Umsatzsteuer | EuGH-Vorlage zu grenzüberschreitendem Apothekenrabatt (BFH)
Der EuGH soll entscheiden, ob eine Apotheke, die verschreibungspflichtige Arzneimittel an gesetzliche Krankenkassen liefert, aufgrund einer Rabattgewährung an die gesetzlich krankenversicherte Person umsatzsteuerrechtlich zu einer Steuervergütung für die an die Krankenkasse ausgeführte Lieferung berechtigt ist. Der Vorlagebeschluss des BFH betrifft grenzüberschreitende Arzneimittellieferungen im Binnenmarkt (; veröffentlicht am ).
Sachverhalt: Im Streitfall lieferte die Klägerin aus den Niederlanden Arzneimittel an gesetzliche Krankenkassen im Inland für die bei diesen gesetzlich versicherten Personen. Sie gewährte den gesetzlich Versicherten für deren Bestellungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung Rabatte und macht geltend, deshalb zu Umsatzsteuerminderungen (Steuervergütungen) berechtigt zu sein.
Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH:
Für die Entscheidung hierüber kommt es auf das europäische Mehrwertsteuerrecht an, das bei der Auslegung des nationalen Umsatzsteuerrechts zu berücksichtigen ist, so dass insoweit bestehende Zweifelsfragen eine Vorabentscheidung durch den EuGH erforderlich machten.
In seinem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH weist der BFH darauf hin, dass die Klägerin als Apotheke aus den Niederlanden an die jeweilige gesetzliche Krankenkasse im Inland geliefert habe. Diese wiederum verschafften den bei ihr Versicherten die verschreibungspflichtigen Arzneimittel im Rahmen des Versicherungsverhältnisses und damit außerhalb eines umsatzsteuerbaren Leistungsaustausches. Damit fehlt es an einer bis zum Rabattempfänger reichenden Umsatzkette. Dies könnte gegen den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch sprechen.
Der BFH weist auch darauf hin, dass Apotheken im Inland anders als die Klägerin einem Rabattverbot unterliegen. Zudem habe die Klägerin in Bezug auf die streitigen Lieferungen (an die gesetzlichen Krankenkassen) im Inland keinen Steuertatbestand verwirklicht, so dass es an einer inländischen Steuer fehlt, die gemindert werden könne. Im Hinblick auf die Schaffung des Binnenmarkts könnte das Erfordernis einer Steuerschuld im Inland aber als unionsrechtswidrig anzusehen sein.
Der BFH legt dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (amtlich):
Ist eine Apotheke, die Arzneimittel an eine gesetzliche Krankenkasse liefert, aufgrund einer Rabattgewährung an den Krankenversicherten zur Minderung der Steuerbemessungsgrundlage auf der Grundlage des EuGH-Urteils Elida Gibbs Ltd. vom - C 317/94 […] berechtigt?
Bei Bejahung: Widerspricht es den Grundsätzen der Neutralität und der Gleichbehandlung im Binnenmarkt, wenn eine Apotheke im Inland die Steuerbemessungsgrundlage mindern kann, nicht aber eine Apotheke, die aus einem anderen Mitgliedstaat an die gesetzliche Krankenkasse innergemeinschaftlich steuerfrei liefert?
Anmerkung von Dr. Hans-Hermann Heidner, Richter am BFH:
Die EuGH-Vorlage beruht auf den Besonderheiten der Lieferbeziehungen bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente von Apotheken aus dem EU-Ausland an gesetzlich versicherte Patienten im Inland, wobei es insbesondere um die Beurteilung von den Patienten gewährte Rabatte geht.
