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BGH Urteil v. - XI ZR 370/17

Verbraucherdarlehensvertrag im Altfall: Anforderungen an eine deutliche Belehrung über die Länge der Widerrufsfrist

Leitsatz

Zu den Anforderungen an eine deutliche Belehrung über die Länge der Widerrufsfrist bei Verbraucherdarlehensverträgen.

Gesetze: § 355 Abs 1 S 2 BGB vom , § 355 Abs 2 S 2 BGB vom , § 495 Abs 1 BGB vom

Instanzenzug: Az: I-17 U 232/16vorgehend LG Duisburg Az: 8 O 32/16

Tatbestand

1Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss zweier Verbraucherdarlehensverträge gerichteten Willenserklärungen der Kläger.

2Die Parteien schlossen im Februar 2005 zwei Darlehensverträge über 150.300 € zu einem bis zum festen Zinssatz von 4,55% p.a. und über 50.000 € zu einem bis zum festen Zinssatz von 4% p.a. Zur Sicherung der Beklagten dienten Grundschulden. Bei Abschluss der Darlehensverträge belehrte die Beklagte die Kläger über ihr Widerrufsrecht wie folgt:

3Nach Ablauf der Zinsbindungsfristen lösten die Kläger beide Darlehen ab. Mit Schreiben vom widerriefen sie persönlich ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen. Zugleich erklärten sie die Aufrechnung der "sich aus den jeweiligen Rückgewährschuldverhältnissen ergebenden wechselseitigen Ansprüche[…]" und baten um Überweisung des sich zu ihren Gunsten ergebenden Guthabens. Die Beklagte äußerte daraufhin mit Schreiben vom , "ein Widerruf" sei "gegenwärtig nicht mehr möglich". Sie habe den Klägern "bei Vertragsschluss eine ordnungsgemäße Widerrufsinformation erteilt, die den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden gesetzlichen Vorgaben" entsprochen habe. Die Widerrufsfrist sei "bei Vertragsschluss in Gang gesetzt" worden und "bereits abgelaufen". Daraufhin wandte sich der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger an die Beklagte und forderte sie auf, den Widerruf bis zum "anzuerkennen". Dem entsprach die Beklagte nicht.

4Ihre Klage auf Zahlung der von den Klägern zu ihren Gunsten aus den Rückabwicklungsschuldverhältnissen errechneten Salden in Höhe von insgesamt 42.244,14 € und auf Freistellung von vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten hat das Landgericht abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung, mit der die Kläger ihre Zahlungsansprüche - soweit die Salden aus den Rückabwicklungsschuldverhältnissen betreffend - noch in Höhe von 34.098,82 € weiterverfolgt und weiterhin beantragt haben, die Kläger von vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten freizustellen, hat das Berufungsgericht nach Erteilung eines Hinweises durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Kläger, mit der sie ihre in der Berufungsinstanz gestellten Anträge weiterverfolgen.

Gründe

5Die Revision hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Insoweit führt sie zur Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Im Übrigen stellt sich der Zurückweisungsbeschluss aus anderen Gründen als richtig dar, so dass die Revision zurückzuweisen ist.

I.

6Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt, das Widerrufsrecht der Kläger habe bei Ausübung nicht mehr bestanden, weil die Beklagte die Kläger ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt und damit die zweiwöchige Widerrufsfrist in Gang gesetzt habe. Die Aushändigung jeweils einer Widerrufsbelehrung für beide Kläger habe genügt. Auch inhaltlich sei die Belehrung deutlich gewesen. Insbesondere sei der Zusatz, die Widerrufsfrist betrage stets dann (lediglich) zwei Wochen, wenn der Darlehensgeber über das Widerrufsrecht "taggleich" mit dem Vertragsschluss belehre, nicht falsch oder undeutlich. Nach der maßgeblichen Gesetzeslage habe es genügt, wenn "die Belehrung in einem einheitlichen Geschehensablauf mit dem Vertragsschluss ausgehändigt" worden sei. Dies sei bei einer "Übergabe am selben Tag" gegeben gewesen.

