BGH Beschluss v. - 2 StR 24/19

Instanzenzug: LG Aachen Az: 52 Ks 15/18

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls in drei Fällen unter Einbeziehung der Strafen aus zwei Strafbefehlen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Nach den Feststellungen des Landgerichts irrte die an einer paranoiden Psychose leidende Angeklagte durch das Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses. Hierbei führte sie in ihrer Handtasche ein 30 cm langes Fleischermesser mit sich, um etwaige Angriffe, die sie wahnhaft befürchtete, abzuwehren. Nachdem die Angeklagte der Aufforderung des Zeugen B.       , selbst Besucher eines Mieters, das Haus zu verlassen, nicht gefolgt war, beleidigte dieser sie als „zigeunerischen Junkie“. Er nahm die Angeklagte in den Schwitzkasten, zog sie in den Aufzug, fuhr mit ihr ins Erdgeschoss, zerrte sie aus demselben und forderte sie erneut auf, das Haus zu verlassen. Dabei stieß er sie in Richtung der mehrere Meter entfernten Haustür.

3Der Zeuge wandte sich ab und ging die Treppe hinauf. Die über die Behandlung erboste Angeklagte, die die Situation real einordnete, jedoch aufgrund ihrer psychischen Erkrankung in ihrem Hemmungsvermögen erheblich vermindert war, entschloss sich spontan, es dem Zeugen heimzuzahlen. Sie folgte dem Zeugen und stach mit dem mitgeführten Messer auf diesen ein, um ihn zu verletzen. Dem Zeugen gelang es, den Angriff abzuwehren, wobei er sich eine Schnittwunde am rechten Zeigefinger zuzog. Mit Hilfe weiterer Zeugen konnte die Angeklagte aus dem Mehrfamilienhaus gebracht werden.

4Die sachverständig beratene Strafkammer ist - rechtsfehlerfrei − davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten infolge der paranoid-halluzinatorischen Psychose und der damit einhergehenden Labilisierung ihrer Persönlichkeit erheblich im Sinne von § 21 StGB vermindert war. Sie hat die Strafe dem in § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB normierten minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung entnommen, wobei sie die Annahme des minder schweren Falles nur unter Berücksichtigung und Verbrauch des vertypten Strafmilderungsgrundes nach § 21 StGB als gerechtfertigt ansah.

II.

5Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Prüfung des angefochtenen Urteils hat zu den Schuldsprüchen, den Einzelstrafaussprüchen wegen der Diebstahlstaten sowie der Maßregelanordnung keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Hingegen halten der Strafausspruch wegen gefährlicher Körperverletzung sowie die Gesamtstrafe der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

61. Die Bemessung der Einzelstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung erweist sich als rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat es unterlassen, sich bei der Strafrahmenbestimmung ausdrücklich mit dem Provokationstatbestand der ersten Alternative des § 213 StGB auseinanderzusetzen, obwohl hierzu Anlass bestand.

7a) Nach den tatsächlichen Gegebenheiten, die die Strafkammer bei der konkreten Strafzumessung zutreffend berücksichtigt hat, ging der geschädigte Zeuge mit erheblicher Gewalt gegen die Angeklagte vor. Er beleidigte sie zudem als „zigeunerischen Junkie“. Die hierüber erboste Angeklagte entschloss sich spontan, es dem Zeugen heimzuzahlen und stach in unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Nähe auf diesen ein. Angesichts dieser Feststellungen bedurfte es der Erörterung, ob bei einer sachgerechten Bewertung aller maßgebenden Umstände die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB aus tatrichterlicher Sicht gegeben waren (vgl. zum Maßstab , juris Rn. 12 ff. mwN).

8b) Rechtlich war die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB angezeigt. Denn sein Vorliegen gebietet bereits für sich im Rahmen des § 224 StGB regelmäßig die Annahme eines minder schweren Falles, wenn nicht ausnahmsweise gravierende erschwerende Umstände entgegenstehen (Senat, Beschluss vom - 2 StR 27/14, juris Rn. 6; , juris Rn. 5). Sofern der Erregungszustand über den in § 213 StGB umschriebenen hinausgeht und zu einer von dieser Vorschrift nicht vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, kann eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommen (, aaO mwN; Beschluss vom - 3 StR 454/10, juris Rn. 8 mwN).

9c) Danach kann sich die Nichterörterung des § 213 Alt. 1 StGB hier auf die Strafrahmenwahl ausgewirkt haben. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht eine nochmalige Strafrahmenverschiebung vorgenommen oder aus dem Strafrahmen des § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn es die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB geprüft und bejaht hätte.

102. Die Aufhebung der Einzelstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.

113. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Urteilsgründe zur Gesamtstrafenbildung an einem Darstellungsmangel leiden, weil diese sich nicht zum Eintritt der Rechtskraft der Vorverurteilung vom verhalten. Angesichts dessen kann der Senat nicht zweifelsfrei beurteilen, ob dieser Verurteilung, wie vom Landgericht angenommen, Zäsurwirkung zukommt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:090419B2STR24.19.0

Fundstelle(n):
SAAAH-14875