BFH Urteil v. - XI R 16/02 BStBl 2003 II S. 881

Ermäßigte Besteuerung einer Entschädigung wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Leitsatz

Wird in einem vom Arbeitgeber veranlassten Vertrag über die Aufhebung eines Arbeitsvertrages vereinbart, dass der Arbeitnehmer bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen mehrjährigen unbezahlten Übergangsurlaub nimmt, so sind die Zahlung zum Ausgleich des unbezahlten Urlaubs sowie die Abfindung wegen der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG.

Gesetze: EStG § 24 Nr. 1 Buchst. aEStG § 34

Instanzenzug: (EFG 2002, 1169) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wird gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) zur Einkommensteuer veranlagt. Unter dem schloss sie mit ihrem Arbeitgeber, der X, eine Vereinbarung über einen Übergangsurlaub in Verbindung mit anschließender Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zwecks Frühpensionierung. Danach trat die Klägerin ab dem bis zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses unter Aufrechterhaltung der Anwartschaft auf die Gesamtversorgung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) einen unbezahlten Übergangsurlaub an. Bis zum sollte sie als ”finanzielle Hilfe für die berufliche oder private Umorientierung” eine Einmalzahlung in Höhe von 104 516 DM erhalten.

Gleichzeitig wurde das Arbeitsverhältnis angesichts ”der schwierigen wirtschaftlichen Lage bei der X” in unmittelbarem Anschluss an den Übergangsurlaub mit dem Ziel vorgezogener Versorgung wegen Arbeitslosigkeit mit Ablauf des im gegenseitigen Einvernehmen aufgehoben. Im Hinblick hierauf sollte ”aus Anlass der vereinbarten Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zwecks Frühpensionierung” und ”als Ausgleich für die materiellen und immateriellen Folgen der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses” bis zum eine Abfindung von 75 800 DM gezahlt werden.

Das Abfindungsmodell war Gegenstand einer im Lohnsteuerabzugsverfahren erteilten Zusage des zuständigen Finanzamts A. Darin wird - ”nach erneuter eingehender Erörterung des Sachverhalts” mitgeteilt, dass ”die erste Zahlung mit dem halben Steuersatz gem. § 34 Abs. 1 EStG, die zweite Zahlung nach § 3 Nr. 9 EStG und der übersteigende Betrag ebenfalls gem. § 34 Abs. 1 EStG” versteuert werden könnten. Weiter wird ”ausdrücklich” darauf hingewiesen, ”dass die Zusage nur für das Lohnsteuerabzugsverfahren verbindlich ist”.

Die ”Umorientierungshilfe” in Höhe von 104 516 DM wurde in 1994 als ermäßigt zu besteuernder Arbeitslohn der Einkommensteuerfestsetzung zu Grunde gelegt. Für die im Streitjahr 1997 zugeflossene Abfindung beantragte die Klägerin —nach Berücksichtigung des Freibetrags nach § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG)— gleichfalls die ermäßigte Besteuerung. Dies lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) mit Steuerbescheid vom ab, weil die Entschädigungszahlung auf zwei Veranlagungszeiträume (1994 und 1997) verteilt worden sei. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit ihrer Klage machten die Kläger geltend, es handele sich nicht um zwei Teilzahlungen einer Abfindung, sondern um zwei selbständige Zahlungen, die auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhten:

- Die Umorientierungshilfe 1994 sei eine Entschädigung für die betrieblich veranlasste Hinnahme eines unentgeltlichen Sonderurlaubs und Ersatz für die durch die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses entgehenden Einnahmen. Das Arbeitsverhältnis sei lediglich abgeändert worden, arbeitsvertragliche Pflichten wie die der Verschwiegenheit hätten weiter gegolten.

- Nur die Entschädigung 1997 sei eine Abfindung wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Hintergrund der Regelung sei die betriebliche Altersversorgung bei der X als Mitglied in der VBL. Nach der verbindlichen VBL-Satzung entstehe der Versorgungsanspruch des Mitarbeiters nur, wenn er zum Zeitpunkt des Erreichens der jeweiligen Altersgrenze Arbeitnehmer des VBL-Mitgliedes sei; scheide er vor diesem Zeitpunkt aus dem Arbeitsverhältnis aus, so erhalte er nur eine minimale Versichertenrente.

