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BVerwG Beschluss v. - 6 A 3/16

Tatbestandsberichtigungsantrag wegen Unklarheit

Leitsatz

Die Berichtigung des Tatbestandes nach § 119 VwGO wegen Unklarheit ist nicht anhand der einzelnen Formulierung einer tatsächlichen Feststellung, sondern aufgrund einer Gesamtbetrachtung des Kontextes der einzelnen Feststellung innerhalb der Darstellung des Sach- und Streitstandes zu beurteilen.

Gesetze: § 117 Abs 2 Nr 4 VwGO, § 117 Abs 2 Nr 5 VwGO, § 117 Abs 3 VwGO, § 119 VwGO, § 173 VwGO, § 315 ZPO, § 418 Abs 1 ZPO

Gründe

1Der Antrag der Klägerin auf Berichtigung des Tatbestandes, über den der Senat gemäß § 119 Abs. 2 Satz 1 und 3 VwGO durch Beschluss unter Mitwirkung derjenigen Richter entscheidet, die an dem angegriffenen Urteil vom mitgewirkt haben, hat keinen Erfolg.

21. Berichtigungsfähig sind nach § 119 VwGO die in einem Urteil enthaltenen unrichtigen oder unklaren tatsächlichen Feststellungen im Tatbestand, der gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 314 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen liefert und als öffentliche Urkunde gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO vollen Beweis für die darin bezeugten Wahrnehmungen und Handlungen des Gerichts erbringt. Das gilt auch für Passagen in den Entscheidungsgründen mit Tatbestandsfunktion, denn § 117 Abs. 2 Nr. 4 und 5 VwGO verlangt keine äußere Trennung des Tatbestands von den Entscheidungsgründen (vgl. 2 C 5.99 - Buchholz 237.1 Art. 86 BayLBG Nr. 10 S. 4 f.; Beschlüsse vom - 9 B 80.09 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 41 Rn. 7 und vom - 4 B 49.10 - juris Rn. 6). Die Tatbestandsberichtigung erfasst nicht die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachenwertungen, die Beweiswürdigung und die Willensbildung des Gerichts (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 77.11 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 73 Rn. 15 und vom - 6 C 9.17 [ECLI:DE:BVerwG:2017:120617B6C9.17.0] - juris Rn. 2; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 119 Rn. 2). Einem Antrag auf Tatbestandsberichtigung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn die zu berichtigenden Tatsachen nicht der gesetzlichen Beweiskraft oder gesetzlichen Bindungsregelungen unterliegen (vgl. dazu 8 C 16.12 - juris Rn. 20 m.w.N.) oder nicht entscheidungserheblich sind (vgl. 6 C 9.17 - juris Rn. 2; Kilian, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 119 Rn. 17).

32. Die Klägerin begehrt zunächst im Wege der Tatbestandsberichtigung die Erwähnung ihres schriftsätzlich angekündigten, aber in der mündlichen Verhandlung nicht gestellten Hilfsantrags zu 2. b) im Rahmen der Darstellung der Prozessgeschichte in Rn. 6 des Urteils vom . Zur Begründung verweist sie darauf, dass sie diesen Antrag angesichts der erst im Urteil bekannt gewordenen Rechtsauffassung des Gerichts als Hauptantrag gestellt hätte und sie die Tatbestandsberichtigung für den Nachweis des Vorliegens einer Überraschungsentscheidung benötige.

4Für diesen Antrag fehlt der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis. Die Tatsache der Ankündigung eines in der mündlichen Verhandlung nicht gestellten Antrags gehört nicht zu den entscheidungserheblichen Tatsachen. Die Prozessgeschichte muss diejenigen Tatsachen enthalten, die für die Entscheidung des Gerichts maßgebend sind (vgl. Clausing/Kimmel, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 117 Rn. 15). Hierzu gehören bei Anträgen etwa Tatsachen betreffend Klageänderungen, Klagerücknahmen, übereinstimmende Erledigungserklärungen sowie Beteiligtenwechsel, nicht aber die Darstellung lediglich angekündigter Anträge, die ohne weitere prozessuale Erklärungen in der mündlichen Verhandlung fallen gelassen worden sind.

