BVerwG Beschluss v. - 2 B 12/18

Erfolglose Aufklärungsrüge gegen Sachverständigengutachten zum Kausalzusammenhang zwischen Dienstunfall und Gesundheitsbeeinträchtigung; Aufklärungspflicht; Sachverständigengutachten; Streitwert

Gesetze: § 42 Abs 1 S 1 GKG 2004, § 86 Abs 1 VwGO

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 3 A 1358/15 Urteilvorgehend Az: 3 K 6607/13 Urteil

Gründe

1Die allein auf das Vorliegen eines Verfahrensmangels gestützte Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist unbegründet.

21. Die 1953 geborene Klägerin stand bis zu ihrer Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit zum als Lehrerin im Dienst des Beklagten. Der Beklagte erkannte mehrere bei der Klägerin eingetretene Schäden als Folgen eines in der Schule erlittenen Dienstunfalls vom August 2007 (Sturz von einer Leiter) an: Schädelhirntrauma, multiple Körperprellungen insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule und des Schädels sowie eine Querfraktur des Kreuzbeins etwa in Höhe des zweiten Sakralwirbelkörpers. Die dauernde Dienstunfähigkeit der Klägerin beruht auf einer psychosomatischen Schmerzstörung und der depressiven Symptomatik der Klägerin. Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Unfallruhegehalt lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, zwischen dem Dienstunfall und dem aktuellen Beschwerdebild bestehe kein kausaler Zusammenhang. Ein im erfolglosen Vorverfahren eingeholtes medizinisches Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass das von der Klägerin geklagte generalisierte Schmerzsyndrom nicht durch die dienstunfallbedingten Erstkörperschäden verursacht sei. Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Gewährung von Unfallruhegehalt ab dem abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

3Der für die Gewährung von Unfallruhegehalt erforderliche spezifische Ursachenzusammenhang zwischen dem Dienstunfall und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die zur Dienstunfähigkeit und infolgedessen zur Zurruhesetzung der Beamtin geführt hätten, bestehe nicht. Es lasse sich nicht feststellen, dass die unmittelbaren Folgen des Dienstunfalls zu den Gesundheitsstörungen wesentlich beigetragen hätten, aufgrund derer die Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Zurruhesetzung dienstunfähig gewesen sei. Aufgrund der bestandskräftigen Bescheide über die Folgen des Dienstunfalls stehe fest, dass die Klägerin ein Schädelhirntrauma 1. Grades erlitten habe. Ein Schädelhirntrauma eines höheren Grades lasse sich jedoch nicht feststellen. Nach dem gerichtlich bestellten Gutachter leide die Klägerin an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Der Verlauf der Krankheit und der klar zuzuordnende psychodynamische Konflikt sprächen einwandfrei für eine eher psychogene Betonung des psychosomatischen Beschwerdekomplexes. Die bei der Exploration der Klägerin zu Tage getretene Art der Verarbeitung der Umstände des Todes ihres Vaters habe gezeigt, dass die Klägerin eine medizinisch nicht begründbare Angst vor einer Lähmung gehabt habe. Das Gericht sei auch nicht davon überzeugt, dass die psychosomatische Schmerzstörung und die depressive Symptomatik der Klägerin, die zur Dienstunfähigkeit geführt hätten, im Rechtssinne auf dem Dienstunfall beruhten. Der Dienstunfall sei zwar Anlass der Entwicklung, er habe aber bei natürlicher Betrachtung zu diesen Erkrankungen nicht wesentlich beigetragen. Es bestehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls die ernsthafte Möglichkeit, dass biografische Faktoren, insbesondere der unbewältigte Konflikt hinsichtlich des Suizids des Vaters und die sonstige Präposition der Klägerin, überragend auf den Eintritt der Erkrankungen hingewirkt hätten. Dementsprechend habe der Verursachungsbeitrag des Leitersturzes nur eine untergeordnete Bedeutung.

42. Die Beschwerde hat keinen Verfahrensmangel dargelegt, auf dem die angegriffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts beruhen kann (§ 133 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

5a) Die Beschwerde beanstandet zunächst, dass das Oberverwaltungsgericht die in der Berufungsverhandlung anwesende Klägerin nicht persönlich angehört hat. Das Berufungsgericht hätte die Klägerin dazu hören müssen, ob ihre Angaben, die sie den Privatgutachtern im Rahmen der dortigen Exploration über die Dauer einer Amnesie im Anschluss an den Unfall vom August 2007 gegeben hat, ihrer Erinnerung entsprechen.

