Konkurrenzverhältnis zwischen Luftverkehrsversandverfahren und Regelversandverfahren
Gesetze: VO (EWG) Nr. 2726/90, VO (EWG) Nr. 1214/92
Gründe
I. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) meldete als Hauptverpflichtete am Nichtgemeinschaftsware, die aus einem Zolllager stammte, zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren an. Bestimmungsstelle sollte ”Madrid, Spanien” sein. Die Ware wurde zunächst mit einem LKW von O zum Flughafen P befördert und dort in ein Flugzeug der Luftverkehrsgesellschaft X umgeladen.
Da bei der Abgangsstelle das für diese bestimmte Exemplar des Versandscheins nicht einging, setzte die Zentralstelle Such- und Mahnverfahren des Hauptzollamts A, dessen Zuständigkeit zwischenzeitlich auf den Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt —HZA—) übergegangen ist, die Rechtsvorgängerin der Klägerin mit Schreiben vom von der Nichterledigung des Versandverfahrens in Kenntnis. Auf Nachfrage teilte die Zollstelle beim Flughafen Madrid mit, die Sendung sei dort nicht gestellt und der zugehörige Versandschein nicht vorgelegt worden. Das Hauptzollamt A forderte die Rechtsvorgängerin der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom auf, innerhalb von drei Monaten die ordnungsgemäße Erledigung des Versandverfahrens oder den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung nachzuweisen. Hierauf wurden dem Hauptzollamt A ein Luftfrachtbrief und ein Cargo-Manifest übersandt, wonach die Ware am nach Madrid befördert worden sei. Auf erneute Nachfrage teilte die Zollstelle beim Flughafen Madrid mit, die Sendung sei dort nicht gestellt und der zugehörige Versandschein nicht vorgelegt worden.
Das Hauptzollamt A setzte deshalb gegen die Rechtsvorgängerin der Klägerin mit Steuerbescheid vom ... März 1995 ... DM Zoll und ... DM Einfuhrumsatzsteuer fest.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Rechtsvorgängerin der Klägerin Klage vor dem Finanzgericht (FG). Das FG wies die Klage ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Zollschuld sei nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 des Rates vom über die Zollschuld (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 201/15) entstanden. Es sei davon auszugehen, dass die in das externe gemeinschaftliche Versandverfahren übergeführte Ware weder dem Hauptzollamt P-Flughafen, noch einer spanischen Zollstelle oder einer anderen Zollstelle in der Gemeinschaft gestellt worden sei. Es gebe auch keine Vorschrift, nach der Versandgut, das von einer Luftverkehrsgesellschaft mit einem Luftfrachtbrief zur Weiterbeförderung übernommen werde, als am Abgangsflughafen gestellt gelte. Das Versandverfahren habe außer durch Gestellung beim Hauptzollamt P-Flughafen nur durch Übergabe der Ware an einen zugelassenen Empfänger beendet werden können. Unabhängig davon, ob der Luftverkehrsgesellschaft eine entsprechende allgemeine Bewilligung erteilt worden sei, habe sie nicht zugelassene Empfängerin sein können, weil die Ware nicht für sie bestimmt gewesen sei. Darüber hinaus habe die Klägerin kein Dokument i.S. des Art. 50 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 1214/92 (VO Nr. 1214/92) der Kommission vom mit Durchführungsvorschriften sowie Maßnahmen zur Vereinfachung des gemeinschaftlichen Versandverfahrens (ABlEG Nr. L 132/1) als Nachweis für die Übergabe der Ware und der Exemplare des Versandscheins an die Luftverkehrsgesellschaft vorgelegt. Das Versandverfahren sei auch nicht dadurch beendet worden, dass die Luftverkehrsgesellschaft die Ware in das vereinfachte Manifestverfahren übergeführt habe. Da das von der Rechtsvorgängerin der Klägerin eröffnete Versandverfahren nicht am Abgangsflughafen habe enden sollen, habe sie das Regelverfahren in Anspruch genommen. Nach Art. 53 Satz 2 VO Nr. 1214/92 komme daher die Fiktion des Art. 52 Abs. 1 VO Nr. 1214/92, wonach das Manifest der Luftverkehrsgesellschaft als Anmeldung zum gemeinschaftlichen Versandverfahren gelte, nicht zur Anwendung.