Realsplitting bei Unterhaltszahlungen an den in Österreich wohnenden geschiedenen Ehegatten
Leitsatz
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 12 EG-Vertrag (i.d.F. des Vertrags von Amsterdam) —EGV— dahin gehend auszulegen, dass er § 1a Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG entgegensteht, wonach ein in Deutschland ansässiger Steuerpflichtiger Unterhaltsleistungen an seine in Österreich wohnende geschiedene Ehefrau nicht abziehen kann, während er dazu berechtigt wäre, wenn sie noch in Deutschland ansässig wäre?
2. Für den Fall, dass Frage 1 verneint wird: Ist Art. 18 Abs. 1 EGV dahin gehend auszulegen, dass er § 1a Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG entgegensteht, wonach ein in Deutschland ansässiger Steuerpflichtiger Unterhaltsleistungen an seine in Österreich wohnende geschiedene Ehefrau nicht abziehen kann, während er dazu berechtigt wäre, wenn sie noch in Deutschland ansässig wäre?
Gesetze: EGV Art. 12EGV Art. 18 Abs. 1EGV Art. 234EStG § 1a Abs. 1 Nr. 1EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1
Instanzenzug: (EFG 2002, 528),
Gründe
I. Sachverhalt und Streitstand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist seit dem geschieden. In seinen Einkommensteuer-Erklärungen für die Streitjahre 1994 bis 1997 machte er Unterhaltszahlungen an seine in Österreich lebende frühere Ehefrau in Höhe von jeweils 8 760 DM für die Zeiträume 1994, 1995, 1997 bzw. 10 230 DM für den Zeitraum 1996 im Rahmen des Realsplittings als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) ließ die Unterhaltszahlungen in den Einkommensteuer-Bescheiden 1994 bis 1997 unberücksichtigt, da die Besteuerung der Zahlungen bei der Ehefrau nicht durch eine Bescheinigung der österreichischen Steuerbehörden nachgewiesen wurde. Die gegen sämtliche Bescheide durchgeführten Einspruchsverfahren hatten insoweit keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom ).
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab; das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 528 veröffentlicht.
§ 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG verstoße nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Art. 12 EG-Vertrag i.d.F. des Vertrags von Amsterdam (EGV) verbiete die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Im Streitfall werde der Abzug der Unterhaltszahlungen als Sonderausgaben jedoch nicht aufgrund der Staatsangehörigkeit eines Beteiligten, sondern aufgrund der fehlenden Besteuerung in Österreich versagt. § 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG verstoße auch nicht gegen das Recht der Unionsbürger auf Gewährleistung allgemeiner Freizügigkeit (Art. 18 EGV). Auch wenn dies dazu führe, dass der Kläger seine Unterhaltszahlungen in Deutschland nicht als Sonderausgaben abziehen könne, sei die frühere Ehefrau des Klägers nicht gehindert, ihren Wohnsitz in Österreich zu nehmen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend:
1. Art. 12 EGV verbiete auch die Diskriminierung nach dem Merkmal der Ansässigkeit. Auch ein Inländer im Inland könne sich auf die Diskriminierungsverbote berufen. Eine Diskriminierung könne auch darin liegen, dass Leistungen nicht an einen inländischen, sondern an einen ausländischen Empfänger erbracht würden.
Die Regelungen des § 10 Abs. 1 Nr. 1 und des § 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG begründeten deshalb eine Ungleichbehandlung im Sinne des Diskriminierungsverbots, weil im Unterschied zu den ausländischen Sachverhalten rein innerstaatliche Sachverhalte nicht betroffen würden. Bei innerstaatlichen Sachverhalten komme es de facto stets zum Realsplitting. Dagegen besteuerten viele Staaten —wie z.B. auch Österreich— Unterhaltszahlungen beim Empfänger nicht. Die Gleichbehandlung mit EU-Ausländern laufe faktisch leer. Die Regelung des § 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG treffe typologisch all die nachteilig, die in Deutschland und deren Unterhaltsgläubiger in Österreich ansässig seien. Es liege somit ein Fall der sog. mittelbaren Inländerdiskriminierung vor.
Diese Ungleichbehandlung werde nicht durch den Gesichtspunkt der individuellen Kohärenz gerechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) sei erforderlich, dass Vor- und Nachteil in derselben Person entstünden.
2. Art. 18 EGV schütze nicht nur die freie Bewegung, sondern auch die Wohnsitznahme (a.A. , BFHE 185, 30, BStBl II 1998, 558). Dem Empfänger werde die Ausübung der allgemeinen Freizügigkeit erschwert. Der Eingriff sei nicht gerechtfertigt.
