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LSG Hamburg Urteil v. - L 3 VE 1/18

Der 1992 geborene Kläger begehrt Entschädigungsleistungen. Ihm wurde am 7. Juni 2013 von I. mit einem Messer in den Bauch gestochen. Er erlitt eine etwa 2 cm breite und 10 cm lange Stichverletzung. Die Bauchdecke und eine kleinere Arterie wurden durchtrennt, der linke gerade Bauchmuskel wurde zur Hälfte durchtrennt. Der Kläger blieb vom Kreislauf her stabil, verlor aber insgesamt etwa 1,8 l Blut. Die fortschreitende Blutung wurde durch eine Notoperation gestoppt, der stationäre Aufenthalt währte insgesamt eine Woche. Das Landgericht Hamburg verurteilte den I. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren (Urteil v. 3. Dez. 2013, 601 Ks 8/13) und legte folgenden Sachverhalt zugrunde: Der seinerzeit 20 Jahre alte Kläger verbrachte den Abend des 6. Juni 2013 mit zwei Begleitern, dem M. und dem B ... Sie konsumierten im Verlauf des Abends zusammen eine Flasche Wodka (0,7 l) in Form von Mischgetränken. Um kurz nach 1.25 Uhr suchten sie die gelegeneTankstelle an der auf, um weitere nichtalkoholische Getränke zum Mischen zu erwerben. Am dortigen Nachtschalter trafen sie auf den 1976 geborenen, ihnen unbekannten I. und dessen zwei Begleiter, die alle erheblich angetrunken waren. Wegen einer Nichtigkeit kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Kläger den I. nach wechselseitigen Beleidigungen schließlich als "Hurensohn" bezeichnete. Daraufhin eilte der I. der sich schon entfernenden Gruppe um den Kläger nach, um diesen zur Rede zu stellen. Dabei zeigte er ein von ihm mitgeführtes Messer mit einer Klingenlänge von 8,5 cm vor, um sich Respekt zu verschaffen. Der Kläger gab sich hiervon unbeeindruckt und forderte den körperlich unterlegenen I. zum Faustkampf heraus. Der Kläger tänzelte dabei provozierend in der Kampfhaltung eines Boxers um den I. herum, forderte ihn zum Kampf heraus und höhnte lautstark, dieser könne "wohl nur mit Messer", er solle die Waffe wegtun und "wie ein Mann" "eins gegen eins" kämpfen. Daraufhin übergab der I. das Messer an einen seiner Begleiter, um sich einem Faustkampf mit dem Kläger zu stellen. Die beiden Begleiter des Klägers und ein hinzugetretener Begleiter des I. versuchten zunächst erfolglos, die Kontrahenten zu trennen. Es kam im Einmündungsbereich der in die jedenfalls zwischen dem Kläger und dem I. zu wechselseitigen Schubsereien, Beschimpfungen und Drohungen, möglicherweise auch zu leichteren Tritten oder Schlägen. Der I., der befürchtete, dass sich auch die beiden Begleiter des Klägers gewaltsam gegen ihn wenden könnten, holte sich das Messer von seinem Begleiter wieder. Jetzt gelang es den Begleitern des Klägers, diesen aus der Situation zu lösen. Die Gruppe um den Kläger überquerte die und ging ruhigen Schrittes die Richtung Reeperbahn hinunter. Es kam zu einem letzten Wortwechsel mit dem I. über die hinweg, bei dem der Kläger wiederum sinngemäß in provozierendem Tonfall äußerte, er habe keine Angst vor dem I., auch wenn dieser ein Messer habe. Der I., der seinen Versuch, den Kläger in die Schranken zu weisen, als gescheitert empfand, wollte diese Schmach nicht hinnehmen und setzte der Gruppe schnellen Schrittes nach, wobei er das Messer in der Hand hielt. Er erreichte als erstes den M. und stieß diesem mit dem geöffneten Messer in der Hand von hinten kommend mit beiden Händen gegen den Oberkörper, so dass der M. vornüber auf den Gehweg fiel. Der vor dem M. gehende Kläger wandte sich daraufhin um und wollte seinem Begleiter zur Hilfe kommen. Der I. griff ihn sofort mit Schlägen und Tritten an, der Kläger wich zunächst einige Meter zurück, wandte sich dann jedoch ebenfalls mit wuchtigen Schlägen und Tritten gegen den I ... Sodann griff der I. den zurückweichenden Kläger erneut mit Schlägen und Tritten an, der erneut seinerseits mit Tritten und Schlägen zum Gegenangriff überging und dabei vom M., der inzwischen aufgestanden war, mit mehreren Schlägen gegen den I. unterstützt wurde. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung, gegen 1.30 Uhr, versetzte der I. dem Kläger den Stich in den Unterbauch, unmittelbar danach wurde er von einem wuchtigen Schlag des Klägers getroffen und ging zu Boden. Im Zuge des Sturzes ließ er das Messer fallen, das vom M. weggeschoben wurde. Der I. griff sodann den M. von hinten an und rang ihn zu Boden, bevor dieser sich aus der Umklammerung befreien konnte. Der Kläger hatte inzwischen seine Stichverletzung bemerkt, zeigte seine Wunde und forderte den I. sinngemäß auf sich anzusehen, was er da angerichtet habe. Der I. entgegnete sinngemäß, das sei nur ein Kratzer und der Kläger habe ihn schließlich auch geschlagen und getreten. Weitere Angriffe erfolgten bis zum Eintreffen der Polizei nicht. Das Landgericht stellte weiterhin fest, dass der Kläger über einen Zeitraum von etwa einem Monat unter schmerzhaften Beeinträchtigungen gelitten habe, die Verletzung aber inzwischen vollständig und folgenlos ausgeheilt sei. Es sah das Verhalten des I. nicht als durch Notwehr gerechtfertigt an. Als der Kläger und seine Begleiter sich nach der Rangelei im Einmündungsbereich der bewegt hätten, sei diese erste körperliche Auseinandersetzung beendet gewesen und der I. habe sich nicht mehr in der Gefahr befunden, von dem körperlich überlegenen Kläger und dessen Begleitern angegriffen zu werden. Vielmehr habe der I. zunächst den M. und dann auch den Kläger tätlich angegriffen, so dass diese sich in einer Notwehrlage befunden hätten. Ihre Schläge und Tritte gegen den I. seien als Notwehr- bzw. Nothilfehandlungen gerechtfertigt gewesen. Strafmildernd berücksichtigte das Landgericht unter anderem, dass die Verletzung des Klägers letztlich ohne Spätfolgen abgeheilt und der I. durch die grob beleidigende Äußerung des Klägers provoziert worden sei; er habe sich aufgrund dieser Provokation spontan zur weiteren Eskalation des gesamten Tatgeschehens und letztlich auch zur konkreten Tatausführung selbst entschlossen. Strafschärfend berücksichtigte das Landgericht unter anderem, dass der I. zwar beleidigt und provoziert worden sei, der Anlass des Streits und die Tathandlung jedoch in einem deutlichen Missverhältnis stehen würden. Durch sein wiederholtes Nachsetzen und die Verwendung des Messers habe der I. die letztlich entscheidenden Beiträge zur Eskalation des Geschehens geleistet. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision des I. als unbegründet (Beschl. v. 17. Juni 2014 - 5 StR 240/14). Bereits am 7. Juni 2013 hatte der Kläger in Form eines Kurzantrags über die Polizei Entschädigungsleistungen bei der Beklagten beantragt. In der Folgezeit legte er ein Schreiben seines Prozessbevollmächtigten an seine Krankenkasse vom 19. Juni 2013 vor, in dem der Tathergang beschrieben wird. Weiterhin bestehende Verletzungsfolgen benannte der Kläger nicht. Die Beklagte zog im Rahmen ihrer Ermittlungen u.a. die staatsanwaltschaftliche Akte bei. Mit Bescheid vom 19. August 2014 lehnte sie den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, dieser habe die Schädigung mitverursacht. Er habe, wie das Landgericht festgestellt habe, sich nach dem Ende der ersten Auseinandersetzung nicht endgültig vom I. entfernt, obwohl ihm dies möglich gewesen sei, sondern habe den bereits gereizten Täter über die Straße hinweg erneut provoziert. Der Kläger habe auch damit rechnen müssen, dass der I. das Messer wieder einsetzen werde. Mit seinem Widerspruch brachte der Kläger vor, er habe zwar dem Täter nach Beendigung der ersten Auseinandersetzung etwas über die hinweg zugerufen. Diese Äußerung sei aber nicht mehr ursächlich für den darauf folgenden Angriff ihm gegenüber gewesen. Vielmehr habe er dann seinem Begleiter Nothilfe geleistet. Dass er dabei mit dem Messer angegriffen werde, habe er nicht vorhersehen können. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nunmehr stützte sie die Leistungsversagung auf den Aspekt der Unbilligkeit. Mit seiner am 1. Februar 2016 vor dem Sozialgericht Hamburg erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Nach seiner Auffassung ist ebenso wenig der Versagungstatbestand der Unbilligkeit erfüllt. Er hat ein ärztliches Attest seines Hausarztes vom 12. März 2014 vorgelegt, wonach er seit dem Angriff unter Depressionen, Angst, Panik sowie Narben und Schmerzen leide. Die Beklagte hat an ihren Bescheiden festgehalten. Das Sozialgericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen sowie Befundberichte von der Diplom-Psychologin Sch. und von Herrn S. eingeholt. Die mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht hat am 24. Januar 2018 in Anwesenheit des Klägers stattgefunden. Mit Urteil vom selben Tag hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Es ist der Begründung des Widerspruchsbescheid gefolgt und hat lediglich hervorgehoben, der Geschehensablauf sei nicht dadurch unterbrochen worden, dass die Begleiter des Klägers diesen aus der Situation gelöst hätten und es über die hinweg zu einem letzten Wortwechsel mit dem Täter gekommen sei. Der Kläger sei durchaus in der Lage gewesen sei, den vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff des Täters zu vermeiden, indem er zum Beispiel nach dem ersten Vorzeigen des Messers eingelenkt und sich der Situation entzogen hätte. Das erstinstanzliche Urteil ist dem Kläger am 1. Februar 2018 zugestellt worden. Am 1. März 2018 hatte dagegen Berufung eingelegt. Er hat vorgebracht, eine Leistungsversagung sei nicht unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung gerechtfertigt. Es sei unbestritten, dass er den Täter anfänglich beleidigt habe und es später zu wechselseitigen Provokationen einschließlich des letzten Wortwechsels zwischen ihm und dem Täter gekommen sei. Sein Verhalten möge dabei den Tatbestand der Beleidigung erfüllen. Er habe aber nicht annähernd gleich schwer gegen die Rechtsordnung verstoßen wie der Täter. Ebenso wenig habe er sich leichtfertig selbst gefährdet, insbesondere habe er sich nicht leichtfertig der Gefahr einer gefährlichen Körperverletzung ausgesetzt. Vielmehr hätten er und seine Begleiter sich zügig vom Täter entfernt, dieser sei ihnen jedoch gefolgt und habe den M. angegriffen. Er, der Kläger habe seinem Begleiter Hilfe leisten wollen, woraufhin der Täter ihn mit Schlägen und weitausholenden Tritten angegriffen habe. Dieser Angriffe habe der Kläger sich erwehren dürfen, was auch das Landgericht festgestellt habe. Auslöser für den Messerstich sei mithin der Angriff des Täters gegen den M. und die durch Notwehr bzw. Nothilfe gerechtfertigte Gegenwehr des Klägers gewesen. Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. Januar 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 19. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Januar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

Fundstelle(n):
WAAAH-31580

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LSG Hamburg, Urteil v. 27.08.2019 - L 3 VE 1/18

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