Diebstahl und Raub: Abgrenzung von Wegnahme und Vermögensverfügung; Betäubungsmittel als fremde bewegliche Sache; Gesamtstrafenbildung bei Vorverurteilung
Gesetze: § 55 StGB, § 242 Abs 1 StGB, § 249 Abs 1 StGB, § 263 StGB, § 1 Abs 1 Anl 1 BtMG
Instanzenzug: LG Aachen Az: 65 KLs 18/15
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Den Angeklagten M. hat es unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Heinsberg vom und des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheidt vom nach Auflösung der darin gebildeten Gesamtstrafen, sowie unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Erkelenz vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Angeklagten B. und S. hat das Landgericht jeweils zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten K. hat es unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Erkelenz vom unter Auflösung der darin gebildeten Gesamtgeldstrafe sowie unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aachen vom eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verhängt.
2Die hiergegen gerichteten, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten M. , B. und K. haben keinen Erfolg. Auch die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten S. bleibt erfolglos.
I.
3Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4Die Angeklagten verbrachten den Abend des in der Wohnung des Angeklagten S. und konsumierten Amphetamin in unbekanntem Umfang. Nachdem der Betäubungsmittelvorrat zur Neige gegangen war, kam der Angeklagte K. auf die Idee, den mit Drogen handelnden Nebenkläger Bo. „abzuziehen“ und ihm, erforderlichenfalls unter Einsatz von Gewalt, Drogen und „sonstige werthaltige Gegenstände“ abzunehmen. Die Angeklagten M. , S. und B. waren damit einverstanden. Die Angeklagten veranlassten eine Freundin des Angeklagten K. , fernmündlich die Lieferung von 10 Gramm Amphetamin zum Preis von 50 € mit dem Nebenkläger zu vereinbaren; die Übergabe des Rauschgifts sollte gegen Mitternacht in der Nähe einer in H. gelegenen Mehrzweckhalle erfolgen.
5Die Angeklagten besprachen nunmehr die Einzelheiten der geplanten Tat. Sie kamen überein, dass die Angeklagten K. und M. sich zunächst im Hintergrund halten und die Angeklagten S. und B. allein mit dem Nebenkläger Bo. sprechen, ihn zur Herausgabe des Amphetamins veranlassen und ihm Bargeld und Wohnungsschlüssel abnehmen sollten; anschließend beabsichtigten sie, weitere Betäubungsmittel aus der Wohnung des Nebenklägers an sich zu bringen. Eine etwaige Gegenwehr sollte durch Hinzutreten der Angeklagten K. und M. , erforderlichenfalls mit Gewalt, unterbunden werden; zu diesem Zweck nahmen der Angeklagte B. eine ungeladene, täuschend echt aussehende Soft-Air-Pistole und der Angeklagte M. einen Baseballschläger mit.
6In Umsetzung des gemeinsamen Tatplans verließen die Angeklagten gegen 23.30 Uhr die Wohnung des Angeklagten S. und begaben sich zu dem vereinbarten Treffpunkt. Die Angeklagten K. und M. versteckten sich hinter einem nahe gelegenen Container, während die Angeklagten S. und B. auf das Eintreffen des Nebenklägers warteten.
7Dieser traf gegen Mitternacht an der Mehrzweckhalle ein, sah die Angeklagten S. und B. , stieg von seinem Fahrrad ab und trat auf sie zu. Der Angeklagte S. forderte den Nebenkläger auf, ihm das Amphetamin auszuhändigen, um dessen Qualität zu prüfen. Dieser tat dies, woraufhin der Angeklagte S. das Rauschgift einbehielt. Er forderte den Nebenkläger erfolglos auf, sie zu seiner Wohnung zu bringen. Daraufhin bedrohte der Angeklagte B. den Nebenkläger mit der Soft-Air-Pistole, der Angeklagte S. schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, um ihn dazu zu bewegen, ihrer Forderung nachzukommen. Der Nebenkläger entschloss sich zur Flucht. Der Angeklagte S. erkannte dies, trat ihm entgegen und versuchte, ihn festzuhalten, wodurch beide zu Fall kamen. Daraufhin rannten die Angeklagten M. und K. , die das Geschehen von ihrem Versteck aus beobachtet hatten, hinzu und griffen den Nebenkläger an. Der Angeklagte M. versetzte ihm zunächst einen wuchtigen Schlag mit dem Baseballschläger gegen das rechte Knie und schlug anschließend mehrfach heftig mit dem Baseballschläger auf den zu Boden gestürzten Nebenkläger ein, während die Angeklagten S. und B. , möglicherweise auch nur einer von beiden, auf den Geschädigten einschlugen und eintraten und ihn dabei insbesondere am Kopf verletzten. Der Nebenkläger verspürte Todesangst, gab jede Gegenwehr auf und versuchte, seinen Kopf vor den Schlägen und Tritten zu schützen. Schließlich rief er laut um Hilfe. Die Angeklagten, die aus den umliegenden Häusern Geräusche hörten und ihre Entdeckung fürchteten, ließen von dem Nebenkläger ab. Die Angeklagten S. und K. griffen in seine Hosentasche und nahmen das darin befindlichen Bargeld in Höhe von rund 10 € sowie seinen Wohnungsschlüssel an sich. Der Angeklagte S. fuhr mit dem Fahrrad des Nebenklägers davon. Alle Angeklagten trafen sich wenig später in der Wohnung des Angeklagten S. . Dort konsumierten sie gemeinsam das von ihnen erbeutete Amphetamin. Ob die Angeklagten auch das erbeutete Bargeld unter sich aufteilten, konnte nicht festgestellt werden. Der Angeklagte S. gab das Fahrrad des Geschädigten an eine Freundin weiter.
