BAG Beschluss v. - 1 ABR 6/18

Einigungsstellenspruch - Zuleitungsgebot - Gefährdungsbeurteilung

Leitsatz

1. Sind die von der Einigungsstelle durch Spruch getroffenen Regelungen in mehreren Schriftstücken niedergelegt, erfordert § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG, dass beiden Betriebsparteien jeweils alle Bestandteile des Spruchs zugeleitet werden. Fehlt es hieran, ist der Einigungsstellenspruch unwirksam.

2. Die von einer Einigungsstelle mit dem Regelungsauftrag "Gefährdungsbeurteilung" durch verfahrensrechtliche Vorgaben auszugestaltenden Handlungspflichten des Arbeitgebers im Rahmen von § 5 Abs. 1 ArbSchG erfassen weder die Prüfung, welche konkreten Arbeitsschutzmaßnahmen angesichts einer ermittelten Gefährdung ggf. in Betracht kommen können, noch deren Wirksamkeitskontrolle.

Gesetze: § 76 Abs 3 S 4 BetrVG, § 77 Abs 2 S 2 BetrVG, § 87 Abs 1 Nr 7 BetrVG, § 5 Abs 1 ArbSchG, § 6 ArbSchG, § 3 Abs 1 S 1 ArbSchG, § 5 Abs 2 S 2 ArbSchG, § 3 Abs 1 S 2 ArbSchG, § 12 Abs 1 ArbSchG

Instanzenzug: ArbG Lübeck Az: 5 BV 143/16 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Az: 1 TaBV 14/17 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen.

2Die Arbeitgeberin stellt Bremsbeläge her. Antragsteller ist der in ihrem Betrieb in G gebildete Betriebsrat. Die Beteiligten vereinbarten in einer Protokollnotiz zu einem Teilinteressenausgleich vom die Bildung einer Einigungsstelle zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen an den Arbeitsplätzen der im Interessenausgleich aufgeführten Pilotprojekte. Die Mitte Dezember 2008 errichtete Einigungsstelle beschloss nach 16 Sitzungen am eine Betriebsvereinbarung „Gefährdungsbeurteilung“ (BV). Diese lautet auszugsweise:

3Der vom Vorsitzenden unterzeichnete Einigungsstellenspruch wurde dem Betriebsrat am ohne die fünf im Spruch genannten Anlagen zugestellt. Im Januar 2017 übersandte der Einigungsstellenvorsitzende den Beteiligten den unterschriebenen Spruch einschließlich der - nunmehr mittels Heftklammern miteinander verbundenen - Anlagen erneut zu.

4Die als Anlage 3 bezeichnete „Verfahrensbeschreibung Verfahren Beurteilung Psychische Belastungen (GPB)“ umfasst ua. vier verschiedene Erfassungsbögen („Allgemeine Daten“, „Arbeitsumgebungsfaktoren“, „Beurteilung Aufgaben“ und „Belastungsdimensionen“). Unter der Überschrift „1. Planung und Vorbereitung“ heißt es hierzu:

5Unter Nr. 3. („Auswertung“) ist ausgeführt:

6Die als Anlage 4 bezeichnete „Risikomatrix EHS Info 083“ sieht vor, dass die Ableitung eines Handlungsbedarfs durch „Einschätzung der Risikoparameter Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit des Wirksamwerdens der Gefährdung“ zu erfolgen hat. Für die Einschätzung des Schadensausmaßes soll die Verletzungsschwere bei Unfallfolgen oder Schwere der Erkrankung bei langfristigen Folgen herangezogen werden, wobei eine Einteilung in „unwesentlich, geringfügig, kritisch und katastrophal“ erfolgt. Für die Eintrittswahrscheinlichkeit von Gefährdungen ist eine Unterteilung in die Gruppen „unvorstellbar, unwahrscheinlich, entfernt vorstellbar, gelegentlich, wahrscheinlich und häufig“ vorgesehen. Die sich mit Hilfe einer Matrix aus den beiden Parametern ergebenden Kombinationen für die Risikoeinschätzung sind wiederum in drei Gruppen - geringes, mittleres und hohes Risiko - unterteilt. Bei einem hohen Risiko ist ein Handlungsbedarf „dringend erforderlich“, bei einem mittleren Risiko „angezeigt“ und bei einem geringen Risiko „nicht erforderlich“.

7Der Betriebsrat hat geltend gemacht, die BV sei rechtsfehlerhaft. An den in Nr. 3.1 BV aufgeführten Arbeitsplätzen bestünden keine gleichartigen Arbeitsbedingungen. Zudem habe die Einigungsstelle ihren Regelungsauftrag nicht erfüllt. Weder seien die Arbeitsbedingungen arbeitsplatzbezogen erfasst noch die möglichen Gefährdungen auf den einzelnen Arbeitsplätzen und die Kriterien für die Beurteilung der zu überprüfenden Arbeitsbedingungen hinreichend konkretisiert. Auch die Vorgaben für die Beurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz seien unzureichend.

8Der Betriebsrat hat beantragt

9Die Arbeitgeberin hat Antragsabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Spruch sei formell und materiell wirksam. Die Arbeitsbedingungen der betroffenen Arbeitnehmer seien gleichartig. Die Einigungsstelle habe weder die in Frage kommenden Gefährdungen noch deren mögliche Ursachen und die hierfür heranzuziehenden Beurteilungsmaßstäbe weiter spezifizieren müssen. Die Anpassung der in der Anlage 3 enthaltenen Beurteilungsbögen sei Bestandteil des Verfahrens zur Beurteilung psychischer Belastungen.

10Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, dass der Spruch unwirksam ist, soweit „dort in den Ziffern 4.1, 4.5, 5. und 6. und der Anlage 3 zum Spruch Regelungen zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychische Belastungen und den Aufgaben und Befugnissen des ‚Analyseteams‘ enthalten sind“. Mit ihren Rechtsbeschwerden verfolgen die Beteiligten ihr jeweiliges Begehren weiter.

