Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Vertretungsberechtigung einer Rechtsberatungsorganisation - grundsätzliche Bedeutung - Schwerbehindertenrecht - Blindheit - gleichzuachtende Sehstörung - Unterscheidung von Benennen-Können und Erkennen-Können - Verfassungswidrigkeit - Völkerrechtswidrigkeit - Darlegungsanforderungen
Gesetze: § 73 Abs 4 S 2 SGG, § 73 Abs 2 S 2 Nr 9 SGG, § 73 Abs 2 S 2 Nr 8 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 72 Abs 5 SGB 12, BliHiG SL, § 2 VersMedV, Teil A Nr 6 Buchst c VersMedV, Art 3 Abs 3 S 2 GG, Art 5 UNBehRÜbk
Instanzenzug: Sozialgericht für das Saarland Az: S 10 BL 391/11 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Saarland Az: L 5 BL 2/12 Urteil
Gründe
1I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache Blindheitshilfe nach dem Saarländischen Gesetz über die Gewährung einer Blindheitshilfe. Den nach rechtsseitiger Hirnblutung im Juni 2010 gestellten Antrag des Klägers auf Blindheitshilfe lehnte der Beklagte ab mit der Begründung, die neurologische Begutachtung habe keine Erklärung für die vom Kläger angegebene hochgradige Einschränkung des Sehvermögens ergeben. Eine cerebrale Genese könne ausgeschlossen werden. Das eingeholte augenärztliche Gutachten zeige, dass der Kläger ein funktional verwertbares Sehvermögen habe. Am ehesten liege eine funktionelle Sehstörung mit parazentraler Fixation vor, die subjektiv als Blindheit wahrgenommen werde (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Klage und Berufung waren ohne Erfolg. Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ua ausgeführt, die im Berufungsverfahren ergänzend beauftragte augenärztliche Sachverständige habe beim Kläger eine Blindheit nach den maßgeblichen Vorgaben der Versorgungsmedizin-Verordnung nicht feststellen können. Zweifellos habe der Kläger eine große Schädigung des rechten Großhirns im Bereich der Sehbahn erlitten, die zu Gesichtsfeldausfällen die linke Raumhälfte betreffend führten. Eine Rindenblindheit könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Auf die Ursache der Sehstörung käme es zwar nicht an. Die Beeinträchtigung des Sehvermögens iS von faktischer Blindheit sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch abzugrenzen von seelisch/geistigen Behinderungen. Gnostische Störungen seien Blindheit nicht gleichzusetzen. Aus § 2 Abs 1 SGB IX könne nicht zwingend eine Gleichstellung von körperlicher und seelischer Blindheit abgeleitet werden. Die Sachverständige halte die rein subjektiv erlebte Blindheit im Regelfall einer Therapie für zugänglich. Die Anerkennung als Blindheit könne sich unter diesen Umständen kontraproduktiv auswirken (Urteil vom ).
2Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen.
41. Der Senat entscheidet nicht abschließend, ob die mit der Prozessführung beauftragte r GmbH eine zur Vertretung vor dem BSG zugelassene Organisation iS des § 73 Abs 4 S 2 iVm § 73 Abs 2 S 2 Nr 5 bis 9 SGG ist. Es handelt sich bei der neu zum gegründeten Gesellschaft nicht um eine Vereinigung, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bietet (§ 73 Abs 2 S 2 Nr 8 SGG). Diese auf das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom (BGBl I 2840) zurückgehende Regelung erfasst jene Vereinigungen und Sozialverbände, die seit jeher zum Kreis der nach § 14 SGG Vorschlagsberechtigten zählen (BT-Drucks 16/3655 S 95). Dazu gehört die r GmbH nicht.
5Ob die r GmbH eine juristische Person nach § 73 Abs 2 S 2 Nr 9 SGG ist, "deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 bis 8 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet", könnte zweifelhaft sein. Zwar ist zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung der D. eV 100%iger Gesellschafter der r. GmbH gewesen, zu dessen Aufgaben nach § 2 Abs 2 Nr 2 Buchst b der Satzung vom 18. bis auch die Rechtsberatung, Rechtsvertretung und Verbandsklagen in behinderungsspezifischen Angelegenheiten gehören. Dieser hatte auch eine Gesellschafterhaftungserklärung abgegeben. Nach dem Gesellschaftsvertrag vom ist der Zweck der Gesellschaft indes die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen für behinderte Menschen, deren sonstige Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgrund der Behinderung auf besondere Schwierigkeiten stößt, iS von § 68 Nr 3 AO (§ 2 Abs 1). Mit der vorgenannten Beschäftigung fördert und stabilisiert die Gesellschaft deren Fähigkeit insbesondere auf dem Gebiet der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der rechtlichen Beratung und Rechtsvertretung, insbesondere durch die außergerichtliche Vertretung der Mitglieder der Gesellschafter und deren Untergliederungen gegenüber Behörden und sonstigen Dritten sowie bei den Gerichten der Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit in Angelegenheiten im Zusammenhang mit deren Behinderung und im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen (§ 2 Abs 2). Danach sind Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder des Gesellschafters zwar insbesondere, aber keineswegs ausschließlicher Gegenstand der Gesellschaft. Der Vergleich zu § 73 Abs 2 S 2 Nr 8 SGG, der insoweit bereits eine wesentliche Umfassung dieser Tätigkeiten vom satzungsgemäßen Aufgabenbereich der dort genannten Vereinigungen ausreichen lässt, verdeutlicht, dass die Vertretung durch eine juristische Person nach § 73 Abs 2 S 2 Nr 9 SGG engeren Anforderungen unterliegt. Die zur Rechtsberatung gegründete juristische Person darf danach ausschließlich diese Aufgabe wahrnehmen (vgl auch schon BSGE 98, 183 = SozR 4-1300 § 63 Nr 6, RdNr 53 ff). Die auf das Gesetz zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung und anderer Gesetze vom (BGBl I 2600) zurückgehende Einschränkung wollte den og Vereinigungen lediglich Prozessvertretung in modernen Organisationsformen ermöglichen (BT-Drucks 13/11035 S 27).
