BVerwG Beschluss v. - 6 B 2/18

Beanstandung einer Videobeobachtung in Bussen und Bahnen nach dem Bundesdatenschutzgesetz a.F.

Leitsatz

Sinn und Zweck des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung im Verwaltungsrechtsweg zu sichern, fordern eine Revisionszulassung nicht, wenn die Rechtsprechung, von der das Berufungsgericht abgewichen ist, nach der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung in einem Revisionsverfahren nicht mehr zur Anwendung kommt.

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 6b Abs 1 BDSG vom , § 38 Abs 5 S 1 BDSG vom , § 108 Abs 1 S 1 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO, § 132 Abs 2 VwGO, § 133 Abs 3 S 3 VwGO

Instanzenzug: OVG Lüneburg Az: 11 LC 59/16 Urteilvorgehend Az: 10 A 4379/15 Urteil

Gründe

I

1Die Klägerin erbringt im Gebiet und Umland der Stadt H. Dienstleistungen im öffentlichen Personennahverkehr. In zahlreichen ihrer Busse und Stadtbahnen setzt sie ein Videoüberwachungssystem ein. Das von ihr verwendete sog. Blackbox-Verfahren zeichnet durchgehend Bewegtbilder vom Fahrzeuginneren auf, wobei der Speicher nach 24 Stunden neu überschrieben wird. Besteht aus Sicht der Klägerin Anlass zur Auswertung der Aufzeichnungen, werden die Datenträger vor der automatischen Löschung von ihr entnommen und gesichert.

2Nach Durchführung eines Prüfungsverfahrens gab die Beklagte der Klägerin auf, die Videoüberwachung während des Einsatzes der Fahrzeuge im öffentlichen Personennahverkehr einzustellen und erst wieder aufzunehmen, nachdem sie entweder ein Konzept erarbeitet und umgesetzt hat, das den differenzierten Einsatz von Videokameras unter Berücksichtigung der konkreten Gefahrenlage zeitlich und nach Linien gewährleistet oder anhand konkreter Anhaltspunkte dargelegt hat, dass die Videoüberwachung zeitlich und örtlich unbeschränkt erforderlich ist.

3Die hiergegen gerichtete Klage hatte erstinstanzlich Erfolg. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Aufgrund des Inhalts der angefochtenen Regelung handele es sich bei dem Bescheid der Beklagten um einen Dauerverwaltungsakt, für dessen Beurteilung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz maßgeblich sei. Die Beklagte habe zwar ihren Bescheid auf § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG als Rechtsgrundlage stützen dürfen. Der Bescheid sei aber rechtswidrig, da die Videoüberwachung und die Aufzeichnung des dabei gewonnenen Bildmaterials zur Wahrnehmung berechtigter Interessen nach den Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes erlaubt sei. Zwecke, die ein solches Interesse begründeten, seien die Verfolgung von Straftaten und die Sicherung von Beweismaterial zur Aufklärung der begangenen Straftaten. Miterfasst sei der Zweck, zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen Straftäter, insbesondere bei Vandalismusschäden zu sichern. Hinsichtlich dieser Zwecke und der mitumfassten Schutzgüter von Leib und Leben der Fahrgäste und der Beschäftigten habe die Klägerin aufgrund der Häufigkeit sowie der zeitlichen und örtlichen Streubreite der Vorfälle nachgewiesen, dass die unbegrenzte Videoüberwachung objektiv erforderlich sei.

4Darüber hinaus ergebe sich ein berechtigtes Interesse auch aus dem Zweck der Gefahrenabwehr. Die Videoüberwachung diene der Verhütung von Straftaten. Sie erhöhe die Effektivität der Abschreckung und sei angesichts der festgestellten Vorfälle auch insoweit erforderlich. Hinzu komme der ebenfalls von der Klägerin angeführte Zweck der Befriedigung des (subjektiven) Sicherheitsbedürfnisses der Kunden (Fahrgäste). Er rechtfertige, wenn auch nicht für sich allein genommen, als zusätzlicher Aspekt die Videoüberwachung. Hierfür spreche die Gesetzesbegründung zu dem erst nach Erlass des Bescheides in das Bundesdatenschutzgesetz eingefügten § 6b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 2 BDSG, wonach der Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit der Fahrgäste als ein besonderes wichtiges Interesse anzusehen sei.

