Aufenthaltsermittlung durch Gerichtsvollzieher keine selbständige Maßnahme der Zwangsvollstreckung
Leitsatz
Die Aufenthaltsermittlung gemäß Modul L der Anlage zur Gerichtsvollzieherformular-Verordnung stellt keine selbständige Maßnahme der Zwangsvollstreckung, sondern lediglich eine den Gerichtsvollzieher bei den ihm zugewiesenen Vollstreckungsmaßnahmen unterstützende Hilfsbefugnis dar (im Anschluss an , NJW-RR 2017, 960 Rn. 7 mwN). Nach ihrer Vornahme endet der dem Gerichtsvollzieher erteilte Vollstreckungsauftrag daher nicht schon durch die Rückgabe der Vollstreckungsunterlagen an den Gläubiger.
Gesetze: § 753 Abs 1 ZPO, § 753 Abs 3 S 1 ZPO, § 755 ZPO, § 1 GVFV
Instanzenzug: LG Wiesbaden Az: 4 T 280/18vorgehend AG Wiesbaden Az: 65 M 4528/18
Gründe
1I. Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner aus einem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg vom wegen eines Betrags von insgesamt 304,52 € die Zwangsvollstreckung. Unter dem erteilte sie dem Gerichtsvollzieher unter Verwendung des Formulars gemäß § 753 Abs. 3 ZPO, § 1 der Verordnung über das Formular für den Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher (Gerichtsvollzieherformular-Verordnung - GVFV) einen Vollstreckungsauftrag unter anderem zur Abnahme der Vermögensauskunft und für den Fall, dass der Schuldner unbekannten Aufenthalts war, zur Ermittlung seines gegenwärtigen Aufenthalts. Da der Schuldner unter der dem Gerichtsvollzieher von der Gläubigerin angegebenen Anschrift in Wiesbaden zwar weiterhin gemeldet, aber nicht mehr wohnhaft war, hob der Gerichtsvollzieher den auf den anberaumten Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft auf und reichte die Vollstreckungsunterlagen an die Gläubigerin zurück.
2Am teilte die Gläubigerin dem Gerichtsvollzieher die neue Anschrift des Schuldners in Wiesbaden mit und bat unter erneuter vollständiger Übersendung des Auftrags vom um Fortsetzung der Vollstreckung. Der Gerichtsvollzieher wies diesen nach seiner Auffassung neuen Vollstreckungsauftrag gemäß Verfügung vom mit der Begründung zurück, dass der Pflichtvordruck hätte verwendet werden müssen.
3Die Erinnerung der Gläubigerin, gemäß der das Amtsgericht den Gerichtsvollzieher anweisen sollte, den Antrag auf Fortsetzung der Vollstreckung vom nicht zurückzuweisen, ist ohne Erfolg geblieben. Die von der Gläubigerin dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Gläubigerin weiterhin die Anweisung an den Gerichtsvollzieher, den Antrag auf Fortsetzung der Vollstreckung nicht mit der Begründung zurückzuweisen, dass hierfür ein formpflichtiger Neuantrag zu stellen wäre.