Nach der VBL-Satzung sei weiterhin erforderlich, dass eine etwaige Beurlaubung ohne Arbeitsentgelt erfolge. Da dies für die Klägerin unzumutbar gewesen sei, habe man in Absprache mit der VBL das Modell einer sog. Umorientierungshilfe gewählt.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Entscheidung ist abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1169. Es lägen keine außerordentlichen Einkünfte i.S. des § 34 EStG vor, weil sich die Entschädigungszahlungen auf zwei Jahre verteilt hätten. Beide Zahlungen seien untrennbar miteinander verbunden und stellten wirtschaftlich eine einheitliche Leistung des Arbeitgebers zur Abgeltung der Nachteile aus dem Verlust des Arbeitsplatzes dar.

Mit ihrer Revision tragen die Kläger vor, das FG habe zu Unrecht die beiden Zahlungen als eine einheitliche Entschädigung angesehen. Sie basierten auf unterschiedlichen vertraglichen Rechtsgrundlagen und jede verfolge einen anderen Zweck.

Die Vorgänge seien sachlich, qualitativ, zeitlich und hinsichtlich des Rechtsgrundes zu unterscheiden. In der Sozial- und Arbeitsgerichtsbarkeit sei anerkannt, dass Beschäftigungslosigkeit einerseits und aufgehobener Arbeitsvertrag andererseits sich qualitativ unterschieden und verschiedene Rechtsfolgen begründeten.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1997 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahin gehend zu ändern, dass der steuerpflichtige Teil der Abfindungszahlung in Höhe von 39 800 DM gemäß §§ 24, 34 Abs. 1 EStG ermäßigt besteuert wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es hält eine Unterscheidung zwischen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis im Steuerrecht für unmaßgeblich, da es ausschließlich auf die Einkünfteerzielung ankomme. Entfalle die Möglichkeit des Steuerpflichtigen, Einkünfte aus einer Tätigkeit für einen bestimmten Arbeitgeber zu erzielen zu einem bestimmten Zeitpunkt endgültig und vollständig, so sei die Zahlung eines darauf basierenden Geldbetrags durch den Arbeitgeber ausschließlich als Entschädigung für diese finanzielle Einbuße anzusehen.

II. Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zu Recht die begünstigte Besteuerung der im Streitjahr gezahlten Abfindung gemäß § 34 EStG versagt.

1. a) Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist nach § 34 Abs. 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 EStG grundsätzlich nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen (, BFH/NV 2001, 431). Der zusammengeballte Zufluss wird nur für die zu begünstigenden Leistungen gefordert.

Entschädigungen, die aus Anlass der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gewährt werden, sind grundsätzlich einheitlich zu beurteilen. Sie müssen zum Zweck der Tarifvergünstigung grundsätzlich in einem Veranlagungszeitraum zufließen (vgl. , BFHE 180, 152, BStBl II 1996, 416). Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos (vgl. , BFHE 170, 445, BStBl II 1993, 497). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hält der Senat —wie er in seinem Urteil vom XI R 22/00 (BFHE 196, 500, BStBl II 2002, 180) ausgeführt hat— in solchen Fällen für geboten, in denen neben einer Hauptentschädigungsleistung aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit in späteren Veranlagungszeiträumen ergänzende Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden.

b) Gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gehören zu den Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden. Zahlungen, die nicht an die Stelle weggefallener Einnahmen treten, sondern bürgerlich-rechtlich Erfüllungsleistungen des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses sind, sind keine Ersatzleistungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG (vgl. , BFH/NV 1987, 498). Mithin muss für die Annahme einer Entschädigung in diesem Sinne die an die Stelle der bisherigen Einnahmen tretende Ersatzleistung auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruhen; es reicht nicht aus, wenn die bisherige vertragliche Basis bestehen geblieben ist und sich nur Zahlungsmodalitäten geändert haben (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, z.B. , BFHE 130, 168, BStBl II 1980, 393).

c) Für die Frage, ab wann vertragliche Ansprüche nicht mehr auf der alten Rechtsgrundlage entstehen können, ist von dem Zeitpunkt auszugehen, zu dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Dienstverhältnis wirksam beendet haben (, BFHE 135, 66, BStBl II 1982, 305, unter 2. a, m.w.N.). Werden in einer Abfindungsvereinbarung neben Entschädigungen für künftig entgehende Einnahmen auch Zahlungen einbezogen, die bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses zustanden, so sind diese, selbst wenn sie noch nicht fällig sein sollten, als nicht tarifermäßigte Einnahmen von den Entschädigungen zu trennen (BFH in BFH/NV 1987, 498).