5Anhaltspunkte für das Überwiegen schutzwürdiger Interessen der Betroffenen seien mit Blick auf die Eingriffsintensität nicht gegeben. Hinter den mit der Videoüberwachung verfolgten Zwecken, die nach den gesetzlichen Vorgaben teilweise von besonderem Gewicht seien, müssten die Interessen der Betroffenen zurücktreten. Ihren Belangen werde dadurch Rechnung getragen, dass die Aufzeichnungen unbesehen lediglich 24 Stunden gespeichert würden, für den Einzelfall einer Auswertung der Datenträger Zugriffsbeschränkungen bestünden und die Beförderungsdauer im öffentlichen Nahverkehr relativ gering sei.

II

6Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision ist erfolglos. Die Voraussetzungen der Revisionszulassung liegen nicht vor, weil die von der Beklagten fristgemäß geltend gemachten Gründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, der Divergenz und des Vorliegens eines Verfahrensmangels, auf deren Prüfung der Senat nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO beschränkt ist, nicht den Darlegungsanforderungen genügen oder in der Sache nicht durchgreifen.

71. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oder des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. 6 B 43.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:270115B6B43.14.0] - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8). Ist eine Rechtsfrage bereits bundesgerichtlich beantwortet, kommt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nur in Betracht, wenn die Beschwerde neue rechtliche Gesichtspunkte aufzeigt, die ein Überdenken der bisherigen Rechtsprechung erforderlich machen (stRspr, vgl. nur 6 B 55.17 [ECLI:DE:BVerwG:2017:240817B6B55.17.0] - juris Rn. 4 m.w.N.). Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt für die Geltendmachung dieses Zulassungsgrundes die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 6 B 35.00 - WissR 2001, 377 Rn. 3 und vom - 6 B 18.11 - juris Rn. 14).

8a) Die Beklagte hat den angefochtenen Bescheid als Dauerverwaltungsakt angesehen und sinngemäß die Frage als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfen, ob bei einem Dauerverwaltungsakt nur der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts maßgebend sein könne, auch wenn sich nach Erlass des Dauerverwaltungsakts die Rechtslage geändert habe. Zur Begründung verweist sie lediglich darauf, dass Dauerverwaltungsakte in vielen Bereichen eine Rolle spielen können und daher die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die gerichtliche Entscheidung stets von Bedeutung sei.

9Diese Begründung genügt nicht den Darlegungsanforderungen. Sie lässt nicht ansatzweise erkennen, dass hinsichtlich der aufgeworfenen Frage unter Berücksichtigung der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung noch weiterer Klärungsbedarf besteht. Nach dieser Rechtsprechung ist maßgeblich für den Erfolg einer gegen einen Dauerverwaltungsakt gerichteten Klage regelmäßig die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Verhandlung, wenn das materielle Recht nicht die Maßgeblichkeit eines anderen Zeitpunkts bestimmt und sich die Sach- oder Rechtslage seit Erlass des Dauerverwaltungsakts nicht verändert hat (stRspr, vgl. 3 C 15.12 - BVerwGE 148, 28 Rn. 9; Beschluss vom - 8 B 62.11 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 39 Rn. 13). Ebenso ist geklärt, dass die nach Erlass des Dauerverwaltungsakts eintretenden Änderungen der Sach- oder Rechtslage - je nach dem zeitlichen Umfang des Aufhebungsbegehrens - bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts zu berücksichtigen sind und eine vor und nach der Änderung gesonderte Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage erfordern (vgl. 11 C 35.92 - BVerwGE 92, 32 <35 f.> und vom - 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 16 m.w.N.; Beschluss vom - 8 B 62.11 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 39 Rn. 13).

