BGH Beschluss v. - 4 StR 419/18

Strafschärfende Berücksichtigung von Nachtatverhalten des Angeklagten

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 46 StGB, § 49 Abs 1 StGB, § 63 StGB, § 213 Alt 2 StGB, § 267 StPO

Instanzenzug: Az: 4 StR 419/18 Beschlussvorgehend LG Bochum Az: 7 Ks 1/18

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht in zulässiger Weise erhoben, jedoch hat das Rechtsmittel mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen versetzte die bislang unbestrafte Angeklagte ihrer Mutter in der gemeinsam bewohnten Wohnung nach einem vorangegangenen Streit mit einer Schere einen tödlichen Stich in den Brustkorb. Anschließend stach sie mit der Schere mindestens achtmal auf den Kopf des Tatopfers ein. Sachverständig beraten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten, die im Tatzeitraum an einer subakuten, chronischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis litt, bei Begehung der Tat erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB war.

32. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

43. Hingegen unterliegt der Strafausspruch der Aufhebung.

5a) Bereits die Strafrahmenwahl hält wegen rechtsfehlerhafter Strafschärfungserwägungen bei der Prüfung eines minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 Var. 2 StGB rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

6aa) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet zunächst die strafschärfende Erwägung, die Angeklagte habe nach der Tötung ihrer Mutter die Wohnung verlassen, ohne sich um den Leichnam zu kümmern, so dass dieser der Verwesung preisgegeben gewesen sei. Dieses Nachtatverhalten durfte die Schwurgerichtskammer nicht zu Ungunsten der Angeklagten berücksichtigen. Denn die Angeklagte hat durch ihr Nachtatverhalten weder neues – über das vollendete Tötungsdelikt hinausgehendes – Unrecht geschaffen noch weitere Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf sie werfen würden (vgl. , NStZ 2011, 512, 513; Beschlüsse vom – 3 StR 234/01, juris; vom – 1 StR 338/96, NStZ-RR 1997, 99, 100); insbesondere stellt sich ihr Verhalten nicht als eine schimpfliche Behandlung der Leiche des Tatopfers dar (vgl. , BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 11; Beschluss vom – 2 StR 366/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 17; MüKo-StGB/Miebach/Maier, 3. Aufl., § 46 Rn. 248).

7bb) Rechtlicher Nachprüfung hält ebenfalls nicht stand, dass das Landgericht ohne Einschränkung strafschärfend berücksichtigt hat, dass die Angeklagte nach dem tödlichen Stich in den Brustkorb des Tatopfers noch zumindest achtmal auf dessen Kopf einstach. Insoweit hat das Landgericht nicht erwogen, ob auch dieses Verhalten durch die psychische Erkrankung der Angeklagten mitverursacht wurde, was zur Folge hätte, dass es ihr dann jedenfalls nicht uneingeschränkt strafschärfend angelastet werden durfte (vgl. , BGHSt 16, 360, 364; Beschlüsse vom – 5 StR 364/17, juris Rn. 12; vom – 5 StR 512/12, NStZ-RR 2013, 53; vom – 3 StR 454/96, NStZ-RR 1997, 66).

8cc) Rechtlichen Bedenken begegnen schließlich die Ausführungen des Landgerichts, es habe die „Erfüllung des subjektiven Tatbestandes des Totschlags für Zwecke der Strafzumessung dem oberen Bereich zugeordnet“ (UA S. 92). Denn zum einen lässt sich diese Erwägung nicht damit in Einklang bringen, dass es in der Beweiswürdigung zur inneren Tatseite ausgeführt hat, dass „die Angeklagte den Tod ihrer Mutter als Tatfolge auch jedenfalls im Sinne eines Hinnehmens des Todes wollte“ (UA S. 79), was für die Annahme lediglich bedingten Vorsatzes sprechen könnte. Zum anderen erschließt sich nicht, warum das Landgericht – innerhalb der Vorsatzstufen von Eventualvorsatz über unbedingten Vorsatz bis hin zur Absicht – hier den „oberen Bereich“ als gegeben angesehen hat, obwohl sie ein absichtliches Handeln der Angeklagten ausdrücklich verneint hat (UA S. 79; zur strafschärfenden Berücksichtigung von Tötungsabsicht vgl. , BGHSt 63, 54 mwN).

9b) Zwar ist die Schwurgerichtskammer letztlich vom Vorliegen eines minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 Var. 2 StGB ausgegangen, dies aber nur unter zusätzlicher Berücksichtigung der verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Landgericht ohne die aufgezeigten Rechtsfehler bereits aufgrund der allgemeinen Strafzumessungserwägungen zur Annahme eines minder schweren Falls gekommen wäre; in diesem Fall hätte der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB noch für eine mögliche Strafrahmenverschiebung gemäß § 49 Abs. 1 StGB zur Verfügung gestanden.

104. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat ebenfalls keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.

11a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 239/15, juris; vom – 4 StR 167/15, StV 2016, 724; vom – 3 StR 311/13) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. Rn. 27; , NStZ-RR 2016, 306).

12b) Während die psychische Erkrankung der Angeklagten sowie deren hierauf beruhende erheblich verminderte Schuldfähigkeit bei der Tatbegehung ausreichend festgestellt und in der Beweiswürdigung belegt sind, hält die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts rechtlicher Überprüfung nicht stand.

13aa) Es fehlt bereits an der gebotenen umfassenden Würdigung aller für die Beurteilung der Gefährlichkeit der Angeklagten relevanten Faktoren. Das Landgericht hat bei seiner Gefährlichkeitsprognose unberücksichtigt gelassen, dass die Angeklagte trotz ihrer langjährigen psychischen Erkrankung – hierzu ist festgestellt, dass sie spätestens in den Jahren nach einem Autounfall 1998/1999 eine Psychose entwickelte (UA S. 9) – strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten ist. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat oder – wie hier – gänzlich unbelastet ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Taten (vgl. , BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; Beschlüsse vom – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306; vom – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199). Angesichts der fehlenden Vorbelastung hätte das Landgericht erörtern müssen, warum die Angeklagte in der Vergangenheit nicht durch Aggressionsdelikte in Erscheinung getreten ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 602/13, StV 2015, 218, 219; vom – 4 StR 224/12, StV 2013, 206, 207); daran fehlt es hier.

14bb) Darüber hinaus begegnen auch die Erwägungen des Landgerichts dazu, welche Personen durch die Angeklagte gefährdet seien, rechtlichen Bedenken. Soweit es insbesondere den früheren Mitbewohner der Angeklagten, den Zeugen H.    , für den Fall als gefährdet angesehen hat, dass die Angeklagte erneut zu ihm ziehen sollte, weil auch zu ihm – wie zu ihrer Mutter – eine langjährige konfliktbelastete Beziehung bestehe, hat es sich nicht damit auseinander gesetzt, dass die Angeklagte bereits von 1999 bis 2014 und damit über einen Zeitraum von 15 Jahren bei dem Zeugen lebte, ohne dass es zu Aggressionsdelikten gegen ihn kam. Soweit das Landgericht schließlich angeführt hat, dass sich künftige Aggressionstaten der Angeklagten auch gegen „noch nicht näher zu bezeichnende Personen (Nachbarn, Ärzte, Behördenmitarbeiter)“ richten könnten, ist diese Annahme nicht näher belegt.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:270219B4STR419.18.0

Fundstelle(n):
NAAAH-22125