Mordversuch durch Brandlegung in einem Mehrfamilienhaus: Rücktritt
Gesetze: § 24 Abs 1 S 1 Alt 2 StGB, § 211 StGB, § 263 Abs 3 S 2 Nr 5 StGB, § 267 StPO
Instanzenzug: Az: 1 KLs 8/18
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in sechs tateinheitlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung und mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge sowie wegen Betruges zu einer Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3Der Angeklagte lebte seit November 2016 in einer Mietwohnung im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses in T. . Dort wohnten neun weitere Personen, verteilt auf sieben weitere Wohneinheiten im Erd-, Ober- und Dachgeschoss.
4Im Jahr 2017 geriet der Angeklagte zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. Am frühen Morgen des Tattages, dem , fasste er den Entschluss, in seiner Wohnung Feuer zu legen, um anschließend die von ihm im Juni 2017 abgeschlossene Hausratsversicherung unter Geltendmachung deutlich überhöhter Schäden in Anspruch zu nehmen. Es war dem Angeklagten bewusst, dass das gesamte Haus in Brand geraten und andere Bewohner zu Tode kommen könnten, was er billigend in Kauf nahm.
5Der Angeklagte entzündete nach 0.41 Uhr Papier und legte es auf seiner im Wohnzimmer befindlichen Couchgarnitur ab. Anschließend begab er sich in das Schlafzimmer, wo er verschiedene Kleidungsstücke auf seinem Bett aufhäufte und ebenfalls anzündete. In der Wohnung des Angeklagten entwickelte sich schnell ein Vollbrand, der unter anderem die hölzernen Türzargen sowie die Rollladenkästen erfasste.
6Der Angeklagte erkannte, dass er das Feuer nicht mehr kontrollieren konnte, und fürchtete die Konsequenzen seiner Tat. Um den Tatverdacht von sich auf eine dritte Person zu lenken, warf er seine Geldbörse in den Hausflur, ließ seine Wohnungstür offen stehen und fügte sich mit einem Küchenmesser eine oberflächliche Verletzung im Bauchbereich zu. Um 0.57 Uhr wählte er die Notrufnummer und gab an, dass bei ihm eingebrochen worden sei, der Täter habe ihn angegriffen und verletzt, seine Wohnung stehe in Flammen. Hierdurch wollte der Angeklagte den von ihm beabsichtigten Versicherungsbetrug vorbereiten; ihm ging es jedoch nicht darum, die übrigen Hausbewohner zu retten.
7Zur Untermauerung des von ihm erfundenen Überfalls legte sich der Angeklagte vor seiner Wohnung in den Flur. Bei dem Versuch, die Taschenlampenfunktion seines Mobiltelefons anzustellen, wählte er versehentlich erneut den Notruf; nunmehr forderte er ausdrücklich ein Löschfahrzeug der Feuerwehr an. Anschließend schaffte er es aufgrund der starken Rauchentwicklung nicht mehr, eigenständig aufzustehen, und er rief laut um Hilfe.
8Zur Tatzeit befanden sich sechs weitere Personen im Gebäude. Diese wurden teils durch das Signal der Brandmelder sowie die Rufe des Angeklagten aufmerksam und verließen das Haus, teils wurden sie von den alsbald erschienenen Feuerwehr- und Polizeikräften gerettet. Verletzt wurde niemand.
9Am meldete der Angeklagte gegenüber seiner Versicherung den angeblich von einem unbekannten Täter gelegten Brand und machte Versicherungsleistungen geltend. Es kam hierauf zur Auszahlung von insgesamt circa 2.400 Euro. Als durch das Gutachten eines Brandsachverständigen Zweifel an dem vom Angeklagten geschilderten Hergang aufkamen, wurden weitere Versicherungsleistungen abgelehnt.
II.
101. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, soweit der Angeklagte wegen versuchten Mordes in sechs tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und wegen versuchter Brandstiftung mit Todesfolge verurteilt worden ist.
11a) Das Landgericht hat insoweit einen Rücktritt vom Versuch mit rechtlich nicht tragfähigen Erwägungen abgelehnt.
12Es hat hierzu ausgeführt, dass ein Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB ausscheide, da die Notrufe des Angeklagten nicht auf die Rettung der anderen Hausbewohner gerichtet gewesen seien. Der Angeklagte habe nämlich bei den Notrufen verschwiegen, dass es sich bei dem Brandobjekt um ein Mehrfamilienhaus handele, und habe nur Hilfe für sich selbst angefordert; er habe auch davon abgesehen, die übrigen Hausbewohner vor dem Feuer zu warnen, obwohl ihm dies möglich gewesen sei. Motiv für die Notrufe sei vielmehr die Vorbereitung des geplanten Versicherungsbetrugs gewesen.
13aa) Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte wirksamere Rettungsbemühungen hätte entfalten können, geht dies über die Anforderungen an einen Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative StGB hinaus.
