BFH Urteil v. - XI R 12/00 BStBl 2004 II S. 449

Ablösung von monatlichen Entschädigungsleistungen durch eine Einmalzahlung

Leitsatz

Werden einem Arbeitnehmer in einer Vereinbarung über die vom Arbeitgeber veranlasste Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung und monatliche Übergangsgelder zugesagt und nimmt er in einer späteren Vereinbarung das Angebot des Arbeitgebers an, ihm insgesamt einen Einmalbetrag zu zahlen, so steht das ihm insoweit eingeräumte Wahlrecht auf Kapitalisierung einer begünstigten Besteuerung des Einmalbetrags nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG nicht entgegen.

Gesetze: EStG § 24 Nr. 1 Buchst. aEStG § 34 Abs. 1 und 2

Instanzenzug: (EFG 2000, 319) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger erklärte in der Steuererklärung für das Streitjahr 1994 einen Bruttoarbeitslohn von ... DM sowie eine ermäßigt zu besteuernde Entschädigung von 527 224 DM. Diese Angaben stimmten mit der zugleich eingereichten Lohnsteuerkarte überein. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) folgte den Angaben des Klägers und setzte mit Bescheid vom die Einkommensteuer endgültig fest.

Mit Schreiben vom forderte das FA die Steuerberatungsgesellschaft, die die Steuererklärung der Kläger erstellt hatte, auf, verschiedene Unterlagen einzureichen, die es zur Überprüfung der ermäßigten Besteuerung der Abfindung benötigte.

Aus den daraufhin beigebrachten Unterlagen ging Folgendes hervor: Der Kläger hatte am mit seinem Arbeitgeber ”zur Vermeidung einer arbeitgeberseitigen, betriebsbedingten Kündigung” eine Vereinbarung über die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses getroffen. Danach sollte der Kläger zum in den vorzeitigen Ruhestand treten. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt 53 Jahre alt und seit mehr als 33 Jahren bei seinem Arbeitgeber tätig. Der Arbeitgeber verpflichtete sich, dem Kläger von September 1994 bis August 1999 ein Übergangsgeld von monatlich 4 147 DM und von September 1999 bis August 2004 ein Übergangsgeld von monatlich 2 304 DM zu zahlen. Hinzu kommen sollte ab November 1995 eine monatliche Betriebsrente von 1 376 DM. Als Einmalzahlung sollte der Kläger einen Betrag von 30 000 DM sowie eine weitere Sonderzahlung von 83 274 DM erhalten.

Mit Schreiben vom bot der Arbeitgeber dem Kläger ”an Stelle der bisherigen Auszahlungsweise” an, die Abfindung und die verlängerten Übergangszahlungen zum Zeitpunkt des Ausscheidens als Einmalbetrag auszuzahlen; dieser sollte 525 346 DM betragen. Der Kläger erklärte sich damit einverstanden. Er erhielt im September 1994 den Einmalbetrag ausbezahlt, sowie im Oktober 1994 einen weiteren Betrag von 31 878 DM, der sich auf Grund einer Nachberechnung der Abfindung zu seinen Gunsten ergeben hatte. Die Gesamtzahlung betrug damit 557 224 DM. Ab November 1995 erhielt der Kläger ein Ruhegehalt von nunmehr 1 123 DM.

Das FA beurteilte diese Tatsachen als neue Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und änderte den Einkommensteuerbescheid 1994 in der Weise, dass es für den Betrag von 527 224 DM die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) versagte. Gegen den Änderungsbescheid und das —nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene— Auskunftsersuchen vom legten die Kläger Einspruch ein. Das FA wies die Einsprüche als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen das Auskunftsbegehren als unbegründet und die Klage gegen den Änderungsbescheid als überwiegend unbegründet ab (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2000, 319).

Die Klage gegen das Auskunftsersuchen sei als Fortsetzungsfeststellungsklage zwar zulässig, jedoch deshalb unbegründet, weil das FA nicht ”ins Blaue hinein” ermittelt habe.

Von dem Gesamtzahlungsbetrag von 557 224 DM sei —nach Abzug des steuerfreien Betrags von 30 000 DM gemäß § 3 Nr. 9 EStG— nur ein Entschädigungsbetrag von 115 088 DM gemäß § 34 Abs. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ermäßigt zu besteuern. Für den übrigen Betrag von 412 136 DM (”Abgeltungsbetrag aus Versorgungsansprüchen”) könne nur die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG gewährt werden. Dieser Betrag sei nicht nach § 34 Abs. 2 EStG ermäßigt zu besteuern, weil dem Kläger insoweit hinsichtlich der Kapitalisierung ein Wahlrecht eingeräumt worden sei, er somit nicht unter einem erheblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gestanden habe.

