BGH Beschluss v. - 2 StR 451/18

Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Betäubungsmittelrecht

Gesetze: § 261 StPO, § 337 StPO, § 25 StGB, § 27 StGB, § 29a BtMG, § 30 BtMG

Instanzenzug: Az: 322 KLs 51/17

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten Y.    wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei einem Vorwegvollzug von fünf Jahren und drei Monaten angeordnet. Den Angeklagten Yi.   hat es wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von dreizehn Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei einem Vorwegvollzug von fünf Jahren und drei Monaten angeordnet. Ferner hat es eine Einziehungsentscheidung zu den sichergestellten Betäubungsmitteln getroffen.

2Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts, der Angeklagte Y.   darüber hinaus die Verletzung formellen Rechts rügen. Das Rechtsmittel des Angeklagten Yi.   hat in vollem Umfang Erfolg. Die Revision des Angeklagten Y.   hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3Die Strafkammer hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

41. Spätestens im Sommer 2017 fassten die Angeklagten, die zu dieser Zeit gemeinsam Betäubungsmittel an Endabnehmer veräußerten, den Entschluss, etwa 50 Kilogramm Morphinbase-Zubereitung aus der Türkei nach Deutschland zu bringen, um diese durch Hinzugabe von Essigsäureanhydrid zu mindestens 100 Kilogramm Heroin weiterzuverarbeiten und dieses gewinnbringend zu verkaufen. Sie wollten so unter anderem ihren eigenen Drogenkonsum finanzieren. Absender der Lieferung sollte ein M.   aus der Türkei sein.

5Nachdem eine erste Lkw-Lieferung des M.   , die lediglich aus Waschmittel bestand und für die Yi.  , der über die erforderliche Zollnummer verfügte, in enger Absprache mit Y.    zwei Lagerräume angemietet hatte, beide Angeklagten erreicht hatte, beauftragte M.   eine Spedition mit dem Transport von 15 Paletten Waschmittel von I.   nach Deutschland. Zuvor hatte er Yi.   mitgeteilt, dieser solle sich um die Verzollung kümmern. In der Ladung befanden sich, wie den Angeklagten bekannt war, Waschmittelverpackungen mit 49,983 Kilogramm Morphinbase-Zubereitung mit einem Wirkstoffanteil von 25,556 Kilogramm Morphinbase. Als der Lkw an der österreichisch-deutschen Grenze zwei Nächte warten musste, weil die Zollgebühren nicht bezahlt waren, überwies Yi.   in Absprache mit Y.    den erforderlichen Betrag. Beide lotsten den Lkw zu einem Treffpunkt im K.   Norden und von dort zu den von Yi.   für die neue Lieferung zusätzlich angemieteten Lagerräumen.

6Das Waschmittel verblieb zunächst auf dem Lkw, da der gutgläubige Fahrer nur nach Bezahlung der Frachtkosten abladen durfte. Y.   verließ das Gelände, um Geld zu holen, kehrte jedoch ohne Geld zurück. Während Y.   eine Batterie für einen elektrischen Hubwagen holte und Yi.   die Paletten inspizierte, erfolgte der Zugriff durch die Ermittlungsbehörden, die den Telefonverkehr und die Aufenthaltsorte der Angeklagten überwacht und von der Ankunft der Betäubungsmittellieferung gewusst hatten.

7Die Strafkammer hat ihre Feststellungen zunächst mit der teilgeständigen Einlassung der Angeklagten belegt. Yi.   hat eingeräumt, er habe von rund 50 Kilogramm Morphin in der Ladung gewusst. Diese hätten jedoch von Niederländern abgeholt werden sollen. Er habe 30.000 € bekommen und hiervon 15.000 € an Y.   weitergeben sollen. Y.    hat ebenfalls zugegeben, von der Morphinlieferung gewusst zu haben. Yi.   habe ihm für seine Hilfstätigkeit 10.000 € geboten.