4II. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde als gemäß § 793 ZPO statthaft und auch ansonsten zulässig, aber unbegründet angesehen. Dazu hat es ausgeführt:
5Der von der Gläubigerin am eingereichte formgerechte Vollstreckungsauftrag sei mit der Mitteilung des Gerichtsvollziehers an die Gläubigerin, dass die Anschrift des Schuldners nicht der im Formular angegebenen entspreche und der Gerichtsvollzieher den Aufenthaltsort des Schuldners nicht ermitteln könne, unter Rücksendung der Vollstreckungsunterlagen an die Gläubigerin beendet gewesen. Der Auftrag der Gläubigerin vom habe damit einen nicht nur gebührenrechtlich, sondern auch verfahrensrechtlich neuen Vollstreckungsauftrag dargestellt. Dieser Auftrag sei ebenfalls dem der Erleichterung der Bearbeitung durch den Gerichtsvollzieher dienenden Formularzwang gemäß § 753 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 1 GVFV unterlegen und habe, da die Gläubigerin kein neues Formular vorgelegt habe, vom Gerichtsvollzieher nicht ausgeführt werden müssen. Die Bezugnahme der Gläubigerin auf das erste Antragsformular habe nicht ausgereicht, da sich zusätzlich zu der neuen Anschrift des Schuldners weitere Änderungen ergeben könnten, die die Verpflichtung zum erneuten Verwenden des Antragsformulars als sinnvoll erscheinen ließen, und es der Gläubigerin auch zumutbar sei, ihren Antrag erneut unter Verwendung des Formulars zu stellen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum anwaltlichen Gebührenrecht, nach der die gesamten zu einer bestimmten Vollstreckungsmaßnahme gehörenden, miteinander in einem inneren Zusammenhang stehenden Einzelmaßnahmen von der Vorbereitung der Vollstreckung bis zur Befriedigung des Gläubigers oder bis zum sonstigen Abschluss der Vollstreckung dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit darstellten, lasse keinen Rückschluss auf die verfahrensrechtliche Regelung in der Gerichtsvollzieherformular-Verordnung zu.
6III. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde der Gläubigerin ist aufgrund ihrer Zulassung gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch ansonsten gemäß § 575 ZPO zulässig. In der Sache hat sie ebenfalls Erfolg. Der Gerichtsvollzieher hätte das an ihn von der Gläubigerin mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom herangetragene Begehren nicht als mangels Verwendung eines neuen Auftragsformulars gemäß § 753 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 1 GVFV abzulehnenden neuen Vollstreckungsauftrag, sondern als Antrag der Gläubigerin auf weitere Ausführung des Vollstreckungsauftrags behandeln müssen, den ihm die Gläubigerin am unter Verwendung eines solchen Formulars erteilt hatte.
71. Nach § 753 Abs. 1 ZPO wird die Zwangsvollstreckung, soweit sie nicht den Gerichten zugewiesen ist, durch Gerichtsvollzieher durchgeführt, die sie im Auftrag des Gläubigers zu bewirken haben. Gemäß § 753 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats verbindliche Formulare für den Auftrag einzuführen. Das Bundesministerium hat von dieser Verordnungsermächtigung mit dem Erlass der am in Kraft getretenen Gerichtsvollzieherformular-Verordnung Gebrauch gemacht. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GVFV ist für den Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher zur Vollstreckung von Geldforderungen das in der Anlage zu dieser Verordnung bestimmte Formular zu verwenden.
82. Das genannte Formular enthält im Modul L (L 1 bis L 9) Bestimmungen über die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Schuldners gemäß § 755 ZPO. Die Gläubigerin hat den Gerichtsvollzieher im Streitfall durch das Ankreuzen der Module L 3 und L 9 beauftragt, für den Fall des unbekannten Aufenthalts des Schuldners dessen gegenwärtige Anschriften und Angaben zur Haupt- und Nebenwohnung durch Nachfrage bei der Meldebehörde zu ermitteln. Die vom Gerichtsvollzieher demgemäß vorgenommene Aufenthaltsermittlung stellte keine selbständige Maßnahme der Zwangsvollstreckung, sondern lediglich eine den Gerichtsvollzieher bei den ihm zugewiesenen Vollstreckungsmaßnahmen unterstützende Hilfsbefugnis dar (, NJW-RR 2017, 960 Rn. 7 mwN). Diese Hilfsbefugnis, für deren Erfüllung der Gerichtsvollzieher eine Gebühr nach Nr. 440 des Kostenverzeichnisses der Anlage des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher (Gerichtsvollzieherkostengesetz - GvKostG) und die Auslagenpauschale geltend machen kann (AG Syke, JurBüro 2018, 661 [juris Rn. 5]), soll den Gläubiger von seiner nach der früheren Rechtslage bestehenden Obliegenheit entlasten, den jeweiligen Aufenthaltsort des Schuldners zu ermitteln; außerdem dient sie der Zeitersparnis und damit der Effektivität der Zwangsvollstreckung (vgl. LG Frankenthal, DGVZ 2013, 186, 187 [juris Rn. 7] = RPfleger 2013, 631).
