BFH Beschluss v. - V B 32/02

Voraussetzung für eine Zulassung zur Rechtsfortbildung

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision nur zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

2. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert oder

3. ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Gemäß § 116 Abs. 3 FGO müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden.

1. Soweit die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als Verfahrensmangel eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs rügt, entspricht die Beschwerdeschrift nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Zwar verbietet der Anspruch der Beteiligten auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—, § 96 Abs. 2 FGO) dem Gericht den Erlass von ”Überraschungsentscheidungen” (z.B. , BVerfGE 84, 188; BFH-Beschlüsse vom IV B 152/97, BFH/NV 1998, 1511; vom I B 127/98, BFH/NV 1999, 1609).

Die Klägerin macht insoweit geltend, das Finanzgericht (FG) habe in der mündlichen Verhandlung eine neue Berechnung der Umsätze vorgelegt und diese nach Schluss der mündlichen Verhandlung —offensichtlich um die versehentlich in der ersten Berechnung nicht saldierten unstreitigen Vorsteuerbeträge— korrigiert; hierzu habe sie nicht Stellung nehmen können. Die Klägerin hat jedoch nicht —wie für eine schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs, die sich auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte des vorinstanzlichen Urteils bezieht (vgl. dazu , BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802)— im Einzelnen dargelegt, was sie bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (BFH-Beschlüsse vom VII B 21/99, BFH/NV 2000, 1335; vom III B 57/99, BFH/NV 2000, 861) und dass bei Berücksichtigung des Sachvortrags eine andere Entscheidung des FG möglich gewesen wäre (BFH-Beschlüsse vom V B 86/86, BFHE 149, 437, BStBl II 1987, 502; vom VIII B 79/00, BFH/NV 2001, 1553).

Kein Verfahrensfehler der Verletzung rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn das FG den Sachverhalt anders würdigt, als es den Erwartungen des Beschwerdeführers entspricht.

2. Wird ein Verstoß gegen die Verpflichtung des FG zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) mit der Begründung gerügt, das FG habe von Amts wegen den Sachverhalt aufklären müssen, ist anzugeben, wo Tatsachen vorgetragen worden sind, denen das FG auch ohne Beweisantritt hätte nachgehen müssen. Die Klägerin rügt lediglich, das FG habe die ”Erklärung über den zivilrechtlichen Vergleich weder zurückgewiesen noch bei seiner Entscheidung berücksichtigt”, ”geschweige denn näher aufgeklärt”, ohne darzulegen, was konkret und mit welchen Mitteln näher hätte aufgeklärt werden müssen. Im Übrigen muss bei der Rüge eines (verzichtbaren) Verfahrensverstoßes neben der Bezeichnung des Verfahrensmangels vorgetragen werden, dass dieser bereits in der Vorinstanz gerügt worden ist oder aus welchen Gründen dem Beteiligten eine entsprechende Rüge nicht möglich war (, BFH/NV 1999, 214; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 120 Anm. 67).

Die Klägerin hat ausweislich des insoweit maßgeblichen Sitzungsprotokolls in der mündlichen Verhandlung keine Rüge mangelnder Sachaufklärung erhoben. Damit hat sie auf eine entsprechende Verfahrensrüge verzichtet (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der ZivilprozessordnungZPO—; ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom I B 104/94, BFH/NV 1995, 802; vom I B 212/94, BFH/NV 1996, 57). Weshalb ihr eine entsprechende Rüge nicht möglich war, hat sie nicht dargelegt.

3. Auch eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) kommt nicht in Betracht. Voraussetzung hierfür ist, dass der Streitfall Veranlassung gibt, Leitsätze zur Auslegung des Gesetzes aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Die Rechtsfortbildung muss über den Einzelfall hinaus im allgemeinen Interesse liegen und die Frage nach dem ”Ob” und ggf. ”Wie” der Rechtsfortbildung muss klärungsbedürftig sein (z.B. , BFH/NV 2002, 652).

Eine Gesetzeslücke liegt im Streitfall ersichtlich nicht vor. Veranlassung, Leitsätze zur Auslegung einer Rechtsvorschrift oder eines Tatbestandsmerkmals einer Rechtsvorschrift aufzustellen, kann der konkret zu entscheidende Einzelfall nur dann geben, wenn im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung Unklarheiten oder Zweifel hinsichtlich der Auslegung der betreffenden Norm oder einzelner Tatbestandsmerkmale dieser Norm bestehen oder wenn es der Beschwerde gelingt, durch Aufzeigen neuer, bisher nicht berücksichtigter Gesichtspunkte Zweifel an der Aufrechterhaltung einer bereits bestehenden (”herrschenden”) Auslegungspraxis zu erwecken. Beides kommt im Streitfall nicht in Betracht. Unklarheiten hinsichtlich der Auslegung des § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) bestehen nicht. Die Klägerin hat in der Beschwerdebegründung auch keine Zweifel an der bisherigen Auslegungspraxis dieser Norm aufgezeigt; sie hat zwar die Abweichung des angefochtenen Urteils von verschiedenen BFH-Urteilen behauptet, ohne jedoch, wie nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geboten, die behauptete Abweichung durch eine Gegenüberstellung der abstrakten Rechtssätze des FG einerseits und des BFH andererseits kenntlich zu machen (z.B. , BFH/NV 2001, 437, m.w.N.).

4. Die gegen die Entscheidung des FG erhobenen Einwände der Klägerin richten sich —auch soweit sie eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung begehrt— in Wahrheit gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Als solche können sie im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg führen (z.B. , BFH/NV 1999, 1612, m.w.N. der Rechtsprechung).

5. Im Übrigen sieht der Senat von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung nach Maßgabe des § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO n.F. ab.

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Fundstelle(n):
EAAAA-70659