11B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet, während die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin erfolglos bleibt. Dem Feststellungsantrag des Betriebsrats war stattzugeben. Der Einigungsstellenspruch vom ist unwirksam.

12I. Der Antrag ist zulässig. Er ist zutreffend auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs und damit auf die Feststellung des Nichtbestehens eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses iSv. § 256 Abs. 1 ZPO gerichtet (vgl.  - Rn. 17 mwN, BAGE 164, 248). Der Betriebsrat hat an der begehrten Feststellung ein berechtigtes Interesse, da die Arbeitgeberin davon ausgeht, der Spruch ersetze die Einigung zwischen den Betriebsparteien.

13II. Die Anfechtung des Einigungsstellenspruchs ist erfolgreich. Der Spruch vom ist sowohl formell als auch materiell unwirksam.

141. Der Antrag des Betriebsrats hat bereits deshalb Erfolg, weil der Spruch wegen Verstoßes gegen die gesetzlichen Vorgaben in § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG formell unwirksam ist.

15a) Der Spruch genügt nicht dem gesetzlichen Schriftformgebot.

16aa) Nach § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG sind die Beschlüsse der Einigungsstelle schriftlich niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und Arbeitgeber und Betriebsrat zuzuleiten. Das Schriftformgebot in § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG dient vorrangig der Rechtssicherheit. Die Unterschrift des Vorsitzenden beurkundet und dokumentiert den Willen der Einigungsstellenmitglieder. Für die Betriebsparteien und die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer wird damit rechtssicher bestätigt, dass das vom Vorsitzenden unterzeichnete Schriftstück das von der Einigungsstelle beschlossene Regelwerk enthält. Die Beurkundung und Dokumentation ist erforderlich, weil der Einigungsstellenspruch die fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt und ihm erst dann die gleiche normative Wirkung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) wie einer von den Betriebsparteien geschlossenen Betriebsvereinbarung zukommt. Die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform ist daher Wirksamkeitsvoraussetzung eines Einigungsstellenspruchs (vgl. etwa  - Rn. 12 mwN, BAGE 147, 15). Maßgeblich für die Beurteilung der Formwirksamkeit ist der Zeitpunkt, in dem der Einigungsstellenvorsitzende den Betriebsparteien den Spruch mit der Absicht der Zuleitung iSd. § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG übermittelt (vgl.  - Rn. 14, aaO).

17bb) Für das Schriftformgebot des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG gelten die Anforderungen des § 77 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Dementsprechend ist dem Schriftformerfordernis auch genügt, wenn im Einigungsstellenspruch klar und zweifelsfrei auf - nicht vom Einigungsstellenvorsitzenden unterzeichnete - Schriftstücke verwiesen wird, selbst wenn diese nicht körperlich mit der Urkunde verbunden sind (vgl. zu § 1 Abs. 2 TVG:  - Rn. 33, BAGE 139, 197). Allerdings ist ein solches Bezugsobjekt von einem darauf bezogenen Verweis in eindeutiger Form zu bezeichnen (vgl. zu § 73 Abs. 2 Satz 2 BayPVG:  - Rn. 17, BAGE 147, 273). Fehlt es sowohl an einer körperlichen Verbindung als auch an einer Unterzeichnung oder Paraphierung einer Anlage, verlangt die Wahrung der Schriftform zudem, dass zweifelsfrei nur eine Fassung der in Bezug genommenen, eindeutig bezeichneten Anlage existiert. Andernfalls lässt sich nicht zuverlässig feststellen, welche Normen für die im Betrieb Normunterworfenen gelten sollen (vgl. zu § 1 Abs. 2 TVG:  - aaO).

18cc) Danach genügt der den Betriebsparteien im Oktober 2016 zugeleitete Spruch nicht dem Schriftformgebot des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG. Die in der BV enthaltenen Bezugnahmen auf die nicht körperlich mit ihr verbundenen Anlagen 3 bis 5 sind nicht so eindeutig, dass sie eine zuverlässige Zuordnung bestimmter Schriftstücke zum Spruch ermöglichen. Die namentliche Bezeichnung der Anlage 3 in Nr. 4.1 BV stimmt schon nicht mit deren Titel überein. Keine der genannten Anlagen ist - etwa durch die Angabe eines bestimmten Datums oder einer bestimmten Fassung des Schriftstücks - in dem im Spruch enthaltenen Verweis konkreter bezeichnet. Die überwiegend mehrseitigen Schriftstücke enthalten ihrerseits auch weder einen inhaltlichen Rückverweis auf die BV noch anderweitige Erkennungsmerkmale, etwa durch Paraphierung des Einigungsstellenvorsitzenden oder eine fortlaufende Paginierung, die unzweifelhaft den Schluss darauf zulassen, dass es sich hierbei um die jeweils im Spruch in Bezug genommenen Anlagen handelt. Beim Inhalt der Anlagen 2 und 5 ist außerdem zweifelhaft, ob sie ausschließlich in einer Fassung existieren. So enthält die Anlage 2 („VA EHS 01-20“) unter ihrem Punkt 7 nicht nur einen Änderungsvorbehalt durch den „Ersteller“, sondern auf ihrer ersten Seite auch unterschiedliche Datumsangaben. Entsprechendes gilt für die Anlage 5 („EHS Checkliste Nr. 026/GPB“), die einen - in Nr. 4.5 Satz 1 BV nicht näher bezeichneten - Stand von „1/2016“ ausweist.

19b) Die BV ist zudem deshalb unwirksam, weil der Spruch entgegen den Vorgaben des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG im Oktober 2016 nicht beiden Beteiligten vollständig vom Vorsitzenden zugeleitet wurde.

