Vogelschlag als außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Fluggastrechteverordnung
Gesetze: Art 5 Abs 3 EGV 261/2004, Art 7 Abs 1b EGV 261/2004
Instanzenzug: Az: 11 S 9/16vorgehend Az: 112 C 195/15
Gründe
1I. Die Kläger verlangen von dem beklagten Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung von jeweils 400 € nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/01 (nachfolgend: Fluggastrechteverordnung).
2Die Kläger buchten bei der Beklagten für den einen Flug von Köln/Bonn nach Kos (Griechenland). Tatsächlich erreichten die Kläger den Zielflughafen erst am Folgetag mit einem anderen als dem zunächst vorgesehenen Flugzeug und einer Verspätung von mehr als zehn Stunden. Ursache hierfür war, dass das ursprünglich vorgesehene Flugzeug beim Landeanflug auf den Flughafen Heraklion etwa fünfeinhalb Stunden vor dem geplanten Abflug in Köln/Bonn an einer der Landeklappen von einer Möwe getroffen wurde und ausweislich einer sogleich durchgeführten Inspektion nicht mehr verkehrssicher war, sondern zur (endgültigen) Reparatur ohne Passagiere nach Deutschland überführt werden musste.
3Das Amtsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt; das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, der die Beklagte entgegentritt.
4II. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht (mehr) vor (nachfolgend zu 1), und die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg (nachfolgend zu 2).
51. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der revisionsgerichtlichen Entscheidung (vgl. , NJW-RR 2005, 650 Rn. 7) fehlt es, wie auch die Revision nicht verkennt, an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO). Die Einordnung des Vogelschlags als außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO und die grundsätzlichen Anforderungen an die einem Luftfahrtunternehmen zur Vermeidung einer Annullierung oder großen Verspätung zumutbaren Maßnahmen sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs geklärt.
62. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Beklagte nach Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO nicht zu einer Ausgleichszahlung verpflichtet ist, da die - insoweit der Annullierung gleichstehende (, Slg. 2009, I-10923 - Sturgeon/Condor) - große Verspätung des Fluges auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich trotz Ergreifung aller zumutbarer Maßnahmen nicht vermeiden ließen.
7a) Das für den von den Klägern gebuchten Flug vorgesehene Flugzeug ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts durch einen Vogelschlag beschädigt worden. Darin liegt ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO (, NJW 2017, 2665 Rn. 24 - Pešková/Travel Service a.s.; , NJW 2014, 861 Rn. 12 ff.). Dass der Vogelschlag vermeidbar war, ist nicht festgestellt und wird auch von der Revision nicht geltend gemacht.
8b) Die Verspätung geht im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO auf den Vogelschlag zurück, denn sie konnte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mit der Beklagten zumutbaren Maßnahmen nicht verhindert werden (siehe zu dieser Voraussetzung , BGHZ 194, 258 Rn. 11).
9(1) Die Ausführungen des Berufungsgerichts dazu, dass der Verspätung durch die nach dem Vogelschlag tatsächlich ergriffenen Maßnahmen nicht verhindert werden konnte, weil der Beklagten kein weiteres eigenes Flugzeug zur Verfügung stand und ihre unverzüglich durchgeführten Bemühungen fehlgeschlagen sind, bei einem von 53 angefragten, unter den Gesichtspunkten Flugzeuggröße, Sicherheitsstandards und Erfolgswahrscheinlichkeit ausgewählten Unternehmen ein Flugzeug zu chartern, lassen keinen Rechtsfehler erkennen und werden von der Revision nicht angegriffen.
10(2) Entgegen ihrer Auffassung kann der Beklagten auch nicht angelastet werden, dass sie vor dem schädigenden Ereignis keine weiteren Vorkehrungen getroffen hat, um auf ein - von ihr selbst oder aufgrund einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung von einem anderen Unternehmen (nebst Besatzung) vorgehaltenes - Ersatzflugzeug zurückgreifen zu können.
