Dienstliche Beurteilung eines Richters; Voreingenommenheit eines Beurteilers
Gesetze: Art 33 Abs 2 GG
Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: 2 A 111/13 Urteilvorgehend Az: 3 K 796/09
Gründe
11. Der Kläger wendet sich gegen seine Regelbeurteilung für den Beurteilungszeitraum von 1998 bis 2001.
2Der Kläger ist Richter am Arbeitsgericht im Dienst des beklagten Landes. Er hat hinsichtlich seiner für den Beurteilungszeitraum von 1998 bis 2001 erstellten dienstlichen Beurteilung aus dem Jahr 2002 ein 2008 rechtskräftig gewordenes Neubescheidungsurteil erstritten. Die daraufhin ergangene dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 2009 enthielt - wie die dienstliche Beurteilung aus dem Jahr 2002 - das Gesamturteil "entspricht nicht den Anforderungen".
3Das nach erfolglosem Widerspruchsverfahren angerufene Verwaltungsgericht hat das beklagte Land zur Neubeurteilung verpflichtet. Die dienstliche Beurteilung sei verfahrensfehlerhaft, weil der Beurteiler voreingenommen gewesen sei. Dies ergebe sich daraus, dass er in mehreren Schreiben aus den Jahren 2001 bis 2009 die sachliche Ebene verlassen habe; schon der Bundesgerichtshof habe Formulierungen des Beurteilers in der im Jahr 2006 erstellten dienstlichen Beurteilung als unsachlich und über das Gebotene hinausschießende Abwertung der gesamten Richterpersönlichkeit des Klägers bewertet.
4Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Die Klage sei zwar zulässig; insbesondere habe der Kläger im Hinblick auf die von ihm geltend gemachte Diskriminierung trotz des lange zurückliegenden Beurteilungszeitraums das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die Klage sei jedoch unbegründet, weil der Beurteiler bei der Erstellung der dienstlichen Beurteilung nicht voreingenommen gegenüber dem Kläger gewesen sei. Nachhaltige, fortwirkende unsachliche oder ehrverletzende Äußerungen des Beurteilers oder verifizierbare Aversionen könnten weder der angegriffenen dienstlichen Beurteilung selbst noch anderen Umständen entnommen werden. Für den maßgeblichen Zeitpunkt der Erstellung und Aushändigung der streitgegenständlichen dienstlichen Beurteilung im Februar 2009 sei das Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Beurteiler noch nicht völlig zerrüttet gewesen. Soweit die im Jahre 2006 erstellte dienstliche Beurteilung unsachliche Formulierungen enthalte, sei dies im maßgeblichen Zeitpunkt der hier angegriffenen dienstlichen Beurteilung nur ein vereinzelter Konflikt gewesen.
52. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
6Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht oder ein anderes divergenzfähiges Gericht - dazu zählt bei Klagen aus dem Beamtenverhältnis bis zur grundsätzlichen Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht auch ein anderes Oberverwaltungsgericht (§ 127 Nr. 1 BRRG, § 63 Abs. 3 BeamtStG) - in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. Au-gust 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom - 2 B 133.11 - NVwZ-RR 2012, 607 Rn. 5). Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder ein anderes divergenzfähiges Gericht aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht. Die Entscheidungen müssen dasselbe Gesetz und dieselbe Fassung des Gesetzes zum Gegenstand haben (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55 und vom - 2 B 107.13 - NVwZ 2014, 1174 Rn. 3 ff. m.w.N.).
7Das Beschwerdevorbringen genügt diesen Anforderungen nicht. Es bezeichnet zwar einen Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts zur Unzulässigkeit einer Wertung, die auf eine direkte oder indirekte Weisung hinausliefe, wie der Richter künftig verfahren oder entscheiden solle ( - juris Rn. 78), aber keinen hierzu im Widerspruch stehenden Rechtssatz des Berufungsgerichts. Im Berufungsurteil ist der von der Beschwerde angenommene gegenläufige Rechtssatz weder ausgesprochen noch unausgesprochen zugrunde gelegt. Das Berufungsurteil hatte nicht über die Zulässigkeit einer Formulierung in der dienstlichen Beurteilung zu befinden - der vom Richterdienstgericht beanstandete Satz ist in der hier streitgegenständlichen dienstlichen Beurteilung nicht mehr enthalten -, sondern die Relevanz dieser in einer früheren dienstlichen Beurteilung enthaltenen Formulierung für die Frage der Voreingenommenheit des Beurteilers bei der nunmehr streitgegenständlichen dienstlichen Beurteilung zu prüfen.
83. Die Beschwerde hat aber Erfolg, soweit sie eine Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO rügt und damit einen Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend macht.
9a) Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der Beurteilung des Revisionsgerichts nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. Rügefähig ist damit nicht das Ergebnis der Beweiswürdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Derartige Mängel liegen insbesondere vor, wenn das angegriffene Urteil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also beispielsweise entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert. Daraus folgt auch die Verpflichtung, der Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen. Das Gericht darf nicht in der Weise verfahren, dass es den entscheidungserheblichen Sachverhalt dadurch verkürzt, dass es einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse nicht in die rechtliche Würdigung einbezieht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist ( 2 B 35.13 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 21 Rn. 19 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht.
10b) Das Berufungsgericht hat bei seiner Bewertung der behaupteten Voreingenommenheit des Beurteilers - jenseits der vom Berufungsgericht ausdrücklich nicht zugrunde gelegten erstinstanzlichen Zeugenvernehmung - weitere vom Verwaltungsgericht herangezogene Umstände nicht berücksichtigt und seine Entscheidung damit auf eine verkürzte, so nicht tragfähige Tatsachengrundlage gestützt.