5Ein Rechtsschutzbedürfnis ist vorliegend auch nicht anzuerkennen, weil die Klägerin meint, die Berichtigung für den Nachweis einer Gehörsverletzung zu benötigen. Sollte sie Verfassungsbeschwerde erheben, kann sie die Ankündigung des fallen gelassenen Antrags durch Vorlage der im erst- und letztinstanzlichen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Schriftsätze nachweisen. Einer Tatbestandsberichtigung bedarf es hierfür nicht.

63. Der Tatbestand ist nicht dahingehend zu berichtigen, dass in Rn. 4 des Urteils vom das Wort "Übertragungswege" durch die Wendung "als Übertragungswege bezeichnete Telekommunikationsnetze" zu ersetzen ist. Die Klägerin erachtet die Verwendung des Worts "Übertragungswege" im Tatbestand als Vorwegnahme einer unzulässigen rechtlichen Bewertung des Gerichts, die den Tatbestand unklar erscheinen lässt.

7Ob der Tatbestand eines Urteils wegen Unklarheiten zu berichtigen ist, kann nicht isoliert anhand der einzelnen Formulierung einer tatsächlichen Feststellung beurteilt werden, sondern ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung des Kontextes der einzelnen Feststellung innerhalb der Darstellung des entscheidungserheblichen Sach- und Streitstandes zu beurteilen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach § 117 Abs. 3 Satz 1 VwGO der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen ist und nach Satz 2 wegen der Einzelheiten auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden soll, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.

8Gemessen hieran erweist sich der Tatbestand durch die Verwendung des Begriffs "Übertragungswege" in Rn. 4 des Urteils nicht als unklar. Aus dem Kontext ergibt sich, dass an dieser Stelle des Tatbestandes der Inhalt der Beschränkungsanordnungen des Bundesministeriums des Innern wiedergegeben wird und das Ministerium seinen Entscheidungen das Vorhandensein von Übertragungswegen auch für den von der Klägerin betriebenen DE-CIX-Knoten zugrunde gelegt hat. Aus den weiteren Feststellungen des Gerichts zum Sach- und Streitstand folgt zudem, dass die Klägerin das Vorhandensein von Übertragungswegen in ihrem Bereich bezweifelt (s. Rn. 6 des Urteils). Weitere konkretisierende Feststellungen musste das Gericht aufgrund des zulässigen Verweises hinsichtlich der Einzelheiten auf den Schriftverkehr im gerichtlichen Verfahren gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO nicht treffen.

9Im Übrigen wäre ein Tatbestandsberichtigungsantrag nach den Ausführungen unter 1.) unzulässig, hätte es sich bei der Verwendung des Begriffs "Übertragungswege" in Rn. 4 des Urteils - wie die Klägerin meint - um eine vorweggenommene rechtliche Bewertung des Gerichts gehandelt. Ungeachtet dessen lassen die Ausführungen des Gerichts in Rn. 46 des Urteils erkennen, dass es sich bei der Verwendung des Begriffs "Übertragungswege" im Tatbestand nicht schon um eine rechtliche Würdigung des Gerichts handelt. Denn erst in den Entscheidungsgründen setzt sich das Gericht ergänzend damit auseinander, ob die Überwachungsmaßnahmen bei der Klägerin Übertragungswege erfassen.

104. Der weitere Antrag der Klägerin, das Wort "Verpflichtungsanordnungen" durch "Anordnungen des Bundesministeriums des Innern vom [jeweiliges Datum einfügen]" zu ersetzen, hat ebenfalls keinen Erfolg. Wie die Klägerin selbst einräumt, hat der Senat den Begriff der Verpflichtungsanordnungen als Synonym für den von den Beteiligten verwendeten Begriff der "Teilanordnungen" eingeführt. Inwieweit sich hieraus Unrichtigkeiten oder Unklarheiten ergeben sollen, zeigt die Klägerin mit ihrer Begründung nicht auf. Die Klägerin verkennt, dass das Gericht nicht aus der Begrifflichkeit, sondern aus den einschlägigen Vorschriften rechtliche Folgerungen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung an Überwachungsmaßnahmen hergeleitet hat. Das Gericht ist nicht verpflichtet, im Rahmen des Urteils die Diktion der Beteiligten zu übernehmen.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2018:101018B6A3.16.0

Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 10 Nr. 46
MAAAG-97945