BFH Urteil v. - IV R 42, 43/01

Gründe

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Diplom-Kaufmann und erzielte in den Streitjahren (1991 und 1993) aus der Vermittlung von Kapitalanlagen Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Im Streitjahr 1991 war er vorübergehend auch als selbständiger Mitarbeiter einer Firma im Beitrittsgebiet tätig und erzielte daraus Einkünfte, die er durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelte und als solche aus freiberuflicher Tätigkeit erklärte. In seinen Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre gab er unter Vorlage eines für das erste Halbjahr 1991 geführten Fahrtenbuchs die private PKW-Nutzung für 1991 mit 192 DM und für 1993 mit 85 DM an.

Bei der Veranlagung erhöhte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) den privaten Nutzungsanteil auf 30 v.H. und unterschied dabei zwischen mit Vorsteuer belasteten und unbelasteten Kfz-Kosten. Die mit Vorsteuer belasteten Kosten wurden wie folgt berücksichtigt:


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PKW-Kosten netto
30 v.H. Privatnutzung
Umsatzsteuer
1991: 5 335,75 DM
1 600,72 DM
224,10 DM (14 v.H.)
1993: 2 857,09 DM
  857,12 DM
128,56 DM (15 v.H.)

Einsprüche und Klagen hatten keinen Erfolg.

Mit seinen dagegen gerichteten, vom Senat zugelassenen Revisionen rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Unter Hinweis auf § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) trägt er vor, das Finanzgericht (FG) habe seine Ermittlungspflicht verletzt, weil es die nachträgliche und treuwidrige Ausweitung der Anforderungen an das Fahrtenbuch hätte zurückweisen müssen. Das FG habe im Übrigen unter Verletzung seines, des Klägers, Persönlichkeitsrechts, zu Unrecht gefordert, auch die Privatfahrten im Einzelnen nachzuweisen. Dies habe auch der um eine Stellungnahme ersuchte Landesbeauftragte für den Datenschutz Rheinland-Pfalz bestätigt.

Der Kläger beantragt, die Urteile des FG aufzuheben und unter Änderung der angefochtenen Steuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen die private Kfz-Nutzung wie ursprünglich erklärt zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

Es ist der Auffassung, der vom Kläger ermittelte private Nutzungsanteil von 2,81 v.H. ergebe sich aus Aufzeichnungen in einem für das 1. Halbjahr 1991 geführten Fahrtenbuch, die nicht als repräsentativ für den gesamten Zeitraum anzusehen seien. Das FG habe alle vom Kläger vorgelegten Unterlagen berücksichtigt, wegen der Ungewöhnlichkeit des vom Kläger ermittelten Privatanteils aber eine abweichende Schätzung vorgenommen. Damit seien keine überhöhten Anforderungen an die Nachweise gestellt worden, denn die Anforderungen an die Genauigkeit der Aufzeichnungen seien umso höher, je niedriger der private Nutzungsanteil ausfalle (Urteil des , Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst —DStRE— 1997, 934).

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Revisionen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 FGO) sind begründet; die angefochtenen Urteile werden aufgehoben und die Sachen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FA hat den Anteil der privaten Kraftfahrzeugnutzung dem Grunde nach zu Recht geschätzt; der Höhe nach ist die auch vom FG übernommene Schätzung mit 30 v.H. der Gesamtkosten aber zu beanstanden (§ 162 Abs. 1 der AbgabenordnungAO 1977—).