Unter Auflösung des Dienstverhältnisses ist die nach bürgerlichem (Arbeits-)Recht wirksame Auflösung zu verstehen; die Beteiligten haben es dabei —bis an die Grenze des Gestaltungsmissbrauchs— in der Hand, durch vertragliche Vereinbarung zu bestimmen, in welchem Umfang gemäß § 3 Nr. 9 EStG steuerfreie Abfindungen an die Stelle von steuerpflichtigen Lohnansprüchen treten (, BFHE 126, 399, BStBl II 1979, 155; vom VI R 178/83, BFHE 148, 257, BStBl II 1987, 186, und vom XI R 41/93, BFHE 174, 352, BStBl II 1994, 653). Dies gilt insoweit auch für Entschädigungen gemäß § 24 Nr. 1 EStG.

2. Die in den Jahren 1994 und 1997 gezahlten Abfindungen in Höhe von 104 516 DM bzw. 75 800 DM sind Teilzahlungen einer einheitlich zu beurteilenden Entschädigung i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2, § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG für die auf Veranlassung der X zum vereinbarte Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

a) Die X hatte mit der im Jahr 1994 gezahlten finanziellen Hilfe für die berufliche oder private Umorientierung keine Gehaltsansprüche der Klägerin erfüllt.

Zwar wurde das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Vertrag vom zivilrechtlich erst zum beendet. Der Klägerin stand jedoch bereits ab dem kein Gehaltsanspruch mehr zu. Sie trat zu diesem Zeitpunkt —wie unter Nr. 1. (1) des Aufhebungsvertrages vereinbart— einen unbezahlten Übergangsurlaub an. Dementsprechend sind die Vertragsbeteiligten davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis nur ”formal” fortbestehen soll und dass die Klägerin mit Beginn des Übergangsurlaubs den Status einer ”X-Pensionärin” erhielt. Damit haben die Parteien des Aufhebungsvertrages ausdrücklich ein Fortbestehen von Gehaltsansprüchen in der Zeit vom bis zum ausgeschlossen.

b) Es besteht zu Recht zwischen den Beteiligten kein Streit darüber, dass die bis zum fällige Zahlung in Höhe von 75 800 DM eine Entschädigung i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2, § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG für den Verlust des Arbeitsplatzes darstellt. Darüber hinaus handelt es sich auch bei der bis zum fälligen finanziellen Hilfe für die berufliche oder private Umorientierung in Höhe von 104 516 DM um eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes; denn mangels weiter laufenden Gehaltsanspruchs war die Umorientierungshilfe keine Vergütung im Rahmen des noch laufenden, wenn auch abgeänderten Arbeitsvertrages.

Die einheitlich zu beurteilende Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes (vgl. , BFH/NV 1998, 1082; BFH-Urteile in BFHE 180, 152, BStBl II 1996, 416, und vom XI R 16/01, BFHE 198, 484) umfasst mithin zwei Abfindungen. Dass die Umorientierungshilfe vorab —gewissermaßen als Vorschuss— noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses ausbezahlt wurde, steht dem nicht entgegen (BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 431). Da sich die Entschädigungszahlungen auf zwei Veranlagungszeiträume verteilt haben und eine Zusammenballung nicht gegeben ist, fehlt es an der Voraussetzung einer außerordentlichen Einkunft i.S. des § 34 Abs. 1 EStG. Die Begünstigung der in 1997 zugeflossenen Zahlung ist zu versagen.

3. Zu Recht hat das FG der Anrufungsauskunft des Finanzamts A, die der X im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens erteilt worden war, für das Streitverfahren, das die Steuerveranlagung der Klägerin betrifft, keine Bindungswirkung beigemessen. Das gilt auch, wenn sich die Anrufungsauskunft nicht auf einen genau bezeichneten Arbeitnehmer, sondern auf eine Fallgruppe bezieht (, BFHE 169, 202, BStBl II 1993, 166). In der Anrufungsauskunft wurde im Übrigen auf die begrenzte Verbindlichkeit der Auskunft ausdrücklich hingewiesen.

Fundstelle(n):
BStBl 2003 II Seite 881
BB 2003 S. 2222 Nr. 42
BFH/NV 2003 S. 1487
BFH/NV 2003 S. 1487 Nr. 11
BStBl II 2003 S. 881 Nr. 17
DB 2003 S. 2317 Nr. 43
DStRE 2003 S. 1216 Nr. 20
FR 2003 S. 1185 Nr. 22
INF 2003 S. 848 Nr. 22
KÖSDI 2003 S. 13938 Nr. 11
BAAAA-71658