BGH Beschluss v. - XI ZB 6/17

Form- und fristgerechte Berufungseinlegung und -begründung: Glaubhaftmachung des Wegfalls der Beweiswirkung eines anwaltlichen Empfangsbekenntnisses zum Eingang des Ersturteils; Unterzeichnung der Berufungsbegründung mit Vertretungszusatz

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 174 Abs 1 ZPO, § 174 Abs 4 S 1 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 511 ZPO, § 517 ZPO, § 520 ZPO

Instanzenzug: Az: 12 U 139/16vorgehend Az: 3 O 124/16

Gründe

I.

1Die Kläger nehmen die beklagte Bank nach dem Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrages auf Rückabwicklung in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das landgerichtliche Urteil ist dem vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger, dem Nebenintervenienten, mittels eines Empfangsbekenntnisses, das das handschriftliche Eingangsdatum vom trägt, zugestellt worden. Nach ordnungsgemäßer Einlegung der Berufung hat das Berufungsgericht am darauf hingewiesen, dass die Berufung bis dahin nicht begründet worden und die Berufungsbegründungsfrist am abgelaufen sei. Am ist beim Berufungsgericht die Berufungsbegründungsschrift eingegangen, die eine Unterschrift mit dem handschriftlichen Zusatz "i.V." trägt. Darunter befindet sich die maschinenschriftliche Angabe des Namens des vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger. Dieser hat mit Schriftsatz vom mitgeteilt, das angefochtene Urteil sei am übermittelt worden. An diesem Tag habe er sich auf einem auswärtigen Termin befunden. Seine Kanzlei sei nur mit einer Mitarbeiterin besetzt gewesen, die die Sendung des Landgerichts geöffnet und auf dem Empfangsprotokoll den notiert habe. Er sei erst am Montag, den , wieder in der Kanzlei gewesen und habe erst an diesem Tag von dem Urteil Kenntnis erhalten. Bei der Unterzeichnung der Empfangsbestätigung habe er versäumt, das Datum auf den zu ändern. Diese Darstellung hat der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger an Eides statt versichert. Hilfsweise hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Auf einen weiteren gerichtlichen Hinweis hat der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger am mitgeteilt, die Berufungsschrift sei von ihm erstellt und in seiner Vertretung von Rechtsanwältin P.   unterschrieben worden.

2Das Berufungsgericht hat durch Beschluss vom die Berufung der Kläger unter Zurückweisung ihres Wiedereinsetzungsantrages als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufung sei nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist formgerecht begründet worden. Auf der Grundlage des Vortrages der Kläger könne die in dem Empfangsbekenntnis erfolgte Bestätigung der Zustellung des landgerichtlichen Urteils für den trotz der Ortsabwesenheit des vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger richtig gewesen sein. Ein Rechtsanwalt könne den Empfang auch für einen früheren Zeitpunkt bescheinigen, zu dem ihm das Schriftstück, etwa telefonisch, bekannt gegeben worden sei. Dass dies am nicht geschehen sei, lasse sich dem Vortrag der Kläger nicht hinreichend sicher entnehmen. Die am bei Gericht eingegangene Berufungsbegründungsschrift sei danach verspätet. Sie sei auch nicht formgerecht, weil ihr eine wirksame Unterschrift fehle. Aus der Berufungsbegründungsschrift selbst heraus sei nicht erkennbar, wer sie unterschrieben habe, insbesondere ob dies wie erforderlich durch einen zugelassenen Rechtsanwalt geschehen sei. Bis zu dem maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist sei nicht ersichtlich gewesen, wer für den vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger "i.V." unterschrieben habe. Ein Wiedereinsetzungsgrund sei nicht gegeben.

3Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Nebenintervenienten.

II.

41. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Die Verwerfung der Berufung als unzulässig, weil es an einer form- und fristgerechten Begründung der Berufung fehle, verletzt die Kläger in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) sowie auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

52. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

6a) Allerdings hat der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger die Zustellung des landgerichtlichen Urteils auf einem Empfangsbekenntnis nach § 174 Abs. 1 und 4 ZPO bescheinigt, das das Datum des trägt, so dass danach die Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) nicht eingehalten wäre. Ein derartiges Empfangsbekenntnis erbringt grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstückes als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VII ZB 12/96, NJW 1996, 2514, 2515 und vom - XII ZB 37/98, NJW-RR 1998, 1442, 1443; Urteil vom - VI ZR 258/00, NJW 2001, 2722, 2723 mwN). Allerdings ist der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben zulässig. Dieser setzt voraus, dass die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können; hingegen ist dieser Gegenbeweis nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (vgl. , NJW 2001, 2722, 2723 und vom - VIII ZR 114/05, NJW 2006, 1206, 1207).

7Die tatsächlichen Voraussetzungen dieses Gegenbeweises hat der Nebenintervenient entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schlüssig vorgetragen. Bei der Würdigung dieses Vorbringens ist der Senat als Rechtsbeschwerdegericht nicht auf eine rechtliche Überprüfung beschränkt, sondern hat den für die Zulässigkeit des Rechtsmittels maßgeblichen Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht selbständig zu würdigen (vgl. , WM 2012, 1210 Rn. 7 mwN).

8Der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger hat sich nach seiner Darstellung am nicht in seiner Kanzlei, sondern auf einem auswärtigen Termin befunden. Er hat demzufolge seine Kanzlei erst wieder am aufgesucht und erst an diesem Tag Kenntnis von dem landgerichtlichen Urteil erlangt. Nach diesen Angaben hat er das Empfangsbekenntnis erst am unterzeichnen können, dabei allerdings versäumt, das Datum zu ändern. Der Behauptung, der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger habe erst am Kenntnis von dem landgerichtlichen Urteil erlangt, lässt sich, anders als das Berufungsgericht meint, mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass dem vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger das Urteil nicht zu einem früheren Zeitpunkt, etwa telefonisch, bekannt gegeben worden ist. Falls diese Darstellung zutrifft, ist die Berufungsbegründungsschrift am fristgerecht beim Berufungsgericht eingegangen.

9b) Die Berufungsbegründungsschrift vom ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts formgerecht. Sie trägt eine wirksame Unterschrift. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist geklärt, dass ein Rechtsanwalt, der eine Berufungsbegründungsschrift für den darin bezeichneten Prozessbevollmächtigten der Partei mit dem Zusatz "i.V." unterzeichnet, erkennbar als Unterbevollmächtigter handelt und mit seiner Unterschrift die Verantwortung für den Inhalt der Berufungsbegründungsschrift übernimmt (, NJW-RR 2012, 1139 Rn. 9). Dass für das Berufungsgericht bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht erkennbar war, welche Person die Unterschrift geleistet hat, ist unerheblich. Für die Prüfung der Frage, ob die Identität und die Postulationsfähigkeit des Unterzeichners eines derartigen Schriftsatzes feststeht bzw. erkennbar ist, ist nicht auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist, sondern auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung abzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom , aaO Rn. 11, vom - III ZB 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 10 und vom - XI ZB 16/16, WM 2017, 831 Rn. 9).

103. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO). Das Berufungsgericht wird, gegebenenfalls nach Vernehmung des vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger und seiner Mitarbeiterin als Zeugen (vgl. , NJW 2000, 814), darüber zu befinden haben, ob auf der Grundlage der Darstellung des Prozessbevollmächtigten der Kläger der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des im Empfangsbekenntnis angegebenen Datums geführt ist.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:250918BXIZB6.17.0

Fundstelle(n):
RAAAH-14884