BGH Beschluss v. - VI ZB 50/17

Berufungsschrift: Bezeichnung des Rechtsmittelgegners bei gegnerischen Streitgenossen

Gesetze: § 59 ZPO, §§ 59ff ZPO, § 519 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: OLG Celle Az: 8 U 105/17vorgehend Az: 6 O 365/13

Gründe

I.

1Die Klägerin macht einen Versicherungsanspruch gegen die Beklagte zu 1 (Betriebshaftpflichtversicherer der Klägerin) und Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zu 2 und zu 3 (Kfz-Haftpflichtversicherer und Halterin/Vermieterin eines verunfallten Autokrans) geltend. Mit Urteil vom hat das Landgericht die Klage gegen alle Beklagten abgewiesen.

2Mit Schriftsatz vom hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift - sie ging in fünf Exemplaren ein - lautet wie folgt:

3Auf den Hinweis der Eingangsgeschäftsstelle des Berufungsgerichts, gegen Urteile des Landgerichts Hamburg müsse beim Oberlandesgericht in Hamburg Berufung eingelegt werden, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom erklärt, es handele sich um einen Schreibfehler, die Berufung richte sich gegen ein Urteil des Landgerichts Hannover. Als Beleg hat die Klägerin eine Kopie der ersten Seite des landgerichtlichen Urteils beigefügt, das im Rubrum die Klägerin sowie die Beklagten zu 1, zu 2 und zu 3 aufführt.

4Das Oberlandesgericht hat durch den angefochtenen Beschluss die Berufung gegenüber den Beklagten zu 2 und zu 3 nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

51. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Berufungsschrift der Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen des § 519 ZPO. Zwar seien an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners nicht dieselben strengen Anforderungen zu stellen wie an die Bezeichnung des Rechtsmittelführers. Auch richte sich das Rechtsmittel bei mehreren Streitgenossen auf der Gegenseite im Zweifel gegen alle Streitgenossen, selbst wenn nur einer oder wenige in der Berufungsschrift bezeichnet würden. Vorliegend ergebe sich aber eine Beschränkung der Anfechtung auf die Beklagte zu 1. Die Berufungsschrift selbst lasse nicht erkennen, dass neben der Beklagten zu 1 auch die übrigen Beklagten Rechtsmittelgegner sein sollten. Überdies habe die Klägerin nach dem Hinweis der Eingangsgeschäftsstelle Anlass gehabt, ihre Berufungsschrift nochmals zu überprüfen und Fehler sowie Unvollständigkeiten zu korrigieren. Sie habe es aber bei der Benennung der Beklagten zu 1 belassen. Durch die Übersendung der ersten Seite des landgerichtlichen Urteils sei für das Berufungsgericht erstmals erkennbar gewesen, dass die Klägerin erstinstanzlich zwei weitere Parteien in Anspruch genommen habe. Der Urteilstenor sei aber nicht übersandt worden, so dass nicht erkennbar gewesen sei, ob es im Hinblick auf die Beklagten zu 2 und zu 3 überhaupt zu einer Beschwer der Klägerin gekommen sei. Das vollständige landgerichtliche Urteil sei erst am eingegangen. Aus diesem ergebe sich zudem, dass eine eingeschränkte Berufung durchaus sinnvoll gewesen sei, denn gegen die Beklagte zu 1 habe die Klägerin einen rein versicherungsvertraglichen Anspruch geltend gemacht, gegen die anwaltlich gesondert vertretenen Beklagten zu 2 und zu 3 aber einen Anspruch aus Vermietung und Kfz-Pflichtversicherung.

62. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Denn die angefochtene Entscheidung verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 19 Abs. 4 GG).

7a) Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es, einer Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG NJW 1991, 3140; BVerfGK 9, 225, 228; Senatsbeschluss vom - VI ZB 68/03, VersR 2004, 1623, juris Rn.14; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 93/09, NJW-RR 2011, 281 Rn. 7; vom - VIII ZB 81/10, NJW 2011, 1601 Rn. 5; vom - XII ZB 736/12, VersR 2015, 1047 Rn. 6).

8b) Dies ist vorliegend der Fall. Das Berufungsgericht hat die in § 519 ZPO enthaltenen Anforderungen an eine Berufungsschrift überspannt.

9aa) Zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 ZPO gehört auch die Mitteilung, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wird. Dabei sind allerdings an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weniger strenge Anforderungen zu stellen. Jedenfalls in denjenigen Fallgestaltungen, in denen der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen besteht, richtet sich das Rechtsmittel im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung und somit gegen alle gegnerischen Streitgenossen, es sei denn, die Rechtsmittelschrift lässt eine Beschränkung der Anfechtung erkennen (Senatsurteil vom - VI ZR 245/81, VersR 1983, 984, 985, juris Rn. 25; Senatsbeschluss vom - VI ZB 53/07, NJW-RR 2009, 208 Rn. 5; , NJW-RR 2011, 359 Rn. 12; vom - III ZR 73/07, juris Rn. 6; , NJW-RR 2011, 281 Rn. 9, 11). Eine solche Beschränkung kann sich, wenn auf der Gegenseite mehrere Streitgenossen stehen, zwar auch daraus ergeben, dass in der Rechtsmittelschrift nur einige von ihnen angegeben werden (Senatsbeschluss vom - VI ZB 53/07, NJW-RR 2009, 208 Rn. 5). Der Bundesgerichtshof hat aber eine unbeschränkte Berufungseinlegung auch in Fällen bejaht, in denen als Rechtsmittelgegner nur einer von mehreren Streitgenossen, und zwar der im Urteilsrubrum an erster Stelle Stehende, genannt wurde (, NJW-RR 2011, 359 Rn. 12; vom - VII ZR 65/01, NJW 2002, 831, 832, juris Rn. 9; vom - XI ZR 214/92, NJW 1994, 512, 514, juris Rn. 34; , NJW-RR 2011, 281 Rn. 12).

10bb) Ein solcher Fall liegt hier vor. In der Berufungsschrift der Klägerin ist als Berufungsgegnerin diejenige von mehreren Streitgenossen auf Beklagtenseite genannt, die in dem Urteilsrubrum, welches dem Berufungsgericht innerhalb der Berufungsfrist zur Kenntnis gebracht wurde, an erster Stelle steht. Eine Beschränkung der Anfechtung des klageabweisenden Urteils auf nur diese Beklagte ist der Berufungsschrift, deren Auslegung der uneingeschränkten Nachprüfung durch den Senat unterliegt (, NJW 1988, 1204, 1205, juris Rn. 21), nicht, jedenfalls nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit, zu entnehmen. Sie ergibt sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts weder aus der wechselnden Anzahl der Abschriften, die die Klägerin ihren jeweiligen Schriftsätzen beigefügt hat, noch aus dem Umstand, dass sich die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom auf eine Korrektur der Bezeichnung des Landgerichts beschränkt hat, noch daraus, dass das Berufungsgericht erst mit Vorliegen des vollständigen Urteils des Landgerichts erkennen konnte, dass auch die Beklagten zu 2 und 3 obsiegt hatten. Eine Beschränkung der Anfechtung lässt sich schließlich nicht daraus herleiten, dass dem Berufungsgericht eine solche im Hinblick auf die Begründung des landgerichtlichen Urteils "durchaus sinnvoll" erschienen wäre.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:190319BVIZB50.17.0

Fundstelle(n):
NJW 2019 S. 10 Nr. 20
NJW-RR 2019 S. 640 Nr. 10
MAAAH-15849