20aa) Durch die in § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG vorgesehene Zuleitung des von der Einigungsstelle gefassten Spruchs sollen die Betriebsparteien über seinen Inhalt rechtssicher in Kenntnis gesetzt werden. Da der von der Einigungsstelle getroffene Spruch ihre Einigung ersetzt und damit das betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unmittelbar ausgestaltet, haben beide hieran ein berechtigtes Interesse. Der Einigungsstellenspruch ist - ungeachtet einer Anfechtung - vom Arbeitgeber nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG durchzuführen. Dieser Verpflichtung kann er nur genügen, wenn über den Inhalt des Spruchs ab dem Zeitpunkt seiner Zuleitung Rechtsklarheit besteht. Zudem sollen beide Betriebsparteien durch die Zuleitung des Spruchs in die Lage versetzt werden, binnen der - nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG mit seiner Zuleitung beginnenden - zweiwöchigen Frist für die gerichtliche Geltendmachung seinen Inhalt auf Ermessensfehler zu überprüfen.

21bb) Sind die von der Einigungsstelle durch Spruch getroffenen Regelungen nicht nur in einem Schriftstück, sondern in mehreren niedergelegt, erfordert § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG, dass beiden Betriebsparteien jeweils alle Bestandteile des Spruchs zugeleitet werden. Nur dann steht für die Betriebsparteien mit der gebotenen Sicherheit fest, welche Regelungen nunmehr zwischen ihnen vereinbart sind und welche der Arbeitgeber durchzuführen hat.

22cc) Werden den Betriebsparteien nicht alle Bestandteile des von der Einigungsstelle getroffenen Spruchs zugeleitet, ist dieser mangels ordnungsgemäßer Zuleitung nach § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG unwirksam. Die unvollständige Zuleitung des Einigungsstellenspruchs hat nicht lediglich zur Folge, dass die zweiwöchige Frist nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG nicht zu laufen beginnt. Das gesetzliche Zuleitungserfordernis nach § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG dient dem Interesse der Betriebsparteien an Rechtsklarheit. Dieser Zweck verlangt es, dass der den Betriebsparteien mit Zuleitungswillen zur Verfügung gestellte Einigungsstellenspruch vollständig übermittelt wird. Fehlt es hieran, ist der von der Einigungsstelle zuvor beschlossene Spruch wirkungslos.

23dd) Danach ist der im Oktober 2016 den Betriebsparteien übermittelte Spruch auch wegen Verstoßes gegen § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG unwirksam. Die in Nr. 3.1, Nr. 4.1, Nr. 4.2 und Nr. 4.5 BV genannten Anlagen 1 bis 5 waren dem Spruch bei Zuleitung an den Betriebsrat nicht beigefügt. Zumindest die Anlagen 2 bis 5 enthalten inhaltliche Regelungen zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilungen bzw. über die in Nr. 4.5 BV vorgesehene Dokumentation. Unerheblich ist, dass die Anlagen - wie von der Arbeitgeberin vorgebracht - im Januar 2016 und damit mehr als sieben Monate vor der Beschlussfassung durch die Einigungsstelle zwischen den Beteiligten ausgetauscht worden sein sollen. Der mit dem Zuleitungserfordernis nach § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG bezweckten Rechtsklarheit ist nur genügt, wenn beiden Betriebsparteien die einzelnen Bestandteile des Spruchs einheitlich mit Zuleitungswillen übermittelt werden. Erst dadurch steht für beide Seiten mit der erforderlichen Sicherheit fest, welche von der Einigungsstelle abschließend getroffenen Regelungen ihre Einigung ersetzt.

24c) Der Vorsitzende der Einigungsstelle konnte den Verstoß gegen das Schriftformgebot und das Zuleitungsgebot nach § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG nicht durch eine erneute Zuleitung des Spruchs mit Anlagen im Januar 2017 heilen. Das Einigungsstellenverfahren ist mit Zugang des mit Zuleitungswillen den Betriebsparteien übermittelten Einigungsstellenspruchs abgeschlossen und lediglich bei einer gerichtlich festgestellten Unwirksamkeit des Spruchs fortzusetzen. Eine rückwirkende Heilung durch erneute Zustellung aller Bestandteile des Spruchs ist daher nicht möglich (vgl. auch  - Rn. 14 und 17 mwN, BAGE 147, 15).

252. Der Spruch ist überdies materiell unwirksam. Die Einigungsstelle hat ihren Regelungsauftrag teilweise überschritten. Soweit sie sich innerhalb desselben gehalten hat, hat sie ihn zum Teil mangels konkreter Regelungen nicht erfüllt oder die Grenzen des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG missachtet.

26a) Mit den Bestimmungen in Nr. 4.3 und Nr. 4.4 BV ist die Einigungsstelle über ihren Regelungsauftrag hinausgegangen. Dies gilt auch für die Regelungen in Nr. 3.2 Satz 3, Nr. 4.2 Satz 1, Nr. 4.5 Satz 1 und Nr. 6 Satz 1 und Satz 5 BV, soweit diese sich auf die Wirksamkeitskontrolle und die Frage, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind, beziehen.

27aa) Nach der Protokollnotiz zum Teilinteressenausgleich vom wurde die Einigungsstelle zur Regelung der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen an den Arbeitsplätzen der im Teilinteressenausgleich benannten Pilotprojekte bestellt. Damit haben die Betriebsparteien die Einigungsstelle beauftragt, Regelungen zur Ausgestaltung der von § 5 ArbSchG und - soweit dies die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilungen betrifft - von § 6 Abs. 1 ArbSchG erfassten Angelegenheiten zu treffen.

28(1) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf Maßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden, die Rahmenvorschriften konkretisieren. Es setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und mangels einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Unerheblich ist, ob die Rahmenvorschriften dem Gesundheitsschutz mittelbar oder unmittelbar dienen ( - Rn. 13, BAGE 159, 360). Kommt eine Einigung zwischen den Betriebsparteien nicht zustande, so entscheidet nach § 87 Abs. 2 BetrVG die Einigungsstelle.

29(2) Übertragen die Betriebsparteien der Einigungsstelle den Auftrag, die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen zu regeln, soll diese die nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm. § 5 ArbSchG und - soweit die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung betroffen ist - iVm. § 6 ArbSchG mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten ausgestalten.