3. § 1a Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG müsse grund- und europarechtskonform dahin gehend ausgelegt werden, dass es auf die Besteuerung der Unterhaltszahlungen im Wohnsitzstaat jedenfalls dann nicht ankomme, wenn der Empfänger in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ansässig sei.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die angefochtenen Einkommensteuer-Bescheide 1994 bis 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom in der Weise abzuändern, dass die Unterhaltsleistungen an die geschiedene Ehefrau als Sonderausgaben abgezogen werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht liege nicht vor. Der Abzug werde nicht wegen der Staatsangehörigkeit, sondern wegen der fehlenden Steuerbarkeit in Österreich untersagt. Die Festlegung der Besteuerung liege allein im Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaates. Schließlich sei die frühere Ehefrau auch nicht an einer freien Wohnsitzwahl gehindert.
II. Abzug von Unterhaltsaufwendungen nach deutschem und österreichischem Recht
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG können Unterhaltsleistungen an einen geschiedenen unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Ehegatten in den Veranlagungszeiträumen 1994 bis 1997 bis zu 27 000 DM abgezogen werden, wenn der Geber dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt. Gemäß § 22 Nr. 1a EStG werden Beträge, soweit sie nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG vom Geber abgezogen werden können, beim Unterhaltsempfänger als steuerbare Einkünfte erfasst (sog. Korrespondenzprinzip). Der Abzug beim Unterhaltsleistenden setzt nicht voraus, dass die steuerliche Erfassung der Unterhaltszahlungen beim Unterhaltsempfänger tatsächlich zu einer Steuerfestsetzung führt. Hat jedoch der Unterhaltsempfänger die Unterhaltsleistungen zu versteuern, so hat zivilrechtlich der Unterhaltsleistende die darauf entfallende Einkommensteuer zu tragen.
Hätte im Streitfall die geschiedene Ehefrau des Klägers ihren Wohnsitz in Deutschland, so könnte der Kläger die Unterhaltsleistungen voll absetzen; seine geschiedene Ehefrau müsste diese allerdings nicht versteuern, da ihr Einkommen unter dem steuerfreien Grundfreibetrag (Existenzminimum) liegt (vgl. § 32a Abs. 1, § 32d EStG).
Unter den Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG (i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 —JStG 1996— vom , BGBl I, 1250) können Unterhaltszahlungen an den geschiedenen Ehegatten auch dann abgezogen werden, wenn der Empfänger nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, er aber seinen Wohnsitz (oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt) im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union hat (vgl. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl., 2002, § 1a Rz. 16; Blümich/Vogt, Einkommensteuergesetz, § 1a Rz. 40; Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, Stand Juli 1997, § 1a EStG Anm. 25 f.). Gemäß § 52 Abs. 2 EStG i.d.F. des JStG 1996 ist diese Regelung im Verhältnis zu Österreich bereits ab dem Veranlagungszeitraum 1994 anzuwenden, da Österreich mit Wirkung ab dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (Amtsblatt Nr. L 1 vom ) beigetreten ist.
§ 1a Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG setzt voraus, dass die Besteuerung der Unterhaltszahlungen beim Empfänger durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird. Im Streitfall hat der Kläger die entsprechende Bescheinigung nicht vorgelegt bzw. nicht vorlegen können, da nach österreichischem Einkommensteuerrecht die Unterhaltszahlungen bereits dem Grunde nach nicht der Besteuerung unterworfen werden; auch der Abzug von Unterhaltsleistungen ist nicht vorgesehen (vgl. Beiser/Mayr, Kommentar zum österreichischen Einkommensteuergesetz, 2002, § 20 Anm. 20).
III. Vereinbarkeit mit EG-Recht
Nach Auffassung des erkennenden Senats ist nicht eindeutig, wie Art. 12 und Art. 18 EGV in Bezug auf die Anwendung des § 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG auszulegen sind. Die Auslegungsfrage würde sich nur dann nicht stellen, wenn die Frage bereits Gegenstand der Auslegung durch den EuGH war oder wenn die richtige Auslegung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. Geiger, Vertrag über die Europäische Union/Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 3. Aufl., 2000, Art 234 EGV Rz. 16). Das ist nicht der Fall.
