Strafbemessung bei mehreren Gesetzesverletzungen: Freiheitsberaubung als tatbestandsmäßiges Mittel zur Begehung eines anderen Delikts
Gesetze: § 239 StGB, § 177 Abs 1 StGB
Instanzenzug: Az: 33 KLs 14/18
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, versuchter Nötigung, Bedrohung, Freiheitsberaubung und Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt; ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang zum Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Nach den Feststellungen des Landgerichts suchte der Angeklagte, der die Trennung von der Nebenklägerin nicht akzeptieren wollte, diese nach dem gegen deren Willen mehrmals auf und bedrängte sie, zu ihm zurückzukehren. Überdies drang er in ihrer Abwesenheit gewaltsam in ihre Wohnung ein. Die Geschädigte, die aufgrund des Verhaltens des Angeklagten unter einer Schlaf- und Angststörung litt, erwirkte unter dem eine einstweilige Anordnung, nach der es dem Angeklagten untersagt war, sich der Nebenklägerin oder ihrer Wohnung auf eine Entfernung von weniger als 20 m zu nähern, Zusammentreffen mit ihr herbeizuführen, ihr mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit zu drohen und ihren Körper, ihre Gesundheit oder ihre Freiheit zu verletzen. Der Beschluss wurde dem Angeklagten am zugestellt.
3Am kurz nach 22.30 Uhr klingelte der Angeklagte an der Haustür der Geschädigten. Um ein erneutes Eindringen in ihre Wohnung zu verhindern, ging die Nebenklägerin nach draußen, wo sie auf den Angeklagten traf, der mit ihr reden wollte. Die Geschädigte lehnte dies ab und ging zu ihrem Auto, um damit wegzufahren. Der Angeklagte hinderte sie einzusteigen und schlug die Autotür zu. Als sie den Angeklagten wegschieben wollte, wurde dieser aggressiv und zerrte die Geschädigte einige Meter zu einem kleinen Vorplatz, auf dem er sie - ihre Gegenwehr überwindend - gegen eine Garage drückte. In dieser Position versuchte er, die Geschädigte mehrfach zu küssen, wobei es ihm schließlich gelang, seine Zunge in ihren Mund zu stecken. Nachdem sich die Nebenklägerin kurz vom Angeklagten lösen und weglaufen konnte, drückte dieser die Geschädigte, nachdem er sie eingeholt hatte, erneut mit Gewalt gegen einen Holzzaun, versuchte, sie zu küssen, und schlug ihren Kopf gegen den Zaun. Schließlich holte er aus seiner Gürteltasche eine scharfe, spitz zulaufende, maximal 15 cm lange Schere aus Metall hervor. Diese hielt er der Nebenklägerin an den Hals und drohte, sich und die Geschädigte umzubringen, falls sie ihn verlasse. Überdies drohte er, die Nebenklägerin "abzustechen", sollte sie den vorbeikommenden Passanten auf sich aufmerksam machen. Schließlich beruhigte sich der Angeklagte und begab sich mit der Geschädigten zurück zu deren Auto. Als ihm die Nebenklägerin erneut klar zu machen versuchte, dass sie nicht mehr mit ihm zusammenkommen wolle, setzte er sich - die Gegenwehr der Zeugin überwindend - mit einem Knie auf deren Oberschenkel, führte ihren rechten Arm gewaltsam hinter den Fahrersitz und hielt ihn dort umklammert fest. Erneut führte der Angeklagte in Kenntnis dessen, dass er die genannte Schere bei sich führte und diese jederzeit zur Überwindung des Widerstands der Zeugin einsetzten könnte, gegen deren Willen seine Zunge in ihren Mund ein. Sodann griff er unter ihrem Büstenhalter an ihre Brust, knetete diese einige Sekunden und versuchte, in den Schritt der Geschädigten zu fassen. Dabei löste er versehentlich die Autohupe aus, woraufhin er von der Nebenklägerin abließ, die Autoschlüssel an sich nahm und sich auf den Beifahrersitz setzte. Dort holte er erneut die Schere aus seiner Tasche und drohte, sich und die Nebenklägerin umzubringen, sollte diese ihn verlassen. Als die Geschädigte ihm mitteilte, sie wolle lieber sterben, als nochmal mit ihm zusammenzukommen, ließ der Angeklagte von ihr ab.
