BGH Beschluss v. - III ZB 104/18

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Beantragung von Prozesskostenhilfe innerhalb der Rechtsmittelfrist

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 114 ZPO, § 115 ZPO, § 116 ZPO, § 117 Abs 2 S 1 ZPO, § 127 Abs 1 S 3 ZPO, § 233 S 1 ZPO, § 234 Abs 3 ZPO, § 511 ZPO, § 517 ZPO

Instanzenzug: LG Nürnberg-Fürth Az: 16 S 1873/17vorgehend AG Neustadt (Aisch) Az: 2 C 286/16

Gründe

I.

1Der Kläger wendet sich gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungseinlegung und gegen die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig.

2Der Kläger hat den Beklagten auf zuletzt noch 1.465,79 € Honorar für unternehmensberatende Tätigkeiten in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat die vom Kläger persönlich erhobene Klage abgewiesen. Das Urteil ist ihm am zugestellt worden. Am hat er beim Landgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Berufungsverfahren beantragt. In der Folgezeit wurde das Verfahren vom Landgericht zunächst nicht gefördert. Unter dem wies das Landgericht den Kläger darauf hin, dass sein Antrag unvollständig sei und sich daraus nicht ergebe, wovon er derzeit seinen Lebensunterhalt bestreite. Das Landgericht erteilte dem Kläger insoweit Auflagen. Hierauf entgegnete dieser mit Schreiben vom . Das Landgericht wies ihn unter dem darauf hin, dass der Antrag weiterhin unvollständig und immer noch nicht nachvollziehbar sei, wovon er seinen Lebensunterhalt bestreite. Das Landgericht erteilte dem Kläger erneut Auflagen unter Setzung einer "letztmaligen" Frist von zwei Wochen. Hierauf reagierte er nach Fristablauf mit Schreiben vom . Mit Beschluss vom , ihm am zugestellt, lehnte das Landgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, da der Kläger seine Bedürftigkeit nicht ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht habe. Mit Fax vom hat der nunmehr anwaltlich vertretene Kläger Berufung eingelegt und im Hinblick auf die versäumte Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Durch Beschluss vom hat das Landgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung als unbegründet zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Kläger habe die Rechtsmittelfrist nicht unverschuldet versäumt. Er habe nicht auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vertrauen können, da er zweimal auf die Unvollständigkeit und fehlende Nachvollziehbarkeit seines Antrags nebst Anlagen hingewiesen worden sei. Das, was er jeweils auf die Auflagen hin vorgetragen beziehungsweise vorgelegt habe, sei weiterhin unvollständig und nicht plausibel gewesen, die behauptete Bedürftigkeit nicht schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht. Dass nach der nicht belegten Behauptung des Klägers ihm andere Gerichte bei gleicher Sachlage Prozesskostenhilfe bewilligt hätten, habe angesichts der Hinweise vom 30. Mai und keinen Vertrauensschutz in eine Bewilligung durch die Kammer begründen können. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

3Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Entgegen der Auffassung des Klägers erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger nicht in seinen Verfahrensgrundrechten.

41. Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227; vom - XII ZB 174/10, FamRZ 2013, 1720 Rn. 7 und vom - VI ZB 36/16, NJW-RR 2017, 895 Rn. 4 jew. mwN). Gegen diese Grundsätze verstößt die angefochtene Entscheidung nicht.

5a) Die Wiedereinsetzung scheitert allerdings nicht schon an der Überschreitung der Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO. Zwar lag zwischen dem Verstreichen der Berufungsfrist am (Montag) und dem am gestellten Wiedereinsetzungsantrag ein Zeitraum von mehr als einem Jahr. § 234 Abs. 3 ZPO ist jedoch nicht anwendbar, wenn eine Partei innerhalb der Berufungsfrist rechtzeitig Prozesskostenhilfe beantragt und das Gericht versäumt, innerhalb der Jahresfrist über den Antrag zu entscheiden (, NJW 1973, 1373; siehe auch BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 179/07, NJW-RR 2008, 878 Rn. 15 und vom - IX ZA 24/15, NJW-RR 2016, 638 Rn. 8).