II.

7Diese Ausführungen des Berufungsgerichts, das auf der Grundlage des nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, § 32 Abs. 1, § 38 Abs. 1 EGBGB maßgeblichen Rechts zutreffend davon ausgegangen ist, den Klägern habe ursprünglich das Recht zugestanden, ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen nach § 495 Abs. 1 BGB zu widerrufen, halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, die Beklagte habe die Kläger nach Maßgabe des § 355 BGB in der bis zum geltenden Fassung (künftig: aF) hinreichend deutlich über die Länge der Widerrufsfrist unterrichtet.

81. Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, den Vorgaben des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB aF sei genügt, wenn Mitdarlehensnehmer Mitbesitz an einer in Textform erteilten Widerrufsbelehrung erlangten (Senatsbeschluss vom - XI ZR 282/16, juris). Die Erschwerung der Bedingungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist gegenüber § 355 Abs. 2 Satz 3 BGB aF ("Aushändigung der Ausfertigung der Vertragsurkunde") wirkte ausschließlich zulasten der Beklagten und war daher wirksam (Senatsurteil vom - XI ZR 434/15, BGHZ 213, 52 Rn. 23 ff.; vgl. schon Senatsurteil vom - XI ZR 118/08, WM 2009, 350 Rn. 17). Die Deutlichkeit der Belehrung über die Widerrufsfrist tangierte außerdem nicht, dass die Beklagte - ersichtlich aufgrund eines Schreibversehens - statt des Begriffs "Widerrufsrecht" den Begriff "Widerspruchsrecht" verwendete (OLG Köln, Beschlüsse vom - 13 U 154/15, juris Rn. 7 und vom - 13 U 252/15, juris Rn. 6).

92. Mittels der Wendung, "[s]ofern" der Verbraucher "nicht taggleich mit dem Vertragsschluss" über sein Widerrufsrecht "belehrt worden" sei, betrage "die Frist einen Monat", bildete die Beklagte aber entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts den Anwendungsbereich des § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB aF - dem Darlehensnehmer nachteilig - unzutreffend ab (so auch , juris Rn. 26 ff.; offen , juris Rn. 34; dagegen , juris Rn. 21; OLG Köln, Beschlüsse vom - 13 U 154/15, juris Rn. 6 und vom - 13 U 252/15, juris Rn. 5).

10a) Nach § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB aF musste der Unternehmer, damit die Widerrufsfrist gemäß § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB aF nur zwei Wochen und nicht einen Monat betrug, über das Widerrufsrecht spätestens zeitgleich mit dem Zugang der Annahmeerklärung belehren (Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl., § 355 Rn. 19; Bonke/Gellmann, NJW 2006, 3169, 3170 ff.; Gessner, Widerrufsrecht und Widerrufsbelehrung im deutschen und europäischen Verbraucherrecht, 2009, S. 84 f.; Tonner, BKR 2002, 856, 857). Um Zufallsergebnisse bei der Reihenfolge der dem annehmenden Verbraucher unter Anwesenden vorgelegten Unterlagen zu vermeiden, belehrte der Unternehmer auch dann noch "bei Vertragsschluss", wenn er die Widerrufsbelehrung innerhalb eines "einheitlichen Vorgangs" bzw. ohne "Unterbrechung des Geschehensablaufs" zwischen Vertragsschluss und Widerrufsbelehrung erteilte (Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 6. Aufl., § 495 BGB Rn. 138; Palandt/Grüneberg, BGB, 67. Aufl., § 355 Rn. 19; Erman/Saenger, BGB, 12. Aufl., § 355 Rn. 13; AnwKommBGB/Ring, BGB, 2005, § 355 Rn. 74 f.; Staudinger/Kaiser, BGB, Neubearb. 2012, § 355 Rn. 51; MünchKommBGB/Ulmer, 4. Aufl., § 355 Rn. 53; MünchKommBGB/Masuch, 5. Aufl., § 355 Rn. 54; Soergel/Pfeiffer, BGB, 13. Aufl., § 355 Rn. 59; Woitkewitsch/Pfitzer, MDR 2007, 61, 65).

