Verfahrensfehler bei Verstoß gegen Denkgesetze
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Gründe
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) im Jahr 1995 (Streitjahr) unbeschränkt steuerpflichtig war.
Der Kläger erzielte im Streitjahr u.a. Einkünfte aus beratender Tätigkeit sowie aus der Vermietung und Verpachtung diverser Grundstücke. Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung durchsuchte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) das Einfamilienhaus des Klägers in O und stellte dabei für das Streitjahr u.a. Folgendes fest:
Ausweislich des Stundenbuchs einer Putzhilfe wurde das vollständig eingerichtete Haus zwei- bis dreimal wöchentlich gereinigt. Es wurden zudem 5 897 kw/h Strom verbraucht und 4 600 Liter Heizöl geliefert. Bei der Durchsuchung befand sich Wäsche auf der Leine und der Kühlschrank enthielt Speisereste. Außerdem hatte der Kläger vom Inland aus eine Reise angetreten sowie dort —ausweislich des in den jeweiligen Dokumenten angegebenen Ausstellungsortes— zwei Darlehensverträge abgeschlossen und sich auch eine Rechnung an die Adresse des Einfamilienhauses schicken lassen. Die vom Kläger vergebenen und mit 5 % p.a. verzinslichen Darlehensbeträge beliefen sich auf einerseits 90 000 DM und andererseits 75 000 DM. Das FA fand auch Hinweise darauf, dass der Kläger im Streitjahr Anleihen und Obligationen in der Schweiz geordert und einen Scheck dafür über 3 Mio. DM ausgestellt hatte.
Das FA behandelte den Kläger auf Grund der vorgenannten Feststellungen als unbeschränkt steuerpflichtig und schätzte die Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Kläger gab hingegen im Rahmen des Einspruchsverfahrens eine Steuererklärung für beschränkt Steuerpflichtige ab und gab an, Ende 1994 auf Mallorca ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück sowie im Streitjahr zwei unbebaute Grundstücke als Altersruhesitz erworben zu haben. Er legte außerdem spanische Telefon- und Stromrechnungen für das Streitjahr vor.
Mit seiner Einspruchsentscheidung änderte das FA den vorgenannten Schätzbescheid zu Ungunsten des Klägers.
Die dagegen gerichtete Klage vor dem Finanzgericht (FG) blieb überwiegend erfolglos. Das FG korrigierte zwar hinsichtlich eines Grundstücks Verluste aus Vermietung und Verpachtung, wies die Klage aber im Übrigen als unbegründet zurück, weil sich nach Würdigung aller festgestellten Indizien das Haus in O als Wohnsitz des Klägers darstelle und dieser einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien nicht nachgewiesen habe. Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.
Dagegen wehrt sich der Kläger mit seiner Beschwerde, mit der er die Zulassung der Revision gegen das beantragt.
II. Die Beschwerde ist unbegründet und war daher zurückzuweisen. Gründe, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—), sind —soweit sie überhaupt in zulässiger Weise dargelegt worden sind— nicht vorhanden.
1. Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe die §§ 76, 96 FGO sowie die Grundsätze über die freie Beweiswürdigung und seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und dadurch einen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begangen, auf dem das FG-Urteil beruhe, ist dem nicht zu folgen.
