BAG Urteil v. - 9 AZR 349/18

Aufrechnung - Pfändungsverbot - Urlaubsentgelt - Erhöhung der Arbeitszeit

Gesetze: § 1 TVG, § 387 BGB, § 388 BGB, § 394 S 1 BGB, § 850 Abs 1 ZPO, § 322 Abs 2 ZPO, § 39a TV-BA, § 850c ZPO, § 850e Nr 1 S 1 ZPO, § 29 Abs 1 S 1 TV-BA, § 23 Abs 1 S 1 TV-BA, § 16 Abs 1 TV-BA, § 16 Abs 3 TV-BA, § 29 Abs 1 S 3 TV-BA

Instanzenzug: ArbG Osnabrück Az: 4 Ca 166/17 Ö Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 2 Sa 1072/17 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe des dem Kläger nach einem unterjährigen Wechsel von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitbeschäftigung zustehenden Urlaubsentgelts.

2Der Kläger ist bei der Beklagten als Berater für akademische Berufe beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit vom in der im Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (TV-BA) Anwendung, der ua. regelt:

3Der Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit vom (ATV-BA) bestimmt in der maßgeblichen Fassung ua.:

4Der Kläger war - jeweils an fünf Arbeitstagen in der Woche - vom 1. bis zum in Vollzeit mit einer Wochenarbeitszeit von 39 Stunden, vom 1. Februar bis zum in Teilzeit mit einer Wochenarbeitszeit von 33 Stunden und vom 1. Juli bis zum in Vollzeit mit einer Wochenarbeitszeit von 39 Stunden beschäftigt.

5Zwischen dem 1. Februar und dem hat der Kläger keinen Urlaub genommen. Die Beklagte gewährte ihm am , vom 4. bis zum sowie am 14., 22. und Urlaub in einem Umfang von 12,5 Arbeitstagen. Das Urlaubsentgelt für diese Urlaubstage berechnete sie auf Basis der Vergütung für eine Vollzeitbeschäftigung und leistete in entsprechender Höhe Zahlungen an den Kläger. Zuvor hatte die Beklagte in einem an den Kläger gerichteten Schreiben vom die Ansicht vertreten, die Inanspruchnahme des - aus ihrer Sicht aus der Zeit der Teilzeitbeschäftigung verbliebenen - Urlaubsanspruchs von 12,5 Tagen führe zu einer Gehaltsüberzahlung, und angekündigt, es werde deshalb eine Anhörung zur Verrechnung mit dem Gehalt des Klägers erfolgen. Mit Schreiben vom forderte die Beklagte das gezahlte Urlaubsentgelt iHv. 255,16 Euro brutto vom Kläger zurück und erklärte, der Rückforderungsbetrag werde in einer Summe mit zukünftigen Gehaltsansprüchen aufgerechnet.

6Der Nettoverdienst des Klägers für den Monat März 2017 betrug 2.424,11 Euro. Hiervon führte die Beklagte 59,60 Euro netto als Pflichtumlagebeiträge des Klägers zur Zusatzversorgung an die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) ab. Zudem brachte sie - ausweislich der Entgeltabrechnung für März 2017 wegen „Überzahlung“ in den Vormonaten - 227,49 Euro netto in Abzug: 18,20 Euro netto für einen Urlaubstag im August 2016, 163,79 Euro netto für neun Urlaubstage im Oktober 2016 und 45,50 Euro netto für zweieinhalb Urlaubstage im Dezember 2016.

7Mit der Klage hat der Kläger restliche Vergütung für den Monat März 2017 iHv. 227,49 Euro netto nebst Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, ihm habe das Urlaubsentgelt in ausgezahlter Höhe zugestanden. Zudem stehe einer Aufrechnung entgegen, dass sein Vergütungsanspruch für März 2017 nicht in voller Höhe des einbehaltenen Betrags pfändbar sei.

