BGH Beschluss v. - V ZB 216/17

Rücküberstellungshaftsache: Interesse des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft bei Verlegung in ein Krankenhaus aufgrund ärztlicher Überweisung

Leitsatz

An einem Interesse des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft fehlt es, wenn und soweit er in dem von der Anordnung der Sicherungshaft erfassten Zeitraum aufgrund ärztlicher Überweisung in ein Krankenhaus verlegt wurde, es sei denn, der stationäre Aufenthalt findet wegen der angeordneten Sicherungshaft in einem Haftkrankenhaus, in einer geschlossenen Abteilung des Krankenhauses oder unter Überwachung statt.

Gesetze: § 62 Abs 1 FamFG, § 14 AufenthG, § 58 Abs 2 S 1 Nr 1 AufenthG, § 59 AufenthG

Instanzenzug: Az: 2 T 358/17vorgehend AG Neuwied Az: 7 XIV 64/17 B

Gründe

I.

1Der Betroffene, ein eritreischer Staatsangehöriger, reiste erstmals im Juni 2016 über Italien in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Diesen lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom als unzulässig ab, weil er bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hatte, und ordnete seine Abschiebung nach Italien an. Zugleich wurde seine Abschiebung dorthin angedroht. Am wurde der Betroffene, gegen den Sicherungshaft angeordnet war, nach Italien überstellt. Am reiste er erneut in das Bundesgebiet ein und wurde noch am selben Tag in Gewahrsam genommen. Am beantragte er erneut Asyl.

2Das Amtsgericht hat, nachdem es zunächst mit Beschluss vom im Wege der einstweiligen Anordnung Sicherungshaft für die Dauer von sieben Tagen angeordnet hat, mit Beschluss vom Haft zur Sicherung der Rücküberstellung nach Italien bis längstens angeordnet. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Diese hat er, nachdem er am fachärztlich in eine Klinik für Psychiatrie und Neurologie überwiesen worden ist, mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung weiterverfolgt. Ende März 2017 hat der Betroffene die Klinik verlassen und sich in sog. Kirchenasyl begeben. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.

3Das Beschwerdegericht meint, der Haftantrag sei zulässig. Zwar hätte die Haft gemäß Art. 28 Abs. 32 UAbs. 3 der Dublin-III-Verordnung nur für lediglich sechs Wochen, also nur bis zum angeordnet werden dürfen. Der Verstoß sei jedoch unschädlich, da der Betroffene am in eine Klinik überstellt worden sei. Es fehle auch nicht an einer Rückkehrentscheidung. Die Abschiebungsandrohung vom sei durch die am erfolgte Überstellung nach Italien nicht verbraucht, zumal das BAMF mit Bescheid vom erneut die Abschiebung des Betroffenen angeordnet habe, nachdem der Betroffene am einen Asylfolgeantrag gestellt habe. Dieser stehe der Anordnung von Überstellungshaft nicht entgegen.

III.

4Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet.

51. Die Beschwerde des Betroffenen ist allerdings zu Recht zurückgewiesen worden, soweit sie die Haftanordnung durch das Amtsgericht für den Zeitraum ab dem betrifft, weil es insoweit an einem Feststellungsinteresse (§ 62 Abs. 1 FamG) fehlt.

6a) In Freiheitsentziehungssachen besteht nach einer Erledigung der Hauptsache zwar grundsätzlich ein Rehabilitierungsinteresse und damit ein Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen für einen Antrag, mit dem die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung festgestellt werden soll (vgl. § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG sowie BVerfGE 104, 220, 235; Senat, Beschluss vom - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726 Rn. 9; Beschluss vom - V ZB 213/09, NVwZ 2010, 1510 Rn. 5). An einem solchen Interesse fehlt es aber, soweit sich der Betroffene in dem von der Haftanordnung nach § 421 FamFG erfassten Zeitraum nicht (mehr) in Abschiebungshaft befunden hat. Das ist z.B. der Fall, wenn er eine Freiheitsstrafe verbüßt oder sich in Untersuchungshaft befunden hat (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 211/10, juris Rn. 6; Beschluss vom - V ZB 162/10, juris Rn. 2).

7b) An einem Interesse des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft (§ 62 Abs. 1 FamFG) fehlt es auch, wenn und soweit er in dem von der Anordnung der Sicherungshaft erfassten Zeitraum - wie hier - aufgrund ärztlicher Überweisung in ein Krankenhaus verlegt wurde, es sei denn, der stationäre Aufenthalt findet wegen der angeordneten Sicherungshaft in einem Haftkrankenhaus, in einer geschlossenen Abteilung des Krankenhauses oder unter Überwachung statt. Nur in diesen Fällen ist die Verlegung in das Krankenhaus mit einer Freiheitsentziehung verbunden. Fehlt es daran, wird die Abschiebungshaft infolge der Verlegung nicht vollzogen. Dass hier die Freiheitsentziehung des Betroffenen während des Krankenhausaufenthalts fortdauerte, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Dagegen spricht schon, dass der Betroffene die Klinik Ende März 2017 aus freien Stücken verlassen konnte. Auch in der Folgezeit wurde die Haft nicht mehr vollzogen, nachdem er sich in sog. Kirchenasyl begeben hat.

