Streitwerterhöhung nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG bei Streit um Bildung einer Rücklage nach § 6c Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 6b Abs. 3 EStG
Leitsatz
1. NV: Ist Streitgegenstand die Frage der Zulässigkeit einer rückwirkend zu bildenden Rücklage nach § 6c Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 6b Abs. 3 EStG, wirkt sich die Beantwortung der Frage regelmäßig nicht nur auf das Streitjahr, sondern i.S. des § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG auch auf die Folgejahre aus.
2. NV: Die Streitwerterhöhung nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG kommt auch zur Anwendung, wenn die Berechnung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG zum Ansatz des Mindeststreitwerts (§ 52 Abs. 4 Nr. 1 GKG) führt.
Gesetze: GKG § 52 Abs. 3 Sätze 1 und 2; GKG § 52 Abs. 4 Nr. 1; GKG § 71 Abs. 1 Satz 2
Instanzenzug:
Gründe
1 1. Der Antrag auf Streitwertfestsetzung ist zulässig.
2 a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) setzt der Antrag eines Beteiligten auf förmliche Festsetzung des Streitwerts ein Rechtsschutzbedürfnis voraus. Daran fehlt es, wenn der Streitwert eindeutig aus dem gestellten Sachantrag und der bisherigen BFH-Rechtsprechung ermittelt werden kann (BFH-Beschlüsse vom VIII R 346/83, BFHE 152, 5, BStBl II 1988, 287, unter II., und vom X S 22/16, BFH/NV 2017, 615, Rz 12).
3 b) Demgegenüber besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Höhe des Streitwerts nicht nur auf der Grundlage eines einfachen Rechenvorgangs ermittelt werden kann und zwischen den Beteiligten umstritten ist oder Fälle der vorliegenden Art in der Rechtsprechung noch nicht entschieden sind (, BFHE 115, 1, BStBl II 1975, 385; vgl. auch , BFHE 250, 327, BStBl II 2015, 906, Rz 9).
4 Dies ist hier der Fall. Die Höhe des Streitwerts ist zwischen den Beteiligten umstritten. Auch im Hinblick auf die streitige Vorschrift des § 52 Abs. 3 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) kann noch nicht von einer gefestigten Rechtsprechung ausgegangen werden (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 250, 327, BStBl II 2015, 906, Rz 9, und in BFH/NV 2017, 615, Rz 14).
5 2. Der Streitwert bestimmt sich im Streitfall nach § 52 Abs. 3 Sätze 1 und 2 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 GKG. § 52 Abs. 3 GKG wurde durch Art. 3 Abs. 1 Nr. 18 Buchst. a des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes —2. KostRMoG— (BGBl I 2013, 2586) mit Wirkung vom neu gefasst. Da die Kläger, Revisionskläger und Antragsteller (Kläger) die Revision am und damit nach der Änderung von § 52 Abs. 3 GKG zum eingelegt haben (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 2 GKG; Art. 3 Abs. 1 Nr. 18 Buchst. a und Art. 50 2. KostRMoG), sind die Vorschriften für das Revisionsverfahren anwendbar.
6 3. Nach § 52 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 GKG wäre im Streitfall für das Revisionsverfahren der Mindeststreitwert von 1.500 € festzusetzen.
7 a) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers im Zeitpunkt der Einlegung der Revision (§ 47 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 40 GKG).
8 b) Mit der von den Klägern eingelegten Revision verfolgen diese das Ziel, eine im Nachhinein im Jahr 2010 gezahlte „Entschädigungsprovision“ als nachträgliche Kaufpreiszahlung einer zum .... ... 2008 veräußerten Landwirtschaftsfläche zu qualifizieren, um hierfür entsprechend § 6c Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 6b Abs. 3 EStG rückwirkend für das Wirtschaftsjahr 2007/2008 eine Rücklage zu bilden (zu den Einzelheiten vgl. , BFHE 253, 337, BStBl II 2016, 984). Über diese Frage war erstmals und ausschließlich im Streitjahr (2009) zu entscheiden, da sich die Bildung, Auflösung oder teilweise Übertragung der Rücklage erstmalig gewinnwirksam im Einkommensteuerbescheid 2009 auswirkte (BFH-Urteil in BFHE 253, 337, BStBl II 2016, 984, Rz 21 und 40).