30(a) Da es sich bei § 5 ArbSchG um eine ausfüllungsbedürftige, dem Gesundheitsschutz dienende Rahmenvorschrift iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG handelt, steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Gefährdungsbeurteilung zu (vgl. ausführlich  - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 111, 36). Die Gefährdungsbeurteilung ist ein zentrales Element des Gesundheitsschutzes und notwendige Voraussetzung für die betriebliche Umsetzung der Arbeitsschutzpflichten des Arbeitgebers (vgl.  - Rn. 14 mwN).

31(b) Zum Regelungsauftrag einer Gefährdungsbeurteilung gehört typischerweise auch die Dokumentation ihrer Ergebnisse. Bei deren Ausgestaltung steht dem Betriebsrat ebenfalls ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm. § 6 ArbSchG zu (ebenso DKKW-Klebe 16. Aufl. § 87 Rn. 231; aA Hecht in Kollmer/Klindt/Schucht ArbSchG 3. Aufl. Syst. B Rn. 38; Gutzeit in GK-BetrVG 11. Aufl. § 87 Rn. 636; H/W/G/N/R/H-Worzalla 10. Aufl. § 87 Rn. 425; Wiebauer RdA 2019, 41, 43). Nach § 6 ArbSchG muss der Arbeitgeber über die je nach Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten erforderlichen Unterlagen verfügen, aus denen das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung ersichtlich ist. Die Norm stellt eine ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschrift iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG dar. Sie gewährt dem Arbeitgeber einen Beurteilungs- und damit Entscheidungsspielraum bei der Frage, welche konkreten Unterlagen in welcher Form aufbewahrt werden sollen. Ausweislich der Gesetzesbegründung dient sie zudem mittelbar dem Gesundheitsschutz. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass eine „(k)ontinuierliche betriebliche Arbeitsschutzpolitik … sinnhaft nur bei einer gewissen Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen möglich“ ist, da sowohl „die Verantwortlichen im Betrieb“ als auch die „für die Überwachung zuständigen Stellen“ auf Unterlagen angewiesen sind, die ihnen insbesondere darüber Auskunft geben, wie die Gefährdungssituation eingeschätzt wird (vgl. BT-Drs. 13/3540 S. 17). Damit kann sich die Art und Weise, wie die in § 6 ArbSchG angeordnete Dokumentation vorzunehmen ist, auch auf die arbeitsschutzrechtliche Lage der Beschäftigten auswirken.

32bb) Danach hat die Einigungsstelle sowohl mit den Regelungen in Nr. 4.3 und Nr. 4.4 BV als auch mit den Bestimmungen in Nr. 3.2 Satz 3, Nr. 4.2 Satz 1, Nr. 4.5 Satz 1 und Nr. 6 Satz 1 und Satz 5 BV - soweit diese die Wirksamkeitskontrolle und die Frage betreffen, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind - ihren Regelungsauftrag überschritten.

33(1) Nach § 5 Abs. 1 ArbSchG hat der Arbeitgeber durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Die danach vom Arbeitgeber durchzuführende Gefährdungsbeurteilung umfasst die Überprüfung, ob und ggf. welche Gefährdungen mit einer Tätigkeit einhergehen. Die mit der Arbeit des Beschäftigten verbundenen möglichen Gefährdungen müssen eruiert und im Hinblick auf ihre Schwere (vgl. BT-Drs. 13/3540 S. 17: „Art und Umfang des möglichen Schadens“) und das Risiko ihrer Realisierung bewertet werden. Untrennbare Bestandteile der Gefährdungsbeurteilung sind dabei auch die Prüfung, ob Schutzmaßnahmen geboten sind, und die Bewertung der Dringlichkeit eines Handlungsbedarfs. Der im Rahmen von § 5 ArbSchG von der Einigungsstelle auszugestaltende Handlungsspielraum des Arbeitgebers erfasst jedoch nicht die Beantwortung der Frage, welche konkreten Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer angesichts einer festgestellten Gefährdung ggf. in Betracht kommen können. Dies ergibt die Auslegung von § 5 Abs. 1 ArbSchG.

34(a) Dessen Wortlaut lässt keinen eindeutigen Schluss auf die inhaltliche Reichweite der Norm zu. Seine sprachliche Fassung könnte einerseits darauf hindeuten, bei der Rahmenvorschrift des § 5 ArbSchG gehe es inhaltlich bereits um die konkrete Ermittlung denkbarer Schutzmaßnahmen („welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind“). Andererseits könnte damit auch lediglich das mit der Gefährdungsbeurteilung verfolgte Ziel, nicht aber ihr inhaltlicher Gegenstand angesprochen sein (vgl. auch  - Rn. 22, BAGE 159, 12). Für ein solches eingeschränktes Verständnis spricht vor allem die amtliche Überschrift von § 5 ArbSchG. Danach regelt die Norm lediglich die „Beurteilung der Arbeitsbedingungen“. Mit Hilfe einer solchen Beurteilung („durch“) soll eruiert werden, ob Maßnahmen des Arbeitsschutzes veranlasst sind.

35(b) Vor allem die Gesetzessystematik und der Regelungszusammenhang stützen das letztgenannte Verständnis.

36(aa) Sowohl die Regelungen in Absatz 2 als auch in Absatz 3 von § 5 ArbSchG beziehen sich inhaltlich ausschließlich auf den Prozess zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen und der mit ihnen verbundenen Gefährdungen. § 5 Abs. 2 ArbSchG legt fest, dass die Beurteilung je nach Art der Tätigkeiten vorzunehmen und bei gleichartigen Arbeitsbedingungen die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreichend ist. § 5 Abs. 3 ArbSchG benennt Ursachen, aus denen sich mit der Arbeit verbundene Gefährdungen ergeben können. Inhaltliche Vorgaben für etwa zu ermittelnde - mögliche - Schutzmaßnahmen enthalten die Regelungen nicht. Diese bestimmten sich vielmehr nach § 4 ArbSchG.