1. Gemäß Art. 12 EGV (ex-Art. 6) ist jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.
a) Die Mitgliedstaaten dürfen eine schlechterstellende Differenzierung nicht auf das Kriterium der Staatsangehörigkeit stützen. Verboten ist auch die versteckte (indirekte) Diskriminierung, bei der die Differenzierung nicht unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpft, sondern an Kriterien, die typischerweise nur Ausländer oder Inländer erfüllen, z.B. Erfordernisse hinsichtlich des Wohnortes (vgl. Geiger, a.a.O., Art. 12 EGV Rz. 8; Lenz, Kommentar zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2. Aufl., 1999, Art. 12 Rz. 6). Die direkten Steuern fallen zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, diese haben aber ihre Befugnisse in diesem Bereich unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts auszuüben und müssen sich deshalb jeder offensichtlichen oder versteckten Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit enthalten (, EuGHE I 2002, 11819, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst —DStRE— 2003, 150, Rdnr. 75 - de Groot).
Im Streitfall entfaltet die Regelung des § 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG nachteilige Wirkungen, weil die Abziehbarkeit der Unterhaltsleistungen durch die Wohnsitznahme der geschiedenen Ehefrau in Österreich verhindert wird.
b) Nicht in den Anwendungsbereich des Vertrages fällt die sog. Inländerdiskriminierung (Geiger, a.a.O., Art. 12 EGV Rz. 11; Lenz, a.a.O., Art. 12 Rz. 3; Schilling, Gleichheitssatz und Inländerdiskriminierung, Juristenzeitung 1994, 8, 9). Der EGV statuiert das Gebot der Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern. Die Diskriminierungsverbote und Grundfreiheiten beziehen sich auf Maßnahmen zwischen den Mitgliedstaaten; sie erfassen nur grenzüberschreitende Sachverhalte. Aus diesem Grund wird die sog. reine Inländerdiskriminierung vom Regelungsgehalt des EGV nicht erfasst (Birk, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, August 2002, § 2 AO 1977 Rz. 181; Ehlers/Kingreen, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 17 Rz. 24). Grundsätzlich ist die Möglichkeit der Schlechterstellung eigener Staatsangehöriger europarechtlich nicht ausgeschlossen (Hobe, Europarecht, 2002, Rz. 97; Holoubek in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 1. Aufl., 2000, Art. 12 EGV Rz. 35).
Im Streitfall wird ein im Inland Ansässiger deswegen höher besteuert, weil er den Unterhalt an einen im EU-Ausland lebenden Empfänger erbringt; der Auslandsbezug besteht darin, dass dem Kläger im Hinblick auf den Wohnsitz seiner Ehefrau in Österreich die Inanspruchnahme des Realsplittings versagt wird.
c) Problematisch erscheint, ob der Vorgang der Unterhaltsgewährung an den geschiedenen Ehegatten von dem ”Anwendungsbereich des Vertrags” (Art. 12 EGV) erfasst wird. So wird die Auffassung vertreten, dass zumindest mittelbare Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Austausch von Gütern und Dienstleistungen gegeben sein müssen (vgl. Ehlers/Kingreen, a.a.O., § 17 Rz. 21; Zuleeg in Groeben/Thiesing/Ehlermann —Hrsg.—, Kommentar zum EU-/EGV, 5. Aufl., 1997, ex-Art. 6 EGV Rz. 12; Holoubek, a.a.O., Art. 12 EGV Rz. 29). Diese Voraussetzung könnte möglicherweise nicht erfüllt sein, da die Unterhaltsgewährung nicht den Austausch von Gütern und Dienstleistungen zum Gegenstand hat. Allerdings fallen Fragen der Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft in den Anwendungsbereich des Vertrages (vgl. z.B. Schwarze, EU-Kommentar, Art. 12 Rz. 29, 31).
d) Zu prüfen bleibt schließlich, ob eine nationale Regelung wie § 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG ein legitimes Ziel verfolgt, das mit dem EGV vereinbar und durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Erforderlich ist zudem, dass die Maßnahme zur Erreichung des fraglichen Ziels geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (, EuGHE I 2002, 11779, Der Betrieb —DB- 2002, 2690 - Lankhorst-Hohorst, m.w.N.).
Das Erfordernis, die Kohärenz eines Steuersystems zu gewährleisten, kann eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Der Gedanke der Kohärenz von Steuerregelungen greift nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH aber nur, wenn es sich um ein und denselben Steuerpflichtigen handelt (EuGH-Urteil in EuGHE I 2002, 11779, DB 2002, 2690, Rdnr. 40 f.). So hat der (EuGHE I 1999, 7447 - Eurowings in Rz. 42) ausdrücklich ausgeführt: ”Wie der Bundesfinanzhof in einem vom vorlegenden Gericht erwähnten Beschluß vom ausgeführt hat, kann nämlich ein bloß mittelbarer Zusammenhang zwischen einem Steuervorteil für einen Steuerpflichtigen wie der fehlenden Hinzurechnungspflicht bei Unternehmen, die Wirtschaftsgüter bei in Deutschland ansässigen Vermietern mieten, und einem Steuernachteil für einen anderen Steuerpflichtigen wie der Belastung dieser Vermieter mit der Gewerbesteuer es nicht rechtfertigen, daß deutsche Unternehmen steuerlich unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, ob sie Wirtschaftsgüter von in Deutschland oder von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Vermietern mieten.”