8Der Kläger hat zuletzt beantragt,

9Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, der streitgegenständliche Vergütungsanspruch des Klägers für den Monat März 2017 sei durch Aufrechnung mit überzahltem Urlaubsentgelt iHv. 227,49 Euro netto erloschen. Der Kläger habe den Urlaubsanspruch während seiner Teilzeitbeschäftigung erworben. Dementsprechend habe das Urlaubsentgelt auf Basis der Teilzeitbeschäftigung berechnet werden müssen. Jedenfalls sei die Aufrechnung mit dem pfändbaren Betrag iHv. 147,49 Euro netto zulässig. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Tilgungsreihenfolge sei für den Kläger erkennbar gewesen, dass sie die Aufrechnung gegen seine Forderung entsprechend dem Alter ihrer Gegenforderungen erklärt habe, beginnend mit ihrer ältesten Forderung.

10Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Klageabweisung.

Gründe

11Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Die Beklagte ist nach § 611 Abs. 1 BGB verpflichtet, an den Kläger für den Monat März 2017 restliche Vergütung iHv. 227,49 Euro netto nebst Zinsen zu zahlen. Der Vergütungsanspruch des Klägers iHv. 2.424,11 Euro netto ist nicht in Höhe des von der Beklagten einbehaltenen Betrags iHv. 227,49 Euro netto durch Aufrechnung nach §§ 388, 389 BGB erloschen.

12I. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Vergütungsanspruch des Klägers sei nicht durch Aufrechnung erloschen, weil die Beklagte mangels Aufrechnungslage iSd. § 387 BGB nicht berechtigt gewesen sei, 227,49 Euro netto vom Arbeitsentgelt des Klägers für den Monat März 2017 einzubehalten, lässt allerdings außer Betracht, dass die Aufrechnung der Beklagten teilweise nicht statthaft ist.

131. Aufrechnung iSv. § 387 BGB ist die wechselseitige Tilgung zweier sich gegenüberstehender Forderungen durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Schuldners (§ 388 BGB). Sie setzt voraus, dass klar ist, mit welcher Forderung aufgerechnet wird. Für die Geltendmachung einer Aufrechnung mit einer Gegenforderung gilt der Bestimmtheitsgrundsatz (vgl.  - Rn. 25; - 3 AZR 300/11 - Rn. 102). Es muss feststellbar sein, welche der zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche in welcher Höhe erloschen sind (vgl.  - zu II der Gründe). Nach § 394 Satz 1 BGB findet die Aufrechnung gegen die Forderung nicht statt, soweit sie der Pfändung nicht unterworfen ist. Übersteigen die zur Aufrechnung gestellten Forderungen die Höhe des pfändungsfreien Nettoeinkommens, muss ggf. im Einzelnen bestimmt werden können, in welcher Reihenfolge mit den Ansprüchen aufgerechnet wird (vgl.  - Rn. 105).

142. Die Beklagte hat die Aufrechnung mit angeblich überzahltem Urlaubsentgelt iHv. 227,49 Euro netto gegen das dem Kläger für den Monat März 2017 zustehende Nettoarbeitsentgelt zwar hinreichend bestimmt erklärt. Die Aufrechnung ist jedoch iHv. 98,00 Euro netto nicht statthaft, weil die Forderung insoweit nicht der Pfändung unterworfen ist und daher dem Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB iVm. § 850 Abs. 1, §§ 850a bis 850i ZPO unterfällt.

15a) Mit Erteilung der Entgeltabrechnung für den Monat März 2017 hat die Beklagte gegenüber dem Kläger zwar hinreichend bestimmt die Aufrechnung iSv. §§ 387, 388 BGB wegen Überzahlung von Urlaubsentgelt iHv. 227,49 Euro netto gegen das dem Kläger für den Monat März 2017 zustehende Nettoarbeitsentgelt erklärt (vgl.  - Rn. 16; - 10 AZR 7/02 - zu II 4 der Gründe, BAGE 103, 1). Aufgrund der vorangegangenen Schreiben der Beklagten und des Inhalts der Entgeltabrechnung für den Monat März 2017 war für den Kläger der Zusammenhang zwischen dem Abzug und der Zahlung von Urlaubsentgelt in den Monaten August, Oktober und Dezember 2016 erkennbar. Es war für ihn auch ersichtlich, in welcher Höhe sich die Beklagte für einzelne Urlaubstage in diesen Monaten eines Rückforderungsanspruchs berühmte. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Tilgungsreihenfolge aus § 396 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 366 Abs. 2 BGB konnte der Kläger auch erkennen, dass die Beklagte die Aufrechnung gegen seinen Vergütungsanspruch für den Monat März 2017 entsprechend dem Alter der von ihr behaupteten Gegenforderungen, beginnend mit ihrer ältesten Forderung, erklärte (vgl.  - Rn. 105).

