BSG Beschluss v. - B 13 R 275/12 B

Nichtzulassungsbeschwerde - FRG-Berechtigter - Umzug ins Ausland - Rückwirkungsverbot

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2a S 3 SGG, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 11 GG, Art 45 EUVtr 2010, Art 7 EGV 883/2004, Art 6 § 4 Abs 6 FANG, FRG

Instanzenzug: Az: S 6 R 2424/09vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 8 R 26/11 Urteil

Gründe

1Nach dem Vorbringen der Beschwerdebegründung sei der Kläger 1988 von Polen nach Niedersachsen übergesiedelt, wo er noch vor Beginn seiner Altersrente wegen Arbeitslosigkeit () die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten habe. Im Altersrentenbescheid vom seien seine Beschäftigungszeiten in Polen als FRG-Zeiten berücksichtigt worden. Der Bescheid habe außerdem den Hinweis enthalten, dass sich die Rentenhöhe für die Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vermindern könne, aber keine Belehrung über die Rechtsfolgen nach einer Rückkehr aus dem Beitrittsgebiet in die alten Bundesländer. Der Kläger habe jedoch im Juni 2007 die Beklagte um Auskunft gebeten, welche Rechtsfolgen ein Umzug nach Polen für die Rentenhöhe haben könne; hinsichtlich der Einzelheiten werde auf "Tatbestände und Entscheidungsgründe der beiden erstinstanzlichen Entscheidungen" Bezug genommen.

2Der Kläger macht mit seiner beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

3Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn er hat eine grundsätzliche Bedeutung nicht ordnungsgemäß dargelegt (§ 160 Abs 2 Nr 1 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG).

4Für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung ist in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung zu bezeichnen und schlüssig aufzuzeigen, dass diese klärungsbedürftig, in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 19, Nr 22 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff, Nr 9 RdNr 4, jeweils mwN). Es muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Diese Anforderungen, die allerdings nicht überspannt werden dürfen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG <Kammer> SozR 4-1500 § 160a Nr 12 RdNr 3 f, Nr 16 RdNr 4 f, Nr 24 RdNr 5 ff).

5Die Beschwerdebegründung des Klägers wird diesen Erfordernissen nicht gerecht.

7Jedoch enthält seine Beschwerdebegründung keinerlei Ausführungen dazu, inwiefern es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf diese Frage ankommen kann, sie mithin in einem Revisionsverfahren klärungsfähig ist. Der Kläger benennt nicht einmal den Gegenstand des von ihm angefochtenen LSG-Urteils, sondern nimmt lediglich auf die "Tatbestände und Entscheidungsgründe der beiden erstinstanzlichen Entscheidungen Bezug", ohne genau zu bezeichnen, welche SG-Entscheidungen damit gemeint sind. Eine formgerechte Grundsatzrüge erfordert jedoch, dass das Revisionsgericht das Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung allein auf der Grundlage des Vortrags in der Beschwerdebegründung beurteilen kann (stRspr, vgl Senatsbeschluss vom - B 13 R 340/12 B - BeckRS 2012, 75441 RdNr 5).

8Im Übrigen ist auch die Klärungsbedürftigkeit der aus mehreren Teilfragen zusammengesetzten Rechtsfrage nicht hinreichend dargetan:

9a) Zu dem behaupteten Verstoß der vom Kläger als entscheidungserheblich angesehenen Regelung in Art 6 § 4 Abs 6 FANG gegen das Sozialstaatsprinzip enthält die Beschwerdebegründung keinerlei weitergehende Ausführungen.

10b) Soweit er einen Verstoß der genannten Regelung gegen das Rückwirkungsverbot und den rechtsstaatlichen Vertrauensgrundsatz geltend macht, nimmt er auf die Ausführungen im (BVerfGE 116, 96 = SozR 4-5050 § 22 Nr 5, dort RdNr 106 f) Bezug, wonach die Entscheidung des Gesetzgebers des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom , für alle Rentenzugänge nach dem die Rentenabschläge für FRG-Zeiten zur Anwendung zu bringen, die rentennahen Jahrgänge zu kurzfristig erfasst habe und deshalb eine Übergangsregelung erforderlich sei, die es den Betroffenen ermögliche, ihre Lebensführung auf deutlich niedrigere Renten einzustellen. Der Beschwerdebegründung ist jedoch nicht zu entnehmen, durch welche Maßnahme des Gesetzgebers die Rechtsposition des Klägers ab welchem Zeitpunkt verschlechtert wurde und weshalb er sich bis zu seiner Anfrage zu den Folgen eines Umzugs nach Polen im Juni 2007 - um den es nach der gestellten Rechtsfrage überdies gar nicht geht - hierauf nicht hat einstellen können.

11c) Hinsichtlich der Rüge einer Verletzung des Freizügigkeitsgrundrechts des Art 11 Abs 1 GG verweist der Kläger auf das (BVerfGE 110, 177 = NVwZ 2005, 797) und behauptet, ein "Wechsel der Entgeltpunkte (West) zu (Ost)" wirke sich praktisch als unmittelbare Beschränkung der Freizügigkeit aus. Damit hat er aber allenfalls aufgezeigt, dass der Schutzbereich des Art 11 GG durch die Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 FANG berührt sein kann. Hingegen fehlen Ausführungen zu der Frage, ob eine Beschränkung des Freizügigkeitsgrundrechts gemäß Art 11 Abs 2 GG in den Fällen des Art 6 § 4 Abs 6 FANG verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann, völlig (obgleich auch das entscheidend hierauf abstellt).

12d) Der Kläger hat schließlich auch die Klärungsbedürftigkeit der sinngemäß gestellten Rechtsfrage, ob die Regelungen des Europarechts zur Freizügigkeit einer Anwendung des Art 6 § 4 Abs 6 FANG entgegenstehen, nicht hinreichend dargetan. Ungeachtet des Umstands, dass er sich lediglich auf Vorschriften des zwischenzeitlich außer Kraft getretenen EG-Vertrags (Art 39, 42 EG) bezieht, macht er nur pauschal geltend, dass sich die genannte Regelung des FANG wie eine "Wohnsitzklausel" auswirke, die nach europäischem Recht unzulässig sei. Er setzt sich jedoch an keiner Stelle damit auseinander, ob - das Vorliegen einer "Wohnortklausel" im Sinne von Art 7 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie einer Beeinträchtigung der unionsrechtlich verbürgten Freizügigkeit unterstellt - Umstände vorliegen, welche die Regelung gleichwohl gemäß der ständigen Rechtsprechung des EuGH auch europarechtlich rechtfertigen können (s hierzu bereits das vom Kläger zitierte ua <Habelt/Möser/Wachter> - SozR 4-6035 Art 42 Nr 2 RdNr 80 f, 127 f, sowie das nach Abfassung der Beschwerdebegründung zugestellte Senatsurteil vom - B 13 R 17/11 R - Juris RdNr 40, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, mit weiteren Nachweisen zur einschlägigen Rechtsprechung des EuGH).

13Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

14Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

15Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2012:191212BB13R27512B0

Fundstelle(n):
FAAAH-26766