Anforderungen an die Konkretisierung des Strafbefehlsantrags
Gesetze: § 200 Abs 1 S 1 StPO, § 264 Abs 1 StPO, § 409 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO
Instanzenzug: LG Darmstadt Az: 950 Js 54694/15 - 12 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge „in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe, unerlaubtem Besitz von Munition und unerlaubter Überlassung einer halbautomatischen Kurzwaffe“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Daneben hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
2Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
31. Die Verfahrensrüge ist aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
42. Das von der Revision geltend gemachte Verfahrenshindernis einer anderweitigen Rechtshängigkeit im Fall II.1 der Urteilsgründe, betreffend die Tat vom , besteht nicht.
5a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
6Mit dem am - antragsgemäß - erlassenen Strafbefehl war dem Beschwerdeführer zur Last gelegt worden, gegen „§§ 52 Abs. 3 Nr. 8, 42 Abs. 1, 2 Abs. 3 WaffG“ verstoßen zu haben, indem er „am in O. einer vollziehbaren Anordnung nach § 41 Abs. 1 Waffengesetz zuwider“ ein Einhandmesser bei sich getragen habe, obwohl ihm der Besitz von Waffen jeglicher Art verboten gewesen sei. Nachdem der Angeklagte hiergegen fristwahrend und unbeschränkt Einspruch eingelegt hatte, stellte das Amtsgericht das Strafbefehlsverfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss vom im Hinblick auf Fall 1 der dem hiesigen Verfahren zugrundeliegenden Anklageschrift vom nach § 154 Abs. 2 StPO ein. Darin wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, am „ in der Gaststätte ‚S. ‘ in der K. straße in O. “ mit - näher beschriebenen - Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben, wobei sich in einer Schublade der Gaststätte sowie in seiner linken Jackentasche jeweils ein Einhandmesser befunden habe. Unter dem erklärte die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Amtsgericht Offenbach am Main die Rücknahme ihres Strafbefehlsantrags (Bl. 1041 d.A.).
7b) Der Strafbefehl konnte - was der Senat im Freibeweisverfahren geklärt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom - StB 4 u. 5/01, BGHSt 46, 349, 351 ff. und vom - 5 StR 431/00, NStZ 2001, 656, 657; Urteil vom - 3 StR 651/17, BeckRS 2018, 33425) - hier keine anderweitige Rechtshängigkeit der verfahrensgegenständlichen Tat bewirken, da er - entgegen der Annahme von Generalbundesanwalt und Landgericht - auf einen unwirksamen Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Darmstadt hin erlassen worden war. Dem liegen folgende rechtliche Erwägungen zugrunde:
8aa) Die Anklageschrift hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen (§ 264 StPO), dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO); sie muss sich von anderen gleichartigen Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (Umgrenzungsfunktion - st. Rspr.; vgl. nur , BGHSt 40, 44, 45 und vom - 4 StR 69/14, BGHR StPO § 154 Abs. 2 Verfahrenshindernis 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 200 Rn. 7; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 200 Rn. 3 jeweils mwN). Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (vgl. u. a. , BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 20). Die Identität des geschichtlichen Vorgangs muss feststehen; es darf kein Zweifel über die verfahrensgegenständlichen Taten im prozessualen Sinn eintreten. Welche Angaben hierfür erforderlich sind, lässt sich allerdings nicht für alle Fälle in gleicher Weise sagen. Die einzelnen Faktoren der Tatkonkretisierung können von Fall zu Fall unterschiedliches Gewicht besitzen und durch größere Genauigkeit jeweils anderer Umstände ersetzt oder verdrängt werden (vgl. , BGHSt 40, 44, 45 ff. und vom - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 155). Fehlt es an einer hinreichenden Konkretisierung, so ist die Anklage unwirksam (vgl. nur , BGHSt 40, 44, 45; vom - 5 StR 431/00, NStZ 2001, 656, 657; Senat, Urteil vom - 2 StR 174/05, NStZ 2006, 649 f.; , NJW 2010, 308 und vom - 1 StR 194/11, BeckRS 2011, 21849; ferner KK-StPO/Schneider, aaO).