16b) Die Parteien und Vorinstanzen haben jedoch die Anwendbarkeit der Bestimmungen über das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB übersehen.

17aa) Das Landesarbeitsgericht durfte die Statthaftigkeit der Aufrechnung nicht unentschieden lassen. Wird mit einer Gegenforderung aufgerechnet, ist die Entscheidung, ob die Gegenforderung besteht oder nicht besteht, bis zur Höhe des Betrags, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft (§ 322 Abs. 2 ZPO) fähig. Der Umfang der Rechtskraft der Entscheidung darf nicht unklar bleiben (vgl.  - Rn. 59, BAGE 157, 102). Es ist deshalb rechtsfehlerhaft, wenn ein Urteil die Zulässigkeit der Aufrechnung offenlässt (vgl.  - Rn. 54; Musielak/Voit/Musielak ZPO 15. Aufl. § 322 Rn. 83; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 39. Aufl. § 322 Rn. 48a; Zöller/Vollkommer ZPO 32. Aufl. § 322 Rn. 19).

18bb) Das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB konnte auch nicht unbeachtet bleiben. Die Voraussetzungen einer nicht den gesetzlichen Aufrechnungsverboten und -beschränkungen unterliegenden Verrechnung, bei der unselbstständige Rechnungsposten in eine Gesamtabrechnung eingestellt und so unmittelbar saldiert werden ( - Rn. 21 mwN, BAGE 129, 335), sind nicht erfüllt. Die Beklagte war nicht berechtigt, etwaige Überzahlungen mit dem Vergütungsanspruch des Klägers zu verrechnen. Das an den Kläger in den Monaten August, Oktober und Dezember 2016 gezahlte Urlaubsentgelt ist kein unselbstständiger Rechnungsposten, der bei der Ermittlung des dem Kläger für den Monat März 2017 zustehenden Vergütungsanspruchs zu berücksichtigen gewesen wäre. Es hatte keine Gesamtabrechnung zu erfolgen. In den von der Beklagten geleisteten Urlaubsentgeltzahlungen kann auch kein Vorschuss auf den Vergütungsanspruch des Klägers für den Monat März 2017 gesehen werden, bei dessen Auszahlung sich beide Seiten darüber einig gewesen wären, dass es sich um eine vorweggenommene Tilgung handelt, die bei Fälligkeit der Forderung verrechnet wird. Einer Verrechnung steht zudem § 39a TV-BA entgegen. Die Rückforderung von Arbeitsentgelt, zu dem nach § 39a Abs. 2 TV-BA alle finanziellen Leistungen gehören, die auf tariflicher Basis gezahlt werden, hat nach § 39a Abs. 4 TV-BA durch Aufrechnung unter Beachtung der Regelungen zum Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen nach §§ 850 ff. ZPO zu erfolgen.

19c) Der Senat kann aufgrund der in der Revisionsverhandlung unstreitig gestellten Tatsachen selbst beurteilen, dass die Aufrechnung der Beklagten iHv. 98,00 Euro netto nicht statthaft ist. Daher bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 3 ZPO).

