweise zeitgleich erfolgte Einreichung der Rechnungen bei seiner Krankenkasse bzw. Beihilfestelle nicht in Betracht gezogen hat.
154. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
16a) Soweit der neue Tatrichter – für bislang tatmehrheitlich gewertete Taten – neue einheitliche Einzelstrafen festzusetzen haben wird, ist er durch das Verschlechterungsverbot nur gehindert, eine die Summe aus den bisherigen Einzelstrafen übersteigende neue Einzelstrafe zu verhängen; überdies darf die neue Gesamtstrafe nicht höher als die bisherige ausfallen (BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 313/02, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 12; vom – 4 StR 150/04, juris Rn. 4).
17b) Zudem wird das neue Tatgericht bei der Gesamtstrafenbildung bezüglich des Angeklagten Dr. M. die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts zu der fehlerhaften Anwendung von § 55 Abs. 1 StGB im angefochtenen Urteil zu beachten haben. Eine Gesamtstrafenfähigkeit der neu abzuurteilenden Tat liegt nur vor, wenn sie vor der früheren Verurteilung beendet war (vgl. , NJW 1997, 750, 751; Beschluss vom – 4 StR 407/15; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 55 Rn. 7 mwN), weshalb es bei den hier in Rede stehenden Betrugsstraftaten auf die täuschungsbedingte Zahlung durch die Geschädigten ankommt. Sollte bei zutreffender Anwendung des § 55 Abs. 1 StGB im zweiten Rechtsgang die Bildung zweier Gesamtstrafen notwendig werden, wird auch insofern das Verschlechterungsverbot zu beachten sein.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:130319B4STR491.18.0
Fundstelle(n):
ZAAAH-34508