Das FA sei auch berechtigt gewesen, die ursprüngliche Steuerfestsetzung zu ändern, da ihm nachträglich Tatsachen bekannt geworden seien, die zu einer höheren Steuerfestsetzung führen. Auf für sie günstige Verwaltungsanweisungen könnten die Kläger sich nicht berufen, da das FA auch bei Kenntnis der inzwischen vorliegenden Unterlagen nicht anders entschieden hätte. Treu und Glauben stehe einer geänderten Steuerfestsetzung schon deshalb nicht entgegen, weil das FA seine Ermittlungspflicht nicht verletzt habe.

Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer vom FG zugelassenen Revision, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vortragen: Das Auskunftsersuchen sei rechtswidrig gewesen, die gewonnenen Erkenntnisse dürften deshalb nicht verwertet werden. Zudem habe das FA den Einkommensteuerbescheid nicht ändern dürfen. Einer Änderung stehe der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen, weil das FA seine Ermittlungspflicht verletzt habe. Es hätte schon bei der Erstveranlagung hinsichtlich der Entlassungsentschädigung vollständige Unterlagen anfordern müssen. Demgegenüber hätten die Kläger ihrer Mitwirkungspflicht genügt, indem sie den Erklärungsvordruck korrekt und vollständig ausgefüllt hätten. Das FG habe zu Unrecht nicht die volle Entschädigungsleistung dem begünstigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG unterworfen. Der Entschädigungscharakter der im Zusammenhang mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zugesagten Leistungen werde durch die nachfolgend vereinbarte Kapitalisierung nicht beeinträchtigt.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen wurde, und der Klage in vollem Umfang stattzugeben

sowie

festzustellen, dass das Auskunftsersuchen des FA vom rechtswidrig war.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet; sie führt wegen Verletzung des § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 EStG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Entgegen der Auffassung des FG ist der gesamte Betrag von 527 224 DM (557 224 DM abzüglich 30 000 DM nach § 3 Nr. 9 EStG) nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG ermäßigt zu besteuern.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Urteil vom XI R 80/00, BFHE 199, 395, BFH/NV 2002, 1645, m.w.N.) sind außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch ihre Zusammenballung erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG bezweckt, die Härten auszugleichen, die sich aus der progressiven Besteuerung der Entschädigung ergeben. Dementsprechend sind Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG grundsätzlich nur dann außerordentliche Einkünfte, wenn die Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen, die sich bei normalem Ablauf auf mehrere Jahre verteilt hätten, vollständig in einem Betrag gezahlt wird oder wenn die Entschädigung nur Einnahmen eines Jahres ersetzt, sofern sie im Jahr der Zahlung mit weiteren Einkünften zusammenfällt und der Steuerpflichtige im Jahr der entgangenen Einnahmen keine weiteren (nennenswerten) Einnahmen gehabt hat.

Entschädigungen, die aus Anlass der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gewährt werden, sind grundsätzlich einheitlich zu beurteilen (Grundsatz der Einheitlichkeit der Entschädigung); dementsprechend gehören zur Entschädigung für entgehende Einnahmen sämtliche Leistungen, zu denen sich der (frühere) Arbeitgeber im Aufhebungsvertrag verpflichtet hat, soweit sie nicht Erfüllung des bisherigen Arbeitsvertrages sind (vgl. , BFHE 197, 522, BFH/NV 2002, 717). Das FG ist bei seiner Entscheidung deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei den in der Vereinbarung vom zugesagten Übergangsgeldern und freiwilligen Rentenzahlungen (Differenz zwischen der voraussichtlichen monatlichen Rente von 1 376 DM und der tatsächlichen Rente von 1 123 DM) ”begrifflich” um Entschädigungsleistungen handelt.

2. Das FG hat hingegen zu Unrecht angenommen, dass diese Entschädigungsteile nicht nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG begünstigt zu besteuern sind, weil sie nach der Vereinbarung vom in mehreren Veranlagungszeiträumen zufließen ”sollten” und weil der Kläger beim Abschluss der Vereinbarung vom , mit der der zusammengeballte Zufluss aller Entschädigungsteile vereinbart worden ist, nicht unter erheblichem rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gestanden hat.

a) Nach der Rechtsprechung des BFH setzt die Annahme einer Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG voraus, dass der Steuerpflichtige bei der Aufgabe seiner Rechte unter einem nicht unerheblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gehandelt hat; er darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (vgl. , BFHE 198, 468, BStBl II 2002, 516, m.w.N.).