Im Fall des sog. Realsplittings —ähnlich wie beim Ehegatten-Splitting gemäß § 32a Abs. 5 i.V.m. §§ 26, 26b EStG— bestehen insofern Besonderheiten, als eine Verteilung des Einkommens stattfindet. Der Teil des Einkommens, der zum Unterhalt des geschiedenen Ehegatten verwendet wird, wird dem anderen Ehegatten zugerechnet; es besteht eine unmittelbare Beziehung zwischen Steuerentlastung beim Verpflichteten und Steuerbelastung beim Empfänger. Die Regelung hat zur Voraussetzung, dass der als Unterhalt gezahlte Teil beim Empfänger als Einkommen erfasst wird (sog. Korrespondenzprinzip). Ist das nicht der Fall, z.B. weil wie im Streitfall in Österreich eine vergleichbare Regelung nicht existiert, könnte die Nichtabziehbarkeit gerechtfertigt sein, weil sie sich aus dem unterschiedlichen System der Einkommensbesteuerung in Deutschland und in Österreich ergibt, nicht aber aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert. Realer Anknüpfungspunkt des § 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG ist nicht der Wohnsitz, sondern die korrespondierende einkommensteuerrechtliche Regelung in dem jeweiligen Staat, in dem der Unterhaltsempfänger wohnt. Der Gesetzgeber hätte danach nicht allein daran angeknüpft, dass der Empfänger von Zahlungen im Ausland wohnt, sondern in erster Linie daran, wie das Einkommensteuerrecht im Ausland gestaltet ist. Auch in Deutschland selbst setzt der Abzug von Unterhaltsleistungen die prinzipielle Steuerbarkeit auf Seiten des Empfängers voraus.
Die Regelung des § 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG könnte daher mit der Begründung gerechtfertigt sein, dass sie in gewisser Weise eine Gleichbehandlung von EU-Inländern und EU-Ausländern erst herstellt.
2. Nach Art. 18 Abs. 1 EGV (ex-Art. 8a), der die Freizügigkeit im Allgemeinen regelt (vgl. Art. 39 EGV für die spezielle Freizügigkeit der Arbeitnehmer), hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Die Vorschrift stellt eine Ausprägung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes dar (vgl. Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band 1, Art. 18 EGV, Stand Januar 2001, Rz. 7). Im Streitfall könnte diese Möglichkeit mittelbar durch die in § 1a Abs. 1 Nr. 1 EStG getroffene Regelung aus den unter 1. aufgeführten Gründen beschränkt sein. Art. 18 Abs. 1 EGV könnte einer Regelung entgegenstehen, die einem Steuerpflichtigen eine steuerliche Abzugsmöglichkeit versagt, weil dessen geschiedene Ehefrau ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnimmt.
IV. Vorlage an den EuGH
Der Senat setzt das Revisionsverfahren deshalb entsprechend gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus und legt dem EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EGV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
1. Ist Art. 12 EGV dahin gehend auszulegen, dass er § 1a Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG entgegensteht, wonach ein in Deutschland ansässiger Steuerpflichtiger Unterhaltsleistungen an seine in Österreich wohnende geschiedene Ehefrau nicht abziehen kann, während er dazu berechtigt wäre, wenn sie noch in Deutschland ansässig wäre?
2. Für den Fall, dass Frage 1 verneint wird: Ist Art. 18 Abs. 1 EGV dahin gehend auszulegen, dass er § 1a Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG entgegensteht, wonach ein in Deutschland ansässiger Steuerpflichtiger Unterhaltsleistungen an seine in Österreich wohnende geschiedene Ehefrau nicht abziehen kann, während er dazu berechtigt wäre, wenn sie noch in Deutschland ansässig wäre?
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2003 II Seite 851
BB 2003 S. 2222 Nr. 42
BFH/NV 2003 S. 1497
BFH/NV 2003 S. 1497 Nr. 11
BStBl II 2003 S. 851 Nr. 16
DB 2003 S. 2315 Nr. 43
DStR 2003 S. 1783 Nr. 42
DStRE 2003 S. 1311 Nr. 21
FR 2003 S. 1189 Nr. 22
INF 2003 S. 843 Nr. 22
KÖSDI 2003 S. 13930 Nr. 11
AAAAA-71680