37(bb) Die Verpflichtung des Arbeitgebers, „erforderliche Maßnahmen des Arbeitsschutzes“ zu treffen, ist darüber hinaus in § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG verankert. Die Norm legt die umfassende und präventive Handlungspflicht des Arbeitgebers fest, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, welche die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Ein ihm hierbei zustehender Entscheidungsspielraum ist - mitbestimmungsrechtlich - der Rahmenvorschrift des § 3 ArbSchG zugeordnet. Der spezifische materiell-rechtliche Gehalt von § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG ergibt sich erst aus dem rechtssystematischen Zusammenhang mit § 5 ArbSchG: Durch die in § 5 ArbSchG vorgesehene Beurteilung der Arbeitsbedingungen („Gefährdungsbeurteilung“) sollen die Gefährdungen, die für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbunden sind, ermittelt und hinsichtlich ihrer Schwere sowie eines Handlungsbedarfs und seiner Dringlichkeit beurteilt werden. Sind danach Schutzmaßnahmen erforderlich, hat der Arbeitgeber diese nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu treffen. Kann eine Gefährdung durch unterschiedliche mögliche Schutzmaßnahmen beseitigt oder zumindest reduziert werden, besteht im Rahmen dieser Norm ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei der Entscheidung, welche der möglichen Maßnahmen umgesetzt werden soll. Systematisch baut die Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG damit auf § 5 ArbSchG auf: Welche Schutzmaßnahmen angemessen und geeignet sind, lässt sich erst beurteilen, wenn im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung das von Arbeit für die Beschäftigten ausgehende Gefährdungspotential eruiert worden ist (vgl. auch  - Rn. 21 und Rn. 22, BAGE 159, 12).

38(c) Die Gesetzesmaterialien bekräftigen diese Auslegung. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll erst aufgrund einer „Beurteilung der Arbeitsbedingungen“ erkennbar sein, welche Schutzmaßnahmen erforderlich sind. Dazu gehöre, dass eine Gefährdung als solche und hinsichtlich ihrer Schwere (Art und Umfang des möglichen Schadens) bewertet werde (vgl. BT-Drs. 13/3540 S. 16 f.). Regelungsgegenstand von § 5 ArbSchG ist damit nach dem verlautbarten Willen des Gesetzgebers vorrangig die Beurteilung der Arbeitsbedingungen im Hinblick auf etwaige Gefährdungen, nicht jedoch die Ermittlung etwaiger in Betracht kommender konkreter Schutzmaßnahmen.

39(2) Zu einem durch § 5 Abs. 1 ArbSchG eröffneten und im Rahmen des Regelungsauftrags Gefährdungsbeurteilung von der Einigungsstelle auszugestaltenden Handlungsspielraums des Arbeitgebers gehört zudem nicht die auf konkrete Schutzmaßnahmen bezogene Kontrolle ihrer Wirksamkeit. Die sich hierauf beziehende Handlungspflicht des Arbeitgebers ist in § 3 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG niedergelegt. Danach hat der Arbeitgeber, wenn er auf der Grundlage der durchgeführten Gefährdungsbeurteilung eine Maßnahme getroffen hat, diese auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Der systematische Zusammenhang mit Satz 1 der Norm zeigt, dass die Wirksamkeitskontrolle an eine konkrete, entweder bereits umgesetzte oder aber zumindest ausgewählte Schutzmaßnahme anknüpft. Diese ist gemessen an ihrem Schutzziel auf ihre Effektivität zu überprüfen. Da sowohl die Methode der Überprüfung als auch deren Zeitpunkt maßnahmenabhängig sind (vgl. auch HK-ArbSchR/Blume/Faber 2. Aufl. § 3 ArbSchG Rn. 24), können die hierzu erforderlichen und nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegenden Festlegungen erst dann erfolgen, wenn die nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG zu ergreifende konkrete Arbeitsschutzmaßnahme feststeht.

40(3) Ausgehend hiervon sind Nr. 4.3 und 4.4 BV nicht vom Regelungsauftrag der Einigungsstelle gedeckt.

41(a) Nach Nr. 4.3 BV hat der Untersucher zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind, und Empfehlungen - auch zu deren Geeignetheit und ihrer zeitlichen Umsetzung - abzugeben. Diese Vorgaben liegen außerhalb des durch § 5 ArbSchG eröffneten Regelungsrahmens. Dementsprechend ist auch Nr. 4.2 Satz 1 BV insoweit unwirksam, als er regelt, der Untersucher habe zu beurteilen, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Gleiches gilt für Nr. 4.5 Satz 1 BV, soweit er sich auf die Dokumentation von „Maßnahmenvorschlägen“ und deren zeitliche Umsetzung bezieht, sowie Nr. 6 Satz 1 und Satz 5 BV, soweit sie die Unterstützung durch die Arbeitnehmer bei der Ermittlung und Umsetzung erforderlicher Maßnahmen des Arbeitsschutzes sowie deren Information über „geplante/getroffene Maßnahmen“ und deren zeitliche Umsetzung regeln.

42(b) Mit der in Nr. 4.4 BV vorgesehenen Regelung über maßnahmenspezifische Wirksamkeitskontrollen hat die Einigungsstelle ebenfalls den ihr durch § 5 ArbSchG gewährten Gestaltungsrahmen überschritten. Demgemäß sind auch Nr. 3.2 Satz 3, Nr. 4.2 Satz 1, Nr. 4.5 Satz 1 und Nr. 6 Satz 1 und Satz 5 BV unwirksam, soweit sie sich auf die Kontrolle der Wirksamkeit bereits ergriffener Maßnahmen beziehen.

43b) Die Einigungsstelle hat überdies bei einer Reihe von Bestimmungen ihren Regelungsauftrag nicht erfüllt.

44aa) Anders als vom Betriebsrat geltend gemacht, betrifft dies aber nicht Nr. 3.1 BV.