4Die Nebenklägerin erlitt durch die Tathandlungen großflächige Hautabschürfungen, ein Hämatom sowie eine Druckempfindlichkeit im Bereich des Kiefers und lebte bis zur Inhaftierung des Angeklagten in der Angst, er könne sie erneut aufsuchen.
52. Das Landgericht hat den festgestellten Sachverhalt rechtlich als schwere sexuelle Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, versuchter Nötigung, Bedrohung, Freiheitsberaubung und Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz gewürdigt (§ 177 Abs. 1, Abs. 7 Nr. 1, § 223 Abs. 1, § 240 Abs. 1, 2 und 3, § 239 Abs. 1, § 241 Abs. 1, §§ 22, 52 StGB, § 1 Abs. 1 und 2, § 4 Abs. 1 GewaltSchG).
63. Diese Bewertung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit die Strafkammer von einer tateinheitlichen Verwirklichung der Tatbestände der Bedrohung und Freiheitsberaubung ausgegangen ist und das Geschehen als versuchte Nötigung gewertet hat.
7Das Landgericht hat zunächst nicht bedacht, dass der Angeklagte einen der von ihm erstrebten Nötigungszwecke - die Nebenklägerin davon abzuhalten den vorbeikommenden Passanten auf sich aufmerksam zu machen - erreichte. Das Tatgeschehen ist daher insoweit als vollendete Nötigung zu würdigen. Überdies tritt die Bedrohung hinter der Nötigung zurück, was auch dann gilt, wenn diese - wie vom Landgericht angenommen - nur in der Form des Versuchs vorliegt (vgl. , juris Rn. 4 mwN).
8Auch die tateinheitliche Verurteilung wegen Freiheitsberaubung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Erschöpft sich die Behinderung in der Fortbewegungsfreiheit lediglich als tatbestandsmäßiges Mittel zur Begehung eines anderen Deliktes - hier der sexuellen Nötigung -, kommt § 239 StGB als das allgemeinere Delikt nicht zur Anwendung (vgl. , juris Rn. 4 mwN). Aus den Feststellungen des Landgerichts ergibt sich nicht, dass der Angeklagte die Nebenklägerin über die Erzwingung der sexuellen Handlungen hinaus in ihrer Fortbewegungsfreiheit behindert hätte. Soweit der Angeklagte zu Beginn des Geschehens verhinderte, dass die Geschädigte ihr Kraftfahrzeug benutzte, stellt diese Handlung, mit der die Fortbewegungsfreiheit der Nebenklägerin nicht aufgehoben wurde, keine Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 StGB dar.
9Der Senat hat den Schuldspruch gemäß § 354 Abs. 1 analog StPO entsprechend geändert. Er hält es für ausgeschlossen, dass in einer neuen Verhandlung weitergehende Feststellungen getroffen werden können, die geeignet sind, die Annahme einer tateinheitlich verwirklichten Freiheitsberaubung zu belegen.
104. Die Änderung des Schuldspruchs lässt die vom Landgericht verhängte Freiheitsstrafe unberührt. Der Senat schließt aus, dass die Strafkammer ohne die tateinheitliche Verurteilung wegen Bedrohung und Freiheitsberaubung eine geringere Strafe verhängt hätte. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Landgericht sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung erschwerend die Verwirklichung mehrerer Straftatbestände berücksichtigt hat. Denn die Änderung des Schuldspruchs führt lediglich dazu, dass der Angeklagte nicht gegen sechs, sondern vier Straftatbestände verstoßen hat.
115. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 4 StPO. Der nur geringfügige Erfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten auch nur teilweise von den durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen.
Der Beschluss des 3. Strafsenats des wird wegen eines offensichtlichen Schreibfehlers dahingehend berichtigt, dass es im Tenor statt "" richtig heißen muss "".
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:190219B3STR14.19.0
Fundstelle(n):
JAAAH-23214