11aa) Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass eine dienstliche Beurteilung, die von einem tatsächlich voreingenommenen Beurteiler erstellt worden ist, verfahrensfehlerhaft ist. Es hat den Begriffsinhalt der tatsächlichen Voreingenommenheit auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestimmt. Danach liegt tatsächliche Voreingenommenheit vor, wenn der Beurteiler - wegen mangelnder Objektivität und Unvoreingenommenheit gegenüber dem zu beurteilenden Beamten - nicht willens oder nicht in der Lage ist, den Beamten sachlich und gerecht zu beurteilen ( 2 C 16.97 - BVerwGE 106, 318 <320 f.>; vgl. auch - NVwZ-RR 2002, 802 Rn. 32).
12Eine solche tatsächliche Voreingenommenheit des Beurteilers kann aus der dienstlichen Beurteilung, aber auch aus seinem Verhalten in Angelegenheiten des zu beurteilenden Beamten oder diesem gegenüber während des Beurteilungszeitraums und des Beurteilungsverfahrens hergeleitet werden. In besonders gelagerten Einzelfällen können auch Vorgänge aus der Zeit vor dem jeweils streitigen Beurteilungszeitraum eine derartige Feststellung stützen. Der in diesem Sinne entscheidungserhebliche Zeitraum endet mit der Entscheidung des Dienstherrn über die nach der förmlichen Eröffnung und Besprechung der Beurteilung vom beurteilten Beamten vorgebrachten Gegenvorstellungen und Änderungswünsche (hier: im Jahre 2009). Auf ein späteres Verhalten eines Beurteilers kann es nur ankommen, soweit daraus Rückschlüsse auf diesen Zeitraum gezogen werden können ( 2 C 16.97 - BVerwGE 106, 318 <320>).
13Dabei ist zu berücksichtigen, dass dienstliche Beurteilungen grundsätzlich durch Vorgesetzte und/oder Dienstvorgesetzte des Beamten erstellt werden und ständige dienstliche Zusammenarbeit und die Führungsaufgaben eines Vorgesetzten naturgemäß auch die Möglichkeit von Konflikten mit sich bringen. Dementsprechend können grundsätzlich weder eine kritische Einschätzung der Arbeitsweise und des sonstigen dienstlichen Verhaltens des beurteilten Beamten durch den beurteilenden Vorgesetzten noch das Bestehen dienstlich veranlasster Spannungen bereits Anlass geben, eine Voreingenommenheit des Vorgesetzten anzunehmen. Dadurch und durch im Einzelfall emotional gefärbte Reaktionen wird grundsätzlich noch nicht die Erwartung in Frage gestellt, der Vorgesetzte wolle und könne seine Pflichten einschließlich derjenigen zur sachlichen und gerechten dienstlichen Beurteilung erfüllen. Dies gilt auch für einzelne unangemessene, saloppe, ungeschickte oder missglückte Formulierungen in einer dienstlichen Beurteilung ( 2 C 16.97 - BVerwGE 106, 318 <321 f.>).
14bb) Die ohne nähere Auseinandersetzung mit den Schreiben des Beurteilers aus den Jahren 2001 bis 2009 und den Formulierungen in der dienstlichen Beurteilung des Klägers von 2006 erfolgte Feststellung im Berufungsurteil, bis zur Aushändigung der Beurteilung im Februar 2009 lägen keine Umstände vor, die zur Annahme der Voreingenommenheit des Beurteilers führen müssten, entbehrt jedoch der erforderlichen Tatsachengrundlage für die richterliche Überzeugungsbildung.
15Das Verwaltungsgericht ist von der Voreingenommenheit des Beurteilers im Hinblick darauf ausgegangen, dass dieser in mehreren Schreiben aus den Jahren 2001 bis 2009 die sachliche Ebene verlassen habe und der Bundesgerichtshof (Urteil des Dienstgerichts des Bundes vom - RiZ (R) 5/08 - BGHZ 181, 268 Rn. 23) Formulierungen des Beurteilers in der dienstlichen Beurteilung von 2006 als unsachlich und über das Gebotene hinausschießende Abwertung der gesamten Richterpersönlichkeit des Klägers kritisiert habe. Mit diesen entscheidungserheblichen Umständen setzt sich das Berufungsurteil nicht auseinander. Soweit die Feststellung im Berufungsurteil hinsichtlich der Verneinung der Voreingenommenheit des Beurteilers daraus hergeleitet wird, dass es sich bei den vom Bundesgerichtshof beanstandeten unsachlichen Formulierungen in der Beurteilung von 2006 (lediglich) um einen seinerzeit vereinzelten Konflikt gehandelt habe, ist dies unzulänglich. Angesichts der Formulierung des Beurteilers, der Kläger sei nicht gewillt, sich gesetzes- und verfassungskonform zu verhalten, die vom Bundesgerichtshof als persönlich herabwürdigend und den Vorwurf der jederzeitigen Bereitschaft zum vorsätzlichen Rechts- und Verfassungsbruch beinhaltend gewertet wurde, wäre es zur Herstellung einer hinreichenden Tatsachengrundlage für die richterliche Überzeugungsbildung erforderlich gewesen, die vom Verwaltungsgericht herangezogenen und den Kläger betreffenden Äußerungen des Beurteilers in dessen Schreiben und dienstlichen Beurteilungen bis Februar 2009 im Hinblick darauf auszuwerten, wie sich der Konflikt zwischen Kläger und Beurteiler entwickelt hat und ab wann von einer Voreingenommenheit des Beurteilers auszugehen ist.
16Da das Berufungsurteil auf dem dargestellten Verfahrensmangel beruhen kann, führt dies zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 133 Abs. 6 VwGO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2017:071117B2B19.17.0
Fundstelle(n):
DAAAH-07551