45(1) Satz 1 dieser Regelung legt konkret fest, welche der im Pilotprojekt vorhandenen Tätigkeiten bzw. Arbeitsplätze beurteilt werden sollen. Die Einigungsstelle war - entgegen der Auffassung des Betriebsrats - nicht gehalten, die Arbeitsbedingungen, die mit den Tätigkeiten der in Nr. 3.1 Satz 1 BV genannten Maschinenführer und Koordinatoren verbunden sind, näher zu beschreiben. Im Rahmen von § 5 Abs. 1 ArbSchG obliegt es ihr, Vorgaben zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilungen zu regeln, nicht jedoch die auf den zu beurteilenden Arbeitsplätzen tatsächlich bestehenden Arbeitsbedingungen im Spruch zu erfassen.

46(2) Nr. 3.1 Satz 2 BV begegnet ebenfalls keinen Bedenken.

47(a) Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 ArbSchG hat der Arbeitgeber die Beurteilung der Arbeitsbedingungen „je nach Art der Tätigkeiten“ vorzunehmen. Bei einer Gleichartigkeit der Arbeitsbedingungen ist gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG die Beurteilung eines Arbeitsplatzes oder einer Tätigkeit ausreichend. Dem liegt die gesetzgeberische Vorstellung zugrunde, dass in einem solchen Fall „die Vermutung eines vergleichbaren Ergebnisses der Gefährdungsbeurteilung berechtigt ist“ (vgl. BT-Drs. 13/3540 S. 17). § 5 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG verlangt ausdrücklich nur eine Gleichartigkeit, keine Gleichheit von Arbeitsbedingungen. Diese müssen daher im Wesentlichen, aber nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen (vgl. Kreizberg in Kollmer/Klindt/Schucht ArbSchG 3. Aufl. § 5 Rn. 97). Die rechtliche Frage, inwieweit diese Voraussetzungen bei den zu beurteilenden Tätigkeiten und Arbeitsplätzen erfüllt sind, hat die Einigungsstelle zu klären (vgl.  - zu B III 4 b aa der Gründe, BAGE 111, 48). Bei der hierfür erforderlichen Bewertung kommt ihr - ebenso wie den Betriebsparteien - in tatsächlicher Hinsicht ein Beurteilungsspielraum zu.

48(b) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Einigungsstelle sei zulässigerweise davon ausgegangen, bei den in Nr. 3.1 Satz 1 BV aufgeführten Tätigkeiten seien jeweils die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG gegeben, ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.

49(aa) Der Begriff der gleichartigen Arbeitsbedingungen ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz daher nur darauf überprüfbar, ob es den Rechtsbegriff selbst verkannt, gegen Denkgesetze, anerkannte Auslegungsgrundsätze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat (vgl. etwa  - Rn. 47 mwN).

50(bb) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Würdigung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Auch die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats zeigt einen solchen nicht auf. Das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, der Umstand, dass die in Nr. 3.1 genannten Tätigkeiten an unterschiedlichen Einsatzorten in den jeweiligen Hallen - mit ggf. unterschiedlichen äußerlichen Einwirkungen - auszuführen sind, stehe einer Einschätzung der Einigungsstelle, die Arbeitsbedingungen seien gleichartig, nicht entgegen. § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG verlangt gerade keine vollständige Identität der Arbeitsbedingungen.

51(c) Die Einigungsstelle war nicht verpflichtet, im Spruch einen konkreten (räumlichen) Arbeitsplatz, an dem die in Nr. 3.1 Satz 1 BV aufgeführten Tätigkeiten ausgeübt werden, festzulegen. Eine solche Vorgabe regelt § 5 Abs. 2 ArbSchG nicht. Nach dessen Satz 1 hat der Arbeitgeber die Beurteilung der Arbeitsbedingungen - selbst wenn diese nicht gleichartig sind - lediglich „je nach Art der Tätigkeiten“ vorzunehmen. Sind Tätigkeiten - wie vorliegend - im Spruch angegeben, werden ihm keine unzulässigen Entscheidungsspielräume eröffnet, wenn ihm die Festlegung des einzelnen Arbeitsplatzes, an dem die zu untersuchende Tätigkeit ausgeführt wird, überlassen wird.

52bb) Der Einwand des Betriebsrats, die Einigungsstelle habe mit der Bestimmung des Nr. 3.2 Satz 1 BV ihren Regelungsauftrag nicht erfüllt, weil die möglichen in Betracht kommenden Gefährdungen nicht weiter präzisiert worden seien, greift ebenfalls nicht durch. Eine Einigungsstelle, die Verfahrensregelungen zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen aufstellen soll, kann und muss die für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen denkbaren Gefährdungen weder abschließend noch beispielhaft im Spruch benennen. Dies liefe dem Schutzzweck des § 5 ArbSchG zuwider. Der Regelung liegt - wie die nur beispielhafte Aufzählung möglicher Gefährdungen in § 5 Abs. 3 ArbSchG zeigt - ein weites Verständnis arbeitsbedingter Gefährdungen zugrunde (vgl. HK-ArbSchR/Blume/Faber 2. Aufl. § 5 ArbSchG Rn. 25). Der Arbeitgeber hat daher alle denkbaren Gefährdungen, die bei Tätigkeiten oder am Arbeitsplatz auftreten können, zu ermitteln (Pieper ArbSchR 6. Aufl. § 5 ArbSchG Rn. 13; vgl. auch Wiebauer RdA 2019, 41, 42). Auch kann sich der Umfang der zu ermittelnden Gefährdungen ändern, wie etwa die zum in Kraft getretene Fassung von § 10 Abs. 1 MuSchG zeigt. Dem trägt Nr. 3.2 Satz 1 BV mit seiner Formulierung („alle in Frage kommenden Gefährdungen“) Rechnung. Die Einigungsstelle ist angesichts ihres Regelungsauftrags im Rahmen von § 5 ArbSchG zudem nicht gehalten, mögliche Ursachen etwaiger Gefährdungen näher zu bestimmen. Deren Ermittlung ist ggf. Gegenstand der durchzuführenden Gefährdungsbeurteilung, nicht aber Aufgabe der Einigungsstelle. Sofern der Senat in seiner Entscheidung vom (- 1 ABR 4/03 - zu B III 4 b aa der Gründe, BAGE 111, 48) angenommen hat, die Einigungsstelle habe bei der Regelung von Gefährdungsbeurteilungen nach § 5 ArbSchG auch darüber zu befinden, worin mögliche Gefährdungen oder Belastungsfaktoren bei der Arbeit bestehen und auf welchen Ursachen sie beruhen, hält er hieran nicht mehr fest.