8Ihre weitergehende Überzeugung, dass beide Angeklagten die rund 50 Kilogramm Morphinbase-Zubereitung einführten, um sie mit Hilfe weiterer Personen zu verarbeiten und gewinnbringend zu verkaufen, hat sie im Wesentlichen auf einer Reihe von „konspirativen“ Telefonaten gestützt. Y.   habe in der Zeit vom 21. August bis zum mit einem unbekannten männlichen Gesprächsteilnehmer, der einen niederländischen Anschluss genutzt habe, mehrfach von einer „Hochzeit“ gesprochen, womit nach der Wertung der Strafkammer die Synthese von Morphinbase und Essigsäureanhydrid gemeint war. Zudem sei in einem Gespräch die Rede von „Anik“ gewesen, womit, was sich aus dem Gesprächszusammenhang ergebe, Essigsäureanhydrid gemeint sei. Die Menge von „mindestens 100 Kilogramm“ des herzustellenden Heroins hat die Strafkammer zum einen aus einem Telefonat des Yi.   mit dem gleichen Gesprächsteilnehmer geschlossen, in dem Yi.   darstellte, er mache „100 m² Malerarbeiten“. Zum anderen hat sie - sachverständig beraten − festgestellt, dass aus der sichergestellten Morphinbase-Zubereitung durch Hinzufügen von Essigsäureanhydrid 29,671 Kilogramm reine Heroinbase gewonnen und zwischen knapp 100 und 300 Kilogramm verkaufsfertiges Heroin hätte hergestellt werden können.

9Bei der Gesamtwürdigung hat die Strafkammer gesehen, dass beide Angeklagten nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügten, um die sichergestellte Morphinbase-Zubereitung anzukaufen. Sie hat erörtert, dass sie nicht festzustellen vermochte, wie beide Angeklagten ihren Handel mit Heroin organisierten. Sie sah indes keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagten von jemandem Anweisung erhalten hätten, obwohl solche bei der lückenlos überwachten Telekommunikation zu erwarten gewesen wären. Sie hat hieraus den Schluss gezogen, dass die Angeklagten ihren Betäubungsmittelhandel auf eigene Rechnung und im eigenen Interesse betrieben.

102. In der Wohnung des - insoweit geständigen - Y.    befanden sich am 28,126 Gramm Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 5,87 Gramm Heroinhydrochlorid verkaufsfertig abgepackt und 2,55 Gramm Kokain, die Y.    teilweise verkaufen und teilweise selbst konsumieren wollte. Die Strafkammer hat ihn insoweit - nach Beschränkung des Verfahrens gemäß § 154a Abs. 2 StPO - wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt.

II.

111. Die Verurteilung beider Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat keinen Bestand, weil die den Feststellungen zum täterschaftlichen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zugrundeliegende Beweiswürdigung - trotz des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabes - der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht standhält. Auf die Verfahrensrügen des Angeklagten Y.   , die sich ausschließlich auf den Schuld- und Strafausspruch in diesem Fall der Urteilsgründe beziehen, kommt es daher nicht an.

12a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelten für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme auch im Betäubungsmittelrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts. Beschränkt sich die Beteiligung des Täters am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, kommt es maßgeblich darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt (, juris Rn. 11). Danach ist in wertender Betrachtung unter Berücksichtigung des Grades des eigenen Interesses am Erfolg, des Umfangs der Tatbeteiligung und der Tatherrschaft oder doch wenigstens des Willens zur Tatherrschaft zu beurteilen, ob ein Beteiligter, der einen nicht ganz untergeordneten, die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistet, auf der Grundlage gemeinsamen Wollens die Tat als eigene oder ob er lediglich fremdes Tun fördern wollte (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 166/17, juris Rn. 7; vom - 3 StR 339/10, NStZ-RR 2011, 57 mwN).

13Es ist allein Sache des Tatrichters, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (, NStZ-RR 2014, 380). Die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist, namentlich dann, wenn sie nicht sämtliche Umstände, die dazu geeignet waren, die Entscheidung zu beeinflussen, in ihre Überlegungen einbezogen und wesentliche Feststellungen in der vorzunehmenden umfassenden Gesamtwürdigung nicht berücksichtigt hat (vgl. , juris Rn. 15).

14b) Diesen Maßstäben wird das angegriffene Urteil nicht gerecht. Im Zuge der gebotenen Gesamtwürdigung hat die Strafkammer mehrere Beweisanzeichen nicht erörtert, die einer Beurteilung der konkreten Beteiligungshandlung der Angeklagten als täterschaftliches Handeln im Rahmen des Gesamtgeschäfts entgegenstehen könnten.

15Zwar sieht die Strafkammer, die für ein täterschaftliches Handeln der Angeklagten von einem zutreffenden Maßstab ausgeht, im Zuge ihrer Gesamtwürdigung, dass beide Angeklagte nicht über die wirtschaftlichen Mittel für den Ankauf einer derart großen Rauschgiftmenge verfügten. Sie lässt indes unerörtert, dass der Transportauftrag für die inkriminierte Lieferung durch M.   in der Türkei erfolgte und Yi.   mit diesem fortlaufend in Kontakt stand. Dies könnte − wozu sich die Urteilsgründe nicht verhalten − dafür sprechen, dass Yi.   im Auftrag des türkischen Lieferanten handelte.

