BGH Beschluss v. - 2 StR 69/18

(Ausschluss der Schuldfähigkeit bei einer psychischen Störung)

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB

Instanzenzug: Az: 117 KLs 13/17

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision. Das Rechtsmittel ist mit der Sachrüge begründet.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Der Angeklagte leidet an einer organisch bedingten paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie mit der Folge eines Eifersuchtswahns und akustischer Halluzinationen. Er lernte im Jahr 2014 die Nebenklägerin kennen und hatte mit dieser eine intime Beziehung, die zunächst harmonisch verlief. Ende des Jahres 2016 kam es vermehrt zu Unstimmigkeiten infolge grundloser Eifersucht des Angeklagten. Im April 2017 trennte sich die Nebenklägerin endgültig von ihm. Nachdem der Angeklagte vielfach ohne Erfolg versucht hatte, telefonisch Kontakt mit der Nebenklägerin aufzunehmen, suchte er sie am gegen 17.00 Uhr an ihrer Wohnung auf. Die Nebenklägerin wollte ihn nicht hereinlassen und versteckte sich im Schlafzimmer, das an der Rückseite des Hauses gelegen war. Der Angeklagte begab sich in den Hinterhof, schaute durch das Schlafzimmerfenster und klopfte an das Fenster. Die Nebenklägerin erklärte sich daher dazu bereit, mit ihm zu sprechen, aber nur vor dem Haus. Als sie die Wohnungstür öffnete, stand der Angeklagte plötzlich vor ihr und schob sie in die Wohnung zurück. Er drückte sie dort auf einen Stuhl und versuchte, sie zu küssen, was sie abwehrte. Er gab ihr leichte Schläge auf die Wange. Dann öffnete er seine Hose, holte den Penis heraus und verlangte Oralverkehr. Die Nebenklägerin hielt die Hand vor ihren Mund, so dass es dem Angeklagten nicht gelang, ihr den Penis in den Mund zu stecken. Er zog sie daraufhin ins Schlafzimmer und entkleidete sie gegen ihren Willen. Er warf sie auf das Bett, drang mit einem Finger in ihre Scheide ein und versuchte, ihre Beine auseinanderzudrücken, um den Geschlechtsverkehr auszuüben. Sie wehrte dies ab, indem sie die Beine zusammenpresste. Der Angeklagte forderte erneut Oralverkehr, was die Nebenklägerin verweigerte. Schließlich forderte er sie auf, sich eine Sonnenbrille aufzusetzen, damit er ein Foto machen könne. Die Nebenklägerin schlug ihm die Sonnenbrille aus der Hand.

4Im Verlauf des Geschehens erschien die Schwester der Nebenklägerin, die Zeugin R.   , mithilfe eines eigenen Schlüssels in der Wohnung, da sie einen vereinbarten Anruf der Nebenklägerin nicht erhalten hatte. Sie sah den Angeklagten mit herunter gezogener Hose und nacktem Oberkörper auf ihrer Schwester liegen, die weinend um Hilfe rief. Sie forderte den Angeklagten auf, von der Nebenklägerin abzulassen. Der Angeklagte reagierte nicht darauf, sondern lächelte die Zeugin R.   nur an. Deshalb rief sie die Polizei.

5Bei Eintreffen der Polizeibeamten M.   und B.   war der Angeklagte vollständig bekleidet, kniete auf dem Bett über der Nebenklägerin und redete auf diese ein. Die Nebenklägerin war nackt, wirkte eingeschüchtert und weinte. Die Beamten forderten den Angeklagten mehrmals auf, von ihr abzulassen, worauf er jedoch nicht reagierte. Deshalb wurde er schließlich von dem Polizeibeamten B.   vom Bett heruntergezogen und auf dem Boden fixiert. Zur Spurensicherung wurden ihm Papiertüten über die Hände gestülpt.

62. Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte zur Tatzeit schuldfähig gewesen sei. Jedoch sei sein Hemmungsvermögen aufgrund krankheitsbedingter Enthemmung und Hypersexualität erheblich vermindert gewesen.

II.

7Die Revision ist begründet.

81. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei bei der Begehung der Tat zwar infolge seines hirnorganisch bedingten Psychosyndroms in seinem Hemmungsvermögen erheblich eingeschränkt, aber „sicher nicht schuldunfähig“ gewesen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

9a) Für die Frage eines Ausschlusses der Schuldfähigkeit gemäß § 20 StGB kommt es darauf an, in welcher Weise sich eine festgestellte psychische Störung, die ein gesetzliches Eingangsmerkmal erfüllt, bei der Tat auf die Unrechtseinsicht und die Handlungsmöglichkeiten des Täters ausgewirkt hat (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 235/14, BGHR StGB § 20 Psychose 3; , NStZ-RR 2017, 165, 167). Eine Wahnerkrankung schließt Unrechtseinsicht nicht generell, bei einem akuten Schub aber in aller Regel aus. Wenn das Tatgericht bei Vorliegen eines hirnorganisch bedingten Psychosyndroms lediglich von eingeschränkter Steuerungsfähigkeit ausgeht, hat es dies nachvollziehbar darzulegen (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 359/17). Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung der wesentlichen Umstände.

10Das Landgericht ist den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Dr. J.     gefolgt, der ausgeführt hat, es gebe keinen Hinweis darauf, dass der Angeklagte die Tat unter dem Einfluss eines akuten Krankheitsschubs begangen habe. Akustische Halluzinationen seien nicht geschildert worden. Weil der Angeklagte die Vergewaltigung aufgrund einer Störung durch die Schwester der Nebenklägerin abgebrochen habe, sei davon auszugehen, dass er noch zur Situationserfassung in der Lage war.

11b) Diese Überlegungen sind lückenhaft.

12Das Landgericht hat die Anknüpfungstatsachen zu den Ausführungen des Sachverständigen in den Aussagen der Zeugen R.   , M.   und S.   bestätigt gesehen, die zwar „Merkwürdigkeiten“ im Verhalten des Angeklagten erkannt, aber nicht über wahnhafte Äußerungen berichtet hatten. Die Zeugin M.   hatte jedoch angegeben, der Angeklagte habe abwesend beziehungsweise fröhlich gewirkt. Er habe nicht verstanden, was passiert sei; habe eine verlangsamte Reaktion gezeigt und habe es lustig gefunden, als ihm Papiertüten über die Hände gezogen wurden. Sein Zustand sei während der Ermittlungsmaßnahmen gleichbleibend geblieben. Er habe die ganze Zeit undeutlich gesprochen.

13Mit diesen Bekundungen setzt sich die Urteilsbegründung nicht im Hinblick auf die Frage auseinander, ob darin ein tatzeitnahes Symptom der Wahnerkrankung zu sehen ist. Diese Erwägung ist zu Unrecht unterblieben. Allein die Tatsache, dass vom Angeklagten selbst oder von Zeugen nicht über die Äußerung von Wahngedanken des Angeklagten zur Tatzeit berichtet wurde, machte die Erwägung nicht entbehrlich. Das gilt auch deshalb, weil das Landgericht die späteren Erläuterungen des Angeklagten zum Tatgeschehen als „wahngeprägt“ bewertet hat.

142. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil zur Schuldfrage auf dem Erörterungsmangel beruht. Er hebt auch den Maßregelausspruch auf, um dem neuen Tatrichter eine insgesamt stimmige Bewertung zu ermöglichen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:030518B2STR69.18.0

Fundstelle(n):
XAAAG-93919