20aa) Der nach § 850c ZPO unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens ist auf Basis des nach § 850e ZPO zu ermittelnden Nettoeinkommens zu bestimmen. Nach § 850e Nr. 1 Satz 1 ZPO sind bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens die Beträge nicht mitzurechnen, die unmittelbar aufgrund steuerrechtlicher oder sozialrechtlicher Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen sind. Dazu zählen auch Pflichtumlagebeiträge des Arbeitnehmers, die der Arbeitgeber aufgrund tariflicher Bestimmungen vom Nettoeinkommen des Arbeitnehmers einzubehalten und an die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder abzuführen hat. Zwar handelt es sich insoweit nicht um eine gesetzlich, sondern um eine tarifvertraglich statuierte Verpflichtung des Arbeitnehmers. Dieser kann sich jedoch, wie bei einer gesetzlichen Beitragsverpflichtung aufgrund einer sozialrechtlichen Vorschrift, der Abführung der Beiträge nicht entziehen (vgl. dazu  - zu I 1 d aa der Gründe;  - Rn. 13, 15; aA Sänger ZTR 2011, 10).

21bb) Das für die Bestimmung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens nach § 850c ZPO zugrunde zu legende Nettoeinkommen des Klägers im Monat März 2017 betrug 2.364,51 Euro. Die Parteien haben übereinstimmend erklärt, dass der Kläger im Monat März 2017 seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern zum Unterhalt verpflichtet war und die Beklagte von seiner Nettovergütung unter Beachtung von § 28 TV-BA iVm. § 16 Abs. 1 ATV-BA in zutreffend ermittelter Höhe 59,60 Euro als Pflichtumlagebeiträge des Arbeitnehmers an die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder abgeführt hat. Danach beträgt der pfändbare Teil des verbleibenden Nettoverdiensts des Klägers auf der Grundlage der zum Aufrechnungszeitpunkt nach § 850c ZPO geltenden Pfändungsfreigrenzen 129,49 Euro. Die Beklagte hat gegen den Nettoverdienst des Klägers für den Monat März 2017 angeblich überzahltes Urlaubsentgelt iHv. insgesamt 227,49 Euro netto aufgerechnet. Soweit der Abzug iHv. 98,00 Euro netto über den pfändbaren Betrag von 129,49 Euro netto hinausging, ist die Aufrechnung nach § 394 Satz 1 BGB iVm. § 850 Abs. 1, §§ 850a bis 850i ZPO nicht statthaft.

223. Im Übrigen ist die Aufrechnung unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass im Umfang der in Höhe eines Betrags von 129,49 Euro netto statthaften Aufrechnung keine Aufrechnungslage iSd. § 387 BGB bestand. Die Beklagte hat gegen den Kläger keinen Anspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung von Urlaubsentgelt iHv. 18,20 Euro netto für einen Urlaubstag im August 2016 und iHv. anteilig 111,29 Euro netto für neun Urlaubstage im Oktober 2016, mit dem sie gegen den Vergütungsanspruch des Klägers hätte aufrechnen können.

23a) Nach § 29 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 TV-BA iVm. § 4 BUrlG hatte der Kläger im Urlaubsjahr 2016 einen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen. Die im Verlauf des Urlaubsjahres 2016 zwischen den Parteien vereinbarten Änderungen der Wochenarbeitszeit hatten nach § 29 Abs. 1 Satz 3 TV-BA auf die Anzahl der dem Kläger zustehenden Urlaubstage keinen Einfluss, weil die Arbeitszeit des Klägers durchgehend auf fünf Tage in der Kalenderwoche verteilt war. Eine Verminderung des Urlaubsanspruchs sieht § 29 Abs. 1 Satz 3 TV-BA nur bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf weniger als fünf Tage in der Woche vor.

24b) Der Kläger hatte nach § 29 Abs. 1 Satz 1, § 23 Abs. 1 Satz 1 TV-BA für die Urlaubstage, die ihm zwischen August und Dezember 2016 gewährt wurden, einen Anspruch auf Urlaubsentgelt in Höhe des Entgelts, das ihm bei Erbringung der Arbeitsleistung in Vollzeit zugestanden hätte.