16Die Strafkammer hat sich auch nicht damit auseinandergesetzt, dass sich beide Angeklagten nur eingeschränkt bemühten, die notwendigen Zollformalitäten zu erledigen, um den Transport der Lieferung über die deutsche Grenze zu sichern. Gleiches gilt für ihre fehlenden finanziellen Mittel, die Frachtkosten zu zahlen und damit das Abladen der Ware zu erreichen. Beide Umstände könnten ebenfalls gegen ein täterschaftliches Handeltreiben der Angeklagten sprechen.

17Sie hat ferner nicht in den Blick genommen, dass sich die vollständig überwachten Aktivitäten der Angeklagten in Deutschland auf die Beschaffung der Lagerräume und auf den Empfang der Ware beschränkten. Ein Bemühen, das für die Herstellung des Heroins erforderliche Essigsäureanhydrid zu beschaffen, konnte die Strafkammer nicht feststellen, obwohl die Synthese der beiden Stoffe nach ihrer Wertung seitens der Angeklagten zeitnah geplant war. Aktivitäten für ein Absetzen der Ware vermochte die Strafkammer trotz der „lückenlos überwachten Telekommunikation“ ebenfalls nicht festzustellen. Auch dies könnte dafür sprechen, dass die Angeklagten lediglich in einen Handelsvorgang eingebunden waren.

18Die aus Sicht der Strafkammer maßgeblichen Telefonate mit dem männlichen Nutzer des niederländischen Anschlusses lassen offen, wann und wo die „Hochzeit“, aus Sicht der Strafkammer die Weiterverarbeitung der Morphinbase-Zubereitung, stattfinden sollte. Die Würdigung der festgestellten Telekommunikation bleibt im Übrigen lückenhaft. In einem Telefonat vom meint der männliche Nutzer der niederländischen Rufnummer, er werde sein Bargeld nehmen und die „Hochzeit machen“. Dies könnte dafür sprechen, dass die Weiterverarbeitung nicht in den Händen der Angeklagten lag. Gleiches könnte sich aus einem Telefonat vom ergeben, in dem der Nutzer des niederländischen Anschlusses Y.   erklärt, dass seine „Kinder aus der Heimat“ gekommen seien und er sich gedacht habe, „bisschen Anik und Dings“ zu machen. Folgt man der Wertung der Strafkammer, dass es sich bei „Anik“ um einen konspirativen Begriff für Essigsäureanhydrid handelt, könnte der Wortlaut des Telefonats dafür sprechen, dass der Gesprächspartner von Y.    plante, die Weiterverarbeitung vorzunehmen. Gleiches gilt für dessen Nachfrage in einem weiteren Gespräch vom gleichen Tag, wie viele Teile von diesem „Anik“ gut seien, worauf Y.   erläutert, es könnten fünf oder zehn Teile sein, es mache keinen Unterschied.

19c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Verurteilung beider Angeklagten wegen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf diesen Rechtsfehlern beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bedingt die Aufhebung des Schuldspruchs wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (vgl. zum Maßstab für täterschaftliche Einfuhr , juris Rn. 5; Senat, Urteil vom - 2 StR 23/16, juris Rn. 15; , juris Rn. 14, jeweils mit weiteren Nachweisen) bei beiden Angeklagten sowie der hieran anknüpfenden Einziehungsentscheidung über 49,98 kg Morphinbase-Zubereitung. Um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, sieht der Senat davon ab, die insoweit bislang getroffenen Feststellungen auch nur teilweise bestehen zu lassen. Die Sache bedarf im Fall II.1 der Urteilsgründe insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

20d) Der Wegfall des Schuldspruchs im Fall II.1 der Urteilsgründe zieht bei dem allein insoweit verurteilten Yi.   die Aufhebung der Maßregelanordnung nach sich.

212. Die auf die Sachrüge veranlasste weitergehende Überprüfung der Urteilsgründe lassen im Schuld- und Strafausspruch im Fall II.2 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten Y.    erkennen. Dies gilt auch für die Anordnung der Maßregel in seiner Person. Jedoch entzieht der Wegfall der Einzelstrafe im Fall II.1 der Urteilsgründe der Gesamtstrafe die Grundlage. Damit unterfällt auch die Dauer des Vorwegvollzugs der Aufhebung.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:191218B2STR451.18.0

Fundstelle(n):
SAAAH-12879