8Der Geschädigte erlitt durch die Schläge und Tritte mehrere knöcherne Verletzungen an Hand, Knie und Arm; außerdem trug er zahlreiche Blutergüsse und Schürfwunden an Armen, Beinen sowie am Rücken davon und befand sich rund zweieinhalb Wochen in stationärer Behandlung. Die Verletzungen sind mittlerweile weitgehend folgenlos ausgeheilt.
II.
9Die Revisionen der Angeklagten M. , B. und K. erweisen sich zum Schuldspruch als unbegründet.
10Die Annahme des Landgerichts, dass die Angeklagten jeweils des besonders schweren Raubes (§ 250 Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 2 Nr. 1 und 3a StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 StGB) schuldig sind, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
111. Die Angeklagten haben dem Nebenkläger Bo. nicht nur Geld, Wohnungsschlüssel und Fahrrad unter Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel in der Absicht weggenommen, sich diese Gegenstände rechtswidrig zuzueignen. Das Tatbestandsmerkmal der Wegnahme im Sinne der §§ 242 Abs. 1, 249 Abs. 1 StGB ist auch hinsichtlich des Beutels mit 10 Gramm Amphetamin ungeachtet des Umstands erfüllt, dass der Geschädigte diesen zunächst täuschungsbedingt freiwillig an die Angeklagten ausgehändigt hat.
12a) Hat sich der Täter eine Sache durch Täuschung verschafft, so ist für die Abgrenzung des Tatbestandsmerkmals der Wegnahme im Sinne des § 242 StGB von der Vermögensverfügung im Sinne des § 263 StGB auch die Willensrichtung des Getäuschten und nicht nur das äußere Erscheinungsbild des Tatgeschehens maßgebend. Betrug liegt vor, wenn der Getäuschte auf Grund freier, nur durch Irrtum beeinflusster Entschließung Gewahrsam übertragen will und überträgt. In diesem Fall wirkt sich der Gewahrsamsübergang unmittelbar vermögensmindernd aus. Diebstahl ist gegeben, wenn die Täuschung lediglich dazu dienen soll, einen gegen den Willen des Berechtigten gerichteten eigenmächtigen Gewahrsamsbruch des Täters zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern (Senat, Beschluss vom - 2 StR 154/16, NStZ 2016, 727 mit Anm. Kulhanek; siehe auch Kudlich, JA 2016, 953; Senat, Urteil vom - 2 StR 537/86, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 2). Von der Vorschrift des § 242 StGB werden insbesondere auch solche Fallgestaltungen erfasst, in denen der Gewahrsamsinhaber mit der irrtumsbedingten Aushändigung der Sache eine Wegnahmesicherung aufgibt, gleichwohl aber noch zumindest Mitgewahrsam behält, der vom Täter gebrochen wird. Vollzieht sich der Gewahrsamsübergang in einem mehraktigen Geschehen, so ist die Willensrichtung des Getäuschten in dem Zeitpunkt entscheidend, in dem er die tatsächliche Herrschaft über die Sache vollständig verliert. Hat der Gewahrsamsinhaber, der die wahren Absichten des Täuschenden nicht erkannt hat, den Gegenstand übergeben, ohne seinen Gewahrsam völlig preiszugeben, und bringt der Täter die Sache nunmehr in seinen (Allein-) Gewahrsam, so liegt hierin eine Wegnahme, wenn der Ausschluss des Berechtigten von der faktischen Sachherrschaft ohne oder gegen dessen Willen stattfindet (Senat, Beschluss vom , - 2 StR 154/16, NStZ 2016, 727).
13b) So verhält es sich hier. Durch die täuschungsbedingte Aushändigung des Amphetamins an die Angeklagten „zu Prüfzwecken“ trat unter den hier gegebenen Umständen nur eine Gewahrsamslockerung ein. Der Zeuge Bo. hat seinen Gewahrsam erst endgültig verloren, als der Angeklagte das Amphetamin nicht zurückgab, sondern einsteckte. Da dies gegen seinen Willen geschah, ist das Tatbestandsmerkmal des Gewahrsamsbruchs im Sinne des § 242 Abs. 1 StGB erfüllt.
142. Nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel wie das in Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG aufgeführte Marihuana können nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fremde bewegliche Sachen und damit Tatobjekt eines Raubes oder eines Diebstahls sein (Senat, Urteil vom - 2 StR 593/81, BGHSt 30, 359, 360; , NStZ 2015, 571, 572; Urteil vom - 4 StR 538/14, StraFo 2015, 216; Urteil vom - 1 StR 383/08, NStZ-RR 2009, 22, 23; Beschluss vom - 3 StR 295/05, NJW 2006, 72 f.; SSW-StGB/Kudlich, 3. Aufl., § 242 Rn. 16; zweifelnd Fischer, StGB, 64. Aufl., § 242 Rn. 5a). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat fest.
III.
151. Die Revisionen der Angeklagten M. , B. und K. erweisen sich auch zum Strafausspruch als offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
162. Auch die auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten S. ist unbegründet.
17a) Die Ausführungen zur Strafzumessung im engeren Sinne sind zwar knapp gehalten. Einen den Bestand des Strafausspruchs gefährdenden Erörterungsmangel vermag der Senat jedoch nicht zu erkennen. Dies gilt auch in Ansehung der Beanstandung des Angeklagten, die schriftlichen Urteilsgründe enthielten für den Angeklagten S. keine Ausführungen zur Strafzumessung im engeren Sinne. Dies trifft nicht zu. Soweit in den schriftlichen Urteilsgründen im Abschnitt V. 3. der Angeklagte K. anstelle des Angeklagten S. Erwähnung findet, handelt es sich, wie der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zweifelsfrei belegt, um ein Schreibversehen, das den Bestand des Urteils nicht gefährdet.
18b) Zu Recht hat das Landgericht von der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe mit der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Geilenkirchen vom abgesehen.
19Der Angeklagte hat die verfahrensgegenständliche Tat am und damit vor Erlass des Urteils des Amtsgerichts Geilenkirchen vom begangen, durch das er wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Bewährung verurteilt worden war. Da diese Vorverurteilung noch nicht erledigt ist, lagen an sich die Voraussetzungen für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung vor (§ 55 StGB).
20Allerdings ist die verfahrensgegenständliche Tat nach Erlass des Strafbefehls des Amtsgerichts Heinsberg vom und damit, weil die dem Amtsgericht Geilenkirchen zugrunde liegende Tat am und damit vor Erlass des Strafbefehls begangen worden ist, zwischen zwei ihrerseits gesamtstrafenfähigen Vorverurteilungen begangen worden. In Fällen der genannten Art scheidet eine Gesamtstrafenbildung aus (, BGHSt 32, 190, 192 f.; Beschluss vom - 4 StR 266/07, NStZ-RR 2007, 369, 370; Beschluss vom - 5 StR 269/09; LK-StGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 55 Rn. 15; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 55 Rn. 12; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, Rn. 233).
21Die Zäsurwirkung des Strafbefehls des Amtsgerichts Heinsberg vom ist - wovon das Landgericht zu Recht ausgegangen ist - nicht dadurch entfallen, dass der Angeklagte diese Geldstrafe inzwischen vollständig bezahlt hat. Denn diese Zahlung erfolgte erst am und damit nach Erlass des Urteils des Amtsgerichts Geilenkirchen vom . Bei dieser Sachlage hätte der damalige Tatrichter eine Gesamtstrafe bilden müssen, weil die Strafe aus der Vorverurteilung zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht vollständig vollstreckt war und eine Gesamtstrafenlage bestand. Die Prüfung der Frage, ob eine frühere Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist oder ob sie für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung zur Verfügung steht, ist vom Standpunkt des Tatrichters in dem späteren Verfahren zu beurteilen (KK-StPO/Appl, 7. Aufl., § 460 Rn. 9). Ein Nachtragsverfahren nach § 460 StPO ist erst ausgeschlossen, wenn sämtliche Strafen, die für eine Gesamtstrafenbildung in Betracht gekommen wären, vollständig vollstreckt, verjährt oder erlassen sind (vgl. , BGHR StPO § 460 Anwendung 1; Beschluss vom - 4 StR 266/07, NStZ-RR 2007, 369, 370; KK-StPO/Appl, 7. Aufl., § 460 Rn. 10).
22Da die Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Heinsberg erst am und damit nach Erlass des Urteils des Amtsgerichts Geilenkirchen vollständig bezahlt wurde, bestand die Gesamtstrafenlage fort. Eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit der im vorliegenden Verfahren verhängten Freiheitsstrafe schied bei dieser Sachlage aus.
IV.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:170517U2STR342.16.0
Fundstelle(n):
NAAAG-90240