6Ein Tatsachengericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung, wenn sich ihm auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen ( 1 B 2.15 - juris Rn. 2). Eine sachgerechte Handhabung dieses Grundsatzes hat zwar unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung und der Prozessökonomie zu erfolgen (vgl. 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188 <196>). Dies enthebt die Tatsachengerichte aber nicht von der Verpflichtung, den Sachverhalt - gegebenenfalls auch unter Mitwirkung der Beteiligten - weiter aufzuklären, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (vgl. 8 C 76.80 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 147 S. 10). Ungeachtet des Umstands, dass die anwaltlich vertretene Klägerin in der Berufungsverhandlung ihre eigene Anhörung nicht beantragt hat, kann eine Verletzung der dem Oberverwaltungsgericht nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegenden Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht festgestellt werden.

7Das Oberverwaltungsgericht ist zu Gunsten der Klägerin von dem Umstand ausgegangen, der mit der unterbliebenen Anhörung der Klägerin belegt werden kann, d.h. dass die Angaben der Klägerin über ihren Gesundheitszustand im unmittelbaren Anschluss an den Dienstunfall im Verlaufe ihrer Untersuchung aus Anlass der Erstellung des Privatgutachtens vom - Erleiden einer prograden Amnesie mit der Folge eines höhergradigen Schädelhirntraumas - der subjektiven Erinnerung der Klägerin entspricht. Der Gutachter - und ihm insoweit folgend das Berufungsgericht - bezweifelt jedoch nicht die inhaltliche Übereinstimmung zwischen der Aussage der Klägerin gegenüber den Privatgutachtern im Juni 2017 und ihren subjektiven Erinnerungen an die Geschehnisse im Anschluss an den Sturz von der Leiter im August 2007. Vielmehr hat der Gutachter dargelegt, dass die Angaben der Klägerin zu den Folgen des Leitersturzes - Erleiden eines höhergradigen Schädelhirntraumas - nicht zutreffen. So hat sich die Klägerin vor der Exploration durch die Privatgutachter im Juni 2017 zu keinem Zeitpunkt auf nennenswerte Erinnerungslücken nach dem Sturz vom August 2007 berufen. Zudem hat die Klägerin auch gegenüber anderen Gutachtern detaillierte Angaben zu den Abläufen nach dem Unfall getätigt. Ferner ist die Klägerin nach dem Sturz von der Leiter alleine von der Schule nach Hause mit dem Auto gefahren. Auch hat der Gutachter darauf hingewiesen, dass sich ein Mensch nach zehn Jahren Zeitablauf nicht mehr verlässlich daran erinnern könne, ob er eine längere Amnesie gehabt habe; ferner könnten sich beim Betroffenen unmittelbare Erinnerung und die Erinnerung an schriftlich Festgehaltenes miteinander vermischen.

8b) Zur Klärung der entscheidungserheblichen Frage, ob die unmittelbaren Folgen des vom Beklagten anerkannten Dienstunfalls vom zu den Gesundheitsstörungen wesentlich beigetragen haben, aufgrund derer die Klägerin zum wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden ist, hat das Oberverwaltungsgericht ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt, das vom Gutachter in der Berufungsverhandlung zudem mündlich erläutert worden ist.

9Hinsichtlich eines zusätzlich einzuholenden Sachverständigengutachtens ist den Tatsachengerichten nach § 98 VwGO i.V.m. §§ 404 und 412 ZPO Ermessen eröffnet. Die unterlassene Einholung eines zusätzlichen Gutachtens ist nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn das vorliegende Gutachten seinen Zweck nicht zu erfüllen vermag, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Liegt dem Gericht bereits eine sachverständige Äußerung zu einem Beweisthema vor, muss es ein weiteres Gutachten nur einholen, wenn die vorhandene Stellungnahme von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, inhaltliche Widersprüche oder fachliche Mängel aufweist oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters besteht ( 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <45>; Beschlüsse vom - 2 B 3.09 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 5 Rn. 7 und vom - 2 B 14.14 - Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 5 Rn. 18 f. m.w.N.). Die Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter das vorliegende Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält ( 9 C 3.85 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 38 S. 122, vom - 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 2 und vom - 7 C 15.13 - NVwZ 2016, 308 Rn. 47; Beschlüsse vom - 10 B 34.12 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 109 Rn. 4, vom - 2 B 40.16 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 46 Rn. 15 und vom - 2 B 76.16 - juris Rn. 17).

10Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht nach diesen Grundsätzen gehalten war, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen.

11Zunächst wird dem Oberverwaltungsgericht in der Beschwerdebegründung zu Unrecht unterstellt, es sei mit dem von ihm eingeholten Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass diese Erkrankungen - psychische Erkrankungen und insbesondere das Schmerzsyndrom - "nicht als ursächlich für die Zurruhesetzung angesehen werden könnten". Dabei wird übersehen, dass das Berufungsgericht auf der Basis des medizinischen Sachverständigengutachtens nur zu der Einschätzung gelangt ist, dass die unmittelbaren Folgen des Dienstunfalls vom August 2007 zu den tatsächlichen Gesundheitsstörungen - psychosomatische Schmerzstörung und depressive Störung mit rezidivierenden Phasen -, aufgrund derer die Klägerin in den Ruhestand versetzt worden ist, nicht wesentlich beigetragen haben.

12Die Beschwerde beanstandet ferner, die gutachterliche Stellungnahme des Dr. F. vom sei sowohl beim gerichtlich bestellten Gutachter als auch beim Berufungsgericht selbst unberücksichtigt geblieben. Diese Vorhaltung trifft nicht zu, weil der gerichtlich bestellte Sachverständige die Vorgeschichte nach Aktenlage dargestellt und dabei auch die gutachterliche Stellungnahme des Dr. F. vom einbezogen hat. Auch hat das Berufungsgericht selbst festgestellt, dass der Gutachter sämtliche bis dahin erstellten ärztlichen Unterlagen zur Kenntnis genommen hat. Das von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten vom Juni 2017 hat keinen Anlass zu einem weiteren Sachverständigengutachten gegeben, weil gerade nicht festgestellt werden kann, dass die Klägerin beim eigentlichen Dienstunfall im August 2007 ein höhergradiges Schädelhirntrauma erlitten hat. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat sich auch mit den im Privatgutachten festgestellten kognitiven Defiziten der Klägerin befasst. Auf die Ausführungen des Gutachters, gegen die Annahme eines durch den Dienstunfall erlittenen Schädelhirntraumas 2. Grades spreche, dass derartige Defizite auch bei einem solchen Trauma meistens im Laufe der Zeit abklingen, geht die Beschwerdebegründung nicht weiter ein.

13Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

14Die von den Vorinstanzen abweichende Festsetzung des Streitwerts beruht auf der Anwendung von § 42 Abs. 1 GKG, die Empfehlungen des Streitwertkatalogs vorgeht. Die Klägerin hat in den Vorinstanzen die Aufhebung der ablehnenden Bescheide der Behörde und die Verpflichtung des beklagten Landes beantragt, ihr ab dem Unfallruhegehalt zu gewähren. Nach der bei den Verwaltungsgerichten üblichen Praxis ist dies der gebotene Antrag, wenn die Klägerin letztendlich eine Leistung des beklagten Dienstherrn anstrebt, die dieser im vorangegangenen Verwaltungsverfahren abgelehnt hat. Damit geht es hier um Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen aus einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG. Maßgeblich ist für den Streitwert danach der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen.

15Im konkreten Fall ist zu beachten, dass die Klägerin bereits Versorgungsbezüge erhält. Mit ihrer Klage erstrebt sie der Sache nach aber lediglich das für sie höhere Unfallruhegehalt. Maßgeblich ist danach der Unterschiedsbetrag zwischen Ruhegehalt und Unfallruhegehalt. Bezogen auf den - wegen des Eingangs beim Bundesverwaltungsgericht - maßgeblichen Monat Februar 2018 beläuft sich der Unterschiedsbetrag auf 1 044,85 €. Damit errechnet sich nach der Vorgabe des § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG - dreifacher Jahresbetrag - ein Streitwert von 37 614,60 €.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2018:160518B2B12.18.0

Fundstelle(n):
EAAAH-11864