6b) Eine Partei, die innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt, ist grundsätzlich bis zur Entscheidung über diesen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen, wenn sie nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung des Antrags wegen mangelnder Bedürftigkeit rechnen musste (st. Rspr., zB Senat, Beschluss vom - III ZB 4/14, juris Rn. 3; BGH, Beschlüsse vom - VI ZA 15/14, NJW 2015, 1312 Rn. 2 f und vom - VIII ZB 15/16, NJW-RR 2017, 691 Rn. 13 jew. mwN). Eine Partei kann insoweit auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vertrauen, wenn sie bei objektiver Betrachtung sich für bedürftig halten und davon ausgehen darf, die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ordnungsgemäß dargelegt zu haben. Hierfür ist erforderlich, dass dem Antrag innerhalb der Rechtsmittelfrist eine vollständig und wahrheitsgemäß ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Vordruck nach § 117 Abs. 4 ZPO) nebst den insoweit notwendigen Unterlagen (Belegen) beigefügt wird (vgl. Senat bzw. BGH jew. aaO; siehe auch , FamRZ 2006, 1522, 1523). Personen, die weder über regelmäßiges Einkommen verfügen noch Sozialleistungen beziehen, müssen plausibel darlegen und glaubhaft machen, auf welche Weise sie ihren Lebensunterhalt finanzieren (vgl. auch , NJW-RR 2018, 190 Rn. 7). Ausnahmsweise darf eine Partei, auch wenn ihre Angaben im Vordruck einzelne Lücken enthalten, darauf vertrauen, ihre Bedürftigkeit hinlänglich dargelegt zu haben, wenn sich diese Lücken z.B. zwanglos auf andere Weise, etwa anhand der beigefügten Unterlagen, schließen lassen und etwaige Zweifel dadurch ausgeräumt werden (Senat, Beschluss vom - III ZB 135/17, NJW-RR 2018, 763 Rn. 12; aaO mwN). Braucht eine Partei nach diesen Grundsätzen nicht mit der Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe zu rechnen, entfällt das einen Verschuldensvorwurf im Sinne von § 233 Satz 1 ZPO ausschließende Vertrauen im allgemeinen erst mit der Zustellung des Beschlusses, durch den das Gericht Prozesskostenhilfe ablehnt; die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO beginnt dann regelmäßig nach einem Zeitraum von drei bis vier Tagen, innerhalb dessen die Partei überlegen kann, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten einlegen will (zB BGH, Beschlüsse vom - II ZB 21/11, NJW 2013, 2822 Rn. 16 und vom - IX ZB 84/15, WM 2016, 2150 Rn. 9). Erteilt das Gericht der Partei unter Fristsetzung Auflagen, kann die Partei allerdings nur dann weiter auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vertrauen, wenn sie die Auflagen erfüllt. Anderenfalls endet der Vertrauensschutz mit dem Ablauf der gesetzten Frist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 151/07, NJW-RR 2008, 942 Rn. 12 und vom , aaO Rn. 10).

7c) Gemessen an diesen rechtlichen Maßstäben war der Kläger nicht ohne sein Verschulden an der Einlegung der Berufung gehindert.

8aa) Der Kläger konnte vernünftigerweise bereits nicht darauf vertrauen, dass er aufgrund seiner Angaben in der "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" Prozesskostenhilfe erhalten würde. ... Damit war völlig unklar, wovon der Kläger seinen Lebensunterhalt bestreitet. Objektive Belege für seine Angaben, wie sie der Formulartext in Übereinstimmung mit § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorsieht, waren dem Antrag nicht beigefügt. Die beiden in Ablichtung vorgelegten Steuerbescheide bezogen sich auf die Jahre 2012 und 2013 und waren bereits deshalb untauglich, eine Bedürftigkeit 2017 zu belegen. Die dem Antrag weiter beigefügten selbst gefertigten Aufstellungen bezogen sich zum einen in wesentlichen Teilen ebenfalls auf lange zurückliegende Zeiträume, zum anderen waren die dortigen Zahlen ebenfalls nicht belegt. Letzteres gilt auch für die sog. Anlage "Geldflußberechnung/Geldverwendung", abgesehen davon, dass die dortigen Angaben zu 2017 weder identisch sind mit den o.a. Angaben in der PKH-Erklärung noch mit der weiteren Anlage "Kurzfristige Erfolgsrechnung". Es bestand deshalb von Anfang an kein Vertrauensschutz, sodass es auf die Frage, ob der Kläger die ihm in 2018 erteilten Auflagen erfüllt hat, nicht ankommt.

