Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Prüfungsreihenfolge bei einem minder schweren Fall; Voraussetzungen eines Hanges
Gesetze: § 29a Abs 2 BtMG, § 27 Abs 2 StGB, § 64 S 1 StGB
Instanzenzug: Az: 2090 Js 57977/16 - 10 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts sowie auf eine Verfahrensbeanstandung gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verfahrensrüge ist - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat - nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
32. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
4a) Der Strafausspruch kann hingegen keinen Bestand haben. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
"Das Landgericht hat einen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG auf Grundlage einer Abwägung allein unter Berücksichtigung der allgemeinen Strafmilderungsgründe abgelehnt und hierbei die Möglichkeit eines kumulativen Verbrauchs des vertypten Milderungsgrunds des § 27 Abs. 2 StGB außer Acht gelassen (UA S. 31). Dies ist rechtsfehlerhaft (Senat NStZ 2017, 524; Fischer StGB 64. Auflage § 50 Rn. 4 mwN). Ein Beruhen kann angesichts des für die Angeklagte günstigeren Strafrahmens aus § 29[a] Abs. 2 BtMG (Strafobergrenze 5 Jahre) und der Zahl mildernder Umstände (vgl. UA S. 27, 31) nicht ausgeschlossen werden.
Die zum Strafausspruch getroffenen Feststellungen werden durch den festgestellten Rechtsanwendungsfehler nicht betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO)."
5Dem schließt sich der Senat an.
6b) Darüber hinaus hält der Maßregelausspruch revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand, soweit das Landgericht von der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.
7Insoweit hat die Strafkammer ausgeführt, ein Hang im Sinne von § 64 Satz 1 StGB liege bei einer Person vor, wenn diese eine treibende oder beherrschende Neigung verspüre, Rauschmittel in einem solchen Maße zu konsumieren, dass dadurch ihre Gesundheit oder Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werde. Aus sachverständiger Sicht liege bei der Angeklagten keine Opiatabhängigkeit vor. Da auch keine anderen Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Angeklagte psychotrope Substanzen in einem solchen Umfang zu sich genommen habe, dass sie körperlich oder sozial gravierend beeinträchtigt, oder, dass ihr Handeln generell durch ihren Drogenkonsum bestimmt gewesen sei, ist das Landgericht davon ausgegangen, dass bei der Angeklagten "kein Hang im Sinne von § 64 StGB vorliegt."
8Dies erweist sich als rechtsfehlerhaft: Die Voraussetzungen eines Hanges gemäß § 64 Satz 1 StGB sind nicht nur - wovon möglicherweise die Strafkammer ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit gegeben; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ohne dass eine physische Abhängigkeit bestehen muss. Lässt sich eine Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit durch den Rauschmittelkonsum feststellen, indiziert dies zwar einen Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, das Fehlen einer solchen Beeinträchtigung schließt ihn aber nicht aus (st. Rspr.; vgl. zuletzt , NStZ-RR 2016, 246, 247 mwN).
9Es ist danach zu besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Hangs einen falschen Maßstab zugrunde gelegt hat. Auf diesem Rechtsfehler beruht die Entscheidung zum Maßregelausspruch auch, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei der Angeklagten tatsächlich ein Hang besteht, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Die Strafkammer hat dazu festgestellt, die im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 35 Jahre alte Angeklagte habe seit ihrem 16. Lebensjahr Heroin konsumiert, bis sie - nach der Geburt ihrer sechsjährigen Tochter - für einige Jahre ohne Heroin gelebt habe. Seit mehr als einem Jahr konsumiere sie die Droge aber wieder regelmäßig; sie nehme 0,2 Gramm Heroin pro Woche zu sich, ohne es allerdings zu spritzen. Mit Blick darauf, dass die Tat jedenfalls auch dazu diente, den Eigenkonsum der Angeklagten zu decken, kann der symptomatische Zusammenhang zwischen einem Hang und der Tat ebenfalls nicht ausgeschlossen werden.
10Die Sache bedarf deshalb auch zur Frage der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neuer Verhandlung und Entscheidung. Dass nur die Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO); sie hat die Nichtanwendung von § 64 StGB auch nicht von ihrem Revisionsangriff ausgenommen (st. Rspr.; vgl. , juris Rn. 6 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:230118B3STR579.17.0
Fundstelle(n):
XAAAG-90241