1. Nach § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Betriebsausgaben die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind. Soweit der Steuerpflichtige einen im Betriebsvermögen gehaltenen PKW auch zu Privatfahrten einsetzt, ist diese Verwendung einkommensteuerlich als eine Nutzungsentnahme i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG zu beurteilen (, BFHE 157, 521, BStBl II 1990, 8).

a) Nach ständiger Rechtsprechung ist die Nutzungsentnahme abweichend von § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG nicht mit dem Teilwert, sondern mit dem Ansatz der tatsächlichen Selbstkosten zu bewerten (BFH in BFHE 157, 521, BStBl II 1990, 8, m.w.N.), wobei der Steuerpflichtige den Umfang der betrieblichen Nutzung nachzuweisen hat. Dies geschieht in aller Regel durch die Vorlage von Belegen und die Führung eines Fahrtenbuchs, wie dies inzwischen auch im EStG ausdrücklich geregelt ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 —JStG 1996— vom EStG 1996—, BGBl I 1995, 1250; BStBl I 1995, 438).

Wird ein solcher Nachweis nicht geführt, geht die Finanzverwaltung aus Vereinfachungsgründen in der Mehrzahl der Fälle für Veranlagungszeiträume vor 1996, also auch für die Streitjahre, davon aus, dass der betriebliche Nutzungsanteil 65 bis 70 v.H. der Gesamtnutzung beträgt; bei Steuerpflichtigen, die zur Ausübung ihrer ausgedehnten Berufstätigkeit auf die ständige Benutzung eines PKW angewiesen sind, kann ein höherer Hundertsatz in Betracht kommen (vgl. Abschn. 118 Abs. 2 Satz 3 und 4 der Einkommensteuer-Richtlinien 1990EStR 1990—).

b) Im Streitfall hat das FG zu Recht das vom Kläger geführte Fahrtenbuch als Schätzungsgrundlage verworfen. Nach den Feststellungen des FG hatte der Kläger seine Aufzeichnungen nur für die ersten 6 Monate des Streitjahrs 1991 geführt und bei einer Gesamtfahrleistung von 15 414 km lediglich 433 km privater Fahrten vermerkt. Den danach ermittelten Kostenanteil von 2,81 v.H. setzte der Kläger —aufgerundet auf 3 v.H.— für beide Streitjahre (1991 und 1993) als private Nutzung an. Diesen der Lebenserfahrung widersprechenden Prozentsatz haben FA und FG zu Recht nicht der Besteuerung zu Grunde gelegt, weil sie die Aufzeichnungen des Klägers nicht als repräsentativ ansahen. Zwar hatte der Kläger, einer Anregung des FA folgend, seine Aufzeichnungen nur für ein halbes Jahr geführt. Nachdem er jedoch während dieses Zeitraums vorübergehend eine zusätzliche freiberufliche Tätigkeit im Beitrittsgebiet aufgenommen hatte, konnte er selbst nicht davon ausgehen, dass seine Aufzeichnungen eine geeignete Schätzungsgrundlage für beide Streitjahre sein könnten. Sein Einwand, das FA habe sich treuwidrig verhalten, als es seine, des Klägers, Aufzeichnungen nicht anerkannt habe, obwohl er damit einer finanzbehördlichen Anregung nachgekommen sei, geht daher fehl. Der Hinweis, ein Fahrtenbuch zu führen, kann insbesondere nicht als Zusage gewertet werden, die Aufzeichnungen ohne weitere sachliche Prüfung der Besteuerung zu Grunde zu legen.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat das FG nicht gefordert, dass der Kläger seine Privatfahrten näher begründet. Dies verlangt auch die Finanzverwaltung nicht und begnügt sich nach dem zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1996 ergangenen Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom IV B 2 -S 2177- 29/97 (BStBl I 1997, 562, 565 Tz. 22) bei Privatfahrten mit den Kilometerangaben. Ob diese verminderten Anforderungen den Vorstellungen des Gesetzgebers von einem ordnungsgemäßen Fahrtenbuch i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG 1996 entsprechen, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Zum einen gilt diese Regelung noch nicht für die Streitjahre, zum anderen hat das FG lediglich ausgeführt, der private Nutzungsanteil sei nicht ausreichend glaubhaft gemacht, weil es an Aufzeichnungen über die Dauer der beruflichen Tätigkeit an den einzelnen Tagen fehle. Deshalb aber könnten keine Rückschlüsse auf die verbleibende Freizeit gewonnen werden. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und vermag insbesondere nicht den vom Kläger erhobenen Vorwurf einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu rechtfertigen.

