Sozialgerichtliches Verfahren - Unzulässigkeit der Verwerfung der Berufung durch Beschluss bei Entscheidung des SG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid - absoluter Revisionsgrund - hier aber Urteil statt Beschluss - keine fehlerhafte Besetzung der Richterbank
Gesetze: § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 202 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, § 132 S 1 SGG, § 136 Abs 1 SGG, § 155 Abs 3 SGG, § 155 Abs 4 SGG
Instanzenzug: SG Trier Az: S 4 AS 399/10 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Az: L 6 AS 303/11 Beschluss
Gründe
1I. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom bis zum , weil in diesem Zeitraum zugeflossenes Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) von der Bundesagentur für Arbeit nach Aufhebung des Bewilligungsbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgefordert worden ist. Die Klage ist ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts <SG> Trier vom ). Im hiergegen gerichteten Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) hat die Berichterstatterin mit Schreiben vom bei den Beteiligten angeregt, einer Entscheidung durch die Berichterstatterin gemäß § 155 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG zuzustimmen. Dieser Verfahrensweise haben die Beteiligten zugestimmt. Mit Entscheidung vom hat die Berichterstatterin gemäß § 155 Abs 3, Abs 4 SGG ohne mündliche Verhandlung die Berufung zurückgewiesen. Die Entscheidung ist mit "Beschluss" überschrieben.
2Mit ihrer Beschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) gegen die Nichtzulassung der Revision im macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie einen Verfahrensfehler geltend.
3II. Die Beschwerde ist hinsichtlich des geltend gemachten Verfahrensfehlers zulässig, aber unbegründet. Zwar ist es dem LSG - was die Klägerin gerügt hat - nach § 153 Abs 4 SGG verwehrt, eine Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, wenn zuvor das SG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG entschieden hat. Mit einer Verletzung des § 153 Abs 4 SGG ist regelmäßig, auch ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, zugleich die Besetzung des Berufungsgerichts nur mit Berufsrichtern und damit ein absoluter Revisionsgrund nach § 202 SGG iVm § 547 Nr 1 Zivilprozessordnung (ZPO) gerügt ( - SozR 3-1500 § 153 Nr 13). Der gerügte Verfahrensmangel liegt jedoch nicht vor.
4Vorliegend hat das LSG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, nicht durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden. Die von ihm getroffene Entscheidung erfüllt alle in § 136 Abs 1 SGG genannten Formerfordernisse für ein Urteil. Die Bezeichnung als "Urteil" in der Entscheidung selbst gehört dabei nicht zu diesen Voraussetzungen. Aus der offensichtlich versehentlich erfolgten Bezeichnung als "Beschluss" kann damit nicht schon die Verletzung der vorliegend allein zulässigen Entscheidungsform (Urteil) geschlossen werden. Dies folgt auch nicht daraus, dass die Entscheidung nicht mit der Formel "Im Namen des Volkes" versehen ist. Bei § 132 Satz 1 SGG handelt es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift, auf deren Einhaltung § 136 Abs 1 SGG nicht als Voraussetzung für ein Urteil Bezug nimmt. In der vorgeschriebenen Rechtsmittelbelehrung (§ 136 Abs 1 Nr 7 SGG) ist die Entscheidung vorliegend ausdrücklich als Urteil bezeichnet. In der dem Tenor vorangestellten Bezeichnung des Gerichts (§ 136 Abs 1 Nr 2 SGG), die die Prüfung der Besetzung ermöglichen soll, und zu Beginn der Entscheidungsgründe wird durch die Nennung des § 155 Abs 3 und 4 SGG auf die rechtliche Grundlage der Besetzung (sog "konsentierte Einzelrichterin") hingewiesen, entsprechende Hinweise auf eine Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG (einstimmiger Beschluss von drei Berufsrichtern) fehlen. Dem entspricht schließlich die in der Anhörung angekündigte Entscheidungsform und die übrige, aus den Akten ersichtliche Bearbeitung der Sache, insbesondere die Zustellung an die Beteiligten als "Urteil vom ".
5Handelt es sich um ein Urteil, kann offen bleiben, ob bei Entscheidung durch Beschluss wegen der fehlerhaften Besetzung der Richterbank ein absoluter Revisionsgrund iS des § 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO anzunehmen wäre. Anders als im Falle der Entscheidung im Wege des Beschlusses nach § 153 Abs 4 SGG (allein) durch sämtliche Berufsrichter, die für Urteile nicht vorgesehen ist (dazu - SozR 3-1500 § 153 Nr 13; - SozR 4-1500 § 153 Nr 5 RdNr 10 mwN; - RdNr 17), ist in der vorliegenden Konstellation ein solcher Verstoß nicht ohne Weiteres ersichtlich. Die Besetzung, in der vorliegend entschieden worden ist, entspricht nämlich jedenfalls den Erfordernissen an den gesetzlichen Richter. Die formalen Voraussetzungen des § 155 Abs 3, 4 SGG lagen vor, weil sich die Beteiligten ausdrücklich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin anstelle des Senats einverstanden erklärt haben. Die Entscheidung der Berichterstatterin, auf Grundlage der Einverständniserklärungen tatsächlich allein zu entscheiden (dazu B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2), ist nicht zu beanstanden, weil der Rechtssache vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom - B 14 AS 165/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 43; dazu sogleich) keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine Verletzung des gesetzlichen Richters ist von daher nicht erkennbar.
6Die Beschwerde ist unzulässig, soweit die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache rügt. Hinsichtlich der von der Klägerin sinngemäß formulierten Rechtsfrage, ob eine Sozialleistung auch dann als Einkommen im Zuflussmonat zu berücksichtigen ist, wenn diese Leistung nach Aufhebung einer dem Leistungsbezug zugrundeliegenden Bewilligungsentscheidung mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgefordert wird, lässt die Beschwerdebegründung eine Auseinandersetzung mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung vermissen ( - SozR 4-4200 § 11 Nr 43). Die Klägerin zeigt nicht auf, welche weitergehenden, in der Rechtsprechung bislang nicht ausreichend geklärten Rechtsfragen sich vor dem Hintergrund dieser Entscheidung im vorliegenden Fall stellen könnten.
7Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2012:230512BB14AS1012B0
Fundstelle(n):
GAAAH-26796