Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Heilung von Zulässigkeitsmängeln von fristgemäß erhobenen Verfahrensrügen
Gesetze: § 44 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO, Art 103 Abs 1 GG
Instanzenzug: LG Augsburg Az: 9 KLs 501 Js 102444/14
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in elf Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten verurteilt. Zwei Monate dieser Gesamtstrafe hat es für vollstreckt erklärt. Hiergegen richtet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensrügen und die ausgeführte Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Mit Schriftsatz vom hat er zur Heilung der Mängel einer Verfahrensrüge Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.
21. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig.
3a) Der Angeklagte hat mit der Revision fristgerecht die zu Unrecht erfolgte Zurückweisung eines Befangenheitsantrags gerügt. Das von ihm angebrachte Befangenheitsgesuch hat er hingegen nicht vollständig vorgetragen, da eine Seite fehlt. Nach Kenntnisnahme der Antragsschrift des Generalbundesanwalts, in der auf diesen Mangel hingewiesen worden war, hat er Wiedereinsetzung beantragt und die fehlende Seite nachgereicht.
4b) Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient nicht der Heilung von Zulässigkeitsmängeln von fristgemäß erhobenen Verfahrensrügen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst von Verteidigern nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. , BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1). Dies stünde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44, 46 und vom - 3 StR 6/08 Rn. 5). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 162/93, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; vom - 3 StR 57/01 Rn. 2; vom - 1 StR 432/07, NStZ-RR 2008, 18; vom - 3 StR 6/08 Rn. 6 und vom - 2 StR 578/16, NStZ-RR 2019, 25; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 44 Rn. 7 ff.). Eine solche Ausnahmesituation liegt nicht vor.
5Es handelt sich zum einen nicht um einen Übersendungsfehler. Die 215 Seiten umfassende Revisionsbegründungsschrift ist durchgehend nummeriert, alle Seiten sind lückenlos fristgerecht eingereicht worden. Es liegt zum anderen auch kein Fall vor, in dem wegen nicht gewährter Akteneinsicht Verfahrensrügen nicht fristgerecht erhoben werden konnten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 173/07, NStZ-RR 2008, 282, 283; vom - 2 StR 260/08, NStZ 2009, 173, 174 und vom - 3 StR 555/09 Rn. 2). Der Antragsteller trägt hierzu vor, er habe Akteneinsicht in Form einer pdf-Datei erhalten, hieraus den Ablehnungsantrag in die Revisionsbegründung kopiert und nicht bemerkt, dass die betreffende Seite in der Datei gefehlt habe. Dies stellt jedoch keinen Sachverhalt dar, der ihn wegen fehlender Aktenkenntnis an der formgerechten Erhebung gehindert hätte. Dies gilt schon deswegen, weil es sich um einen von ihm selbst gestellten Antrag handelt und zudem auch keine Bemühungen (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 663/89, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 5; vom - 2 StR 119/92, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 7; vom - 3 StR 514/97, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 12 und vom - 4 StR 36/11 Rn. 2) um vollständige Akteneinsicht angestellt bzw. dargelegt worden sind. Soweit im Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen wird, dass die Erhebung der vollständigen Rüge durch Umstände gehindert worden sei, die der Verteidigung nicht zuzurechnen seien, kann dem aus den aufgezeigten Gründen nicht gefolgt werden. Das Nichtbemerken des Fehlens einer Seite stellt keinen Umstand dar, in dem es zur Wahrung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unerlässlich erscheint, Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen zu gewähren.
6c) Im Übrigen hätte die erhobene Rüge, selbst wenn sie rechtzeitig formgerecht erhoben worden wäre, keinen Erfolg. Die Behandlung des Ablehnungsgesuchs unter Mitwirkung der abgelehnten Richterin als unzulässig begegnet keinen Bedenken. Die in dem Beschluss dargelegten Umstände wie Verfahrensstand, Zeitpunkt der Anbringung und der Verweis auf die völlige Ungeeignetheit der Begründung rechtfertigen die Behandlung als in Verschleppungsabsicht gestellt, § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 289/09, wistra 2009, 446 f.; vom - 2 ARs 377/12 und vom - 3 StR 66/15, StV 2016, 271, 272). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die abgelehnte Richterin ihr eigenes Verhalten beurteilt hätte.
72. Die Revision hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:110419B1STR91.18.0
Fundstelle(n):
QAAAH-15087