11Eine Belehrung zwar noch am Tag des Zustandekommens des Vertrags, aber außerhalb eines solchen "einheitlichen Vorgangs" teilte der Unternehmer dagegen "nach Vertragsschluss" im Sinne des § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB aF mit (ausdrücklich Erman/Saenger, BGB, 12. Aufl., § 355 Rn. 13; KompaktKom-BGB/Rott, § 355 Rn. 6). Ein in der älteren Literatur vereinzelt vertretenes und an § 187 Abs. 1 BGB angelehntes Verständnis des § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB aF dahin, um die kürzere Frist des § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB aF in Gang zu setzen, genüge eine "taggleiche" Widerrufsbelehrung (so zunächst Artz, BKR 2002, 603, 607; Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 5. Aufl., § 495 BGB Rn. 94a; anders dann aber in der 6. Aufl.), entspricht nicht dem Wortlaut des § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB aF, demzufolge auf eine Mitteilung "nach Vertragsschluss" und nicht auf eine Mitteilung "nach dem Tag des Vertragsschlusses" abzustellen ist.

12b) Die Widerrufsbelehrung der Beklagten grenzte die vor oder bei Vertragsschluss erteilte Belehrung unzutreffend von der Nachbelehrung ab. Sie subsumierte den Fall, in dem die Widerrufsbelehrung am Tag des Vertragsschlusses, aber nach einer Unterbrechung des Geschehensablaufs erteilt wurde, unter § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB aF statt unter § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB aF. Dies entsprach nicht der Gesetzeslage. Eine Widerrufsbelehrung genügt, wie das Berufungsgericht im Grundsatz selbst zutreffend gesehen hat, nur dann den gesetzlichen Anforderungen, wenn sie für alle Fälle, auf die hin sie verfasst ist, sachlich richtig und hinreichend deutlich formuliert ist.

133. Darauf, ob der Vertrag der Parteien als Präsenzgeschäft ohne tatsächliche Unterbrechung des Geschehensablaufs geschlossen wurde, kommt es nicht an (so aber , juris Rn. 41 ff.). Die Beklagte könnte aus diesem Umstand für sie Günstiges nicht herleiten. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (, WM 2017, 806 Rn. 16 ff., vom - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 24, vom - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 25, vom -- XI ZR 106/16, WM 2018, 51 Rn. 14, vom - XI ZR 127/16, juris Rn. 14 und vom - XI ZR 305/16, juris Rn. 14) kann der Inhalt einer Widerrufsbelehrung nicht anhand des nicht in der Widerrufsbelehrung selbst in Textform dokumentierten gemeinsamen Verständnisses der Parteien nach Maßgabe der besonderen Umstände ihrer Erteilung präzisiert werden. Das gilt auch in Fällen wie dem vorliegenden (vgl. , juris Rn. 29).

III.

14Soweit das Berufungsgericht die Berufung betreffend den Antrag auf Freistellung von vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten zurückgewiesen hat, stellt sich der Zurückweisungsbeschluss allerdings aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Ein entsprechender Anspruch steht den Klägern unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu (vgl. , WM 2017, 906 Rn. 23 ff., 34 f. und vom - XI ZR 523/15, juris Rn. 22).

IV.

15Im Übrigen unterliegt der Zurückweisungsbeschluss der Aufhebung (§ 562 ZPO), weil er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt. Insbesondere kann der Senat dem Tatrichter bei einer Würdigung der nach § 242 BGB relevanten Umstände nicht vorgreifen. Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, verweist sie der Senat im Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:161018UXIZR370.17.0

Fundstelle(n):
BB 2018 S. 2772 Nr. 47
NJW-RR 2019 S. 112 Nr. 2
WM 2018 S. 2185 Nr. 46
ZIP 2018 S. 2305 Nr. 48
DAAAG-98920