11(a) Das Berufungsgericht hat die Zumutbarkeit anlassunabhängiger Vorkehrungen vor dem Vogelschlag verneint, indem es auf die Rechtsprechung des Senats verwiesen hat, dass die Fluggastrechteverordnung keine Verpflichtung begründet, ohne konkreten Anlass Vorkehrungen wie etwa das Vorhalten von Ersatzflugzeugen zu treffen, um den Folgen außergewöhnlicher Umstände begegnen zu können (, NJW 2014, 3303 Rn. 20 ff.; Urteil vom - X ZR 102/13, NJW-RR 2015, 111 Rn. 10).
12(b) Dies hält den Angriffen der Revision stand.
13Das Vorhalten einer Ersatzmaschine gehört grundsätzlich nicht zu den Vorkehrungen, die einem Luftverkehrsunternehmen zur Vermeidung von Verspätungen zumutbar sind. Anlassunabhängige Vorkehrungen sind zumutbar, soweit sie nach guter fachlicher Praxis getroffen werden müssen, damit nicht bereits bei gewöhnlichem Ablauf des Luftverkehrs geringfügige Beeinträchtigungen das Luftverkehrsunternehmen außer Stande setzen, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und den Flugplan im Wesentlichen einzuhalten. Hieraus ergeben sich Anforderungen an die Ausgestaltung des Flugplans, der den Kapazitäten der Flotte anzupassen ist und eine gewisse Zeitreserve zwischen zwei Flügen vorzusehen hat (, NJW 2014, 3303 Rn. 21 f.), nicht jedoch die Obliegenheit, eine oder mehrere Ersatzmaschinen für den Fall vorzuhalten, dass ein Flugzeug infolge eines nicht als außergewöhnlich im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO anzuerkennenden Umstands wie eines abnutzungsbedingten Defekts ausfällt, der innerhalb der eingeplanten Zeitreserve nicht behoben werden kann. Ein derartiger Ausfall wäre nicht als geringfügige Beeinträchtigung anzusehen. Für in solchen Fällen eintretende Annullierungen und diesen gleichstehende große Verspätungen besteht die Ausgleichspflicht unabhängig davon, ob sie mit einer größeren Flotte oder überhaupt vermeidbar gewesen wären. Umgekehrt bilden in Fällen außergewöhnlicher Umstände allein die vorhandenen oder in der gegebenen Situation erreichbaren Ressourcen den Maßstab für die zur Vermeidung einer Annullierung oder großen Verspätung zumutbaren Maßnahmen (BGH, NJW 2014, 3303 Rn. 25).
14Diese Erwägungen gelten unabhängig davon, wie häufig ein Luftverkehrsunternehmen den Flughafen nutzt, für den im Einzelfall ein Ersatzflugzeug benötigt wird. Dem steht nicht entgegen, dass der Senat die Zumutbarkeit, ein Ersatzflugzeug vorzuhalten, zunächst für den Fall eines seltener angeflogenen Flughafens (, NJW 2014, 861 Rn. 24) und erst später grundsätzlich verneint hat. Da sich zwar eine statistische Wahrscheinlichkeit angeben lässt, mit der - außergewöhnliche oder nicht außergewöhnliche - Umstände eintreten, die trotz einer dem Flugplan angemessenen Kapazität der Durchführung eines Flugs entgegenstehen, sich Ort, Zeit, Umfang und Frequenz von Kapazitätsengpässen aber regelmäßig nicht vorhersagen lassen, wäre letztlich jede von der Rechtsprechung formulierte Anforderung an anlassunabhängige Vorsorgemaßnahmen willkürlich.
15Unerheblich ist daher auch, ob ein Luftfahrtunternehmen die Verfügbarkeit eines gegebenenfalls benötigten Ersatzflugzeugs statt durch den Verzicht auf die vollständige Auslastung der eigenen Flotte durch vorsorgliche Rahmenvereinbarungen mit Charterunternehmen sicherstellen könnte, die den jederzeitigen Abruf eines geeigneten Flugzeugs gestatteten. Solche Rahmenvereinbarungen stellten ebenfalls anlassunabhängige Vorkehrungen dar und sind nach den dafür maßgeblichen Grundsätzen ebenso wenig als zumutbar anzusehen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:200218BXZR24.17.0
Fundstelle(n):
NAAAG-91397