BSG Beschluss v. - B 13 R 220/18 B

Instanzenzug: SG Altenburg Az: S 2 R 4603/12vorgehend Thüringer Landessozialgericht Az: L 12 R 1227/16 Urteil

Gründe

I

1Mit Urteil vom hat das Thüringer LSG einen Anspruch der Klägerin auf Neubescheidung ihres Antrags auf Kraftfahrzeug-Hilfe durch Erstattung der Kosten einer behindertengerechten Zusatzausstattung eines 2010 gelieferten Kraftfahrzeugs sowie der Änderung ihrer Fahrerlaubnis verneint. Die unterschenkelamputierte schwerbehinderte Klägerin bezog damals eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Ansprüche wegen Eingliederungshilfe nach dem SGB XII hat die Klägerin vor dem LSG ausdrücklich nicht geltend gemacht.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf eine Divergenz (Zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und Nr 2 SGG).

II

3Die Beschwerde der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

4Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- die angefochtene Entscheidung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

5Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG für unrichtig hält, kann dagegen nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

61. Die Beschwerdebegründung genügt nicht den Anforderungen aus § 160a Abs 2 S 3 SGG, soweit sich die Klägerin auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft.

7a) Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB - Juris RdNr 6 mwN).

8b) Die Klägerin misst der Frage grundsätzliche Bedeutung zu,

"wie großzügig oder wie engherzig insoweit die Normen auszulegen sind, wenn der gesetzliche Auftrag gegenüber dem schwerbehinderten Bürger wirklich erfüllt werden soll".

9Den Anforderungen an die Darlegung der Grundsatzrüge wird hierdurch bereits deshalb nicht genügt, weil die Klägerin schon keine abstrakt-generelle Rechtsfrage - zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht - formuliert hat (vgl allgemein - Juris RdNr 8 mwN). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX, RdNr 181).

10c) Selbst wenn man der Beschwerdebegründung im Weiteren entnehmen wollte, dass es der Klägerin konkret um die Frage geht, ob die persönlichen Voraussetzungen nach § 10 SGB VI auch dann erfüllt sind, wenn die beantragten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zwar zu einer Verbesserung im Alltag eines behinderten Menschen führen, aber nicht geeignet sind, die Erwerbsminderung und damit den Rentenanspruch zu beseitigen, erfüllt die Beschwerdebegründung nicht die dargestellten Anforderungen. Insoweit fehlt die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit dieser Frage. So verweist die Klägerin selbst auf das bereits vom LSG zitierte - BSGE 119, 136 = SozR 4-2600 § 10 Nr 3, RdNr 16), wonach eine "wesentliche" Besserung iS des § 10 Abs 1 Nr 2 Buchst b SGB VI verlangt, dass die Minderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben zumindest teilweise und nicht nur vorübergehend behoben wird und es bei bereits vorliegender "Erwerbsunfähigkeit" nicht reicht, wenn zwar die geminderte Erwerbsfähigkeit gebessert, nicht aber die "Erwerbsunfähigkeit" beseitigt wird. Diese abstrakte Aussage zur Auslegung des § 10 SGB VI durch das BSG stellt die Klägerin nicht in Frage, wenn sie sich darauf beruft, dass anders als in dem vom BSG entschiedenen Fall vorliegend nicht festgestanden habe, dass es keinerlei Besserung in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit geben könne und dass die Voraussetzungen des § 10 SGB VI schon erfüllt seien, wenn eine Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit erreichbar sei. Wäre dies zutreffend, so hätte das LSG - ausgehend von der zitierten Rechtsprechung des BSG - in der Sache falsch entschieden. Damit rügt die Klägerin aber allein die inhaltliche Richtigkeit des angegriffenen Urteils, was jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen kann (stRspr; vgl zB - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

11Wenn die Klägerin darüber hinaus darauf hinweist, dass das Urteil vom (B 13 R 12/14 R - aaO) zum Anspruch auf eine Leistung der medizinischen Rehabilitation ergangen sei, während sie einen Anspruch auf Teilhabeleistungen geltend mache, versäumt sie es, auf die in diesem BSG-Urteil zitierte weitere höchstrichterliche Rechtsprechung einzugehen. Dies aber wäre notwendig gewesen, um herauszuarbeiten, dass die sinngemäß formulierte Frage auch durch das - BSGE 108, 158 = SozR 4-3250 § 17 Nr 1) nicht beantwortet ist. Denn dort wird in Bezug auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, dass es bei vorliegender "Erwerbsunfähigkeit" nicht ausreiche, wenn (durch die beantragte Leistung) zwar die geminderte Erwerbsfähigkeit gebessert, nicht aber die "Erwerbsunfähigkeit" beseitigt wird (BSG, ebd, RdNr 47).

12Schließlich legt die Klägerin auch nicht anforderungsgerecht dar, dass die durch die vorstehend zitierte BSG-Rechtsprechung geklärte Rechtsfrage zur Auslegung des Begriffs der "wesentlichen Besserung" iS von § 10 Abs 1 Nr 2 Buchst b SGB VI erneut klärungsbedürftig geworden wäre. Zwar kann auch eine bereits höchstrichterlich entschiedene Rechtsfrage erneut klärungsbedürftig werden, hierfür ist jedoch darzulegen, dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsauffassung in der Rechtsprechung oder in der Literatur widersprochen worden ist, oder dass sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl - SozR 1500 § 160a Nr 13 - Juris RdNr 6; B 10 ÜG 7/18 B - Juris RdNr 8 mwN). Die Klägerin stellt hier jedoch lediglich ihre rechtliche Bewertung und die Forderung nach einer generellen Neupositionierung der Rechtsprechung zu dieser Frage in den Raum, ohne gewichtige andere Auffassungen in Literatur oder Rechtsprechung oder bisher nicht berücksichtigte, eine andere Bewertung ermöglichende Gesichtspunkte darzulegen. So geht sie insbesondere nicht darauf ein, dass sich bereits das - BSGE 119, 136 = SozR 4-2600 § 10 Nr 3, RdNr 21) mit der Bedeutung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) für das nationale Recht in Bezug auf Leistungen zur Teilhabe auseinandergesetzt hat.

132. Auch in Bezug auf die Divergenzrüge genügt die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen aus § 160a Abs 2 S 3 SGG.

14Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; - Juris RdNr 6).

15Es kann dahinstehen, ob mit der Aussage, nach dem "Urteil vom , Az. B 8 SO 24/11, hat die Ausübung eines Ehrenamtes gleichwohl auch einen besonderen Stellenwert, die hier angesprochene Teilhabe des schwerbehinderten Menschen" ein abstrakter Rechtssatz aus dem genannten BSG-Urteil noch hinreichend konkret umschrieben wird. Jedenfalls versäumt es die Klägerin einen abstrakten Rechtssatz des angegriffenen LSG-Urteils zu benennen, der im Gegensatz zu der dem BSG zugeschriebenen Aussage steht. Vielmehr machen die weiteren Ausführungen, wonach diese "Überlegungen" "nach klägerseitiger Ansicht" analog auch "zur Teilhabe am Arbeitsleben zu berücksichtigen gewesen" wären, deutlich, dass der gerügte Widerspruch allein in der vermeintlich ungenügenden Berücksichtigung der ehrenamtlichen Tätigkeit der Klägerin durch das LSG gesehen wird. Damit rügt die Klägerin aber erneut nur die - ihrer Auffassung nach - inhaltliche Unrichtigkeit des LSG-Urteils, die gerade nicht zur Zulassung der Revision führen kann.

163. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

17Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

18Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2019:170719BB13R22018B0

Fundstelle(n):
NAAAH-28768