BSG Beschluss v. - B 13 R 345/15 B

(Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Geltendmachung der vermeintlichen Verfassungswidrigkeit hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 34 Abs 4 Nr 3 SGB 6 für Bestandsrentner, die einen Wechsel in die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte begehren)

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 34 Abs 4 Nr 3 SGB 6, § 38 SGB 6, § 77 SGB 6, § 236b SGB 6, § 237 SGB 6, Art 1 Nr 8 RVLVG, Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 100 Abs 1 S 1 GG

Instanzenzug: SG Speyer Az: S 18 R 889/14 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Az: L 6 R 114/15 Urteil

Gründe

1I. Das einen für die Zeit ab geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Umwandlung der ihm seit Januar 2013 bestandskräftig wegen vorzeitiger Inanspruchnahme mit Abschlägen bewilligten Altersrente nach Altersteilzeitarbeit in eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach der durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz vom (BGBl I 787) am in Kraft getretenen Regelung des § 236b SGB VI verneint.

2Der Kläger macht mit seiner beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten LSG-Urteil die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und einen Verfahrensmangel geltend. Zugleich hat er Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. beantragt.

3II. 1. Der PKH-Antrag des Klägers ist abzulehnen.

4Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Vorliegend sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

5Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 117 Abs 2 bis 4 ZPO sind dem Antrag auf PKH eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen. Eine solche Erklärung hat der Kläger im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG nicht eingereicht. Der beabsichtigten Rechtsverfolgung fehlt es aber auch an hinreichender Aussicht auf Erfolg. Deshalb kommt die Beiordnung von Rechtsanwältin B. nicht in Betracht (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

62. Die Beschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung vom genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, denn der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß dargetan (vgl § 160 Abs 2 Nr 1 und Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG).

7a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).

8Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

10Der Senat kann offenlassen, ob der Kläger damit hinreichend konkrete und auf Grundlage der für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) überhaupt klärungsfähige Rechtsfragen iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG bezeichnet hat. Insbesondere gehört es nicht zu den Aufgaben des Beschwerdegerichts, vom Beschwerdeführer formulierte Fragestellungen beschwerdekonform umzuformulieren oder den Vortrag darauf zu untersuchen, ob sich aus ihm eventuell eine oder mehrere hinreichend konkrete Rechtsfragen mit übergreifender Relevanz "herausfiltern" lassen (vgl stRspr, zB Senatsbeschluss vom - B 13 R 477/06 B - Juris RdNr 8).

11Soweit der Kläger es im Hinblick auf Art 20 Abs 3 und Art 3 Abs 1 GG für verfassungswidrig erachten sollte, dass Bezieher einer bereits bestandskräftig (bindend) mit Abschlägen bewilligten Altersrente wegen Altersteilzeitarbeit ("Bestandsrentner") aufgrund der Regelung des § 34 Abs 4 Nr 3 SGB VI nicht mehr in den Genuss einer (abschlagsfreien) Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach der am in Kraft getretenen Regelung des § 236b SGB VI kommen können, und (sinngemäß) meint, dass deren zeitlicher und sachlicher Anwendungsbereich vom Gesetzgeber nicht sachgerecht bestimmt worden sei, hat er die Klärungsbedürftigkeit der - insoweit in wohlwollender Auslegung des Beschwerdevortrags - aufgeworfenen Problematik nicht hinreichend aufgezeigt.

12Insbesondere versäumt er es schon, sich mit der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG zu Stichtagsregelungen auseinanderzusetzen. Hiernach ist es dem Gesetzgeber zur Regelung bestimmter Sachverhalte nicht verwehrt, Stichtage einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeid-lich gewisse Härten mit sich bringt (vgl BVerfGE 87, 1, 43; 117, 272, 301). Dass der Gesetzgeber des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes den ihm insoweit zukommenden Gestaltungsspielraum mit der Begrenzung der Privilegierung des § 236b SGB VI auf die zur Zeit seines Inkrafttretens am noch nicht im Altersrentenbezug befindlichen Versicherten sachwidrig überschritten habe, die für die zeitliche Anknüpfung und sachliche Beschränkung auf "Zugangsrentner" und dem damit einhergehenden Verzicht, die bereits abgeschlossenen Rentenvorgänge der "Bestandsrentner" aufzugreifen, in Betracht kommende Faktoren (zB Finanzierbarkeit des Systems) nicht hinreichend gewürdigt habe und die gefundene Regelung im Hinblick auf den Sachverhalt und das System der Gesamtregelung im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung (hier: zB hinsichtlich der dauerhaften Beibehandlung des reduzierten Zugangsfaktors <vgl § 77 Abs 1 und Abs 3 S 1 SGB VI>) sachlich nicht vertretbar erscheine (vgl zu diesen verfassungsrechtlichen Prüfungskriterien bei Stichtagsregelungen zB BVerfGE 75, 78, 106; 101, 239, 270; 117, 227, 301), hat der Kläger - anders als vorliegend erforderlich - nicht untersucht. Dass die dauerhaften "Rentenabschläge" durch Minderung des Zugangsfaktors bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente nach Altersteilzeitarbeit nicht gegen das GG verstoßen, hat das BVerfG bereits entschieden (BVerfGE 122, 151 = SozR 4-2600 § 237 Nr 16).

13Im Übrigen lässt die Beschwerdebegründung unbeachtet, dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zugelassen werden kann, wenn das Berufungsgericht eine Tatsache, die für die Entscheidung mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, noch nicht festgestellt hat und damit derzeit nur die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht und nach weiterer Sachverhaltsaufklärung entscheidungserheblich werden kann ( - Juris RdNr 14 mwN). Die aufgeworfene Frage würde sich indessen nur tragend stellen, wenn das Berufungsgericht neben der Vollendung des 63. Lebensjahrs am auch festgestellt hätte, dass der Kläger die Wartezeit von 45 Jahren (§ 236b Abs 1 Nr 2 iVm § 51 Abs 3a SGB VI) erfüllt. Auch hierzu enthält die Beschwerdebegründung kein substantiiertes Vorbringen. Allein die schlichte Behauptung des Klägers, dass die Voraussetzungen für die "abschlagsfreie Rente ab 63" "unstreitig" seien, reicht nicht.

14Soweit der Kläger weiter meint, Klärungsbedarf bestehe vorliegend im Hinblick auf den "Regelungsgehalt" von Rentenbescheiden sowie den "Anforderungen an die Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes" und "die Bestimmtheit von Gesetzen", unterzieht er sich schon nicht der notwendigen Mühe zu untersuchen, ob sich mit Hilfe bereits vorhandener einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die gestellten Fragen beantworten lassen. Er behauptet noch nicht einmal, dass es hierzu Rechtsprechung des BSG und des BVerfG nicht gebe. Dass der Kläger die LSG-Entscheidung aus sozialpolitischen Gründen für falsch hält, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich.

15b) Schließlich hat der Kläger einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht bezeichnet. Allein die Rüge, ein solcher liege seitens des LSG vor, weil "keine Vorlage an das BVerfG" erfolgt sei, reicht nicht. Denn nach Art 100 Abs 1 S 1 GG besteht eine Vorlagepflicht nur, wenn das Gericht von der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, überzeugt ist. Eben dies war hier aber nach dem eigenen Vortrag des Klägers nicht der Fall.

16c) Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

17Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter.

18Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2015:301215BB13R34515B0

Fundstelle(n):
TAAAH-26984