14Erweist sich das auf Erfolgsabwendung gerichtete Handeln des Versuchstäters als erfolgreich und für die Verhinderung der Tatvollendung ursächlich im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative StGB, so kommt es nicht darauf an, ob dem Täter schnellere oder sichere Möglichkeiten der Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten; das Erfordernis eines „ernsthaften Bemühens“ gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB gilt für diesen Fall nicht (vgl. , NStZ-RR 2010, 276, 277; vom - 4 StR 594/05, NStZ 2006, 503, 505; Beschluss vom - 2 StR 251/02, BGHSt 48, 147, 150). Da die Strafkammer davon ausgegangen ist, dass die von dem Angeklagten abgesetzten Notrufe kausal waren für die Rettung aller anwesenden Hausbewohner, ist dies für einen Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative StGB ausreichend. Auf ein etwaiges Nichtergreifen besserer Rettungshandlungen kommt es nicht an.
15bb) Einem strafbefreienden Rücktritt steht - entgegen der Auffassung des Landgerichts - auch nicht entgegen, dass das Vorgehen des Angeklagten nach den getroffenen Feststellungen der Vorbereitung des Versicherungsbetruges diente.
16Abgesehen davon, dass die Annahme des Landgerichts, die Motivation des Angeklagten bei Absetzen der Notrufe sei ausschließlich auf die Vorbereitung des Versicherungsbetrugs gerichtet gewesen, nicht tragfähig belegt ist, da sie im Widerspruch zu der Feststellung steht, der Angeklagte habe „die Konsequenzen seiner Tat“ gefürchtet, stünde selbst eine solche Motivation einem strafbefreienden Rücktritt nicht entgegen. Verschleierungsbemühungen schließen einen Rücktritt nicht aus, wenn die Verhinderung der Tatvollendung Teil dieser Bemühungen ist; anders ist dies nur, wenn die Tatvollendung im Rahmen der Verschleierungshandlung lediglich aus Versehen verhindert wird (vgl. , NJW 1986, 1001; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 24 Rn. 31; LK-StGB/Lilie-Albrecht, 12. Aufl., § 24 Rn. 282 f.). Nach den getroffenen Feststellungen alarmierte der Angeklagte die Rettungskräfte zwar, um den von ihm erfundenen Hergang - Überfall und Brandlegung durch einen Dritttäter - glaubhaft erscheinen zu lassen. Hiermit hat er aber notwendigerweise zugleich Rettungsmaßnahmen in Gang gesetzt.
17b) Es kommt somit nicht mehr entscheidend darauf an, dass auch die Beweiswürdigung, auf welche die Strafkammer die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gestützt hat, rechtlichen Bedenken begegnet.
18aa) Das Landgericht hat in der Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite zunächst auf die „auch insoweit geständige Einlassung des Angeklagten“ verwiesen, ohne diese jedoch inhaltlich mitzuteilen.
19Zwar ist es nach § 267 StPO nicht angezeigt, sondern regelmäßig sogar verfehlt, dass die Einlassung des Angeklagten in allen Einzelheiten in den Urteilsgründen wiedergegeben wird (vgl. zuletzt , juris Rn. 35 ff.). Um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlich-rechtliche Fehler überprüfen zu können, ist es allerdings geboten, dass jedenfalls zum eigentlichen Tatvorwurf eine geschlossene und zusammenhängende Wiedergabe der wesentlichen Grundzüge der Einlassung erfolgt (vgl. , NStZ 2016, 25, 26; Beschlüsse vom - 2 StR 403/14, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 2 Einlassung 2; vom - 4 StR 88/98, NStZ-RR 1999, 45). Eine solche Wiedergabe der wesentlichen Einlassungsinhalte lassen die Urteilsgründe vorliegend vermissen, obwohl dies gerade angesichts der Feststellung eines bloß bedingten Tötungsvorsatzes geboten gewesen wäre.
20bb) Hinzu kommt, dass es gänzlich an Ausführungen zum voluntativen Vorsatzelement, dessen Vorliegen ohne Begründung nur behauptet wird, fehlt. Vorsatzkritische Gesichtspunkte, wie der Verbleib des Angeklagten in dem brennenden Haus, bleiben unerörtert.
212. Wegen des Vorliegens von Tateinheit kann auch die für sich rechtsfehlerfreie Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung keinen Bestand haben (vgl. , juris Rn. 14; vom - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
22Aufgrund des - schon wegen § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 StGB bestehenden - inneren Zusammenhangs zwischen dem Brandgeschehen und dem nachfolgenden Betrug zum Nachteil der Versicherung hebt der Senat das Urteil auch insoweit auf, um dem neuen Tatgericht eine widerspruchsfreie Bewertung des Gesamtgeschehens zu ermöglichen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:260219B4STR514.18.0
Fundstelle(n):
KAAAH-16411