53cc) Auch mit Nr. 4.1 Satz 1 BV ist die Einigungsstelle ihrem Regelungsauftrag ausreichend nachgekommen.

54(1) Die Bestimmung überlässt dem Arbeitgeber nicht in unzulässiger Weise die Auswahl, auf welche methodische Weise die mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen ermittelt werden sollen.

55(a) Die Regelung gibt in ihrem Punkt (5) für die Ermittlung psychischer Gefährdungen ein bestimmtes - in einer weiteren Verfahrensbeschreibung gesondert geregeltes - Verfahren vor. Dessen ausdrückliche Benennung zeigt, dass etwaige psychische Belastungen ausschließlich auf diese Art und Weise eruiert werden sollen. Für die Ermittlung möglicher Gefährdungen nicht psychischer Art benennt Nr. 4.1 in den übrigen Punkten (1) bis (4) andere Methoden, mit deren Hilfe Gefährdungen bei der Arbeit erfasst werden sollen. Die enumerative Aufzählung der verschiedenen Methoden lässt erkennen, dass diese nicht in einem alternativen, sondern in einem kumulativen Verhältnis stehen. Der Untersucher hat daher zur Erfassung etwaiger Gefährdungen nicht nur die Arbeitsplätze zu begehen, sondern auch die dort tätigen Mitarbeiter zu befragen, und die für die Tätigkeiten und die verwendeten Arbeitsmittel relevanten Unterlagen auszuwerten und - soweit mit Hilfe technischer Geräte messbare Gefährdungen betroffen sind - entsprechende Messungen („geeignete“) vorzunehmen.

56(b) Damit hat die Einigungsstelle eine ausreichend abschließende Regelung getroffen. Die jeweilige Methode zur Untersuchung und Beurteilung der Arbeitsbedingungen musste nicht gefährdungsbezogen festgelegt werden. Würde dies von der Einigungsstelle verlangt, müsste sie ein etwaiges Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung gedanklich vorwegnehmen. Dies gibt § 5 ArbSchG jedoch nicht vor. Sollte sich aus der Entscheidung des Senats vom (- 1 ABR 4/03 - zu B III 4 b aa (3) der Gründe, BAGE 111, 48) eine gegenteilige Rechtsansicht ergeben, gibt der Senat diese auf.

57(c) Die sich damit aus Nr. 4.1 Satz 1 BV ergebende Verpflichtung des Untersuchers, durch technische Geräte messbare Gefährdungen stets entsprechend zu eruieren, verstößt nicht gegen § 3 Abs. 1 Satz 4 der Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch Lärm und Vibrationen (Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung - LärmVibrationsArbSchV) und § 3 Abs. 1 Satz 6 der Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch künstliche optische Strahlung (Arbeitsschutzverordnung zu künstlicher optischer Strahlung - OStrV). Soweit diese Regelungen eine Verpflichtung zur Messung vorsehen, wenn sich die Einhaltung der Auslöse- bzw. Expositionswerte nicht sicher ermitteln lässt, geben sie lediglich zwingend vor, wann derartige Messungen unerlässlich sind. Sie hindern die Einigungsstelle jedoch nicht daran, die Vornahme entsprechender Messungen auch in den vom Tatbestand der Bestimmungen nicht erfassten Fällen obligatorisch vorzusehen.

58(2) Anders als vom Landesarbeitsgericht angenommen, hat die Einigungsstelle das in Nr. 4.1 Punkt (5) BV aufgeführte Verfahren zur Beurteilung psychischer Belastungen hinreichend ausgestaltet. Unschädlich ist, dass sie die für die Durchführung des Verfahrens erforderlichen Beobachtungsbögen, die Bestandteil der dort in Bezug genommenen Anlage 3 sind, nicht selbst den betrieblichen Gegebenheiten angepasst hat. Dadurch wird dem Arbeitgeber bei der konkreten Ausgestaltung des Verfahrens zur Beurteilung psychischer Belastungen bei der Arbeit kein einseitiges Ermessen gewährt. Anlage 3 sieht vielmehr vor, dass die Standardbögen „… vor Einsatz des Verfahrens“ durch den „Arbeits- und Organisationspsychologen in Absprache mit der Werksleitung, Fach- und Führungskräften aus den verschiedenen Bereichen und dem Betriebsrat … auf den jeweiligen betrieblichen Untersuchungskontext“ angepasst werden. Damit ist die Adaption der Bögen durch eine unternehmensexterne Person vorzunehmen.

59dd) Allerdings ist Nr. 4.2 BV - soweit er nicht ohnehin bereits außerhalb des Regelungsauftrags enthaltene Vorgaben macht - deswegen (insgesamt) unwirksam, weil er dem Arbeitgeber in Bezug auf psychische Belastungen unzulässige Bewertungsspielräume eröffnet.