10Das Oberverwaltungsgericht hat in seinem Urteil diese Rechtsprechung zwar außer Acht gelassen. Es hat seiner Entscheidung § 6b BDSG in der bis zur Zeit der Berufungsverhandlung geltenden Fassung zugrunde gelegt und nicht zwischen den Zeiträumen vor und nach der Änderung dieser Norm durch Art. 1 des Gesetzes vom (BGBl. I S. 968) bei seiner Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids differenziert. Ausgehend von der Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der angefochtene Bescheid sei ein Dauerverwaltungsakt, wäre diese Aufspaltung notwendig gewesen.

11Dieser Umstand rechtfertigt jedoch nicht die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung, weil es darauf für die Beurteilung des angefochtenen Bescheids in einem Revisionsverfahren nicht ankommen würde. Denn nach dem 6 C 2.18 [ECLI:DE:BVerwG:2019:270319U6C2.18.0] - (juris Rn. 10 ff.) kommt es bei Anordnungen zur Beseitigung datenschutzrechtlicher Verstöße, die auf § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG in der bis zum geltenden Fassung beruhen, auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung an. Nachträglich eintretende Rechtsänderungen sind für die Entscheidung über die Anfechtungsklage und damit über die Revision ohne Bedeutung (vgl. BVerwG, ebenda). Hiernach ist der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids vom § 38 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 6b Abs. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 66), hier anwendbar in der Fassung von Art. 1 Nr. 15 des Gesetzes zur Änderung datenschutzrechtlicher Vorschriften vom (BGBl. I S. 2814 - BDSG a.F.), zugrunde zu legen. Die Änderungen des Datenschutzrechts durch die seit dem geltende Datenschutz-Grundverordnung und das gleichzeitige Außerkrafttreten des Bundesdatenschutzgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 66) finden keine Berücksichtigung bei der Prüfung des angefochtenen Bescheids (vgl. dazu 6 C 2.18 - juris Rn. 36 ff.). Ob die Videobeobachtung mit der Datenschutz-Grundverordnung im Einklang steht, ist im vorliegenden Klageverfahren nicht zu klären, sondern setzt vielmehr zunächst eine eigenständige Prüfung seitens der Beklagten voraus.

12Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass die ebenfalls von der Beklagten geltend gemachte Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, die sich allein auf die Abweichung des angefochtenen Urteils von der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Falle einer Änderung der maßgeblichen Rechtslage bei Dauerverwaltungsakten bezieht, keinen Erfolg haben kann.

13Sinn und Zweck der Divergenzzulassung ist es, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung innerhalb des Verwaltungsrechtswegs zu sichern. Dementsprechend ist eine Revisionszulassung wegen Divergenz nicht geboten, wenn das Berufungsgericht von einer Rechtsprechung, an der das Bundesverwaltungsgericht in späteren Entscheidungen selbst nicht mehr festhält, abgewichen ist (vgl. dazu 5 B 55.91 - Buchholz 436.36 § 47 BAföG Nr. 1 m.w.N.). Ebenso liegt keine Divergenz vor, wenn das angefochtene Urteil auf einer durch Gesetzesänderung überholten Rechtsprechung beruht oder sich die Berufungsentscheidung auf jeden Fall durch eine nach ihrem Erlass erfolgte Gesetzesänderung im Ergebnis als richtig erweist und es in einem etwaigen Revisionsverfahren auf die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschiedene Rechtsfrage nicht mehr ankäme (vgl. 5 B 60.01 - juris Rn. 5 m.w.N.). Nichts anderes kann gelten, wenn es auf die Rechtsprechung, von der das Berufungsgericht abgewichen ist, nach der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung in einem Revisionsverfahren nicht mehr ankommt; auch dann kann der Sinn und Zweck der Divergenzzulassung mit dem angestrebten Revisionsverfahren nicht erreicht werden. So verhält es sich nach den vorstehenden Ausführungen hier.