9 Da die Einkommensteuer für das Streitjahr aufgrund der gewinnwirksamen teilweisen Auflösung allerdings unverändert blieb (0 €), war bei Anwendung von § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG der Mindeststreitwert von 1.500 € (§ 52 Abs. 4 Nr. 1 GKG) anzusetzen.
10 4. Der Streitwert ist nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG um das Dreifache zu erhöhen. Danach ist, wenn der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte hat, die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. Unschädlich ist, dass im Streitfall nach den vorstehenden Ausführungen der Mindeststreitwert zum Ansatz kommt. Denn insoweit handelt es sich lediglich um eine Untergrenze des ansonsten nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG ermittelten Streitwerts.
11 a) Im finanzgerichtlichen Verfahren liegen offensichtlich absehbare zukünftige Auswirkungen in diesem Sinne vor, wenn ohne umfangreiche Prüfung oder aufwändige Überlegungen, also auf den ersten Blick, erkennbar ist, dass der konkret verwirklichte Sachverhalt auch die Höhe zukünftiger Steuerfestsetzungen beeinflusst. Es reicht nicht aus, wenn dieselbe rechtliche Problematik zwar in zukünftigen Zeiträumen auftritt, die Verwirklichung des entsprechenden konkreten Sachverhalts aber nicht hinreichend sicher absehbar ist. Es muss zum Zeitpunkt der die Instanz einleitenden Antragstellung eindeutig bestimmbar sein, ob solche zukünftigen Auswirkungen bestehen. Ist anhand der dem Finanzgericht (FG) vorliegenden Unterlagen nicht eindeutig bestimmbar, dass die Entscheidung Auswirkungen für zukünftige Steuerjahre haben wird, so scheidet eine Erhöhung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG aus (vgl. im Einzelnen BFH-Beschlüsse in BFHE 250, 327, BStBl II 2015, 906, Rz 17 f., und vom X S 15/17, BFH/NV 2017, 1460, Rz 19).
12 Es reicht dabei grundsätzlich aus, wenn eindeutig bestimmbar ist, dass solche Auswirkungen dem Grunde nach eintreten werden. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Betrag der offensichtlich absehbaren Auswirkungen der Höhe nach offensichtlich und genau bestimmt ist. Es genügt vielmehr, wenn dieser ohne Schwierigkeiten anhand der Steuerakten für die Folgejahre ermittelbar ist (, Entscheidungen der Finanzgerichte 2016, 836, unter II.1.b cc (2), und BFH-Beschluss in BFH/NV 2017, 1460, Rz 20) bzw. wenn die Höhe der offensichtlich feststehenden Auswirkungen einigermaßen zuverlässig geschätzt werden kann (BFH-Beschluss in BFH/NV 2017, 1460, Rz 21).
13 b) Nach diesen Maßstäben stand im Streitfall mit hinreichender Sicherheit fest, dass die steuerliche Auswirkung der Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Bildung der Rücklage nach § 6c Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 6b Abs. 3 EStG nicht nur das Streitjahr, sondern auch die Folgejahre betraf. Denn zum einen musste die im Wirtschaftsjahr 2007/2008 gebildete Rücklage wieder gewinnerhöhend aufgelöst werden. Zum anderen hing hiervon der Zeitpunkt der Versteuerung der nachträglich vereinnahmten Zahlung ab (im Wirtschaftsjahr des Zuflusses 2010/2011 oder entgegen dem Zuflussprinzip fiktiv im Wirtschaftsjahr der Veräußerung 2007/2008, vgl. BFH-Urteil in BFHE 253, 337, BStBl II 2016, 984, Rz 39).
14 Nach den nicht bestrittenen Ausführungen der Kläger führte die Bildung der Rücklage im Einkommensteuerbescheid 2010 zu einer Minderung der Einkommensteuer in Höhe von 10.990 € und für das Jahr 2011 zu einer vergleichbaren Minderung. Die Anhebung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG ist allerdings auf das Dreifache des Mindeststreitwerts begrenzt.
15 5. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, da es an einem entsprechenden Gebührentatbestand im GKG fehlt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VI S 10/09, Zeitschrift für Steuern und Recht 2009, R866; vom V S 30/14, BFH/NV 2015, 346, Rz 24, m.w.N.).
16 6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2018:B.240718.VIS12.17.0
Fundstelle(n):
BFH/NV 2018 S. 1090 Nr. 10
IAAAG-92054