62. Die Beschwerdebegründung entspricht jedenfalls nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG.
7Der Kläger legt die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).
8Der Kläger formuliert als Rechtsfragen, ob das vom BSG in seinem Urteil vom - 1 RS 1/93 -, fortgeführt in den Urteilen vom - B 7 SF 2/03 R - und vom - B 9a BL 1/05 R - entwickelte Konzept, eine Abgrenzung zwischen "Erkennensstörung", die zur Anerkennung gesetzlicher Blindheit und in der Konsequenz zu Ansprüchen auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII und zu Leistungen nach den Landesblindengeldgesetzen führt, und der "Benennungsstörung", die derartige Ansprüche ausschließt, in dieser Form aufrechterhalten werden kann oder ob die Abgrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises nicht weitere Faktoren - insbesondere die Teilhabebeeinträchtigung - einbeziehen muss.
9Es ist schon nicht klar, ob der Kläger damit insgesamt entscheidungserhebliche Fragen des revisiblen Rechts (§ 162 SGG) aufwirft, die in einem späteren Revisionsverfahren der Klärung zugänglich wären (vgl - RdNr 8 mwN). Jedenfalls zeigt er den Klärungsbedarf nicht ausreichend auf. Um darzulegen, dass einer bereits entschiedenen Rechtsfrage gleichwohl noch grundsätzliche Bedeutung zukomme, hat ein Beschwerdeführer aufzuzeigen, in welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der vorhandenen Rechtsprechung widersprochen werde bzw die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten sei (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51). Dasselbe gilt für die Behauptung, dass neue erhebliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen seien, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der grundsätzlich bereits entschiedenen Rechtsfrage führen könnten und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschlössen (vgl hierzu BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 mwN; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 8b). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
10Der Kläger benennt schon keine wesentliche Kritik der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung, die Benennensstörungen aus dem Begriff der faktischen Blindheit ausgliedert. Die insoweit allein bemühte Entscheidung des Bayerischen - erschöpft sich nach den Darlegungen des Klägers in nicht entscheidungserheblichen allgemeinen Zweifeln und beinhaltet keinerlei substantielle Einwendungen. Soweit der Kläger darüber hinaus auf das im SGB IX geltende Finalitätsprinzip hinweist und hieraus einen Verstoß gegen höherrangiges Recht des aus Nr 23 Abs 4 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, 1996, 2004 in Teil A, Nr 6c der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) übernommenen generellen Ausschlusses der visuellen Agnosie und anderer gnostischer Störungen ableitet, versäumt er allerdings, sich - unbeschadet der Klärungsfähigkeit - damit zu beschäftigen, dass das Finalitätsprinzip seit jeher im Recht der behinderten Menschen Gültigkeit beansprucht (vgl BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 10 RdNr 20 mwN) und die zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung Benennensstörungen gleichwohl von den für Blindheit maßgeblichen Störungen des Erkennen-könnens unterscheidet (vgl auch Dau, jurisPR-SozR 24/2009 Anm 4). Auch geht die Beschwerdebegründung nicht darauf ein, ob das zugrunde gelegte antizipierte Sachverständigenwissen nach dem aktuellen Wissensstand unzutreffend ist (vgl -; zur AnlVersMedV - RdNr 28 mwN). Insoweit hilft auch der allgemeine Hinweis auf das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art 3 Abs 3 S 2 GG und Art 5 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) nicht weiter. Wer sich auf die Verfassungswidrigkeit einer Regelung beruft, darf sich nicht auf die Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (vgl zB BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG Beschlüsse vom - B 12 RA 16/05 B - Juris und vom - B 1 KR 87/08 B - Juris). Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des GG dargelegt werden. Daran fehlt es ebenso wenig wie an einer Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art 5 UN-BRK (BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 RdNr 29 ff). Insoweit hätte sich die Beschwerdebegründung nicht zuletzt näher mit den Gründen für die Differenzierung von Blindheit, faktischer Blindheit und "Seelenblindheit" beschäftigen müssen.
113. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
124. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2014:300614BB9BL213B0
Fundstelle(n):
UAAAH-24632