9bb) Dies gilt gleichermaßen für den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls. Durch ihn wird - von § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO gesetzlich klargestellt - im Strafbefehlsverfahren die öffentliche Klage erhoben (§ 170 Abs. 1 StPO); die Antragsschrift steht der Anklageschrift gleich (vgl. BT-Drucks. 10/1313, S. 35; , JR 1989, 435, 437 mit Anm. Rieß; , NJW 1996, 2879; OLG Oldenburg, Beschluss vom - Ss 247/06 [I 80], BeckRS 2006, 09761; 1 St OLG Ss 240/11, BeckRS 2012, 5180; 5 St RR 21/01, StV 2002, 356; , StV 2005, 598). Nach antragsgemäßem Erlass des Strafbefehls übernimmt dieser für die Hauptverhandlung die Funktion des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BT-Drucks. aaO; ferner nur Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 411 Rn. 3; KK-StPO/Maur, aaO, § 411 Rn. 8), so dass mit Blick auf diese Funktionsgleichheit und auch zur Bestimmung des Umfangs einer möglichen späteren Rechtskraft an die unerlässliche Tatkonkretisierung im Strafbefehlsverfahren (vgl. § 409 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO) regelmäßig keine geringeren Anforderungen als an den Anklagesatz zu stellen sind.
10c) Hieran gemessen erweist sich der Strafbefehlsantrag wegen fehlender tatkonkretisierender Angaben als unwirksam. Die für sich genommen bereits wenig spezifisch beschriebene Tathandlung wird hier weder durch konkrete Angaben zum Tatort noch durch solche zu einer näher bestimmten Tatzeit individualisiert. Der Antrag beschränkt sich insoweit auf die Mitteilung des Namens einer Großstadt und eines Datums. Auch die gebotene Gesamtschau von Anklagesatz und sonstigem Inhalt des Strafbefehlsantrags ermöglicht hier keine Tatkonkretisierung. Die mitgeteilten angewendeten Vorschriften sind widersprüchlich. Ihnen ist ausdrücklich der Tatvorwurf nach § 52 Abs. 3 Nr. 8 WaffG zu entnehmen; zugleich scheinen sie allerdings auch auf § 52 Abs. 3 Nr. 9 WaffG Bezug zu nehmen und damit ein vollständig anderes Tatgepräge - Führen von Waffen bei öffentlichen Veranstaltungen (§ 42 WaffG) - nahezulegen. Individualisierende Hinweise sind schließlich auch der Angabe zum Augenscheinsobjekt in der Beweismittelliste nicht zu entnehmen („Einhandmesser“).
11d) Auf die - angesichts dessen auch nicht mit der notwendigen Sicherheit zu beantwortende - Frage, ob Fall II.1 der Urteilsgründe und das Strafbefehlsverfahren die nämliche Tat zum Gegenstand haben (§ 264 StPO), kommt es deshalb hier nicht an. Ebenso ohne Bedeutung ist die - vom Landgericht bejahte (UA S. 24 f.) - Frage, ob die Staatsanwaltschaft trotz vorläufiger Einstellung des Strafbefehlsverfahrens und ohne vorherige Wiederaufnahme des Verfahrens (vgl. § 154 Abs. 5 StPO) ihren Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wirksam zurücknehmen konnte (vgl. , BGHSt 36, 361, 363).
123. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zu Ungunsten des Beschwerdeführers ergeben. Ein in der Strafbemessung etwa zu berücksichtigendes schutzwürdiges Vertrauen des Angeklagten darauf, dass Fall II.1 der Urteilsgründe wegen vermeintlicher anderweitiger Rechtshängigkeit nicht verfolgt würde, bestand hier erkennbar nicht (vgl. UA S. 24; vgl. , BeckRS 2008, 20932).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:130319B2STR380.18.0
Fundstelle(n):
JAAAH-14022