Schadenstiftendes Ereignis war im Streitfall die Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Klägers und dessen Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand. An der entsprechenden Vereinbarung vom hat der Kläger zwar mitgewirkt; die Vereinbarung ist jedoch —wovon auch das FG ausgegangen ist— auf Veranlassung des früheren Arbeitgebers des Klägers zustande gekommen. Das reicht für die Annahme eines erheblichen tatsächlichen Drucks aus.

Die zweite Vereinbarung vom hatte auf das schadenstiftende Ereignis selbst keinen Einfluss. Mit ihr haben die Vertragsparteien lediglich die Auszahlungsmodalitäten der für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu zahlenden Entschädigung verändert. An die Stelle der bisher vereinbarten Auszahlungsweise der Entschädigung in Form einer Abfindung und von laufenden monatlichen Teilbeträgen sollte die Auszahlung der Gesamtsumme als Einmalbetrag treten. Der Entschädigungscharakter der einzelnen Leistungen hat dadurch keine Änderung erfahren.

b) Entgegen der Auffassung des FG steht der begünstigten Besteuerung des Einmalbetrags nicht entgegen, dass der Kläger beim Abschluss der zweiten Vereinbarung nicht unter erheblichem Druck gestanden hat. Das wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn damit eine weitere (zweite) Entschädigung vereinbart worden wäre. Das war aber gerade nicht der Fall. Denn die Änderung der zunächst vorgesehenen Abwicklung der Entschädigungsleistung bedeutet nur eine Modifikation der ursprünglichen Vereinbarung, führt aber nicht zu einer zweiten Entschädigung (vgl. dazu , BFHE 180, 152, BStBl II 1996, 416). Das gilt insbesondere, wenn —wie hier— die zweite Vereinbarung ebenfalls vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Auflösung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen worden ist, also noch bevor die erste Vereinbarung Wirksamkeit erlangt hatte.

c) Den vom FG für seine Auffassung herangezogenen BFH-Urteilen, in denen Steuerpflichtige von einem ihnen eingeräumten Wahlrecht zur Kapitalisierung Gebrauch gemacht haben, liegen andere —mit dem Streitfall nicht vergleichbare— Sachverhalte zu Grunde. Während im Streitfall mit der freiwilligen Vereinbarung über die Zahlung eines Einmalbetrags lediglich eine andere Auszahlungsweise einer bereits vereinbarten Abfindung mit Entschädigungscharakter festgelegt worden ist, kam es in den vom FG zitierten Fällen erst durch die Ausübung des Wahlrechts auf Kapitalisierung zur Aufgabe von Rechten aus Pensionsanwartschaften bzw. -ansprüchen und zur Vereinbarung einer dafür zu zahlenden Kapitalabfindung (vgl. , BFH/NV 1992, 646; vom XI R 62/92, BFH/NV 1993, 721). Damit aber war in diesen Fällen —anders als im Streitfall— bereits das schadenstiftende Ereignis (Aufgabe der Pensionsansprüche) aus eigenem Antrieb herbeigeführt worden.

3. Da nach der materiellen Rechtslage dem Kläger somit für den vollen Abfindungsbetrag von 527 224 DM der begünstigte Steuersatz gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 Abs. 1 und 2 EStG zu gewähren war, hätte das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid nicht ändern dürfen. Darauf, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 AO 1977 vorgelegen haben, kommt es deshalb nicht an.

4. Bei dieser Sachlage fehlt es auch an dem erforderlichen Feststellungsinteresse für die Fortsetzungsfeststellungsklage hinsichtlich des Auskunftsbegehrens des FA. Die Revision war deshalb insoweit mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Klage unzulässig war.

Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 449
BB 2003 S. 2381 Nr. 45
BFH/NV 2003 S. 1630
BFH/NV 2003 S. 1630 Nr. 12
BStBl. II 2004 S. 449 Nr. 10
DB 2003 S. 2365 Nr. 44
DStRE 2003 S. 1327 Nr. 22
FR 2004 S. 47 Nr. 1
INF 2003 S. 886 Nr. 23
KÖSDI 2003 S. 13977 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 48/2005 S. 4059
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