9bb) Selbst wenn man aber auf die Auflagen abstellen wollte, konnte der Kläger vernünftigerweise nicht davon ausgehen, Prozesskostenhilfe zu erhalten. Das Landgericht hat den Kläger unter dem zutreffend darauf hingewiesen, dass sein Antrag unvollständig sei und sich aus ihm nicht ergebe, wovon er derzeit seinen Lebensunterhalt bestreite. Das Landgericht hat um Vorlage aktueller Belege und um Nachweise der in den persönlichen Aufstellungen angegebenen Einnahmen und Ausgaben gebeten. Dem ist der Kläger nicht ausreichend nachgekommen. Er hat lediglich einen Steuerbescheid für 2016 vorgelegt, der Einkünfte für 2016 von ... ausweist, und von ihm selbst gefertigte Aufstellungen für 2017 und 2018, allerdings erneut ohne die geforderten Nachweise. Das Landgericht hat insoweit unter dem zu Recht den Vortrag als immer noch nicht ausreichend angesehen und dem Kläger letztmalig Auflagen erteilt. Der (etwaige) Vertrauensschutz endete dabei mit fruchtlosem Fristablauf am . Selbst wenn man abweichend hiervon auch noch auf den Inhalt des Schreibens des Klägers vom abstellen wollte, konnte dessen Inhalt ein weiteres Vertrauen des Klägers auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe schon deshalb nicht begründen, weil es auch insoweit weiterhin am Nachweis der Einkommensverhältnisse fehlte. Die Richtigkeit der vom Kläger in den Raum gestellten Zahlen konnte deshalb vom Gericht nicht ansatzweise überprüft werden, was gerade vor dem Hintergrund der unter aa) angeführten Ungereimtheiten notwendig gewesen wäre. Soweit der Kläger moniert, das Landgericht habe nicht gesagt, welche konkreten Unterlagen es benötige, geht dieser Einwand fehl. Der Kläger konnte nicht darauf vertrauen, vom Landgericht insoweit noch weitere Hinweise zu erhalten. Das Landgericht hatte in seinen Verfügungen vom 30. Mai und hinlänglich deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Eigenaufstellungen des Klägers nicht ausreichten, solange er diese nicht durch Nachweise belegte. Welche aussagekräftigen (objektiven) Belege der Kläger dazu vorlegte, war ihm überlassen. Klar war jedenfalls, dass lediglich Eigenbestätigungen nicht genügten.

10cc) Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger in der Anlage zum Wiedereinsetzungsantrag vom angegeben hat, er habe "in insgesamt 34 Angelegenheiten mit identischen Unterlagen Prozesskostenhilfe erhalten". Soweit mit der Rechtsbeschwerde geltend gemacht wird, das Landgericht habe auch ohne Nachweis diesen Vortrag als wahr unterstellen müssen, weil der Kläger seine Darstellung eidesstattlich versichert habe, ist hierzu zunächst anzumerken, dass die Darstellung bereits deshalb nicht zutreffen kann, weil sich die Auflistung des Klägers auf Verfahren seit 2009 bezieht und schon deshalb - bezogen auf das hiesige Verfahren und eine Bedürftigkeit in 2017/2018 - von "identischen" Unterlagen in 34 anderen Verfahren keine Rede sein kann. Dass dem Kläger mit den gleichen Angaben wie im hiesigen Antrag vom und in den Schriftsätzen vom 6. Juni und anderweitig Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, ist jedenfalls nicht ersichtlich. Im Übrigen war die Unzulänglichkeit des PKH-Antrags vom offenkundig und ist der Kläger darüber hinaus vom Landgericht zweimal darauf hingewiesen worden, dass der Kammer der Vortrag (nebst Anlagen) nicht reiche. Vertrauensschutz konnte der Kläger deshalb vernünftigerweise nicht für sich in Anspruch nehmen. Insoweit ist die Situation hier auch eine andere als in dem mit der Rechtsbeschwerde angesprochenen Fall, in dem eine Partei in erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt bekommen hat und sich ihre Verhältnisse anschließend nicht geändert haben, sodass sie grundsätzlich zunächst darauf vertrauen kann, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz nicht an fehlender Bedürftigkeit scheitert.

112. Da die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung nicht erfüllt sind, hat das Landgericht die Berufung zu Recht gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist als unzulässig verworfen. Die einmonatige Frist zur Einlegung der Berufung nach § 517 ZPO begann, nachdem das Urteil des Amtsgerichts dem Kläger am zugestellt worden war, gemäß § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB am und endete gemäß § 222 Abs. 1, 2 ZPO i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB am Montag, dem . Die Berufung des Klägers ist erst am und damit nach Ablauf dieser Frist beim Landgericht eingegangen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:250419BIIIZB104.18.0

Fundstelle(n):
XAAAH-31357