Die Beteiligten streiten um die Anrechnung einer Einkommensteuererstattung für das Jahr 2012 auf die der Klägerin zustehenden Leistungen im Leistungszeitraum Oktober 2013 bis März 2014 nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die geschiedene alleinerziehende Klägerin ist Mutter von vier Kindern (S H [geb. am 1982], C H [geb. am 1990] und J -M H [geb. am 1999] und K H [geb. 2001]). Sie lebte mit ihren Kindern im streitgegenständlichen Zeitraum in einem Haushalt in dem Eigenheim T Weg in L zusammen. S H ist mit einem Grad der Behinderung von 100 schwerbehindert. Ihm sind die Merkzeichen B, G, aG, H und RF zuerkannt. Die Klägerin hatte von August 2012 bis März 2013 eine befristete 20h Teilzeitstelle als tarifangestellte Lehrerin nach Entgeltgruppe E9 Stufe 1 beim Land S -H. Die Klägerin beantragte am 11. September 2013 die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts über den Monat September 2013 hinaus und legte dabei ihren Einkommensteuerbescheid des Finanzamts L für das Jahr 2012 vor. Nach diesem hatte die Klägerin Einkommensteuer in Höhe von 1.457,00 EUR und Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,39 EUR zu viel entrichtet. Sie erhielt im September 2013 eine Steuererstattung in Höhe von 1.462,39 EUR ausgezahlt. Der Beklagte berücksichtigte im Rahmen seines Bewilligungsbescheides vom 16. September 2013 eine Einkommensteuererstattung in Höhe von 1.457,00 EUR als Einkommen der Klägerin und verteilte dieses Einkommen auf die sechs Monate des Bewilligungszeitraumes (durch Berücksichtigung von jeweils 242,84 EUR in den Monaten Oktober 2013 bis Februar 2014 und von 242,80 EUR im März 2014). Hiergegen erhob die Klägerin am 20. September 2013 und 25. September 2013 Widerspruch, mit dem sie ausführte, der Behindertenfreibetrag für ihren Sohn S H habe berücksichtigt werden müssen und die Erstattung nicht als reguläres Einkommen angerechnet werden dürfen, da sie Mehraufwendungen für S H habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Einkommensteuererstattung sei ungeachtet des steuerrechtlichen Freibetrags als einmalige Einnahme zu berücksichtigen und nach § 11 Abs. 3 SGB II in monatlichen Teilbeträgen als Einkommen anzurechnen, was rechtmäßigerweise erfolgt sei. Mit Änderungsbescheid vom 14. November 2013 änderte der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 16. September 2013 ab 1. Dezember 2013 bis 31. März 2014 ab und berücksichtigte ab dem 1. Dezember 2013 erfolgende Wohngeldzahlungen. Gegen die Anrechnung der Steuererstattung in den Bescheiden hat die Klägerin am 6. November 2013 Klage zum Sozialgericht Lübeck erhoben, mit der sie ihr Anliegen aus dem Verwaltungsverfahren weiterverfolgt hat. Sie hat ergänzend vorgetragen, die steuerrechtliche Rückerstattung, die voll berücksichtigt worden sei, resultiere aus dem erhöhten Steuerfreibetrag für die Pflege des behinderten Sohnes. Der Steuerfreibetrag wirke zumindest saldierend auf die Einnahmen der Pflegeperson. Die Einnahme werde gerade für die Pflege des schwerstbehinderten Sohnes gewährt und sei nicht zu berücksichtigen. Diese Wertung sei auch unter dem Gesichtspunkt des § 11b SGB II möglich; es liege eine Zweckbestimmung im Sinne von § 1 Nr. 4 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (ALG II-V) vor. Die Steuerfreibeträge seien der spiegelbildliche Ausgleich für den Mehrbedarf, der auch im SGB II zu berücksichtigen sei. Hilfsweise werde die Klage darauf gestützt, dass ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II bestehe. Die Klägerin hat beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 16. September 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den auf die Steuererstattung entfallenden Anteil des Schwerbehindertenpauschbetrags nicht als Einkommen anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Der Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Auffassung, § 11a SGB II regele abschließend, welche Einnahmen nicht als Einkommen nach dem SGB II zu berücksichtigen seien. § 11b SGB II räume keine Möglichkeit ein, den Pauschbetrag nach § 33b Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einkommensmindernd zu berücksichtigen. Eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung der Vorschriften scheide aus. § 1 Abs. 1 Nr. 4 ALG II-V sei nicht anwendbar, denn es handele sich nicht um einen auf die Einnahmen einer Pflegeperson zu gewährenden Freibetrag. Mit Urteil vom 7. Oktober 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 6. April 2016 zum Landessozialgericht Schleswig-Holstein erhobene Berufung der Klägerin. Zur Begründung trägt sie vor, über 5 Monate nach Verkündung der Entscheidung liege kein Urteil vor, die Entscheidungsgründe seien nicht bekannt gegeben. Das Urteil gelte als nicht vorhanden und sei aufzuheben. Das sozialgerichtliche Urteil, mit dem sich das Sozialgericht nach § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Wesentlichen der im Widerspruchsbescheid vertretenen Auffassung des Beklagten angeschlossen hat, ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 25. April 2016 zugestellt worden. Das Sozialgericht hat weiter ausgeführt, eine gesetzliche Grundlage für die Nichtanrechnung der Steuererstattung aufgrund der Schwerbehinderung des Sohnes der Klägerin gebe es nicht. Die Klägerin begründet die Berufung ergänzend und unter weitgehender Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie führt aus, es handele sich bei dem einkommensteuerrechtlichen Pflege-Pauschbetrag um eine zweckbestimmte Einnahme, die deshalb grundsicherungsrechtlich nicht als Einkommen berücksichtigt werden dürfe. Eine Berücksichtigung des Freibetrages als Einkommen widerspreche dem Benachteiligungsverbot nach Art. 3 Grundgesetz (GG). Wenigstens im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes müsse der Pauschbetrag nach § 11a Abs. 3 SGB II oder aber nach § 1 Abs. 1 ALG II-V berücksichtigungsfrei bleiben. Letztgenannte Vorschrift belege im Übrigen, dass der Katalog der nicht zu berücksichtigenden Einkommensarten in § 11a SGB II nicht abschließend sei. Schließlich sei zu beachten, dass der Pflege-Pauschbetrag im Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) einkommensmindernd berücksichtigt werde. Der Pflege-Pauschbetrag solle nach dem Willen des Gesetzgebers beim Berechtigen verbleiben. Es dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass Einkommen aus Pflege ebenfalls nicht als Einkommen im Sinne des SGB II zu berücksichtigen sei. Es bestehe anderenfalls eine Ungleichbehandlung zwischen Personen mit Vermögen und den dortigen Anrechnungsvorschriften und den Einkommensanrechnungsvorschriften. Die Nichtberücksichtigung des Einkommens sei zumindest in Extension der Verordnung oder im Wege der Analogie geboten. Die Ungleichbehandlung bestehe auch darin, dass einem BAföG-Empfänger ein Anspruch zustehen solle, pflegenden Angehörigen nach dem SGB II jedoch offenbar nicht. Zwar möge die Steuererstattung selbst nicht als zweckgerichtete Leistung der Finanzbehörde dienen, Aufwendungen zu kompensieren, dies gelte aber nicht für den Freibetrag.
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LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 13.05.2019 - L 3 AS 85/16
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