14Da die Beklagte im Übrigen weder die Frage, ob es sich bei der datenschutzrechtlichen Anordnung nach § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG a.F. um einen Dauerverwaltungsakt handelt, noch die Frage, welcher maßgebliche Zeitpunkt sich aus dieser Norm für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit derartiger Anordnungen herleiten lässt, zum Gegenstand einer Grundsatzrüge gemacht hat, kommt mit Blick auf das Senatsurteil vom - 6 C 2.18 - auch keine Zulassung der Revision wegen nachträglich eingetretener Divergenz in Betracht. Dies setzte voraus, dass die Beklagte wegen der Frage, welche das Bundesverwaltungsgericht nachträglich - divergierend - entschieden hat, fristgerecht die Grundsatzrüge erhoben hätte (vgl. 10 B 14.16 [ECLI:DE:BVerwG:2017:070817B10B14.16.0] - juris Rn. 9 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.

15Schließlich bleibt die in diesem Zusammenhang hilfsweise erhobene Verfahrensrüge der Beklagten ohne Erfolg, weil ausgehend vom maßgeblichen materiell-rechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts eine Differenzierung nach Zeiträumen vor und nach der Änderung des § 6b BDSG a.F. nicht geboten war.

16b) Die Beklagte erachtet hinsichtlich der Anwendung von § 6b Abs. 1 Satz 2 BDSG in der bis zum geltenden Fassung zwei Fragen für grundsätzlich bedeutsam:

- Ist Art. 7 lit. f der RL 95/46/EG im Lichte von Art. 8 GrCH dahingehend auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die vorsieht, dass bestimmten Interessen - wie beispielsweise die Sicherheit von Fahrgästen im öffentlichen Nahverkehr - besonderes Gewicht zukommt, mit der Maßgabe, dass dadurch die nach nationalem Recht zu treffende Interessenabwägung im Einzelfall legislativ vorgeprägt wird, insbesondere

a) die in der Richtliniennorm vorgesehene Abwägungsentscheidung materiell-rechtlich im nationalen Recht in diese Richtung konkretisiert werden kann und

b) dies durch Legislativakte geschehen darf, die auch die unabhängigen Aufsichtsbehörden binden?

- Ist der Begriff "Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen" in § 6b Abs. 1 Satz 2 BDSG objektiv zu verstehen?

17Beide Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht. Sie würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen, da nach der Senatsrechtsprechung hier die Rechtslage im Zeitpunkt des Bescheiderlasses maßgebend ist und es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids auf § 6b Abs. 1 Satz 2 BDSG a.F. nicht ankommt.

18c) Die weiteren Fragen,

- in welchem Umfang der verantwortlichen Stelle eine materiell-rechtliche Darlegungslast für die Erforderlichkeit einer Videoüberwachungsmaßnahme zukomme und

- ob eine Videoüberwachung, die nicht in Echtzeit überwacht wird und somit eine unmittelbar schutzgutsichernde Intervention nicht ermöglicht, sondern lediglich Überwachungsvideos aufzeichnet, dem Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von im überwachten Bereich aufhältigen Personen dient,

führen ebenfalls nicht zur Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung.

19Mit beiden Fragen formuliert die Beklagte keine Rechtsfragen, sondern wendet sich gegen die Rechtsanwendung des § 6b BDSG a.F. im Einzelfall. So ist die erste Frage einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich, weil der Umfang der Tatsachen, den die für die Videobeobachtung verantwortliche Stelle vortragen muss, damit das Gericht im Rahmen seiner tatrichterlichen Würdigung des gesamten Prozessstoffes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) von deren Erforderlichkeit ausgehen kann, von den Umständen des Einzelfalles abhängt. Auch die zweite Fragestellung betrifft die Eignung der eingesetzten Videoüberwachung zum Schutz der genannten Rechtsgüter in tatsächlicher Hinsicht.

