Keine Wiedereinsetzung bei nicht wirksamer Ausgangskontrolle seitens des FA
Gesetze: FGO § 56
Gründe
I. Mit Urteil vom hat das Finanzgericht (FG) einer Klage des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) gegen einen Feststellungsbescheid des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt —FA—) teilweise stattgegeben, die Revision hiergegen jedoch nicht zugelassen. Das Urteil wurde dem FA am zugestellt.
Wegen der Nichtzulassung der Revision hat das FA am Beschwerde eingelegt und diese mit einem Schriftsatz, der das Datum ”” trägt und am beim Bundesfinanzhof (BFH) einging, begründet. Der Freistempleraufdruck auf dem Briefumschlag trägt das Datum ””.
Die Geschäftstelle des II. Senats hat das FA schriftlich unter Hinweis auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) davon unterrichtet, dass die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde verspätet erst am eingegangen ist.
Mit Schriftsatz vom beantragte das FA wegen der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und trug zur Begründung vor: Die Begründungsschrift sei vom Bearbeiter der Bewertungsstelle und dem zuständigen Sachgebietsleiter am gefertigt und am zur Post gegeben worden. Die erforderlichen inhaltlichen und formalen Anforderungen sowie die zu beachtende Frist seien zuvor mit dem Leiter des FA besprochen worden. Nach den Erinnerungen der beteiligten Personen sei die Beschwerdebegründung vom Bearbeiter der Bewertungsstelle dem Vorsteher am 17. Februar zur Unterschrift vorgelegt, mit dem Tagesstempel datiert und am Vormittag des gleichen Tages bereits kuvertiert der Poststelle zum Versand übergeben worden. Der Umstand, dass der Freistempleraufdruck das Datum ”” trage, spreche dafür, dass die Ursache für die Verzögerung im Bereich des FA liege. Denkbar sei, dass der Brief zunächst in den Postpendelverkehr mit den Außenstellen des FA gelangt sei. Grundsätzlich sei nach der Organisation des Postausgangs allerdings gewährleistet, dass ausgehende Post, die sich bis 15.00 Uhr bei der Postausgangsstelle befinde, noch am gleichen Tage abgesandt werde.
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie ist nicht innerhalb der in § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO bezeichneten Frist von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils begründet worden. Wiedereinsetzung in diese Frist kann dem FA nicht gewährt werden.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach § 56 FGO zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer Frist gehindert war, sofern er innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen sowie glaubhaft gemacht hat, aus denen sich seine schuldlose Verhinderung an der Wahrung der gesetzlichen Frist ergibt.
Das FA hat nicht ausreichend dargetan, dass die Versäumung der Beschwerdefrist unverschuldet war.
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten nach der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie von der Rechtsprechung für ein Wiedereinsetzungsgesuch des Steuerpflichtigen entwickelt worden sind (vgl. u.a. BFH-Entscheidungen vom IV R 100/80, BFHE 134, 220, BStBl II 1982, 131; vom VII R 38/91, BFH/NV 1993, 6; vom II R 74/90, BFHE 175, 302, BStBl II 1994, 946, und vom VII R 136/97, BFH/NV 1999, 73). Danach ist auch eine Behörde zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet (, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229). Dabei muss die Kontrolle der Erledigung und tatsächlichen Absendung, d.h. der tatsächlichen Übergabe des Schriftstücks an die Post durch jemanden erfolgen, der den gesamten Bearbeitungsvorgang überwachen kann (Beschlüsse des , BFH/NV 1998, 70, und vom VII R 113/97, BFH/NV 1998, 709, m.w.N.); die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks an die amtsinterne Postausgangsstelle reicht hierfür nicht aus, weil dadurch —wie gerade auch der Streitfall zeigt— noch nicht ausreichend sichergestellt ist, dass das Schriftstück auch tatsächlich unmittelbar zur Weiterbeförderung an die Post gelangt. Vielmehr muss derjenige, der den Vorgang zuletzt bearbeitet hat oder an der Bearbeitung beteiligt war, die mit der Absendung beauftragte Poststelle auf die Frist und die Wichtigkeit des Schriftstückes hinweisen (BFH-Beschlüsse vom II R 12/96, BFH/NV 1997, 47, und in BFHE 134, 220, BStBl II 1982, 131); eines solchen besonderen Hinweises bedarf es insbesondere deshalb, weil bei einer Behörde die Versendung fristwahrender Schriftsätze nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist. Unterbleibt ein solcher Hinweis und findet nur eine Kontrolle der Übergabe des Poststücks an die Postausgangsstelle statt, wird die Erledigung also lediglich durch Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an diese Postausgangsstelle weiterleitet, festgehalten, genügt dies nicht, um bei einer Fristversäumnis mangels Organisationsverschuldens Nachsicht gewähren zu können (vgl. u.a. BFH-Entscheidungen in BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229; vom XI R 19/91, BFH/NV 1992, 534; vom VIII R 61/91, BFH/NV 1993, 614; vom IX R 12/96, BFH/NV 1997, 670, und vom VII R 136/97, BFH/NV 1999, 73).
Danach kann dem FA im Streitfall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Denn das FA hat keine Umstände vorgetragen, die auf eine wirksame Ausgangskontrolle schließen ließen. Vielmehr wurde im Streitfall vom Bearbeiter der Bewertungsstelle lediglich die Übergabe des Schriftstücks an die Poststelle des FA veranlasst, jedoch keine Maßnahmen getroffen, die sicherstellten, dass dieses noch am selben Tage auch tatsächlich zur Post gelangte.
Nicht berücksichtigt werden konnte der Umstand, dass das FA theoretisch die Möglichkeit gehabt hätte, nach § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO einen Fristverlängerungsantrag zu stellen, denn dieser kann nur dann zu einer Fristverlängerung führen, wenn er —was hier nicht geschehen ist— vor Ablauf der Frist gestellt wurde.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 1440
BFH/NV 2003 S. 1440 Nr. 11
QAAAA-70133