c) War das FA sonach zur Schätzung des Privatanteils befugt, so konnte es nach den Regeln des Anscheinsbeweises einen geringeren betrieblichen Nutzungsanteil als den vom Kläger beantragten annehmen (Senatsurteil vom IV R 245/84, BFH/NV 1987, 27). Allerdings sind bei der nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 vorzunehmenden Schätzung alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Eine entsprechende Schätzungsbefugnis hat auch das FG, wenn eine weitere Sachaufklärung nicht möglich oder nicht zumutbar ist (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO 1977). Die gewählte Schätzungsmethode muss dem Ziel gerecht werden, die Besteuerungsgrundlagen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so zu bestimmen, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahe kommen (, BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226, und vom VI R 12/83, BFH/NV 1987, 698).

Nach diesen Grundsätzen widerspricht die Annahme eines beruflichen Nutzungsanteils von 70 v.H. der Gesamtnutzung den übrigen Tatsachenfeststellungen des FG. Danach nämlich hatte der Kläger als Vermittler von Kapitalanlagen, aber noch viel mehr —wenn auch nur vorübergehend— als selbständiger, freiberuflich tätiger Mitarbeiter einer Firma im Beitrittsgebiet eine ”räumlich ausgedehnte Berufstätigkeit”, die nach Abschn. 118 Abs. 2 Satz 4 EStR 1990 den Ansatz eines höheren betrieblichen Nutzungsanteils als 65 bis 70 v.H. der Gesamtkosten rechtfertigt. Die angegriffene Entscheidung enthält aber keine Ausführungen dazu, dass gleichwohl der Ansatz von 70 v.H. der Gesamtkosten wirklich den tatsächlichen Verhältnissen im Streitfall entspricht. Dafür kann u.a. von Bedeutung sein, dass es sich bei dem PKW des Klägers offenbar um das einzige Fahrzeug gehandelt hat, dieser andererseits aber als Lediger keine Familienmitglieder hat, die für eine private Nutzung in Betracht kämen.

2. Umsatzsteuerlich unterliegt die private Nutzung des PKW gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der für die Streitjahre 1991 und 1993 geltenden Fassung der Besteuerung als Eigenverbrauch. Dieser ist mit den bei Ausführung dieses Umsatzes entstandenen Kosten, die zum Vorsteuerabzug berechtigt haben, zu versteuern (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. nur Urteile vom V R 94/91, BFH/NV 1995, 452, und vom V R 78/98, BFHE 188, 160, jeweils m.w.N.).

Im Streitfall hat das FA als Bemessungsgrundlage für die Besteuerung des Eigenverbrauchs zwar nur die ursprünglich mit Vorsteuern belasteten Gesamtkosten des PKW angesetzt. Die Schätzung des Anteils der privaten Nutzung des PKW ist aber aus den gleichen Gründen zu beanstanden, wie der Ansatz der einkommensteuerlichen Nutzungsentnahme.

3. Die Vorentscheidungen beruhen auf einer anderen Rechtsauffassung und sind daher aufzuheben. Der Senat kann jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO 1977) gehört zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. von § 118 Abs. 2 FGO, die allein dem FG obliegt (s. etwa Senatsurteil vom IV R 143/84, BFHE 149, 121, BStBl II 1987, 412 zu 2. der Entscheidungsgründe). Das FG wird diese Feststellungen nachzuholen und dabei zu beachten haben, dass die Nutzungsentnahme nach §§ 4 Abs. 1 Satz 2, 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG, anders als die umsatzsteuerliche Ermittlung des Verwendungseigenverbrauchs, auch die nicht mit Vorsteuer belasteten Aufwendungen des Klägers mitumfasst.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 302
BFH/NV 2003 S. 302 Nr. 3
WAAAA-70491