202. Das Urteil beruht nicht auf den von der Beklagten geltend gemachten weiteren Verfahrensmängeln im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Derartige Mängel zeigt die Beklagte mit ihrem Vorbringen nicht auf.

21a) Soweit die Beklagte hinsichtlich der Feststellung, dass die eingesetzte Videoüberwachung Abschreckungswirkung habe, eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) rügt, genügt ihr Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Nach dieser Vorschrift muss der Beschwerdeführer schlüssig darlegen, welche Aufklärungsmaßnahmen das Gericht hätte ergreifen müssen, welche Feststellungen es dabei voraussichtlich getroffen hätte und inwiefern dies zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Auch muss er darlegen, dass er in der Tatsacheninstanz auf eine bestimmte Sachaufklärung hingewirkt hat oder hierzu nach dem Prozessverlauf außerstande gewesen ist. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse in der Tatsacheninstanz zu kompensieren, vor allem wenn der Beschwerdeführer es unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen. Deshalb muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 6 B 30.17 [ECLI:DE:BVerwG:2017:121217B6B30.17.0] - juris Rn. 14 und vom - 6 B 124.18 [ECLI:DE:BVerwG:2018:030818B6B124.18.0] - juris Rn. 9 jeweils m.w.N.). Gemessen hieran hat die Beklagte nicht aufgezeigt, dass sie zur Feststellung der fehlenden Eignung des Videobeobachtungssystems auf eine entsprechende Beweiserhebung im vorinstanzlichen Verfahren hingewirkt hätte oder sich dem Oberverwaltungsgericht aufgrund von Anhaltspunkten weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen. Ihr Verweis auf die in der Beschwerdebegründung aufgeführten Abhandlungen genügt diesen Anforderungen nicht.

22Die in diesem Zusammenhang ebenfalls geltend gemachte Verletzung des in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO normierten Überzeugungsgrundsatzes wegen Verstoßes gegen Denkgesetze genügt ebenso wenig den Darlegungsanforderungen. Die tatrichterliche Beweiswürdigung ist vom Bundesverwaltungsgericht nicht daraufhin nachzuprüfen, ob die Gewichtung einzelner Umstände und deren Gesamtwürdigung überzeugend erscheinen. Dementsprechend kann sie von einem Verfahrensbeteiligten nicht mit dem Argument in Frage gestellt werden, andere Gewichtungen und Folgerungen lägen näher oder seien plausibler. Die Tatsachengerichte überschreiten den ihnen eröffneten Wertungsrahmen nur dann, wenn ihre Beweiswürdigung gesetzliche Beweisregeln außer Acht lässt, objektiv willkürlich ist, gegen die Gesetze der Logik verstößt, Widersprüche enthält oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet oder irrtümlich annimmt (stRspr, vgl. nur 5 C 2.11 - BVerwGE 143, 119 Rn. 18; Beschluss vom - 6 B 67.17 [ECLI:DE:BVerwG:2018:230118B6B67.17.0] - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 431 Rn. 9). Wenn die Beklagte meint, eine Videoüberwachung mit Aufzeichnungsfunktion entfalte die gleiche Abschreckungswirkung wie eine Kameraattrappe, weil ein Außenstehender nicht wissen könne, ob die Kamera aufzeichne, stellt sie mit diesem Vortrag die berufungsgerichtliche Annahme einer abschreckenden Wirkung des eingesetzten Videobeobachtungssystems nicht in Frage und zeigt einen Verstoß gegen Denkgesetze nicht auf. Ebenso zeigt die Beklagte mit der in ihrer Beschwerdebegründung angeführten Diskussion um die Zulässigkeit und die Voraussetzungen einer Videoüberwachung im Öffentlichen Personennahverkehr keine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes auf.