60Die als Anlage 4 bezeichnete „Risikomatrix“ legt - entgegen dem Vorbringen des Betriebsrats - zwar grundsätzlich hinreichend konkret fest, anhand welcher Kategorien (Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß) zu ermitteln ist, ob angesichts einer vorhandenen Gefährdung ein Handlungsbedarf besteht. Diese Einordnung in bestimmte Handlungsbedarfe und ihrer Dringlichkeit ist an sich nicht zu beanstanden (vgl. Wiebauer RdA 2019, 41, 43). Sowohl nach dem Wortlaut der Norm, ihrer systematischen Stellung und dem Inhalt der in Nr. 4.5 BV aufgeführten Checkliste findet die Regelung aber auch auf das Ergebnis der Beurteilung psychischer Belastungen Anwendung. Nr. 6 der Anlage 3 gibt dem Abteilungs-/Bereichsleiter ausdrücklich auf, die in Nr. 4.5 BV erwähnte Checkliste entsprechend zu ergänzen. Hierfür fehlt es jedoch an konkreten Vorgaben, wie die ermittelten psychischen Gefährdungen der Risikomatrix zuzuordnen sein sollen. Nach Nr. 3 der Anlage 3 ist das Risiko psychischer Belastungen mit Hilfe eines Auswertungstools zu bestimmen. Liegt eine sog. kritische Kombination vor, besteht Handlungsbedarf. Weitere Vorgaben, wie diese Ergebnisse in das durch die Risikomatrix vorgegebene Schema („hohes Risiko, mittleres Risiko und geringes Risiko“) und die sich hieraus ergebenden Handlungsbedarfe einzupassen sind, finden sich weder in Nr. 4.2 BV noch in der Anlage 3.

61ee) Auch mit Nr. 3.2 Satz 3 BV genügt die Einigungsstelle ihrem Regelungsauftrag nicht. Soweit die Bestimmung auf das ArbSchG, die auf der Grundlage von § 18 ArbSchG erlassenen Verordnungen sowie die auf Basis von § 15 SGB VII erlassenen - rechtsverbindlichen - DGUV-Vorschriften (vgl. Leube in Kollmer/Klindt/Schucht ArbSchG 3. Aufl. Syst. D Rn. 59) verweist, kommt ihr schon deshalb kein eigener Regelungsgehalt zu, weil sie nur auf Anforderungen Bezug nimmt, die ohnehin einzuhalten sind. Im Übrigen ist ihr uneingeschränkter Verweis auf alle auf der Grundlage der Arbeitsschutzverordnungen erlassenen technischen Regeln und Empfehlungen der zuständigen Ausschüsse sowie alle auf der Grundlage von § 15 SGB VII von den Berufsgenossenschaften erlassenen Regeln, Informationen und Grundsätze angesichts seiner thematisch vollständig unbegrenzten Reichweite zu unbestimmt. Die vorliegende Regelung lässt nicht einmal ansatzweise erkennen, welche zumindest thematisch einschlägigen Schutzstandards Grundlage der Gefährdungsbeurteilungen sein sollen.

62ff) Nr. 7 Satz 2 und 3 BV enthalten ebenfalls keine hinreichend bestimmten Regelungen und sind daher unwirksam.

63(1) Die Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG ist in regelmäßigen Abständen anlassunabhängig zu wiederholen. Dies sieht die Norm - anders als etwa § 3 Abs. 7 Satz 1 der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheitsverordnung), § 3 Abs. 3 Satz 2 OStrV und § 6 Abs. 10 Satz 3 der Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung) - zwar nicht ausdrücklich vor. Das aus § 3 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG resultierende Prinzip der Wirksamkeitskontrolle verlangt jedoch, dass die Arbeitsbedingungen in einem regelmäßigen Rhythmus erneut zu beurteilen sind (vgl. HK-ArbSchR/Blume/Faber 2. Aufl. § 3 ArbSchG Rn. 26 und § 5 ArbSchG Rn. 39; Kreizberg in Kollmer/Klindt/Schucht ArbSchG 3. Aufl. § 5 Rn. 68). Die Gefährdungsbeurteilung stellt kein einmaliges Ereignis dar, sondern ist angesichts der Dynamik von Arbeitsprozessen und der Weiterentwicklung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse eine dauerhafte Aufgabe (vgl. Wiebauer RdA 2019, S. 41). Die Einigungsstelle hat daher Vorgaben zu bestimmen, in welchen zeitlichen Abständen anlassunabhängig die Gefährdungsbeurteilung erneut durchzuführen ist. Der dabei festzulegende Rhythmus hängt von den jeweiligen betrieblichen Umständen ab.

64(2) Diesen Anforderungen wird Nr. 7 Satz 2 und Satz 3 BV nicht gerecht. Die Norm gibt keinen konkreten zeitlichen Rhythmus vor, sondern erschöpft sich angesichts der in ihr enthaltenen zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe lediglich in einer rahmenmäßigen Anordnung.

65gg) Auch Nr. 6 Satz 1 BV enthält keine inhaltliche Regelung. Soweit er innerhalb des Regelungsauftrags der Einigungsstelle liegende Aspekte betrifft, legt er nicht konkret fest, worin die angeordnete „Unterstützung“ der Mitarbeiter bei der Begehung und Befragung bestehen soll. Bereits Nr. 4.1 Satz 2 und Nr. 6 Satz 3 BV bestimmen, dass die Mitarbeiter, deren Arbeitsplätze untersucht werden, dem Untersucher während der Erfassung für Auskünfte zur Verfügung stehen müssen und Vorschläge für die Gefährdungsbeurteilung machen können. Welche darüber hinausgehenden Unterstützungshandlungen Nr. 6 Satz 1 BV regeln soll, erschließt sich nicht.

66c) Darüber hinaus ist die in Nr. 6 Satz 5 BV vorgesehene Regelung, wonach die Arbeitnehmer über das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung zu informieren sind, nicht vom Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm. § 5 ArbSchG gedeckt. Die im Rahmen von § 5 ArbSchG erforderliche verfahrensmäßige Ausgestaltung der Gefährdungsbeurteilung erfasst keine nachträgliche Information der Arbeitnehmer über das Ergebnis derselben. Eine solche Information kann lediglich Teil einer nach § 12 Abs. 1 ArbSchG vorzunehmenden Unterweisung der Arbeitnehmer sein.

67d) Angesichts der zahlreichen unwirksamen Regelungen enthält der verbleibende Teil der BV keine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung mehr (zum Maßstab vgl.  - Rn. 38 mwN, BAGE 161, 305). Damit ist der Spruch auch materiell insgesamt unwirksam.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:130819.B.1ABR6.18.0

Fundstelle(n):
BB 2019 S. 2806 Nr. 47
NJW 2019 S. 10 Nr. 52
KAAAH-34377