25aa) Nach § 29 Abs. 1 Satz 1, § 23 Abs. 1 Satz 1 TV-BA hat der Arbeitnehmer, dem im Zeitraum seiner Vollzeitbeschäftigung Urlaub gewährt wird, Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts nach § 16 Abs. 1 und Abs. 3 TV-BA sowie der sonstigen in Monatsbeträgen festgelegten Gehaltsbestandteile. Für die Fortzahlung des Gehalts und der sonstigen in Monatsbeträgen festgelegten Gehaltsbestandteile gilt das Entgeltausfallprinzip. Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrags.

26(1) Bereits der Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 1 TV-BA spricht gegen die von der Beklagten vertretene Auslegung. Die Tarifvorschrift knüpft an den Begriff der „Gehaltsfortzahlung“ an und bestimmt, dass das Gehalt sowie die sonstigen in Monatsbeträgen festgelegten Gehaltsbestandteile „weitergezahlt“ werden. Eine Fort- bzw. Weiterzahlung im Tarifsinne bezieht sich auf das Entgelt, auf das der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des aktuellen Beschäftigungsumfangs Anspruch hat. Berechnete man das Urlaubsentgelt auf der Grundlage einer im Vergleich zum aktuellen Beschäftigungsumfang geringeren Beschäftigungsquote, würde das Entgelt nicht „weitergezahlt“, sondern für den Urlaubszeitraum verringert.

27(2) Dieses Verständnis wird durch die Systematik des Tarifvertrags bestätigt. Mit dem Verweis in § 29 Abs. 1 Satz 1 TV-BA auf die tarifliche Vorschrift über die Gehaltsfortzahlung in § 23 Abs. 1 Satz 1 TV-BA etabliert der TV-BA ein einheitliches Regime der Entgeltfortzahlung für Zeiten, in denen der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung aufgrund von Urlaub oder Krankheit nicht zu erbringen in der Lage ist (vgl. zu § 26 Abs. 1 Satz 1 und § 21 Satz 1 TV-L  - Rn. 17, BAGE 162, 137). Dieser Gleichlauf wäre gestört, wenn man mit der Beklagten annehmen wollte, in die Berechnung des Urlaubsentgelts könnte eine geringere als die aktuelle Beschäftigungsquote, die auch für die Höhe der Entgeltfortzahlung im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit maßgeblich ist, eingestellt werden.

28(3) Auch Sinn und Zweck von § 29 Abs. 1 Satz 1 und § 23 Abs. 1 Satz 1 TV-BA sprechen für die Geltung des Entgeltausfallprinzips. Die Tarifnormen bezwecken eine Verstetigung des Entgelts in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer urlaubsbedingt an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert ist. Dem Verstetigungszweck wird durch die Fortzahlung des aktuellen Entgelts Rechnung getragen. Ein Rückgriff auf Entgeltansprüche aus vergangenen Zeiträumen stünde dem entgegen (vgl. zu § 26 Abs. 1 Satz 1 und § 21 Satz 1 TV-L  - Rn. 18, BAGE 162, 137).

29(4) Der von der Beklagten vertretenen Auslegung von § 29 Abs. 1 Satz 1, § 23 Abs. 1 Satz 1 TV-BA widerspräche zudem das Gebot der gesetzeskonformen Auslegung von Tarifverträgen, dem zufolge Tarifverträge, sofern die Tarifnorm dies zulässt, grundsätzlich so auszulegen sind, dass sie nicht im Widerspruch zu höherrangigem Recht stehen und damit Bestand haben (st. Rspr., vgl.  - Rn. 30, BAGE 162, 144; - 6 AZR 459/16 - Rn. 18). Ein Normverständnis, dem zufolge bei der Berechnung des Urlaubsentgelts die über eine Wochenarbeitszeit von 33 Stunden hinausgehenden bei einer Vollzeitbeschäftigung zu erbringenden Wochenarbeitsstunden unberücksichtigt blieben, wird nicht durch die allgemeine Öffnungsklausel für Tarifverträge in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG getragen.