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Sie trägt vor, die Rechtsfrage, ob ein externes gemeinschaftliches Versandverfahren durch die Überführung der Ware in ein anderes vereinfachtes Luftverkehrversandverfahren beendet werden könne, sei von grundsätzlicher Bedeutung. Es sei im Streitfall entscheidungserheblich, inwiefern die Luftverkehrsgesellschaft durch die Übernahme der in dem Manifest aufgeführten Ware Hauptverpflichtete geworden und ihre Rechtsvorgängerin hierdurch entpflichtet worden sei. An der Beantwortung der Rechtsfrage bestehe ein allgemeines Interesse, weil Versandverfahren im Luftverkehr zunähmen und gleichgelagerte Fälle künftig bedeutsam würden. Ferner seien beim FG 52 gleichgelagerte Klageverfahren anhängig. Im Schrifttum werde die Problematik uneinheitlich und unzureichend beantwortet. Die Revision sei zudem zuzulassen, weil die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordere. Der ungenügend geregelte Übergang von dem Regelversandverfahren in das vereinfachte Luftverkehrversandverfahren habe zu einer Vielzahl von unerledigten Regelversandverfahren geführt. Eine gesicherte Rechtsprechung bestehe hierzu nicht. Überdies beruhe die Vorentscheidung auf Verfahrensmängeln. Die Beweiswürdigung des FG sei nicht nachvollziehbar. Wesentliche von ihr vorgetragene Gesichtspunkte seien ausgelassen oder nicht in den richtigen Zusammenhang gestellt worden. Das FG habe darüber hinaus gegen seine Verpflichtung zur Sachaufklärung verstoßen. Sie habe die Vernehmung der zuständigen Bediensteten des Hauptzollamts Frankfurt am P-Flughafen beantragt. Die Anhörung dieser und weiterer Zeugen von der Oberfinanzdirektion P hätte ergeben, dass die Luftverkehrsgesellschaft die Ware trotz ihrer Kennzeichnung in dem Luftfrachtbrief mit ”TD” und ”T1” nicht im Regelverfahren befördert habe, sondern als zugelassene Empfängerin in das vereinfachte Luftverkehrversandverfahren übergeführt habe. Auch ohne entsprechenden Beweisantrag habe das FG dieses klärungsbedürftige Problem als entscheidungserheblich erkennen müssen.
Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten.
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Der Rechtssache kommt weder die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO). Eine Zulassung der Revision kommt hiernach nur in Betracht, wenn die für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist (vgl. , BFH/NV 2002, 1311). Daran fehlt es, wenn sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne weiteres aus den maßgeblichen Rechtsvorschriften ergibt (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 139/02, BFH/NV 2003, 670). So liegt es hier.
a) Nach Art. 23 der Verordnung (EWG) Nr. 2726/90 (VO Nr. 2726/90) des Rates vom über das gemeinschaftliche Versandverfahren (ABlEG Nr. L 262/1) endet das externe gemeinschaftliche Versandverfahren, wenn die Waren und der Versandschein T1 der Bestimmungsstelle gestellt werden. Dies ist nach den Feststellungen des FG im Streitfall nicht geschehen. Der Hauptverpflichtete wird zudem von den ihm nach Art. 11 Buchst. a VO Nr. 2726/90 obliegenden Verpflichtungen frei, wenn er die die Sendung begleitenden Exemplare des Versandpapiers sowie die Waren unverändert innerhalb der vorgeschriebenen Frist einem zugelassenen Empfänger übergibt und die zur Nämlichkeitssicherung der Waren getroffenen Maßnahmen beachtet worden sind (Art. 111 Abs. 2 VO Nr. 1214/92). Das FG hat nicht festgestellt, dass der Luftverkehrsgesellschaft, der die Ware zur weiteren Beförderung nach Madrid übergeben worden ist, eine Zulassung nach Art. 111 Abs. 1 VO Nr. 1214/92 erteilt worden ist. Darüber hinaus hat die Klägerin nach den Feststellungen des FG kein Dokument i.S. des Art. 50 Buchst. a VO Nr. 1214/92 als Nachweis für die Übergabe der Ware und der Exemplare des Versandscheins an einen zugelassenen Empfänger vorgelegt.