93. Wenn die in § 755 ZPO nunmehr enthaltene Regelung danach dem Interesse der Gläubiger dienen soll, kann nicht angenommen werden, dass der dem Gerichtsvollzieher erteilte Vollstreckungsauftrag bereits dadurch geendet hat und das betreffende Verfahren deshalb nachfolgend schon dann nicht mehr weiterbetrieben werden konnte, wenn die entsprechende Hilfsmaßnahme jedenfalls vorübergehend nicht zum erwünschten Erfolg geführt hat. Die von den Vorinstanzen vertretene gegenteilige Auffassung führte außerdem dazu, dass der Gläubigerin die für sie nach der früheren Rechtslage eröffnete Möglichkeit genommen wäre, die vom Gerichtsvollzieher jedenfalls zunächst nicht ermittelte aktuelle Anschrift des Schuldners selbst in dem betreffenden Vollstreckungsverfahren in Erfahrung zu bringen.
104. Die von den Vorinstanzen vertretene Ansicht steht zudem in Widerspruch zu der Auffassung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs in dem vorstehend unter III 2 angeführten Beschluss vom - VII ZB 5/14, wonach Maßnahmen nach § 755 ZPO verhindern sollen, dass der Gerichtsvollzieher abwarten muss, bis der Gläubiger den Aufenthaltsort des Schuldners ermittelt und mitgeteilt hat (BGH, NJW-RR 2017, 960 Rn. 9). Bei dieser Beurteilung wird vorausgesetzt, dass der nicht bekannte Aufenthaltsort des Schuldners nicht zur Beendigung des Vollstreckungsauftrags, sondern nur zu dessen Ruhen führt.
115. Die vom Beschwerdegericht weiterhin angestellte Erwägung, es könnten sich zusätzlich zu der neuen Anschrift des Schuldners weitere Änderungen ergeben, die die Verpflichtung zur erneuten Verwendung des Antragsformulars als sinnvoll erscheinen ließen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dabei kann dahinstehen, ob in einem solchen Fall zwingend ein neues Formular zu verwenden wäre. Zumindest rechtfertigt die bloße Möglichkeit solcher Änderungen es nicht, von einem Zwang zur erneuten Verwendung des Formulars auch dann auszugehen, wenn sich tatsächlich nur die Schuldneranschrift geändert hat.
126. Gegen die Annahme, der Vollstreckungsauftrag habe im Streitfall durch die Rückgabe der Vollstreckungsunterlagen an die Gläubigerin nach der erfolglosen Anfrage des Gerichtsvollziehers bei der Meldebehörde geendet, spricht schließlich der Umstand, dass ein Vollstreckungsauftrag durch entsprechende Weisungen des Gläubigers zum Ruhen kommen kann. In einem solchen Fall wird das Verfahren - je nach zeitlichem Ablauf auch nach Rückgabe der Vollstreckungsunterlagen - auf Antrag des Gläubigers fortgesetzt, ohne dass für eine solche Fortsetzung ein neues Formular erforderlich ist (vgl. MünchKomm.ZPO/Heßler, 5. Aufl., § 753 Rn. 44 f.; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl., § 753 Rn. 14; BeckOK.ZPO/Ulrici, 32. Edition [Stand ], § 753 Rn. 14 und 14.1).
13IV. Da die Rechtsbeschwerde danach begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und hat, weil die Sache zur Endentscheidung reif ist, der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 577 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 ZPO).
14Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:040719BIZB71.18.0
Fundstelle(n):
NJW 2019 S. 9 Nr. 41
NJW-RR 2019 S. 1531 Nr. 24
WM 2019 S. 1846 Nr. 39
SAAAH-30433