82. Bezogen auf den Zeitraum, in dem die Sicherungshaft vollstreckt wurde (24. Februar bis ), ist die Rechtsbeschwerde jedoch begründet. Die Haftanordnung durch das Amtsgericht hat den Betroffenen insoweit in seinen Rechten verletzt.

9a) Allerdings liegt der Haftanordnung entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Von einer näheren Begründung wird insoweit gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

10b) Die Anordnung von Abschiebungshaft hat den Betroffenen aber in seinen Rechten verletzt, weil im Zeitpunkt der Haftanordnung eine Abschiebungsandrohung entgegen der Ansicht der beteiligten Behörde nicht vorlag und es deshalb an einer Vollstreckungsvoraussetzung fehlte.

11aa) Zu den von dem Haftrichter zu prüfenden Vollstreckungsvoraussetzungen gehört grundsätzlich das Vorliegen einer Abschiebungsandrohung nach § 59 AufenthG. Eine solche Androhung muss auch dann erfolgen, wenn der Ausländer gemäß § 14 AufenthG unerlaubt eingereist und deshalb nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig ist (Senat, Beschluss vom - V ZB 39/15, juris Rn. 5 mwN).

12bb) Die Abschiebungsandrohung vom konnte nicht Grundlage für die anzuordnende Haft sein. Durch die Überstellung des Betroffenen nach Italien am ist diese Abschiebungsandrohung „verbraucht“; sie wirkt nicht als vorsorgliche Androhung für den Fall einer erneuten unerlaubten Einreise fort (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 62/17, Asylmagazin 2018, 182 Rn. 12; Beschluss vom - V ZB 61/18, juris Rn. 5; vgl. für den Fall der freiwilligen Ausreise Senat, Beschluss vom - V ZB 39/15, juris Rn. 8; Beschluss vom - V ZB 18/14, juris Rn. 9; Beschluss vom - V ZB 44/15, InfAuslR 2015, 440 Rn. 7).

13cc) Etwas anderes folgt hier nicht aus § 71 Abs. 5 und 6 AsylG.

14(a) Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es allerdings nach § 71 Abs. 5 AsylG zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung. Nach Absatz 6 Satz 1 dieser Vorschrift gilt dies auch, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte. Die Vorschrift ermöglicht die Abschiebung des Ausländers auf der Grundlage der in einem früheren Verfahren erlassenen asylverfahrensrechtlichen Abschiebungsandrohung (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 44/15, InfAuslR 2015, 440 Rn. 6; vgl. , juris Rn. 5). Ein Verbrauch der Abschiebungsandrohung scheidet in diesem Fall aus. Bei der Ausreise bzw. Abschiebung kann nämlich noch nicht übersehen werden, ob nach einer späteren Wiedereinreise ein Folgeantrag gestellt und die frühere Abschiebungsandrohung - der Regelung in § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG entsprechend - noch für die Aufenthaltsbeendigung des potentiellen Folgeantragstellers benötigt wird (OVG Münster, NWVBl 2005, 439, 440; OVG Magdeburg, Beschluss vom - 2 M 217/05, juris Rn. 12).

15(b) Die Vorschrift des § 71 Abs. 6 AsylG ist hier jedoch nicht einschlägig. Der Betroffene hat zwar am erneut einen Asylantrag gestellt. Dabei handelt es sich aber nicht um einen Asylfolgeantrag. Dieser setzt nach § 71 Abs. 1 AsylG voraus, dass ein früherer Asylantrag zurückgenommen oder unanfechtbar abgelehnt worden ist. Daran fehlt es. Aus dem von dem Landgericht in Bezug genommenen Bescheid des BAMF vom ergibt sich, dass über die Klage des Betroffenen gegen den Bescheid vom in der Hauptsache noch nicht entschieden war. Dann kann es sich bei dem weiteren Asylbegehren nicht um einen Folgeantrag, sondern nur um eine Bestätigung bzw. Ergänzung des noch anhängigen Asylantrags (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 71 AsylG Rn. 11, 13; HK-AuslR/Kerstin Müller, 2. Aufl., § 71 AsylVfG Rn. 14) oder um einen sog. „Mehrfach-“ bzw. „Doppelantrag“ handeln (BeckOK AuslR/Dickten, AsylG [], § 71 Rn. 4a), weswegen entgegen der Ansicht der beteiligten Behörde die für den Folgeantrag geltenden Spezialvorschrift des § 71 Abs. 5 und 6 AsylG nicht anwendbar ist.

16c) Der Fehler ist nicht geheilt worden. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hat das BAMF zwar am eine erneute Abschiebungsandrohung erlassen, so dass ab diesem Zeitpunkt die vollziehbare Ausreisepflicht durch eine Abschiebung durchgesetzt werden konnte (Senat, Beschluss vom - V ZB 31/12, InfAuslR 2013, 38 Rn. 6). Das konnte den Fehler schon deshalb nicht beheben, da sich der Betroffene zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Sicherungshaft befunden hat.

IV.

17Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 1, 84, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:070219BVZB216.17.0

Fundstelle(n):
SAAAH-11508