b) Durch die Übergabe der Ware an die Luftverkehrsgesellschaft, die über die Beförderung ein Cargo-Manifest ausgestellt hat, konnte im Streitfall das von der Klägerin eröffnete gemeinschaftliche Versandverfahren nicht beendet werden. Denn die Klägerin hat das in Art. 10 VO Nr. 2726/90 festgelegte externe gemeinschaftliche Versandverfahren für die gesamte Beförderungsstrecke von O nach Madrid in Anspruch genommen, wie ihr dies nach Art. 53 Satz 1 VO Nr. 1214/92 freistand. Dies hatte nach Art. 53 Satz 2 VO Nr. 1214/92 zur Folge, dass die in Art. 52 dieser Verordnung festgelegten Verfahren nicht galten. Das von der Luftverkehrsgesellschaft ausgestellte Manifest konnte mithin die Rechtswirkungen des Art. 52 Abs. 1 VO Nr. 1214/92 nicht hervorrufen. Für die Annahme einer Beendigung oder Überlagerung des von der Klägerin eröffneten Versandverfahrens (vgl. in diesem Sinne Stiehle, Verantwortlichkeit für Unregelmäßigkeiten im europäischen Luftverkehrversandverfahren, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 2001, 38, 45; ähnlich Glashoff in Schwarz/Wockenfoth, Zollrecht, 3. Aufl., Art. 91 bis 97 ZK Rz. 337) ist in Anbetracht der Regelung in Art. 53 Satz 2 VO Nr. 1214/92 kein Raum. Diese Bestimmung regelt das Konkurrenzverhältnis zwischen einem vorangegangenen, nach der VO Nr. 2726/90 festgelegten gemeinschaftlichen Versandverfahren und den in Art. 52 VO Nr. 1214/92 vorgesehenen Verfahren eindeutig dahin gehend, dass dem ersteren Verfahren Vorrang zukommt, wenn es von dem Beteiligten tatsächlich —für die gesamte Beförderungsstrecke— in Anspruch genommen worden ist. Im Luftfrachtbrief und im Cargo-Manifest ist dieser Umstand im Übrigen dadurch deutlich gemacht worden, dass dort —wie vom FG festgestellt— die VAB-Nr. des betreffenden Versandscheins und die Kurzbezeichnung ”TD” (= Transit Document) sowie auf dem Cargo-Manifest der letzte Tag der Wiedergestellungsfrist für das in Rede stehende (Regel-) Versandverfahren angegeben worden sind (vgl. dazu die spätere gemeinschaftsrechtliche Regelung in Art. 444 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom mit Duchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABlEG Nr. L 253/1, i.d.F. des Art. 1 Nr. 17 der Verordnung (EG) Nr. 75/98 der Kommission vom zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 ..., ABlEG Nr. L 7/3).
2. Die Revision ist auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen. Die Klägerin hat einen Verfahrensmangel, auf dem die Vorentscheidung beruhen kann, nicht schlüssig dargelegt, wie dies § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert.
a) Soweit die Klägerin rügt, die Beweiswürdigung des FG sei nicht nachvollziehbar, könnte es sich hierbei allenfalls um einen Verstoß gegen materielles Recht handeln, der jedoch keinen Verfahrensmangel darstellt (vgl. BFH-Beschlüsse vom X B 75/99, BFH/NV 2000, 1458; vom III B 38/02, BFH/NV 2002, 1443). Die weiterhin von der Klägerin geltend gemachte Nichtberücksichtigung von Gesichtspunkten, die in die Beweiswürdigung hätten einbezogen werden müssen, könnte verfahrensfehlerhaft sein, wenn das FG seiner Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO nicht nachgekommen wäre oder wenn es Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens unberücksichtigt gelassen hätte (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2000, 1458, sowie in BFH/NV 2002, 1443). Die Klägerin hat jedoch nicht dargelegt, um welche Gesichtspunkte es sich hierbei handeln soll. Sie hat überdies nicht dargelegt, dass die Vorentscheidung unter Zugrundelegung der vom FG vertretenen materiell-rechtlichen Auffassung möglicherweise anders getroffen worden wäre, wenn dem FG der gerügte Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2000, 1458, sowie in BFH/NV 2002, 1443).
b) Die Klägerin hat auch den Verfahrensmangel eines übergangenen Beweisantrags nicht schlüssig dargelegt. Hierzu gehört insbesondere der Vortrag, dass die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war (vgl. , BFH/NV 1995, 787; Senatsbeschluss vom VII B 40/01, BFH/NV 2002, 373). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter —ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge— verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), hat die unterlassene rechtzeitige Rüge den endgültigen Rügeverlust, so z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde, zur Folge.
Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor dem FG das Unterlassen der Vernehmung der von ihr benannten Zeugen durch ihre fachkundige Prozessbevollmächtigte gerügt hat. Es sind auch keine Gründe dafür erkennbar, dass die rechtzeitige Rüge des behaupteten Verfahrensfehlers auf Grund des Verhaltens des FG nicht möglich gewesen wäre.
c) Sollte das Vorbringen der Klägerin dahin zu verstehen sein,
das FG hätte die Zeugen auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen anhören müssen, hat sie einen entsprechenden Verfahrensmangel (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) gleichfalls nicht schlüssig dargelegt. Dies erfordert unter anderem einen substantiierten Vortrag dazu, aus welchen (genau bezeichneten) Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung (Beweiserhebung) auch ohne entsprechenden Antrag aufdrängen musste und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. Senatsurteil vom VII R 72/99, BFHE 192, 390; , BFH/NV 2002, 1332). Hierzu ist der Beschwerdebegründung nichts zu entnehmen.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 1229
BFH/NV 2003 S. 1229 Nr. 9
OAAAA-71068