Gegenstand des Strafurteils: Anforderungen an Tatidentität bei Betäubungsmitteldelikten
Gesetze: § 206a Abs 1 StPO, § 264 StPO, § 354 Abs 1 StPO, § 27 StGB, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG
Instanzenzug: LG München II Az: 2 KLs 44 Js 40203/13
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, neun Monaten und einer Woche verurteilt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Den nicht revidierenden Mitangeklagten K. hat es wegen bewaffnetem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit versuchtem Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass (noch) drei Monate der Freiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollziehen sind.
2Die hiergegen vom Angeklagten S. gerichtete Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, führt zur Aufhebung des Urteils im Fall III. 2b der Urteilsgründe und insoweit zur Einstellung des Verfahrens (§ 206a Abs. 1, § 354 Abs. 1 StPO) sowie zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3Die Aufhebung des Urteils im Fall III. 2b der Urteilsgründe erstreckt sich gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den nicht revidierenden Mitangeklagten K. . Auch insoweit ist das Verfahren einzustellen mit der Folge, dass die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe und der angeordnete Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe vor der Maßregel aufzuheben ist.
41. Soweit das Landgericht den Angeklagten S. im Fall III. 2b der Urteilsgründe wegen der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt hat, fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung einer darauf bezogenen Anklageschrift und demzufolge an einem entsprechenden Eröffnungsbeschluss.
5a) Dem Angeklagten S. war insoweit mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift zur Last gelegt worden, sechs Kilogramm Marihuana, das K. zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt Ende November 2014 gekauft und zum gewinnbringenden Weiterverkauf an eine Vielzahl von Abnehmern übernommen hatte, für diesen in seiner Wohnung bzw. dem zugehörigen Garten bis zum späteren Weiterverkauf aufbewahrt zu haben.
6b) Das Landgericht hat hierzu festgestellt, dass K. seit mindestens Frühjahr 2014 einen regen Handel mit Marihuana in H. und Umgebung betrieb, das er zuvor unter anderem im Raum Kö. erworben hatte. Das Rauschgift lagerte er nach Verbringung in sein Absatzgebiet bei Freunden und Bekannten ein, so auch beim Angeklagten S. . Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitraum im Sommer 2014 kaufte er bei einer namentlich nicht bekannten Person 600 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von zehn Prozent Tetrahydrocannabinol. Er verbrachte das Marihuana, das in sechs vakuumierten Tüten verpackt war, in Absprache mit dem Angeklagten S. zu dessen Wohnung. Entsprechend der Vereinbarung mit K. verwahrte der Angeklagte S. die Betäubungsmittel entweder in der Wohnung oder im Garten des Anwesens bis zu deren Weiterverkauf bzw. teilweisen Eigenkonsum durch K. . Eine Entlohnung hierfür erhielt er von K. nicht.
72. Diese vom Landgericht als Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bewertete Tathandlung des Angeklagten S. war nicht Gegenstand des Verfahrens. Es handelt sich vielmehr im Verhältnis zum anklagegegenständlichen Sachverhalt um eine andere Tat im Sinne des § 264 StPO.
8a) Der prozessuale Tatbegriff umfasst den von der zugelassenen Anklage betroffenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Den Rahmen der Untersuchung bildet also zunächst das tatsächliche Geschehen, wie es die Anklage beschreibt. Dabei kommt es im Einzelfall darauf an, ob zwischen den zu beurteilenden Verhaltensweisen unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung eine so enge innere Verknüpfung besteht, dass eine getrennte Aburteilung in verschiedenen Verfahren einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde. Das Tatgericht muss hierbei seine Untersuchung auch auf Teile der Tat erstrecken, die erst in der Hauptverhandlung bekannt werden (st. Rspr.; vgl. , StraFo 2015, 68; Beschluss vom – 3 StR 255/11, NStZ 2012, 268 f.). Die Umgestaltung der Strafklage darf aber nicht dazu führen, dass die Identität der von der Anklage umfassten Tat nicht mehr gewahrt ist, weil das von ihr zugrunde liegende Geschehen durch ein anderes ersetzt wird (, StraFO 2009, 71). Für die Beurteilung, ob ein bestimmtes tatsächliches Geschehen Teil der prozessualen Tat ist, lassen sich über das Vorgenannte hinaus kaum generalisierende Kriterien angeben. Maßgeblich sind stets die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls (vgl. , BGHR StPO § 264 Abs. 1 Ausschöpfung 5 mwN).
9b) Gemessen daran ist der abgeurteilte Sachverhalt nicht Gegenstand der Anklageschrift gewesen. Die Feststellungen des Landgerichts weichen hinsichtlich der Tatzeit und Menge des verwahrten Betäubungsmittels so erheblich vom Anklagevorwurf ab, dass mit ihnen eine andere als die angeklagte Tat beschrieben ist. Entgegen den Ausführungen der Strafkammer ist die „Nämlichkeit“ der Tat nicht damit zu begründen, dass die Ermittlungsbehörden bei der Beurteilung der Aussage des Zeugen P. einem Missverständnis unterlegen sein sollen. Dieser Zeuge schilderte in seiner Vernehmung zwei unterschiedliche Vorfälle, zum einen den anklagegegenständlichen „Sechs-Kilo-Vorfall“ (UA S. 27), von dem er vom Hörensagen Kenntnis erlangt habe. Der Zeuge ordnete den Vorgang zeitlich etwa zehn bis fünfzehn Tage vor seiner Vernehmung vom ein, demnach wie in der Anklageschrift zugrunde gelegt Ende November 2014. Zum anderen beschrieb der Zeuge P. einen Vorfall, ohne diesen jedoch zeitlich näher einzuordnen, bei dem er persönlich den Mitangeklagten K. zum Angeklagten S. begleitet und hierbei sechs vakuumierte Tüten mit etwa je 100 Gramm Marihuana von diesem gezeigt bekommen habe. Bereits diese Schilderung zeigt eindeutig auf, dass es sich bei den beiden Vorgängen nicht um einen einheitlichen Vorgang im Sinne einer prozessualen Tat gehandelt hat.
103. Der Rechtsfehler führt hinsichtlich des Angeklagten S. zur Aufhebung des Urteils im Fall III. 2b der Urteilsgründe und insoweit zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a Abs. 1, § 354 Abs. 1 StPO. Der Senat hebt des Weiteren den Strafausspruch auf, um dem neuen Tatgericht mit Blick auf die verhängte Geldstrafe wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln die Möglichkeit einer angemessenen Kompensationsentscheidung zu eröffnen, nachdem zwischen Urteilsverkündung und Eingang des Revisionsverfahrens beim Generalbundesanwalt über 22 Monate vergangen sind.
114. Die Urteilsaufhebung und die Verfahrenseinstellung bezüglich Fall III. 2b der Urteilsgründe ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den nicht revidierenden Mitangeklagten K. zu erstrecken. Diese Vorschrift findet auch in Fällen Anwendung, in den die Aufhebung eines Urteils wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses oder einer fehlenden Verfahrensvoraussetzung erfolgt (vgl. , NJW 2018, 1268). Der neue Tatrichter wird aus den beiden Einzelfreiheitsstrafen eine neue Gesamtstrafe zu bilden und gegebenenfalls einen Vorwegvollzug der Strafe vor der Maßregel, deren Anordnung bestehen bleibt, zu bestimmen haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:191217B1STR542.17.0
Fundstelle(n):
GAAAH-14490