Erforderlichkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers
Leitsatz
1. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 51/19, juris).
2. Dass ein Betreuungsbedarf für das erkennende Gericht offensichtlich ist, steht als solches der Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht entgegen.
Gesetze: § 276 Abs 1 S 2 Nr 2 FamFG, § 276 Abs 2 S 1 FamFG, § 276 Abs 2 S 2 FamFG
Instanzenzug: Az: 25 T 554/18vorgehend Az: 98 XVII 36/18
Gründe
I.
1Die 69jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer chronifizierten wahnhaften Störung, differenzialdiagnostisch betrachtet in Gestalt einer paranoiden Schizophrenie, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Das Amtsgericht hat eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge, Heimplatzangelegenheiten, Regelung des Postverkehrs, Vermögensangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden und Wohnungsangelegenheiten eingerichtet und die weitere Beteiligte als Berufsbetreuerin bestimmt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen; hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.
II.
2Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
31. Sie rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das Landgericht keinen Verfahrenspfleger für die Betroffene bestellt hat.
4a) Gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung in der Regel erforderlich, wenn Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist. Gemäß § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen. Dabei unterfällt es der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, ob die den Tatsacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist (Senatsbeschluss vom - XII ZB 51/19 - juris Rn. 13 mwN).
5Nach diesen Maßgaben ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Für einen in diesem Sinne umfassenden Verfahrensgegenstand spricht, dass die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt wird, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfasst. Selbst wenn dem Betroffenen nach der Entscheidung letztlich einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verblieben sind, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestellung eines Verfahrenspflegers, wenn die verbliebenen Befugnisse dem Betroffenen in seiner konkreten Lebensgestaltung keinen nennenswerten eigenen Handlungsspielraum belassen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 528/17 - FamRZ 2018, 1111 Rn. 7 mwN). Eine Verfahrenspflegschaft ist nur dann nicht anzuordnen, wenn sie nach den gegebenen Umständen einen rein formalen Charakter hätte. Ob es sich um einen solchen Ausnahmefall handelt, ist anhand der gemäß § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG vorgeschriebenen Begründung zu beurteilen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 214/17 - NJW-RR 2018, 1030 Rn. 9 mwN).
6b) Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht die Betreuung auf einen Aufgabenkreis erstreckt, der in seiner Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung der Betroffenen umfasst, so dass die Bestellung eines Verfahrenspflegers gemäß § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG grundsätzlich erforderlich war. Die Interessen des Betroffenen waren im Betreuungsverfahren auch nicht von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 276 Abs. 4 FamFG vertreten.
7Von der Bestellung eines Verfahrenspflegers hätte deswegen nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG nur unter den bereits genannten Voraussetzungen abgesehen werden können (Senatsbeschluss vom - XII ZB 635/17 - FamRZ 2018, 1692 Rn. 8). Weil das Landgericht entgegen § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG nicht begründet hat, warum es keinen Verfahrenspfleger bestellt hat, kann der Senat weder prüfen, ob es von seinem Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht hat, noch ob die Entscheidung ermessensfehlerfrei ergangen ist. Dass die vor dem Landgericht anwaltlich nicht vertretene Betroffene ihre Interessen selbst hätte wahrnehmen können, erscheint schon angesichts des für beinahe alle Angelegenheiten angenommenen Betreuungsbedarfs fernliegend. Dass ein Betreuungsbedarf für das erkennende Gericht offensichtlich ist, steht als solches der Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers nicht entgegen.
82. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Gemäß § 74 Abs. 5 und Abs. 6 Satz 2 FamFG ist er aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Dieses wird, unter Beteiligung eines Verfahrenspflegers, eine Anhörung im Beschwerdeverfahren nachzuholen haben (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 57/19 - FamRZ 2019, 1356 Rn. 5 ff. mwN).
93. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:110919BXIIZB537.18.0
Fundstelle(n):
NJW 2019 S. 8 Nr. 45
NJW-RR 2019 S. 1409 Nr. 23
UAAAH-33127