a) Hinsichtlich der Rügen der Verletzung seines rechtlichen Gehörs und der mangelnden Sachaufklärung des FG hat der Kläger das Vorliegen eines entsprechenden Zulassungsgrundes nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO bereits nicht hinreichend dargelegt, weil er die Verletzung der Vorschriften des Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO bzw. des § 76 FGO nicht ordnungsgemäß in der Vorinstanz gerügt hat. Da in vielen Fällen auf die Beachtung verfahrensrechtlicher Vorschriften wirksam verzichtet werden kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung —ZPO—), gehört nach ständiger Rechtsprechung zur ordnungsmäßigen Rüge eines Verfahrensmangels auch der Vortrag, dass die Verletzung der entsprechenden (verzichtbaren) Verfahrensvorschrift in der Vorinstanz ordnungsgemäß gerügt wurde, es sei denn, dass sich dies schon aus dem Urteil selbst oder den in Bezug genommenen Unterlagen ergibt (vgl. nur , BFHE 157, 106, BStBl II 1989, 727, sowie BFH-Beschlüsse vom VIII B 16/97, BFH/NV 1998, 608; vom VIII B 14/99, BFH/NV 2000, 971; vom VII B 1/00, BFH/NV 2000, 1125). Zu den in diesem Sinne verzichtbaren Verfahrensmängeln gehört neben der Verletzung des rechtlichen Gehörs auch die fehlerhafte Amtsermittlung (vgl. nur Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 101; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Tz. 91 und 93, m.w.N. zur ständigen Rechtsprechung). Ausweislich der FG-Akten (dort insbesondere der Protokollniederschrift zur mündlichen Verhandlung) hat der Kläger eine entsprechende Rüge nicht erhoben.
b) Soweit sich der Kläger darauf beruft, das FG habe durch das Ziehen falscher oder sogar denkgesetzlich unmöglicher Schlüsse im Hinblick auf die von ihm verwerteten Indizien Denkgesetze oder Erfahrungssätze und damit die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO bzw. die Grundsätze der freien Beweiswürdigung verletzt, ist dem entgegenzuhalten, dass ein Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze, auch wenn er sich auf die Würdigung von Tatsachen erstreckt —wie auch allgemein Fehler in der Tatsachen- und Beweiswürdigung—, keinen Verfahrensfehler, sondern einen materiell-rechtlichen Fehler darstellt (vgl. BFH-Beschlüsse vom IV B 76/99, BFH/NV 2000, 848; vom XI B 122/98, BFH/NV 2001, 43; vom II B 29/01, BFH/NV 2002, 512), der nicht zur Zulassung der Revision führen kann.
c) Selbst wenn man mit dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) einen Verstoß gegen die Denkgesetze als zu beachtende Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung und damit als Verfahrensfehler auffasst, soweit ein Indizienbeweis betroffen ist (Urteil vom 4 C 28/89, BVerwGE 84, 271), ergibt sich nichts anderes, weil der Kläger eine Verletzung von Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen inhaltlich nicht darlegen konnte. Das FG hat aus den von ihm zusammengestellten Indizien, insbesondere aus der Tatsache, dass in dem Einfamilienhaus des Klägers in O Strom verbraucht worden ist, dieses regelmäßig gereinigt wurde und der Kläger sich zumindest tageweise in Deutschland aufgehalten hat, den Schluss gezogen, dass er das Haus regelmäßig genutzt habe. Ein solcher Schluss ist zwar nicht zwingend; er ist aber möglich und stellt daher keine Verletzung von Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen dar. Gleiches gilt für den Schluss des FG, die Tatsache, dass der Kläger nicht dargelegt habe, dass er in Spanien Einkommensteuererklärungen abgegeben bzw. entsprechende Steuern gezahlt habe, spreche dafür, dass er dort weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Auch ein solcher Schluss ist zwar nicht zwingend, aber denkgesetzlich möglich.
2. Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich auch, dass die Frage, ob die Nichtvorlage spanischer Steuerbescheide bzw. die Nichtbesteuerung von Einkünften in Spanien die Verneinung eines spanischen Wohnsitzes bzw. des dortigen gewöhnlichen Aufenthalts rechtfertigen kann, keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hat und ihre Beantwortung auch nicht der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) dient. Die Frage ist keine Rechtsfrage, sondern eine Frage der Würdigung eines Lebenssachverhaltes, weil die entsprechenden Tatsachen den Schluss auf einen fehlenden spanischen Wohnsitz bzw. den dortigen gewöhnlichen Aufenthalt rechtfertigen können, aber nicht müssen.
3. Die Entscheidung ergeht im Übrigen ohne weitere Begründung (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 1429
BFH/NV 2003 S. 1429 Nr. 11
KAAAA-69864