Zivilrecht | Kein Entgeltanspruch bei vorzeitigem Heimwechsel (BGH)
Der Bewohner eines Pflegeheims, der
Leistungen der sozialen Pflegeversicherung bezieht, muss das vereinbarte
Entgelt an das Heim nicht zahlen, wenn er nach einer Eigenkündigung vor Ablauf
der Kündigungsfrist auszieht ().
Sachverhalt und Prozessverlauf: Der an Multiple Sklerose erkrankte Kläger ist auf die Unterbringung in einem Pflegeheim angewiesen und bezieht Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Er verlangt von dem Beklagten, der ein Pflegeheim betreibt, Rückzahlung von Heimkosten. Von Dezember 2013 bis zum war der Kläger in dem Pflegeheim des Beklagten untergebracht. Nach dem Wohn- und Betreuungsvertrag konnte der Bewohner das Vertragsverhältnis spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf desselben Monats schriftlich kündigen. Ende Januar 2015 fand der Kläger einen Pflegeplatz in einem anderen, auf die Pflege von Multiple-Sklerose-Patienten spezialisierten Heim. Daraufhin kündigte er mit Schreiben vom den Wohn- und Betreuungsvertrag mit dem Beklagten zum . Da in dem anderen Pflegeheim kurzfristig schon früher ein Platz frei wurde, zog der Kläger bereits am aus dem Heim des Beklagten aus und bezog am darauf folgenden Tag den neuen Pflegeplatz. Der Beklagte stellte dem Kläger – nach Abzug der Leistungen der Pflegekasse für die erste Februarhälfte 2015 – Heimkosten für den gesamten Monat Februar 2015 in Höhe von 1.493,03 € in Rechnung, die der Kläger zunächst vollständig bezahlte. Da für die zweite Februarhälfte 2015 infolge des Auszugs aus dem Pflegeheim des Beklagten insoweit keine Sozialleistungen mehr erbracht wurden, verlangte der Kläger die Rückerstattung der bezahlten 1.493,03 €, was der Beklagte jedoch ablehnte. Der Kläger hat geltend gemacht, die Zahlung des Heimentgelts sei für die zweite Februarhälfte 2015 ohne Rechtsgrund erfolgt, da mit seinem Auszug am seine Zahlungspflicht entsprechend dem Grundsatz der taggenauen Abrechnung gemäß § 87a Abs. 1 Satz 2 SGB XI erloschen sei.
Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von 1.493,03 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg gehabt.
Der BGH hat die Revision des Beklagten Im Wesentlichen zurückgewiesen:
Der Beklagte hat das für die zweite Februarhälfte 2015 vereinnahmte Heimentgelt gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurückzuerstatten, da die Zahlungspflicht des Klägers mit dem Tag seines Auszugs am gemäß § 87a Abs. 1 Satz 2 SGB XI in Verbindung mit § 15 Abs. 1 WBVG endete.
§ 87a Abs. 1 Satz 2 SGB XI ordnet an, dass die Zahlungspflicht der Heimbewohner oder ihrer Kostenträger mit dem Tag endet, an dem der Heimbewohner aus dem Heim entlassen wird oder verstirbt. Nach dem eindeutigen Wortlaut ist nicht allein die Zahlungspflicht des Kostenträgers erfasst, sondern ebenso die zivilrechtliche Vergütungspflicht des Heimbewohners. Es handelt sich dabei um eine gegenüber den heimvertraglichen Bestimmungen des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes vorrangige Sonderregelung zugunsten von Heimbewohnern, die gleichzeitig Leistungsbezieher der Pflegeversicherung sind. Dieser Vorrang kommt darin zum Ausdruck, dass abweichende Vereinbarungen nichtig sind (§ 15 Abs. 1 Satz 2 WBVG, § 87a Abs. 1 Satz 4 SGB XI).
Ein "Entlassen" im Sinne des § 87a Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 SGB XI liegt auch dann vor, wenn der Pflegebedürftige – nach einer Kündigung des Heimvertragsverhältnisses – vor Ablauf der Kündigungsfrist des § 11 Abs. 1 Satz 1 WBVG endgültig auszieht.
Dass der Begriff "Entlassen" auch den Umzug beziehungsweise die Verlegung des Pflegebedürftigen in ein anderes Heim erfasst, erschließt sich aus der Regelung des § 87a Abs. 1 Satz 3 SGB XI. Darin wird klargestellt, dass die Zahlungspflicht des Heimbewohners gegenüber dem bisherigen Pflegeheim nicht für den Umzugs-/Verlegungstag besteht und insofern ein Heimentgelt nur durch die aufnehmende Pflegeeinrichtung berechnet werden darf. Damit bringt das Gesetz zugleich zum Ausdruck, dass für die restlichen Tage des Monats, in dem der Auszugs-/Verlegungstag liegt, kein Entgelt mehr an das bisherige Pflegeheim zu zahlen ist, und zwar unabhängig davon, ob der Heimbewohner, der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung bezieht, die Kündigungsfrist des § 11 Abs. 1 Satz 1 WBVG einhält.
Der Regelung des § 87a Abs. 1 Satz 5 bis 7 SGB XI über die Vergütungspflicht des Bewohners bei vorübergehender Abwesenheit vom Heim ist zu entnehmen, dass ein Vergütungsanspruch der Einrichtung (ggf. unter Berücksichtigung ersparter Aufwendungen) voraussetzt, dass der Pflegebedürftige das Heim nur vorübergehend im Sinne des § 87a Abs. 1 Satz 5, 6 SGB XI verlässt (z.B. wegen eines Krankenhausaufenthalts) und deshalb einen gesetzlichen Anspruch auf Freihaltung seines Pflegeplatzes hat.
Die Zahlungspflicht des Klägers endete mit dem Tag seines Auszugs aus dem Pflegeheim des Beklagten am . Als Empfänger von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung fällt er in den Anwendungsbereich des § 87a Abs. 1 SGB XI. Aus der Kündigung vom war für den Beklagten erkennbar, dass der Kläger das Pflegeheim endgültig verlassen wollte. Da der Beklagte nach dem Auszug des Klägers keine Leistungen mehr erbracht hat und auch nicht verpflichtet war, den Pflegeplatz freizuhalten, besteht insofern nach den Grundsätzen des § 87a Abs. 1 Satz 1, 2 SGB XI auch kein Vergütungsanspruch.
Die Revision hatte nur Erfolg, soweit die Klageforderung auf zwei Berechnungsfehlern beruhte (insgesamt 362,63 €).
Quelle: BGH, Pressemitteilung Nr. 164/2018 v. (Ls)
Fundstelle(n):
CAAAG-95987