23b) Das Oberverwaltungsgericht hat, soweit es davon ausgegangen ist, dass eine Beschränkung des Betriebs der Videobeobachtungsanlage auf bestimmte Strecken oder Tages- und Nachtzeiten nach dem unwidersprochenen Vortrag technisch und organisatorisch nicht oder nur mit einem unzumutbaren wirtschaftlichen Aufwand umzusetzen gewesen wäre, weder den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) noch die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verletzt. Die Beklagte macht insoweit geltend, der Vortrag der Klägerin sei deshalb unwidersprochen geblieben, da die Richtigkeit derart fernliegend sei, dass eine Stellungnahme dazu nicht ohne gerichtlichen Hinweis geboten erschienen habe. Ein System, das die Videoüberwachung temporär oder örtlich abschalte, sei technisch durchaus machbar und könne durch die Fahrer nach zuvor aufgestellten Plänen bedient werden.

24aa) Das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO gewährleistet jedem Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, zu dem gesamten Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen. Das Gericht darf bei seiner Entscheidung nur solche Teile des Prozessstoffes berücksichtigen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Dies setzt deren Kenntnis vom Prozessstoff voraus (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 765, 766/89 - BVerfGE 89, 381 <392> und vom - 1 BvR 385/90 [ECLI:DE:BVerfG:1999:rs19991027.1bvr038590 - BVerfGE 101, 106 <129>). Allerdings ist das Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet, den Beteiligten mitzuteilen, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte es für entscheidungserheblich hält und welche Rechtsauffassungen es seiner Entscheidung zugrunde zu legen gedenkt (stRspr, vgl. - BVerfGE 86, 133 <144 f.>; Urteil vom - 1 BvR 1640/97 [ECLI:DE:BVerfG:1998:rs19980714.1bvr164097] - BVerfGE 98, 218 <263>). Es darf seine Entscheidung jedoch nicht auf einen Gesichtspunkt stützen, mit dem auch ein sorgfältiger Verfahrensbeteiligter nicht zu rechnen brauchte. Im Anwaltsprozess ist Maßstab der gewissenhafte und kundige Prozessbevollmächtigte, der die vertretbaren Auffassungen in den Blick nimmt (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190> und vom - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.>; - BVerfGE 98, 218 <263>).

25Aus den Darlegungen der Beklagten ergibt sich ein solcher Gehörsverstoß nicht. Im Gegenteil kann ihren Ausführungen unzweifelhaft entnommen werden, dass sie den Vortrag der Klägerin zur Kenntnis, aber bewusst von einer Stellungnahme Abstand genommen hat, weil sie den Vortrag für fernliegend erachtete. Dieses rechtfertigt nicht die Annahme der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die anwaltlich vertretene Beklagte musste damit rechnen, dass das Gericht das Vorbringen der Klägerin, eine Beschränkung des Betriebs der Videobeobachtungsanlage auf bestimmte Strecken oder Tages- und Nachtzeiten sei technisch und organisatorisch nicht oder nur mit einem unzumutbaren wirtschaftlichen Aufwand umzusetzen, in Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte zugrunde legt.

26bb) Die ebenfalls mit den vorstehenden Ausführungen begründete Rüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) genügt nicht den bereits unter 2. a) dargestellten Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Dem Vortrag der Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass sie auf eine Aufklärung der Möglichkeit einer derartigen Beschränkung der Videoüberwachung in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht etwa durch die Stellung von Beweisanträgen hingewirkt hätte bzw. hierzu außerstande war. Ebenso wenig zeigt sie auf, aus welchen Gründen sich dem Gericht weitere Aufklärungsbemühungen hätten aufdrängen müssen.

273. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2019:090719B6B2.18.0

Fundstelle(n):
NJW 2019 S. 10 Nr. 36
GAAAH-28257