Bei der Abgabe der Medikamente kommt es zu einer Kette von zwei Lieferungen. Die Klägerin hat die Arzneimittel zwar auf sozialversicherungsrechtlicher Grundlage unmittelbar an die Patienten abgegeben, das für die Besteuerung maßgebliche Rechtsverhältnis bestand aber nicht zu den Patienten, sondern zwischen der Klägerin und den gesetzlichen Krankenkassen. Aufgrund des Beginns der Versendung der an die gesetzlichen Krankenkassen ausgeführten Lieferungen in den Niederlanden liegt im Inland (Deutschland) kein steuerpflichtiger Umsatz vor, dessen Steuerbemessungsgrundlage im Inland gemindert werden könnte. In den Niederlanden sind demgegenüber die an die gesetzlichen Krankenkassen ausgeführten Umsätze dort als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfrei. Die Klägerin fordert folglich im Inland (Deutschland) eine Minderung der Steuerbemessungsgrundlage für Lieferungen, die weder im Inland noch im Abgangsmitgliedstaat, den Niederlanden, steuerpflichtig sind.
Das Erfordernis einer Vorlage überrascht auf den ersten Blick, denn man könnte auf den bestechend wirkenden Gedanken kommen, dass eine Steuerbemessungsgrundlage, die es gar nicht gibt, auch nicht gemindert werden kann. Der BFH denkt an dieser Stelle aber etwas komplizierter. Es erleichtert das Verständnis der Vorlage, wenn man sich zunächst der zweiten Vorlagefrage zuwendet.
Der BFH geht davon aus, dass die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung und der steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerb gemeinsam den innergemeinschaftlichen Umsatz bilden, durch den die Besteuerung aus dem Abgangs- in den Bestimmungsmitgliedstaat verlagert wird. Das werfe die Frage auf, ob nicht die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in den Niederlanden im Hinblick auf den Versand des gelieferten Gegenstandes in das Inland einem im Inland steuerpflichtigen Umsatz gleichzustellen sei, weil damit eine Gleichbehandlung von Binnenmarkt- und Inlandsumsätzen gewährleistet sei, so dass dem lediglich rechtstechnischen Element eines dazwischengeschalteten innergemeinschaftlichen Umsatzes zur Verlagerung der Besteuerungshoheit zwischen den Mitgliedstaaten keine entscheidende Bedeutung zukomme. Als Vergleichsmaßstab fingiert der BFH damit gewissermaßen einen echten Binnenmarkt, in dem die von der Klägerin ausgeführten Lieferungen wie Inlandslieferungen zu behandeln wären, so dass es aufgrund einer Entgeltminderung zu einer Steuerberichtigung käme. Vor diesem Hintergrund ist die zweite Vorlagefrage, ob es den Grundsätzen der Neutralität und der Gleichbehandlung im Binnenmarkt widerspricht, wenn eine Apotheke im Inland die Steuerbemessungsgrundlage mindern kann, nicht aber eine Apotheke, die aus einem anderen Mitgliedstaat an die gesetzliche Krankenkasse innergemeinschaftlich steuerfrei liefert, zu verstehen.
Auch die erste Vorlagefrage setzt dieses Gedankenspiel voraus, denn wenn keine minderungsfähige Bemessungsgrundlage vorliegt, stellt sich auch die Frage nach der Tragweite der Elida Gibbs-Rechtsprechung nicht. Das hinter der ersten Vorlagefrage stehende Problem besteht darin, dass die zweite Lieferung (von den Krankenkassen an die Patienten) nicht in den Anwendungsbereich der Steuer fällt, weil sie zum einen unentgeltlich erfolgt und zum anderen nicht von einem Unternehmer ausgeführt wird. Das wirft in der Tat die vom BFH als klärungsbedürftig angesehene Frage auf, ob die Anwendung der Elida Gibbs-Rechtsprechung eine Kette von Umsätzen erfordert, die nach Art. 2 Abs. 1 MwStSystRL ausnahmslos in den Anwendungsbereich der Steuer fallen.
Quelle: ; Pressemitteilung Nr. 71/2019 des (ImA)
Fundstelle(n):
NWB EAAAH-34019