30(a) Nach § 13 Abs. 1 BUrlG können die Tarifvertragsparteien von den Bestimmungen des BUrlG auch zuungunsten der Arbeitnehmer abweichen. Ausgenommen sind aber die Regelungen in den §§ 1, 2 und § 3 Abs. 1 BUrlG. Tarifverträge dürfen die aus § 1 BUrlG folgende Entgeltfortzahlungspflicht nicht durch eine von § 11 Abs. 1 BUrlG abweichende Berechnung der fortzuzahlenden Vergütung mindern. Die Tarifvertragsparteien können jedoch jede Berechnungsmethode wählen, die geeignet ist, ein Urlaubsentgelt sicherzustellen, wie es der Arbeitnehmer bei Weiterarbeit ohne Freistellung voraussichtlich hätte erwarten können (vgl. hierzu im Einzelnen  - Rn. 22 mwN).

31(b) Die Nichtberücksichtigung der über eine Wochenarbeitszeit von 33 Stunden hinausgehenden Wochenarbeitsstunden wiche von der Regelung in § 1 BUrlG ab. Die Vorschrift erhält für die Dauer des gesetzlichen Mindesturlaubs den Anspruch auf Vergütung der infolge des Urlaubs ausfallenden Arbeitszeit aufrecht ( - Rn. 17 mwN). Werden Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme der Arbeitsleistung bei der Berechnung des Urlaubs nicht berücksichtigt, wird dem Arbeitnehmer das hierfür zustehende Urlaubsentgelt vorenthalten. Der durch den Urlaub ausfallende Teil der Arbeitszeit (sog. Zeitfaktor) gehört zu dem unabdingbaren Teil der Bezahlung iSd. § 1 BUrlG. Die in § 1 BUrlG begründete Verpflichtung des Arbeitgebers, grundsätzlich alle infolge der Arbeitsbefreiung ausfallenden Arbeitsstunden zu vergüten, hat weder in § 11 Abs. 1 BUrlG noch an anderer Stelle im BUrlG eine einschränkende Regelung erfahren. Deshalb kann der Zeitfaktor, der zugleich auch den Multiplikator für das Urlaubsentgelt iSd. § 11 BUrlG darstellt, selbst von den Tarifvertragsparteien nicht zulasten des Arbeitnehmers verändert werden. Die Berücksichtigung der tatsächlich ausfallenden Arbeitsstunden ist dem Arbeitnehmer nach §§ 1, 3, 13 BUrlG garantiert ( - Rn. 23 mwN).

32(5) Das Unionsrecht führt nicht zu einer abweichenden Auslegung des Tarifvertrags. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Unionsrecht für den gesetzlichen Mindesturlaub die von der Beklagten vertretene Berechnung des Urlaubsentgelts zuließe. Die Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG (Rahmenvereinbarung) und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) gewährleisten nur einen Mindestschutz für bestimmte Rechte der Arbeitnehmer (§ 6 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung, Art. 15 der Richtlinie 2003/88/EG). Die Möglichkeit der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner, für die Arbeitnehmer günstigere Vorschriften anzuwenden oder zu erlassen, bleibt hiervon unberührt (vgl.  - [Greenfield] Rn. 38).

33bb) Ein Rückforderungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB, mit dem die Beklagte hätte aufrechnen können, bestand danach nicht. Die Beklagte hat an den Kläger für die 12,5 Urlaubstage, die ihm während seiner Vollzeitbeschäftigung zwischen August und Dezember 2016 gewährt wurden, nicht mehr als das Urlaubsentgelt gezahlt, das ihm nach § 29 Abs. 1 Satz 1, § 23 Abs. 1 TV-BA zustand.

34II. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB. Nach § 26 TV-BA war die Vergütung für den Monat März 2017 am Freitag, dem , fällig. Die Beklagte befand sich ab dem Folgetag im Verzug. Der Kläger kann Zinsen ab Verzugseintritt verlangen (vgl.  - Rn. 42).

35III. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2018:201118.U.9AZR349.18.0

Fundstelle(n):
BB 2019 S. 1139 Nr. 20
NJW 2019 S. 1477 Nr. 20
EAAAH-11825